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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 01.11.2007
Das Bildnis des Dorian Gray
Wilde, Oscar

Das Bildnis des Dorian Gray


ausgezeichnet

Man muß sich vor Augen führen, vor wie langer Zeit dieser Roman geschrieben wurde, sonst könnte man glauben, er sei als ein Reflex auf unsere Zeit aufzufassen. In Oscar Wildes Kreisen war das Thema der ewigen Jugend sicher allgegenwärtig, aber sie war noch nicht zu einer Industrie angewachsen, zu der Philosophie einer breiten Schicht, die von allen Seiten gefüttert wird, um Produkte zu kaufen. Die Schönheit war eng verbunden mit dem Leben eines Dandys. Eine Lebenseinstellung weniger Industriezweig. Oscar Wildes meisterhafter Roman ist eine Allegorie, sie führt uns in die Abgründe der Selbstliebe und ist als Lektüre jedem zu empfehlen, der den Verlockungen blinder Schönheit erliegt. Oscar Wilde hält unserem letzten Jahrhundert einen Spiegel vors Gesicht. Der Teufelspakt besteht längst darin, daß der Ausverkauf jeglicher Werte an die Werbung soweit fortgeschritten ist, daß wir nun wie Dorian Gray zu Zeiten feststellen, daß unser Abbild eine Fratze trägt. Zwar wird der Teufelspakt im Roman nur von gläubigen Menschen als Ausverkauf der Seele, als Verdammnis empfunden, aber wer wünscht sich heutzutage nicht, daß anstatt seiner zum Beispiel das digitalisierte Portrait von einem altert. Wilde ist ein zu guter Autor, um nicht zu wissen, daß jedes Verlangen seinen Preis einfordert. Seine Geschichte ist zu einem Mythos geworden. Dorian Gray hat in der Zeit des Gen-Designs seinen Schrecken verloren. Müssen wir noch unsere Seele verkaufen? Einen Roman zu schreiben, der die Jahrhunderte überlebt, sich in den verschiedensten Facetten unter Beweis stellt, darin liegt die Kunst der Literatur. Wenn sie mit so leichter Feder wie bei Oscar Wilde daherkommt, muß jemand tief in die Abgründe der Menschheit geschaut haben.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.10.2007
Driver
Sallis, James

Driver


ausgezeichnet

Der amerikanische Thriller spielt auf der Straße, in Motels, führt abgehalfterte Gangster zusammen, mitten drin einen Helden, der irgendwie mit dem Leben zu Recht zu kommen versucht. James Sallis gelingt der Kunstgriff Fiktion und Realität miteinander zu verschränken, indem er die Geschichte eines Stuntmans erzählt, dessen eigentliches Leben darin besteht, für den Film die halsbrecherischen Sekunden herauszuholen, die einen Actionstreifen seine besondere Brisanz liefern. Daß sein privates Leben dabei vielmehr Spannung abliefert, er ein Doppelleben als Fluchtfahrer führt, den nur interessiert, wie viel er verdient, wohin die Reise geht und nicht, wie Plan aussieht, ist pure Ironie. Der bessere Film spielt sich im Leben ab. Mögen die Stunts vor der Kamera noch so gewagt sein. Sallis schneidet seine Kapitel kurz, filmisch, wie Szenen. Sein Tempo ist atemberaubend. Er braucht nicht viele Seiten, um seine Geschichte zu erzählen, und trotzdem hat man das Gefühl, mehr gelesen zu haben. Was daran liegt, daß Sallis auf das schmückende Beiwerk verzichtet, das anderen Thrillern die Luft nimmt. In Rückblick und Gegenwart setzt Sallis das Leben seines Drivers zusammen, ödet einen Leser nicht mit Sozialkritik an, sondern zeigt den American Way of Life abseits des gesicherten Einkommens. Jeder ist sich der Nächste. Und im guten amerikanischen Sinn glaubt auch jeder, daß er es schaffen wird. Meisterhaft in der Charakterzeichnung, überzeugend im Plot, überraschend und subtil zugleich. Selten ist das Leben eines Überlebenden auf der letzten Seite so vollendet mit einem Satz abgeschlossen worden. Sallis kann schreiben. Wir sollten ihn lesen.
Polar aus Aachen

3 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.10.2007
Saturday
McEwan, Ian

Saturday


ausgezeichnet

9/11 hat nicht nur die amerikanische Gesellschaft durchgerüttelt. Im Gegensatz zu uns Deutschen, die aus dem Vergeltungskrieg herausgehalten wurde, fand sich Großbritannien plötzlich in einen Kriegszustand versetzt, der die Bürger spaltete und auf die Straße rief, um dagegen zu protestieren. In dieser gesellschaftlichen Zerreißprobe spielt Ian McEwans Roman Saturday, wo ein Chirurg, der sich durch Squash fit hält und sich durchaus so seine Gedanken über den Zustand der Welt macht, durch eine Demonstration behindert in eine Seitengasse gerät, um dort beinah sein Leben zu verlieren. Chirurgen zumal Neurochirurgen gelten im Allgemeinen als abgehärtet. Angesichts der Tragödien, denen sie begegnen, bauen sie einen Schutzwall um sich herum auf, der sie am Leben hält. Dieser Schutz bekommt im Verlauf des Tages, den McEwan beschreibt, nicht nur Risse, es beweist sich auch, daß der Schutz angesichts der Zustände außerhalb eines Operationssaals vollkommen ungeeignet ist. Wie begegnet man dem Leben, wenn die eigene Tochter auf Grund der Vorkommnisse am Nachmittag vor den Augen der Familie gedemütigt wird, man seiner Hilflosigkeit angesichts hemmungsloser Wut nicht entrinnen kann? McEwan findet in diesem meisterhaften Roman nicht nur ein Abbild für die Verstörung einer Gesellschaft, ihre Verrohung, sondern auch einen überraschenden Schluß, mit dem man nicht rechnet, der in sich trotzdem schlüssig nachhallt.
Polar aus Aachen

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.10.2007
Der Tag X
Kerr, Philip

Der Tag X


sehr gut

Wenn das politische Zeitgeschehen in einen Kriminalroman eingreift, brilliert er immer dann, wenn er uns vor Augen führt, wie haarscharf wir entweder an einer Katastrophe entgangen sind, oder wie die Welt ein völlig anderes Gesicht bekommen hätte, wenn ein Attentat, ein Mordanschlag gelungen wäre. So widmet Frederik Forsyth im Schakal einem Attentat auf De Gaulle seine ganze Aufmerksamkeit oder webt um die Liquidierung Bin Ladens vor 9/11 in Der Rächer ein Netz von Morden und CIA-Machenschaften. Beide Attentate scheitern mit unterschiedlichen Auswirkungen. Philip Kerr spielt in seinem Roman mit dem Genre. Er führt den Leser in die Irre, erschafft ein überzeugendes Motiv für den mutmaßlichen Attentäter JFKs versetzt die gesamte Handlung in die sich überstürzenden politischen Umwälzungen Anfang der Sechziger und bietet gleichzeitig eine mögliche Erklärung, warum das Attentat schließlich doch durchgeführt wurde. Dann jedoch kommt es zur überraschenden Wende. Einem politischen Handel. Der Tag X ist ein packender Thriller von der Art, daß man zwar weiß, wie es war, es so aber auch hätte sein können.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 26.10.2007
Happy birthday, Türke!
Arjouni, Jakob

Happy birthday, Türke!


sehr gut

Als Jakob Arjouni diesen Roman herausbrachte, überboten sich die beigeisterten Kritiken mit Lobeshymnen, verglichen den lakonischen Ton mit Chandler und man mußte Angst um den Autor haben, daß er das alles übersteht. Er war klug genug, sich selbst nicht gleich ins Rampenlicht der literarischen Öffentlichkeit zerren zu lassen und sein Können durch weitere Krimis um den Privatdetektiv Kemal Kayankaya zu untermauern. Mit ihnen wurde der saloppe, Frankfurter Ton in die deutsche Krimilandschaft gehoben. Schon der Ansatz ein Türke, der kein Türke spricht, verheißt weniger tragische Selbstbespiegelung als einen ordentlichen Schuss Ironie, mit der Kayankaya Frankfurt und das Verbrechen an sich betrachtet. Als der Fall beginnt, ist sogleich klar, daß er sich in der Tradition der amerikanischen Filme der fünfziger Jahre bewegt. Die verzweifelte, türkische Klientin, die einen nicht erst zu überreden brauchte, um ihren Fall zu übernehmen, obwohl man sie nicht versteht. Arjouni verstickt Kemal Kayankaya in ein Verbrechen, das ihn fast Kopf und Kragen kosten wird. Fast ein Sam Spade vom Frankfurter Bosporus. Daß der Autor den Kosmos der Türken in Deutschland ins Blickfeld rückt, hat viele Nachfolger gefunden. Selten mit solch leichtem Ton beschrieben wie hier.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 25.10.2007
Der Vorleser

Der Vorleser


ausgezeichnet

Deutsche Romane haben es in den angelsächsischen Ländern schwer. Sie gelten als zu gedankenträchtig. Wenn trotzdem ein deutscher Autor das Interesse englischsprachiger Leser weckt, muß es sich um eine besondere Geschichte handeln. Ein fünfzehnjähriger Junge verliebt sich in eine Frau von Mitte Dreißig. Das ist oft erzählt worden und ufert nicht selten in erotischen Finessen aus. Anders bei Schlink. Zwar widmet auch er sich dem ersten Mal, der aufschwellenden Leidenschaft eines Pubertären, den alles Rätselhafte an einer Frau fasziniert, die alle Fragen nach ihrer Vergangenheit dominant abschmettert. Als Hanna verschwindet, bleibt sie für immer in seiner Erinnerung haften. Wie das bei ersten Lieben halt so ist. Doch Schlink ist ein zu guter Autor, um es bei den Wirrungen eines Heranwachsenden zu belassen. Sein vermeintliches Liebespaar begegnet sich wieder. Im Gerichtssaal. Um dort miterleben zu müssen, wie der Schrecken der deutschen Vergangenheit seine Maske ablegt und hinter dem Schönen eine Fratze erscheint. Die Geliebte war KZ-Aufseherin, führt einen für sie plausiblen Grund an, warum der Weg für sie der einzig machbare war. Die Frage nach der Schuld ist umso erschüttender, jener weniger distanziert man sie betrachten kann, je mehr einem die Täter nicht wie abstrakte Scheusale nahe gebracht werden, je menschlicher sie einem erscheinen und einen Leser mit der Frage konfrontieren, wieso gerade sie. Das Dritte Reich hätte ohne dieses Fundament nicht existieren können. Fassungslos sehen wir mit Michaels Augen, daß wir nichts über die Menschen wissen. Nicht wie sie reagieren, nicht wie sie mit ihrer Schuld umgehen, nicht wie sie sich Masken anpassen, um zu jeder Zeit zurechtzukommen. Bernhard Schlink ist mit diesem schlanken Roman etwas gelungen, das nicht mit allen zu beantworteten Fragen der Geschichte belastet werden sollte. Würde man Hannas Hintergrund nicht kennen, handelte es sich doch nur um die Liebesgeschichte zwischen einem Fünfzehnjährigen und einer Frau. Oder? Und wie sähe die deutsche Nachkriegsgeschichte aus, wenn es uns nicht gelungen wäre, uns selber etwas vorzumachen?
Polar aus Aachen

9 von 12 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2007
Single & Single
LeCarre, John

Single & Single


weniger gut

Nach dem Fall der Mauer, der Annäherung der Blöcke fiel auch für John LeCarré das Szenarium, das ihn weltberühmt gemacht hat. Er vermag wie kein Zweiter, die Welt der westlichen wie östlichen Geheimdienste in ihrer Kälte zu spiegeln. Single&Single ist der Versuch, sich wieder anzunähern und sein Themenfeld um den Vater-Sohn-Konflikt zu erweitern. Obwohl die Geschichte in Teilen spannend ausgestattet ist, fehlt ihr die glaubwürdige Untermauerung, warum der Sohn den Vater verrät, dessen Charakterisierung allzu klischeehaft wirkt. Als der Sohn den Vater dann plötzlich wiederum retten will, muß man das hinnehmen, aber es überzeugt nicht. In früheren Roman ist es LeCarré unaufdringlicher gelungen, menschliche Abgründe zu hinterfragen, ihre Taten dem Verfall entspringen zu lassen. Eher ein Nebenwerk.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.10.2007
Die Lage des Landes
Ford, Richard

Die Lage des Landes


gut

Wer Richard Ford durch die drei Romane seines Frank Bascombe gefolgt ist, wird zugeben müssen, daß er ein großer Autor ist, der sein Land stets kritisch im Auge behält.

Erinnern wir uns daran, wie die Geschichte begann: Da gab es einen Sportreporter, der einmal Schriftsteller war, sich aber nicht für gut genug befand. Es war die schlingernde Geschichte eines Mannes, der auf der Suche nach sich war, und wie unter dem Seziermesser seine Umgebung wahrnahm.

Im Unabhängigkeitstag zum Immobilienmakler geläutert, folgten wir ihm in die Verästelungen seiner Sorgen um den Sohn, den Auswirkungen seines beruhigenden Wohlstands, den Ausflüchten wie der Entscheidung, es womöglich noch einmal mit so etwas Ähnlichem wie einer Familie zu versuchen. Ein Mann, der schon ein Kind verloren hatte, begab sich auf die Suche nach dem, was ihm als Familie geblieben war, streifte wieder durch Amerika und spiegelte es in seiner Zeit.

Nun nach den vielen Häutungen des Frank Bascombe kommt er da an, wo er vielleicht die ganze Zeit war: im Stillstand, in der Existenz des Beobachters. An Handlung hat Die Lage des Landes nicht viel zu bieten, auch wenn ein Vierzehnjähriger glaubt, mit einer Maschinenpistole in der Vorstadt Rambo spielen zu müssen und Prostatakrebs bei Frank festgestellt wurde. Die immer wieder gleichen Themen werden behandelt: der Immobilienmarkt, Bush, Bascombes Frauen, die ihn verließen, sein Sohn, die Tochter und das über knapp siebenhundert Seiten.

Wer Richard Fords Erzählungen kennt, weiß, in welch knapper Form er zu beschreiben versteht. Bei Die Lage des Landes ist ihm vieles aus dem Ruder gelaufen, zu viel will er sagen und wiederholt es, als bestände die Gefahr, dass man es übersieht. Es gibt betörend schöne Stellen in diesem Roman, kluge politische Analysen, scharfe Charakterzeichnungen, doch wirkt Bascombe mit einmal ermüdend. Daß der Autor einen Begriff wie Permanenzphase als Begriff einführt, um das Lebensalter zu beschreiben, das Frank Bascombe durchschreitet, ist traurig genug. Ausdruck, dessen was hier versucht wird.

Es fehlt die Leichtigkeit, trotz des Humors, der gelegentlich aufscheint. Bascombe nimmt sich zu ernst. Vielleicht tat er das früher schon, nur ist es da nicht so aufgefallen. Ein Roman, der einem viel Zeit abverlangt, der einen nicht unbefriedigt zurückläßt, der aber doch enttäuscht, weil die Erwartungen an ihn zu hoch waren. Leben, leben, ausleben, nimmt Bascombe sich am Ende vor. Er wird es erst wieder lernen müssen.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.10.2007
Echo einer Winternacht / Karen Pirie Bd.1
McDermid, Val

Echo einer Winternacht / Karen Pirie Bd.1


sehr gut

Manchem Kriminalroman wird das Etikett literarisch angeheftet und nicht selten verbirgt sich dahinter ein mäßiger Plot, der durch den Verweis auf die Sprache aufgewertet werden soll. Nicht so bei Val McDermid. Sie versteht Sprache so einzusetzen, daß sie Spannung entwickelt, Widersprüche aufzuzeichnt, die einem nur allzu bekannt vorkommen, oder um Fallstricke auszulegen, die erst beim Widerlesen bemerkt werden. McDermid spielt mit Worten, um Charakteren Tiefe und Verschrobenheit zu verleihen. In Echo einer Winternacht taucht das von ihr bereits in Ein Ort für die Ewigkeit bewährte Muster der verfolgten Unschuld auf. Hier jedoch nicht, um einen Missbrauch zu richten, vielmehr werden vier Studenten auf Grund der Tatsache, daß sie helfen wollten, verdächtigt, einen Mord begangen zu haben. Wie falsche Anschuldigungen Leben ruinieren, zu Entfremdung untereinander führen können und den weiteren Lebensweg entscheidend prägen, weist McDermid durch leise Verstrickungen nach. Ein paar kleine Lügen hier und da und schon webt man sich selbst ein Netz, daß es eigentlich zu zerreißen gilt, um als unschuldig dazustehen. Nur manchmal geht das halt nicht. Wie in Ein Ort für die Ewigkeit splittet die Autorin die Geschichte auf, zeigt den Ursprung und die Auswirkung nach vielen Jahren, wenn ein Verbrechen nicht aufgeklärt wird. Überzeugend selbst in den Nebenfiguren, erschafft sie ein Milieu, dessen Biederkeit den Bewohnern Fesseln anlegen. Aufregend das Finale, daß die Spannung zu steigern versteht, ohne Klischees zu verfallen. Die Gerechtigkeit muß sie siegen, aber zu welchem Preis? Den zahlen alle Figuren in diesem Roman. Mehr oder minder freiwillig.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.