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hasirasi2
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Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1167 Bewertungen
Bewertung vom 16.05.2022
Tod in Rimini / Italien-Krimi Bd.2
Scarpa, Dani

Tod in Rimini / Italien-Krimi Bd.2


ausgezeichnet

Eine Hand wäscht die andere

„Du musst Chiara helfen – denn wenn du es nicht tust, mein Freund, werde ich dich bis ans Ende deiner Tage verfolgen und dafür sorgen, dass du niemals wieder Schlaf oder Ruhe findest.“ (S. 91/92) Diese Drohung stößt nicht etwa ein Mafioso gegen Paolo Ritter aus, sondern ein toter Tenor. Den hatte Paolo erst am Abend zuvor bei einem Konzert kennengelernt, zu dem ihm seine Geschäftspartnerin und Köchin Lucia „gezwungen“ hatte. Lucias beste Freundin Chiara ist bzw. war die aktuelle Lebensgefährtin des Toten und steht jetzt unter dringendem Mordverdacht.

„Tod in Rimini“ ist der zweite Band der Reihe mit dem ehemaligen LKA-Ermittler mit dem episodischen Gedächtnis. Paolo hat überraschend das Hotel seines verstorbenen Bruders übernommen und steckt mitten in der ausufernden Sanierung. Da kommt ihm ein neuer Fall sehr ungelegen, zumal der Tenor ein extrem unsympathischer Mensch war. Doch nicht nur der Tote, auch Lucia drängt ihn zur Aufklärung des Mordes, denn ihre beste Freundin kann es einfach nicht gewesen sein! Sie hatte gar kein Motiv. Lucia schlägt ihm einen Deal vor: Er klärt den Mord auf, dafür kümmert sie sich um die Handwerker und die Sanierung – eine Hand wäscht die andere ...

Doch es sieht nicht gut aus für Chiara. Obwohl sich ihr Freund mit so ziemlich jedem zerstritten hatte, sind die Beweise gegen sie erdrückend. Paolo hat zwar das Gefühl, dass am Tatort irgendwas nicht stimmt, doch er kommt lange nicht darauf, was das ist. Er folgt verschiedenen Spuren und sammelt ein Puzzlestück nach dem anderen zusammen, bis sich letztlich ein Bild ergibt, dass sogar die ermittelnde Ispettore überzeugt.

Mir hat Paolo Ritter mit seiner etwas ungelenken und zum Teil sehr deutschen Art wieder sehr gut gefallen, zumal er langsam besser mit der italienischen Lebensart zurechtkommt. Nur mit dem Zwischenmenschlichen (vor allem bei Frauen) hapert es immer noch. Lucias Bemerkungen und Andeutungen sind für ihn oft ein Buch mit sieben Siegeln. Da versteht er die sehr offensiv flirtende Ispettore deutlich besser. Doch Lucia ist der perfekte Gegenpart für ihn – weich, freundlich und flirtend, wo seine direkte Art sein Gegenüber wiedermal in die Flucht zu schlagen droht.

Dani Scarpa schreibt sehr spannend und gleichzeitig amüsant. Paolos Dramen bei der Sanierung haben mich mehrfach schmunzeln lassen, scheint der beauftragte Vermessungsingenieur doch seine gesamte Verwandtschaft auf dem Bau unterbringen und aus dem Hotel ein Luxusresort machen zu wollen.
Auch la Dolce Vita kommt nicht zu kurz. Land und Leute werden sehr lebendig beschrieben und die regionalen Gerichte lassen einem beim Lesen das Wasser im Mund zusammenlaufen (und am Ende des Buches gibt es wieder ein leckeres Rezept).

Mich hat der Krimi extrem gut unterhalten und ich bin schon sehr gespannt auf Paolos und Lucias nächste Ermittlung – dann ja vielleicht wirklich schon als Privatdetektive?

Bewertung vom 13.05.2022
Ein Lied für Molly
Winter, Claudia

Ein Lied für Molly


sehr gut

Die Suchenden

Bonnie hatte nie große Träume für ihr Leben, vielleicht ein kleines Café führen, aber da, wo sie herkommt, träumt man nicht, man überlebt. Also jobbt sie in einem Imbiss und frittiert Fisch und Chips. Ihr Verdienst reicht gerade so um über die Runden zu kommen und ihrem Sohn Josh die am dringendsten nötigen Sachen zu kaufen. Dass sie mit 28 Jahren unverheiratet und alleinerziehend ist, kommt im erzkatholischen Dublin nicht wirklich toll an, sie wird deswegen oft schief angesehen oder muss sich dumme Sprüche anhören. Bonnie flüchtet sich dann in die Routine ihres Alltags und die Abenteuer, die sie für Josh ersinnt. Eigentlich sollte er längst in die Schule gehen, aber sie kann ihn noch nicht loslassen, sorgt sich, weil er anders als andere Kinder ist, schlauer, wissbegieriger, und die Welt mit anderen Augen sieht.
Eines Tages finden sie in einem Bus einen Hefter mit handschriftlichen Noten, einer Busverbindungsauskunft nach Ballystone, Galway, und einem Zeitungsartikel. Letzterer führt sie zu dem ehemals berühmten Konzertpianisten Robert. Obwohl ihm die Noten nicht gehören, will er sie ihr abkaufen, denn er weiß genau, wer die Stücke komponiert hat – ein früherer Schüler von ihm, der vor 18 Jahren verschwand. Als Bonnie nicht verkaufen will, überzeugt er sie, den Besitzer gemeinsam zu suchen. Sie folgen den Hinweisen an die Westküste. Dort platzen sie mitten in ein Musikfestival, doch niemand in dem kleinen Dörfchen Ballystone will den Komponisten der Noten kennen ...

Robert ist alt und einsam. Früher war er eingefeierter Star, später Lehrer an einer Privatschule. Doch seit der Rente und weiß er nichts mehr mit seiner Zeit anzufangen. „Die Musik war mein Lebenselixier, der Konzertsaal mein Zuhause, der Applaus meine Droge. Ohne das alles war ich … Nichts.“ (S. 97) Selbst die Suche nach dem verschwundenen Schüler hat er irgendwann aufgegeben. Die Reise mit Bonnie und Josh macht sein Leben plötzlich wieder bunt, aufregend und interessant. Sie holt ihn aus seinem Schneckenhaus und katapultiert ihn in ein Abenteuer, das ihm neue Perspektiven aufzeigt – denn noch ist sein Leben nicht vorbei.
Auch Bonnies Panzer, den sie nach dem Tod ihrer Mutter vor zwei Jahren um sich und Josh aufgebaut hat, bricht endlich auf. Sie lernt, ihrem Sohn zu vertrauen und ihm mehr Freiheiten zu lassen.
Daran ist nicht nur ihr verrückter Roadtrip Schuld, sondern auch die leicht schrägen Einwohner des Dörfchens. Sie integrieren die drei Suchenden einfach in ihren Alltag, mischen sich ein, wo es ihnen notwendig erscheint, helfen oder stellen Forderungen. Ich habe dabei besonders den Dorfpolizisten Dan und die Pub-Wirtin Eireen ins Herz geschlossen.

Claudia Winter entführt uns mit „Ein Lied für Molly“ nach Irland und in die Welt der Musik. Sie schreibt über Familie und die eine große Liebe, über Loslassen und Ankommen.
Die Geschichte wird parallel über zwei Zeitebenen erzählt, neben der aktuellen Suche erfährt man Stück für Stück, was damals passiert ist. Mir hat übrigens der Teil, der in der Vergangenheit spielt, ein kleines bisschen besser gefallen als die Gegenwart.

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Bewertung vom 08.05.2022
Ich warte auf dich, jeden Tag
Lind, Christiane

Ich warte auf dich, jeden Tag


ausgezeichnet

Schön, tragisch, verrückt, unheimlich spannend und mit sehr viel Tiefgang.

Amerika, 1999: Für Erin bricht eine Welt zusammen, als ihr Mann sie nach über 20 Jahren verlässt und ihre Eltern nach einem erneuten Herzinfarkt ihres Vaters das Haus verkaufen. Und egal, wie sehr sich ihre Freundinnen (besonders Charlotte) um sie sorgen und kümmern, Erin kommt einfach nicht aus ihrem Schneckenhaus und lässt sich gehen.
Doch dann findet sie beim Ausräumen des Dachbodens ein Flugticket nach Frankfurt und einen deutschsprachigen Liebesbrief von einer fremden Frau an ihren Großvater: „Ich warte auf Dich, jeden Tag. Lily“. Wer war diese Lily und warum hat ihr Großvater das Flugticket nie eingelöst? Da Erin ihn das alles nicht mehr fragen kann, beschließt sie nach Frankfurt zu reisen und Lily zu finden.
Je tiefer Erin sich in die Suche nach Lily stürzt, desto seltener denkt sie an ihren Ex. Die Reise nach Deutschland und in die Vergangenheit ihrer Vorfahren ist eine gute Therapie für sie und bestimmt nicht teurer als ein Psychiater. Außerdem lernt sie, dass es oft schon reicht, die Perspektive zu wechseln um neuen Lebensmut zu finden.

Frankfurt, 1933. Hitler wurde gerade gewählt und schon zu Beginn des Nationalsozialismus herrscht eine bedrückende, einschüchternde Stimmung. Die Bedrohung durch die Nazis lauert faktisch überall.
Lily und ihre Familie kommen gerade so über die Runden. Sie sind Sozialsozialisten und wollen gegen die Nazis kämpfen. Lily ist eine der wenigen Frauen dieser Zeit, die einen Studienplatz ergattern konnte, obwohl sie aus der Arbeiterschicht kommt. Bald verliebt sie sich in ihren Mitstudenten Alexander, aber er kommt aus der Oberschicht und die Unterschiede zwischen ihnen scheinen zu groß, auch, weil sie im Gegensatz zu ihm politisch sehr engagiert ist. Trotzdem können sie nicht voneinander lassen und schaffen sich in dem feindlichen Umfeld und gegen alle Widerstände eine kleine Seifenblase des Glücks, die jederzeit platzen kann.

Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und habe es fast auf einen Rutsch durchgelesen und sogar davon geträumt, das passiert mir eher selten. „Ich warte auf Dich, jeden Tag“ ist unheimlich spannend geschrieben, gut recherchiert, wenn es um die Geschehnisse zu Lilys Zeit geht und hat sehr viel Tiefgang. Mein Herz pocht immer noch ½ Takt schneller. Genau so muss ein gutes Buch sein! Und trotz der schwierigen Bedingungen während der Nazizeit wird es nie gefühlsduselig oder schnulzig. Ich habe es ganz ohne Taschentücher geschafft, weil die Autorin (Clarissa Linden) uns ganz langsam, einfühlsam und behutsam auf das Ende der Geschichte vorbereitet.

Das Schlusswort soll mein Lieblingszitat aus dem Buch sein: „Auch kleine Lieben reichen aus, um glücklich zu sein.“

Bewertung vom 07.05.2022
Café Meerblick
Below, Christin-Marie

Café Meerblick


sehr gut

Liebstes Leben

… so beginnt jeder Eintrag in Sophies Tagebuch, das sie im letzten gemeinsamen Norderney-Urlaub mit Mona begonnen hatte und ihr jetzt nach ihrem Tod vor einem Jahr vererbt. Monas Mutter versucht sie zu trösten: „Die Zeit heilt nicht alle Wunden, aber du lernst, mit dem Schmerz umzugehen.“ (S. 23), aber noch sind der Schmerz und die Trauer riesengroß. Kann die Reise auf „ihre“ Insel, die sich Sophie für Mona wünscht, endliche eine Veränderung bringen? Schließlich haben sie dort ihre gemeinsamen Urlaube verbracht und davon geträumt, ein Café zu eröffnen.

Sophies Plan scheint aufzugehen. Schon am ersten Tag entdeckt Mona Caro, die bemalte Steine mit schönen Sinnsprüchen auslegt, um die Welt ein bisschen bunter zu machen, und findet in ihr eine neue Freundin. Außerdem lernt sie auf einer Strandparty Tjark kennen und flirtet zum ersten Mal seit langem wieder. Als Caro ihr dann auch noch von einem Café erzählt, das einen neuen Betreiber sucht, kann die gelernte Konditorin ihr Glück kaum fassen – können Träume wirklich wahr werden?

Ich habe Mona und Caro sofort ins Herz geschlossen (und hätte auch Sophie zu deren Lebzeiten gern als Freundin gehabt). Caro hat immer genau die richtige Idee oder den passenden Spruch, um Mona aus ihren Tiefs zu holen – denn auch wenn ihr Verlust schlimm ist, ihr Leben geht schließlich weiter. Mit Caro kann Mona endlich über alles reden, sich ihr Herz erleichtern. Auch Tjark trägt seinen Teil zu Monas neuem Lebensmut bei, seine lockere und fröhliche Art, seine Bemühungen um sie. Allerdings passiert etwas, was es Mona schwer macht, ihm komplett zu vertrauen.
Nur mit Sophies jüngerer Schwester Franzi bin ich nicht so richtig warm geworden. Sie hat nicht nur ihre Schwester verloren, sondern musste wegen deren Krankheit auch immer hinter ihr zurückstecken, schon früh erwachsen und selbständig werden. Trotzdem kam sie mir oft eher wie ein Teenager als eine Studentin mit Mitte 20 vor.

In Café Meerblick geht es um Freundschaft und Trauer, um Monas schweren Verlust und ihre Angst, nie wieder glücklich sein zu können. Die Reise und Sophies Tagebuch zeigen ihr durch die gemeinsamen Erinnerungen Alternativen und neue Wege auf. Es scheint fast so, als würde Sophie ihr von oben helfen wollen, einen Neustart auf Norderney zu wagen.

Man merkt jeder Zeile des Buches an, wie sehr Christin-Marie Below Norderney liebt,
denn Café Meerblick ist fast schon ein romantischer Inselreiseführer. Und wer wie ich, Pension Herzschmerz, den ersten Roman der Autorin kennt, wird sich über das Wiederlesen mit den drei Freundinnen freuen.

Schöne Traueraufarbeitungsgeschichte mit etwas Romantik und ganz viel Meer (und Kuchen) – eine Liebeserklärung an das Leben und Norderney.

Bewertung vom 05.05.2022
Rosenkohl und tote Bete / Manne Nowak ermittelt Bd.1
Nikolay, Mona

Rosenkohl und tote Bete / Manne Nowak ermittelt Bd.1


sehr gut

Nowak & Partner

„Karl Wischnewski. Manne hätte ehrlich gedacht, er würde ihn nie wiedersehen. Was für ein furchtbarer Irrtum.“ (S. 19)
Manne Nowak ist der Vorsitzende des Berliner Kleingartenvereins Harmonie und entsetzt, als die neuen Gartennachbarn Caro und Eike von Ribbeck beim Umgraben des Gemüsebeetes ausgerechnet den ehemaligen Besitzer des Gartens finden. Natürlich rufen sie sofort die Polizei, dumm nur, dass sich KHK Lohmeyer gleich auf Manne als Verdächtigen einschießt, weil der sich wegen einer Wasserpumpe mit seinem ehemals besten Freund Kalle verstritten hatte. Caro schlägt vor, eigene Ermittlungen anzustellen, schließlich war Manne selber Polizist, bis er aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. Und bei der Gelegenheit könnten sie doch auch gleich die Detektei Nowak und Partner gründen?! Ihr Job als Social-Media-Managerin langweilt sie eh – sie könnte ja schon mal den Instagram-Auftritt der neuen Firma basteln.
Eine Detektei will Manne zwar nicht gründen, aber er hört sich mit Caro bei seinen alten Polizeikollegen, Kalles Kollegen und Eltern um. Dabei fällt ihnen auf, dass alle das Gleiche erzählen. Vor ca. einem halben Jahr hat sich Kalle mit allen verstritten und sämtliche Brücken hinter sich abgebrochen …

Manne und Caro könnten kaum unterschiedlicher sein. Er ist sehr bodenständig, lieben den Garten und die Vereinsarbeit. Für Caro ist es eher eine Flucht aus dem Alltag, ein „Projekt“, das sich auf Instagram vermarkten ließe, denn die letzten Jahre hat sie sich hauptsächlich um Mann und Kind gekümmert und ihre eigenen (Karriere-)Wünsche immer hintenangestellt.
Er trägt olle Klamotten, sie ist immer top gestylt. Aber sie ist nicht dumm, wie er schnell feststellt, und sie kann gut mit Leuten umgehen. Zusammen tauchen sie immer tiefer in Kalles Welt ein, auch wenn Caro sich manchmal nicht sicher ist, ob Manne nicht doch irgendwie mit drinhängt (und nebenbei heimlich eigene Ermittlungen anstellt). Und dann kommen sie dem Täter am Ende doch viel näher, als ihnen gut tut …

„Rosenkohl und tote Beete“ ist der Auftakt einer neuen Reihe von Eva Siegmund alias Mona Nikolay, ein schöner Whodunit mit Schmunzelgarantie, Berliner Dialekt und Kleingartenfeeling. Mir gefällt das Setting der Gartensparte gut, wo natürlich nichts geheim bleibt und sich schnell mal sämtliche Nachbarn spontan zum Grillen oder im Vereinsheim zum Bierchen treffen, man sich aber auch gegenseitig hilft.
Auch die Nebencharakter wie Mannes Frau (immer still und unauffällig im Hintergrund, aber sehr pfiffig) oder Caros Mann (ein Arzt, der keine Leichen sehen kann und nicht versteht, dass seine Frau „plötzlich“ mehr im Leben will) sind gut ausgearbeitet.
Die Spannung baut sich langsam aber kontinuierlich bis zum Showdown auf und nebenbei erfährt man, wie Polizeiarbeit abseits vom Fernseh-Tatort wirklich funktioniert.
Ich bin schon sehr gespannt auf den nächsten Fall von „Nowak & Partner“.

Bewertung vom 02.05.2022
Einsame Entscheidung / Leander Lost Bd.5 (2 MP3-CDs)
Ribeiro, Gil

Einsame Entscheidung / Leander Lost Bd.5 (2 MP3-CDs)


ausgezeichnet

Vom Jäger zum Gejagten

„Manchmal muss man das Gesetz brechen, um das Richtige zu tun.“ Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet Leander Lost, der aufgrund seines Asperger-Syndroms nicht lügen oder etwas Unrechtes tun kann, diesen Satz sagt.
Dabei fängt alles so harmlos an. Es ist Mitte Juni und die Touristen haben die Algarve noch nicht überrannt, als ein anonymer Anruf bei der Polizei eingeht. In einem Ferienhaus soll eine Frau um Hilfe geschrieben haben. Die Frau finden Leander Lost und seine Kollegen Graciana Rosado, Miguel Duarte und Carlos Estebes von der Polícia Judicária nicht vor, aber einen erstochenen Briten. Alles deutet auf eine Beziehungstat hin, zumal die Frau, die das Haus gemietet hat, nicht (mehr?) da ist. Und noch etwas Wichtiges fehlt, fällt Leander Lost auf. Sie finden einer Spur, die nach Spanien führt, in den „Wintergarten Europas“, in dem das ganze Jahr Obst und Gemüse angebaut wird. Doch dann wird ihnen ein Team aus Lissabon vor die Nase gesetzt und aus den Jägern werden Gejagte, denn plötzlich ist Leander Lost mit der Mordverdächtigen auf der Flucht. Doch nicht nur Leander Lost, auch Miguel Duarte wagt wieder mal den Alleingang, weil er endlich und um fast jeden Preis in die Hauptstadt befördert werden möchte ...

„Einsame Entscheidung“ ist bereits der fünfte Teil der „Lost in Fuseta“ Reihe, aber immer noch so spannend wie zu Beginn. Mit dem Asperger-Autisten Leander Lost hat Gil Rebeiro einen ganz besonderen Protagonisten geschaffen, der auf seine Umwelt oft wie ein Roboter wirkt, da er Probleme hat, Gefühle zu erkennen oder zu zeigen. Aber als Ermittler ist er unbestechlich und wird von seinen Kollegen gern als menschlicher Lügendetektor eingesetzt. Auch sein szenisches Gedächtnis hilft ihnen bei den Ermittlungen, da er einmal Erlebtes oder Gesehenes immer wieder abrufen kann. Ich finde es toll, innerhalb dieser Reihe seine Entwicklung zu begleiten, zu sehen, wie er langsam lockerer und „normaler“ wird.

Als Hintergrund für den Fall dienen Gil Ribeiro die Überbevölkerung und Nahrungsmittelknappheit, Industriespionage, illegale Erntehelfer und geheime Studien, bei denen nicht mal die Probanden wissen, dass sie welche sind.

Den Wechsel zwischen ruhigen und Action-Szenen finde ich ausgewogen, mich hat „Einsame Entscheidung“ von Anfang bis Ende gefesselt. Auch die privaten Hintergründe des Ermittlerteams und das Urlaubsfeeling der Algarve passen gut zur Handlung. Besonders hervorheben möchte ich wieder den Sprecher Andreas Pietschmann, der Leanders Art sehr gut mit seiner Stimme rüberbringt. Ich bin schon sehr gespannt auf den hoffentlich nächsten Fall.

Bewertung vom 29.04.2022
Die hundert Jahre von Lenni und Margot
Cronin, Marianne

Die hundert Jahre von Lenni und Margot


ausgezeichnet

Lenni und Margot waren hier

„Das Leben und das Sterben sind große Geheimnisse, man kann beides nicht verstehen, so lange man es nicht selbst erlebt hat.“ (S. 21)
Lenni ist siebzehn, als sie erfährt, dass sie eine tödlich verlaufende Krankheit und nicht mehr viel Zeit hat. Die letzten Monate ihres Lebens verbringt sie im Krankenhaus und hadert mit Gott und der Welt, denn sie hat noch nichts von dem erlebt, was man sich in dem Alter erträumt: Keinen Freund oder wenigstens den perfekten ersten Kuss. Da entdeckt sie den Kunstkurs des Krankenhauses und darin Margot – 83 Jahre alt, im Kopf jung geblieben, auch wenn ihr Herz gerade streikt – die ein sehr erfülltes und bewegtes Leben hinter (und wenn sie Glück hat, auch noch einen Rest vor) sich hat. „Zusammen sind wir hundert Jahre alt.“ (S. 57) stellen sie fest. Und schmieden einen Plan. Für jedes gelebtes Jahr werden sie das Bild einer Erinnerung zeichnen. Das wird ihre Art sein, einen Fußabdruck auf der Erde zu hinterlassen, wenn sie nicht mehr da sind. Aber hundert Jahre bedeuten hundert Bilder – schaffen sie das, bevor Lenni gehen muss?

„Die hundert Jahre von Lenni und Margot“ sollte nur zusammen mit Taschentüchern verkauft werden, denn ich habe Rotz und Wasser geheult.
Lenni scheint sehr einsam zu sein, bekommt nie Besuch und gibt kaum etwas von sich Preis. Sie will sich auch nicht mit anderen PatientInnen in ihrem Alter anfreunden, die im Gegensatz zu ihr irgendwann wieder nach Hause gehen werden. Sie haben einfach nichts gemein.
„Die Leute sagen, wenn man stirbt, dann bedeutet das, dass Gott einen zu sich ruft, also dachte ich mir, am besten stelle ich mich schon mal vor.“ (S. 9) Stattdessen besucht sie regelmäßig den Pater des Krankenhauses und diskutiert mit ihm über die Bibel und Gott, stellt Fragen, auf die er keine Antworten hat und entwickelt eine Marketingstrategie für seine kaum besuchte Kapelle. Ich hatte das Gefühl, sie geben sich dadurch gegenseitig Halt und Lenni hilft ihm, seinen Glauben zu überprüfen und zu behalten. Dabei klingt sie manchmal extrem jung und verloren, aber schon kurz darauf wieder so weise, als hätte sie ein ganzes erfülltes Leben hinter sich. Ich mochte ihren oft versteckten, sehr intelligenten Witz und ihre warmherzige und rücksichtsvolle Art, selbst beim Sterben noch an andere zu denken.
Margot hingegen blickt auf ein sehr ereignisreiches Leben zurück, an dem sie Lenni durch ihre Bilder und Geschichten teilhaben lässt. Sie hat geliebt, verloren und wiedergefunden, große Enttäuschungen erlebt und die eine ganz große Liebe gefunden, um die sie fast ihr ganzes Leben kämpfen musste.

Ich hatte Lenni und Margot sofort in mein Herz geschlossen, habe mit ihnen gebangt und gelitten und jedes Schnipselchen ihres Lebens aufgesaugt, das sie nach und nach erzählt haben. Ihre Geschichten haben mich extrem berührt und nachdenklich gemacht – was macht ein erfülltes, glückliches Leben aus? Und wie leicht oder schwer ist es, am Ende loszulassen?

Marianne Cronin hat einen wunderbaren, sehr empathischen und packenden Schreibstil, obwohl ihr Roman eher unaufgeregt ist. Ich bin schon sehr gespannt auf ihr nächstes Buch.

„Die hundert Jahre von Lenni und Margot“ von Marianne Cronin ist mein Geheimtipp für LeserInnen von Cecelia Ahern oder Anna McPartlin.

Bewertung vom 27.04.2022
Von oben fällt man tiefer / Theopil Kornmaier Bd.1
Bandel, Anne

Von oben fällt man tiefer / Theopil Kornmaier Bd.1


sehr gut

Wennschon, dennschon

Theophil Kornmaier hat als Kind bei einem Bergunglück seinen Bruder verloren und immer noch Albträume davon. Er ist sich nicht sicher, ob er ihn damals nicht vielleicht gestoßen hat. Nach einem Jahr erfolgloser Therapie schlägt seine Psychologin ihm eine Konfrontationstheorie vor – er soll noch einmal zum Wandern in die Berge fahren. Zufällig stößt er in einem Reiseführer auf den Fernwanderweg E5, von Bregenz nach Bozen, und denkt sich: wennschon, dennschon. Da die Strecke allein zu gefährlich ist, schließt er sich einer Wandergruppe an. Aber nicht nur benötigte (grelle) Funktionsbekleidung und Rucksäcke, („Die Ästhetik des Bergwanderns ist eine Katastrophe.“ (S. 9)) auch seine Mitreisenden sind ihm suspekt.
Sexbombe Johanna verdreht allen Männern den Kopf („Sie war jung, sie war schön. Ein Geschenk.“ (S. 13)), dabei soll sie eigentlich die unscheinbare Laura begleiten.
Gerlinde und Gerald sind mitten im verflixten siebenten Jahr. Sie will schon lange heiraten und Kinder, erhält sie hin, überlegt, wie er sich endlich von ihr trennen kann.
Die gemütliche Hausfrau Bruni hat sich von ihrem sportbegeisterten Detti zum 25. Hochzeitstag eine kleine Wanderung gewünscht. Er wollte den E5 schon lange gehen und sieht seine Chance gekommen – jetzt kann er gleich 2 Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Bergführer Josef hat von Beginn an kein gutes Gefühl bei dieser Anfängergruppe. „Hauptsache, sie würden sich nicht gegenseitig abmurksen.“ (S. 67) Er träumt von einer eigenen exklusiven Bergschule nur für Fortgeschrittene, aber noch ist es leider nicht soweit.

Auf der Wanderung kochen die Emotionen ziemlich schnell hoch. Kornmaier sondert sich stets von der Gruppe ab, will allein sein um sein Traum zu verarbeiten, an das ihn hier in den Bergen jeder Schritt, jeder Fels, jeder Abhang erinnert. Johanna überlegt, wem sie wie als nächstes den Kopf verdrehen kann und löst damit bewusst Unruhe, Eifersüchteleien und Streitereien aus. Laura sieht so traurig und deprimiert aus, dass sich die anderen ständig um sie sorgen, dabei wäre sie am liebsten unsichtbar oder gar nicht mehr da. Gerlinde klammert, Gerald versucht sie abzuservieren und Bruni merkt, was für ein rücksichtsloser Idiot ihr Detti eigentlich ist … Und dann ertönt ein markerschütternder Schrei, 2 Leute werden vermisst, eine Leiche gefunden …

Eins vorweg, Anne Bandel hat in meinen Augen eher einen Spannungsroman als eine Bergkrimi geschaffen, denn die erste Leiche taucht erst im letzten Viertel auf. Trotzdem ist „Von oben fällt man tiefer“ sehr fesselnd, denn es liefert ein detailliertes Psychogramm aller Protagonisten, zeigt, wie sich die Gruppendynamik und das zwischenmenschliche Verhalten (vor allem unter den Paaren) entwickeln, wenn man plötzlich 24 Stunden zusammen ist, sich aufeinander einstellen und in den Berghütten zusätzlich auf engstem Raum fast ohne Privatsphäre miteinander auskommen muss.

Bei einem bin ich mir nach dem Lesen sicher – eine Bergwanderung mache ich, wenn überhaupt, nur allein und in entsprechender Funktionskleidung ;-).

Bewertung vom 25.04.2022
Warten auf ein Wunder
McPartlin, Anna

Warten auf ein Wunder


ausgezeichnet

Nur ein großer Wunsch

Dublin 2010: Jede Woche treffen sich Caroline, Natalie und Janet in einer Selbsthilfegruppe für Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben. Sie haben (fast) keine Geheimnisse voreinander, teilen sie doch das gleiche Schicksal. Nur Ronnie, die Neue, schweigt sich aus.

Irland 1976: Als Catherine mit 17 unverheiratet schwanger wird und ihr Freund sich nicht zu dem Kind bekennt, wird sie in ein katholisches Mutter-Kind-Heim abgeschoben. Als sie ihr Kind dann nicht zu Adoption freigeben will, löst sie einen Skandal aus.

„Warten auf ein Wunder“ ist mir extrem nahe gegangen. Was die Frauen in der Hoffnung auf ein eigenes Kind alles auf sich nehmen, die unzähligen Behandlungen, Operationen und Schmerzen, den physischen und psychischen Druck, ist unvorstellbar. Leider bleiben ihre Beziehungen dabei oft auf der Strecke, weil der Wunsch nach dem Kind irgendwann größer ist als die Liebe zu ihrem Partner. „Acht Jahre, vier Operationen, sechs IVFs, ein toter Hund und ein Ehemann, der mich soeben verlassen hat, und sogar ich will noch mal von vorne anfangen.“ (S. 33) Trotzdem können sie den einen großen Wunsch einfach nicht loslassen – und obwohl ich ihre körperlichen Schmerzen beim Lesen selber spüren konnte, habe ich sie verstanden, mit ihnen gehofft und gebangt und auch geweint, wenn es wieder einen Rückschlag gab – vielleicht auch darum, weil ich selber keine Kinder bekommen kann.

Während ich mit Caroline, Natalie, Janet und Ronnie eher mitgelitten habe, hat mich Cathrines Geschichte sehr wütend und traurig gemacht. Obwohl sie auf einem Bauernhof lebt, wurde sie nie aufgeklärt, wusste nicht, wie ein Baby entsteht. „Woher weißt du, dass du schwanger bist?“ „Weil meine Mami mich geschlagen hat.“ (S. 99)
Was sie in dem Heim erlebt, lässt sich nur mit unmenschlich bezeichnen. Die schwangeren, oft minderjährigen Mädchen bekommen (angeblich zu ihrem Schutz) neue Namen und eine Arbeitsnummer, mit der sie gerufen werden – das hat bei mir sofort Assoziationen an die Verhältnisse in den KZ´s geweckt. Sie werden wie Dreck behandelt, müssen bis zum Umfallen arbeiten und bekommen meist erst dann medizinische Betreuung, wenn es schon zu spät ist. Nicht wenige Mädchen sterben bei der Geburt. Das ist aber egal, denn die Nonnen interessieren sich sowieso nur für die Babys, die sie für viel Geld an neue Eltern vermitteln. „Wir waren alle Gefangene in dem engen Netz aus einer engstirnigen Gesellschaft und Eltern, die uns jegliche Unterstützung verweigerten, einer Kirche, die uns als verdorbene, unzüchtige Sünderinnen hinstellte, und einem Geschäftsmodell, welches Kinder gegen Spenden an Adoptiveltern vermittelte, sowohl innerhalb Irlands als auch ins Ausland.“ (S. 223) Vor allem war es mit der Geburt für Cathrine noch nicht vorbei, ganz im Gegenteil, der von vornherein fast aussichts- und hoffnungslose Kampf um ihr Kind beginnt erst danach richtig …

Anna McPartlins neues Buch ist eine emotionale Achterbahnfahrt, hat mich sprachlos, wütend und traurig gemacht. Abwechselnd erzählt sie sehr einfühlsam Carolines, Natalies und Janets zum Teil verzweifelte Anstrengungen auf dem Weg zum eigenen Kind und lässt Ronnie immer ein bisschen mehr von sich preisgeben. Der Zusammenhalt und die beispiellose gegenseitige Unterstützung, das Mutmachen, aber auch die Versuche, sich von dem Kinderwunsch zu lösen haben mich sehr berührt. „Manchmal müssen wir uns auf das konzentrieren, was wir haben, anstatt auf das, was wir nicht haben.“ (S. 152)
Parallel dazu wird Cathrines Geschichte weitererzählt, wie schwer es ihr fällt, nach der Geburt wieder Fuß zu fassen, sich ein neues Leben aufzubauen. Sie weiß nicht, ob sie je wieder Vertrauen zu einem Mann fassen und eine körperliche Beziehung zulassen kann, denn eigentlich haben die Nonnen sie gebrochen.

„Warten auf ein Wunder“ ist ein ganz besonderes und sehr emotionales Lesehighlight für mich.

Bewertung vom 21.04.2022
Die Gemüsebäckerei
Wallentinson, Lina

Die Gemüsebäckerei


gut

Brot mal anders

Nicht erst seit der Mehlknappheit „strecke“ ich Brot mit Gemüse. Vor allem mein Apfel-Möhre-Mehrkornbrot erfreut sich bei Familie und Freunden großer Beliebtheit, weil es sehr gut schmeckt und durch das Obst und Gemüse im Teig auch länger frisch bleibt. Im Sommer backe ich gern mit Zucchini und im Herbst und Winter mit Kürbis – aber letztendlich greift man immer auf die gleichen Rezepte zurück.
Darum war ich so gespannt auf „Die Gemüsebäckerei“ von Lina Wallentinson. Was die Abwechslung und Inspiration ihrer Rezepte betrifft, wurde ich auch nicht enttäuscht. Egal ob Brötchen, Knäckebrot, Weichgebäck oder süße Köstlichkeiten, Gemüse nimmt stets eine zentrale Rolle ein und die ausprobierten Rezepte (Süßkartoffelwaffeln, Möhrenbrötchen, grüne Baguettes mit Spinat und Zucchini, Kartoffel-Tartelette und Rote-Beete-Kuchen) waren auch sehr lecker, nur im Grützbrot fehlt eindeutig Brotgewürz oder Ähnliches.

Allerdings hat das Buch einige Mankos vorzuweisen, die es vor allem Anfängern schwer machen werden. Die Bäckerin ist Schwedin und mir ist klar, dass die Mehlsorten dort anders heißen als bei uns, aber ich habe auch durch Googeln nicht herausbekommen, was das Gegenstück zu Weizen-Spezialmehl oder grobem Roggenmehl ist – evtl. feiner Roggenschrot? Es fehlt einfach grundsätzlich die Angabe, welcher Mahlgrad jeweils gemeint ist und auch beim Backen werden zwar Temperaturen angegeben, aber nicht die Backart (also Heißluft, Ober/Unterhitze etc.). Zudem habe ich nur einmal die Menge fertiger Gebäckstücke herausbekommen, die im Buch angegeben wird – ansonsten wurden es statt 20 Brötchen nur 13 (ziemlich kleine) und statt 12 Waffeln sogar nur 4. Auch der Rote-Beete-Gugelhupf füllte die Form gerade mal zur Hälfte aus, ertrank dafür aber in dem Guss. Außerdem sind die Brot- und Brötchenteige extrem weich und mit der Hand kaum zu verarbeiten, werden darum oft nur aufs Blech oder in eine Form „geklickert“ (mit einem Esslöffel portioniert). Da wird viel Potential verschenkt und ich frage mich, ob die Rezepte schlecht übersetzt oder nicht noch einmal ausprobiert wurden.

Mein Fazit: Die Grundidee ist super und die Gebäckstücke sind lecker, aber bei der Umsetzung und Anwenderfreundlichkeit lassen die Rezepte leider zu wünschen übrig.