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Mikka Liest
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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

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Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 09.09.2015
K - Kidnapped / Kick Lannigan Bd.1
Cain, Chelsea

K - Kidnapped / Kick Lannigan Bd.1


ausgezeichnet

Sie hatte in ihrem Leben schon viele Namen. Geboren wurde sie als "Kathleen" Lannigan. "Kit" war ihr Spitzname im Kindergarten und in der Grundschule, bis zu dem verhängnisvollen Tag, als sie zu dem netten fremden Mann ins Auto stieg. "Beth" war der Name, den ihr Entführer ihr gab, und so hieß sie fünf lange Jahre, in denen sie mit "Daddy" Mel zusammenlebte und mit ihm und seinen Freunden geheime Filme in versteckten Kellern drehen musste. "Kick" nannte sie sich schließlich selber nach ihrer Befreiung.

Die Themen dieses Thrillers sind so schockierend wie (leider) realistisch: Menschenhandel, organisierter Kindesmissbrauch und Kinderpornographie. Kleine Kinder werden gehalten wie Tiere, verkauft und getauscht und zum Sex gezwungen.

Ich rechne der Autorin hoch an, dass sie nichts davon explizit beschreibt. Es gibt keine Szenen, in denen Kinder geschlagen, gequält oder vergewaltigt werden. Die Themen sind auch so bedrückend genug, ohne dass der Leser zum Voyeur der sexuellen Gewalt gemacht wird.

Kann man bei so einem Buch eigentlich die Originalität bewerten? Leider könnte viel der Handlung direkt aus dem Leben gegriffen sein, denn so etwas passiert wirklich, jeden Tag und überall. Aber dennoch ist die Geschichte, die die Autorin aus diesen Splittern Realität zusammensetzt, einfallsreich, spannend und überraschend.

Kick Lannigan ist eine ungewöhnliche Heldin. Ihre schrecklichen Erlebnisse haben sie natürlich geprägt - so betreibt sie diverse Kampfsportarten und kann mit den verschiedensten Waffen umgehen, um sich wenigstens halbwegs sicher zu fühlen. Sie muss Tag für Tag mit dem Wissen leben, dass die "Beth-Movies", die Filme, die mit ihr gedreht wurden, immer noch die beliebtesten und am häufigsten heruntergeladenen Kinderpornos sind, auch noch viele Jahre nach ihrer Befreiung.

Trotzdem lässt sie sich nicht in die Opferrolle drängen - aber dennoch lebt irgendwo in Kick immer noch die kleine Beth, die sich erschreckenderweise nach "Daddy" Mel sehnt und ihn vermisst, trotz allem, was er ihr angetan hat...

Mir war Kick sehr sympathisch und ich fand ihren Mut und ihre Entschlossenheit bewundernswert. Sie ist ein komplexer Charakter, mit Abgründen und Schwächen, Ängsten und völlig verqueren Gefühlen. Sie trifft Entscheidungen, die schwer nachzuvollziehen sind, die ich aber aufgrund ihrer Hintergrundgeschichte dennoch glaubhaft fand. Stockholm-Syndrom, posttraumatischer Stress? Sie ist mehr als nur die Summe ihrer Diagnosen. Ich habe sehr gerne über sie gelesen und fand sie authentisch, lebendig und überzeugend.

John Bishop, der Kick in seine Ermittlungen hineinzieht, ist erstmal ein großes Rätsel. Reich, attraktiv, offensichtlich mächtig, aber auch arrogant, bestimmend und immer bereit, mit jeder willigen Frau ins Bett zu steigen. Also genau die Art Mann, die ich in Büchern normalerweise furchtbar finde! Aber auch er hat Abgründe in seiner Vergangenheit und daher seine ganz eigene Motivation, nach vermissten Kindern zu suchen. Im Laufe des Buches zeigt auch er, dass er weitaus komplexer ist, als er auf den ersten Blick zu sein scheint, und er wurde mir tatsächlich doch noch sympathisch!

Ich fand die Geschichte sehr spannend und konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Zum einen geht es darum, dass Kick und Bishop den kleinen Adam suchen, der vielleicht von den gleichen Leuten entführt wurde wie damals Kick. Fast noch spannender als die Frage, ob sie Adam rechtzeitig finden werden oder nicht, fand ich allerdings, wie Kick damit umgeht, dass sie durch die Ermittlungen mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert wird.

Auch der Schreibstil hat mir gut gefallen und mich direkt in die Geschichte hineingezogen. Sie wird in der dritten Person erzählt, bleibt aber dennoch ganz nahe dran an Kicks Gedanken und Gefühlen.

Bewertung vom 05.09.2015
Nebelkind / Jana Berzelius Bd.1
Schepp, Emelie

Nebelkind / Jana Berzelius Bd.1


gut

Dieser Thriller wurde ursprünglich in Schweden veröffentlicht, und zwar als von der Autorin in Eigenregie publiziertes Buch. Nachdem es sich dort aber als unerwarteter Verkaufsschlager herausstellte, wurde der Titel von Verlagen aufgegriffen und in diverse Sprachen übersetzt, unter anderem in Dänisch, Norwegisch, Polnisch und natürlich Deutsch.

Daher war ich sehr gespannt auf das Buch, und meine Erwartungen waren hoch! Intelligente Hochspannung sollte es sein, packende Entwicklungen und interessante, lebendige Charaktere. Wurden diese Erwartungen erfüllt? Die kurze Antwort ist: jein.

Die lange Antwort:

Die Grundidee der Geschichte ist durchaus spannend und originell. Es geht um Menschenhandel - und um Kinder, die sozusagen als Abfallprodukt dieses Handels durch das soziale Netz fallen. Niemand vermisst sie, sie existieren offiziell nicht einmal, und deswegen sind sie leichte Beute für einen Ring skrupelloser Krimineller, die ihre ganz eigenen Pläne mit den Kindern haben.

Die Handlung an sich hat mir sehr gut gefallen. Sie hat viele interessante Wendungen und unverbrauchte Ideen zu bieten. An sich sehr gut. An sich sehr spannend. An sich sehr originell.

Leider konnte mich all das nicht wirklich erreichen, da ich immer eine gewisse Distanz zum Geschehen spürte, und das lag vor allem an den Charakteren. Ich hatte große Schwierigkeiten, einen Bezug zu ihnen zu entwickeln!

Ich lese gerne über schwierige, sperrige Charakter, und ich habe auch nichts gegen solche, die moralisch fragwürdige Entscheidungen treffen. Aber ich brauche wenigstens einen Charakter, der mir ans Herz wächst und mit dem ich mich bis zu einem gewissen Grad identifizieren kann, und das hat mir hier gefehlt.

Im Mittelpunkt der Geschehnisse steht die Staatsanwältin Jana, die als Kind selber Schreckliches erlebt hat. Danach wurde sie in die Obhut von emotional distanzierten Adoptiveltern gegeben, die eigentlich nur ein perfektes Vorzeigekind wollten und ihr daher weder Trost noch Halt gaben, und das hat sie emotionslos, abgebrüht und erschreckend skrupellos gemacht. Sie hat sich antrainiert, nach außen halbwegs normal zu wirken, hat aber nur wenig Interesse an zwischenmenschlicher Interaktion, geschweige denn echten Freundschaften.

Auch die beiden ermittelnden Kommissare Henrik und Mia konnten mich nicht wirklich berühren. Henrik war mir vage sympathisch, wirkte auf mich aber sehr blass und wird mir wahrscheinlich nicht lange in Erinnerung bleiben.

Und Mia war mir tatsächlich unglaublich unsympathisch. Sie hat einen Hass auf alle Menschen, die es scheinbar besser im Leben haben als sie, und urteilt schnell auf Basis von ignoranten Vorurteilen. Oft wirkte sie auf mich wie ein bockiges, neidisches Kind. Sie stürzt sich in Schulden, um sich das neuste Spielzeug zu kaufen, wie z.B. einen riesigen Flachbildfernseher. Ständig, auch vor Arbeitstagen, macht sie maßlos Party, besäuft sich und hat schon am dritten Tag des Monats kein Geld mehr für Lebensmittel, weswegen sie schnorrt, lügt und klaut. Darüber hinaus trägt sie nichts Wichtiges zur Ermittlung bei. Sie ist unmotiviert, faul und unverschämt.

Der Schreibstil ist sicher nicht schlecht, aber sehr karg, mit meist kurzen Sätzen. Besonders die Dialoge sind oft abgehackt und eher nüchtern. Das ist zwar durchaus realistisch, denn Menschen sprechen nun mal im echten Leben nicht druckreif und literarisch wertvoll, aber es wirkte auf mich sehr blutarm. Gerade in hochdramatischen Szenen zieht der Schreibstil selten mit dem eigentlich nach emotionaler Wucht schreienden Inhalt mit!

Das Ende hat mich nicht komplett zufrieden gestellt. Auf einmal geht alles sehr schnell, und vieles bleibt offen und ungeklärt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.08.2015
Vielleicht mag ich dich morgen
McFarlane, Mhairi

Vielleicht mag ich dich morgen


sehr gut

Ein hässliches Entlein entpuppt sich als wunderschöner Schwan - das ist vielleicht nicht unbedingt ein neues oder herausragend originelles Thema! Es gibt schließlich unzählige Bücher und Filme, die sich dieser Geschichte bereits angenommen haben.

Deswegen war ich auch erst etwas skeptisch, ob mir das Buch wohl gefallen würde... Aber die Autorin setzt diese vertraute Geschichte so erfrischend witzig und unterhaltsam um, dass ich trotz allem nicht das Gefühl hatte, mich zu langweilen oder alles schon tausendmal gehört zu haben!

Anna war für mich eine sehr sympathische Protagonistin. Als Jugendliche war sie stark übergewichtig und hatte mit entstellender Akne und schwer zu bändigendem Kraushaar zu kämpfen, wodurch sie zur Zielscheibe gnadenlosen und demütigendem Spottes wurde. Dadurch ist sie sich auch gar nicht wirklich bewusst, wie wunderschön sie inzwischen ist, und hat ein etwas wackeliges Selbstbewusstsein. Sie versucht, über Internetdating den Mann fürs Leben zu finden, findet aber nur wirklich schräge Typen...

Sie ist warmherzig, humorvoll, intelligent und gebildet, alles Eigenschaften, die sie sehr für mich eingenommen haben.

Mit James, ihrem Gegenpart in dieser Geschichte, tat ich mich erst wesentlich schwerer. Ich WOLLTE ihn einfach nicht mögen, diesen fiesen, oberflächlichen, grausamen Mobber. Denn so etwas, was er Anna angetan hat, macht man einfach nicht - das wollte man eigentlich auch als Jugendlicher schon besser wissen!

Und erst hatte ich auch nicht den Eindruck, als hätte sich der erwachsene James in den letzten 16 Jahren zum Besseren entwickelt; er kam mir immer noch oberflächlich und herablassend vor. Aber natürlich ist nicht alles so, wie es scheint, und so nach und nach entdeckte ich auch James' gute Seiten. Langsam, aber stetig.

Trotzdem sagt und tut er bis zum Ende immer wieder Dinge, für die ich ihn am liebsten geschüttelt hätte... Aber er macht eine deutliche Wandlung durch, und oft ist es auch keine böswillige Absicht, sondern einfach eine hirnrissige Kurzschlussreaktion. Am Schluss musste ich feststellen, dass ich ihn mochte, trotz seiner Fehler. Und ich konnte nachvollziehen, warum Anna trotz allem an ihm interessiert war.

Die anderen Charaktere fand ich überwiegend auch farbig, lebendig und interessant geschrieben. Ein wenig blass blieben für mich nur die eher unwichtigen Nebencharaktere, wie James' Kollegen - und James' Ehefrau Eva, von der man nur wenig mehr erfährt als ihre etwas klischeehafte, bornierte Kaltschnäuzigkeit.

Die Liebesgeschichte ist selten kitschig, sondern meist mit viel, viel Humor verbunden. Erotik kam dadurch für mich zwar nicht auf, aber das habe ich auch nicht vermisst! Überhaupt erzählt die Autorin so witzig, dass ich mehrere Male laut lachen musste. Alleine Annas verpeilte Schwester Aggy sorgt immer wieder unabsichtlich für Erheiterung.

Wie schon gesagt, die Geschichte ist nicht wirklich neu, aber sie macht Spaß. Und obwohl man sich schon denken kann, wie es ausgehen wird, habe ich doch auf dem Weg mit Anna und James mitgefiebert - denn sie geraten ganz schön oft in Sackgassen oder auf Abwege!

Der Schreibstil hat mir meist gut gefallen, er ist locker, spritzig, wunderbar zu lesen und beschreibt die Geschehnisse detailliert genug, dass man sich alles bildlich vorstellen kann, aber nicht so übertrieben detailliert, dass man sich langweilt und das Bedürfnis entwickelt, Sätze zu überspringen.

Ein bisschen gestutzt habe ich immer mal wieder, wenn ein Charakter so etwas sagt wie "Keuch! Ächz!" Da hatte ich die alten Superhelden-Comics im Hinterkopf. "Peng! Pow!" Aber das kam eher selten vor und hat mich deswegen nicht sehr gestört.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.08.2015
Fünf / Beatrice Kaspary Bd.1
Poznanski, Ursula

Fünf / Beatrice Kaspary Bd.1


ausgezeichnet

Mir war schon vor diesem Buch vage bekannt, was Geocaching ist: eine Art Schnitzeljagd, bei der die Teilnehmer nach Koordinaten und Hinweisen versteckte Behälter (die "Caches") suchen, die sich unter Wurzeln, in Höhlen, in der Telefonzelle, hinter dem Stromkasten oder überhaupt überall verbergen können. Harmloser Spaß für die ganze Familie, oder?

Die Idee, das zur Grundlage eines Thrillers zu machen, fand ich wahnsinnig originell! Hier ist es der Täter, der die Ermittler zu einer blutigen Variante dieses Spiels einlädt - in den Caches, die er sie suchen lässt, finden sie abgeschnittene Körperteile.

Ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, denn es liest sich unglaublich unterhaltsam und spannend. Der Täter ist den Ermittlern scheinbar immer einen Schritt voraus, und ein Opfer nach dem anderen wird zum makaberen Cache-Inhalt... "TFTH" hinterlässt der Mörder immer wieder höhnisch - ein typischer Geocachingbegriff, "Thanks for the hunt" ("Danke für die Jagd").

Und das Ende... Mein Gott, dieses Ende! Das habe ich wirklich NICHT kommen sehen, und ich habe erstmal laut "WAAAaaaas?!" gerufen. Genial, absolut genial. Ich liebe es, wenn mich ein Thriller eiskalt erwischt und ich total falsch liege mit meinen Vermutungen! (Wenn die Auflösung ein Cache wäre, dann aber einer mit Schwierigkeit 5. Mindestens.)

Mir hat auch gut gefallen, dass man viel über Geocaching erfährt. Die Autorin, die selber Geocacherin ist, beschreibt es so ansprechend und interessant, dass ich mir nach den ersten ~200 Seiten tatsächlich ein GPS-Gerät gekauft und meine ersten Caches gesucht habe... (Nein, ich möchte natürlich keine Leichenteile finden! Schlüsselanhänger und Anstecker reichen mir vollkommen.)

Auch die Charaktere haben mir sehr gut gefallen.

Beatrice Kaspary ist eine Ermittlerin, die sehr intuitiv und kreativ an die Dinge herangeht und damit gute Erfolge erzielt - blöd nur, dass ihr sexistischer Chef sie für total unfähig hält, weil sie eine Frau ist... (Seine liebste Beleidigung gegenüber den männlichen Ermittlerin ist "Seien Sie doch kein Mädchen!") Was habe ich diesen Chef gehasst - manchmal würde man doch am liebsten ins Buch greifen und einen Charakter erwürgen, oder?

Naja, jedenfalls hat Beatrice viel um die Ohren. Abgesehen von ihrem Chef gibt es da nämlich noch ihren Ex-Mann, der Telefonterror betreibt, um ihr immer wieder hasserfüllt zu erzählen, was für eine Rabenmutter sie doch ist, weil die beiden gemeinsamen Kinder während Mordermittlungen bei der Oma wohnen... Außerdem erinnert dieser Fall sie mehr und mehr an etwas Schreckliches in ihrer Vergangenheit.

Beatrice war mir sehr sympathisch und ich habe wirklich mit ihr mitgefühlt, weil sie so unter Druck steht und die Menschen um sie herum es ihr noch schwerer machen.

Ihren Kollgen Florin Wenniger mochte ich auch direkt. Er denkt ganz anders als Beatrice, aber die beiden ergänzen sich gerade deswegen prima. Hoch angerechnet habe ich ihm, dass er sie gegenüber dem Chef immer wieder verteidigt und lobt und überhaupt immer sein Bestes tut, sie zu entlasten!

Von diesem Ermittlerteam muss ich auf jeden Fall noch mehr lesen.

Auch am Schreibstil habe ich absolut nichts zu meckern. Wunderbar geschrieben, da folgen die Seiten nur so!

TFTC, Frau Poznanski!

Fazit:
Aus einem harmlosen Freizeitvergnügen wird blutiger Ernst: ein Mörder schickt die Ermittler auf eine perfide Schnitzeljagd, bei der als "Preise" abgetrennte Körperteile winken... Geocaching einmal anders!

Das Buch hat mich rundum begeistert! Ich fand es originell und spannend, und das Ermittlerteam gefiel mir sehr gut - da freue ich mich schon auf die nächsten Bände.

Bewertung vom 22.08.2015
Verlier nicht dein Gesicht / Ugly - Pretty - Special Bd.1
Westerfeld, Scott

Verlier nicht dein Gesicht / Ugly - Pretty - Special Bd.1


sehr gut

In der Welt der Zukunft herrscht scheinbar einträchtige Harmonie. Alle Menschen sind glücklich, denn der Staat sorgt nicht nur für Grundbedürfnisse wie Kleidung und Nahrung, sondern kümmert sich auch um eine fundierte Bildung und vielfältige Unterhaltungsmöglichkeiten für die Freizeit. Es gibt keinen Rassismus und keine Vorurteile, denn alle Menschen sind gleich. Gleich gebildet, gleich erzogen - gleich wunderschön.

Denn am 16. Geburtstag wird jeder Mensch einer Schönheitsoperation unterzogen, die das Aussehen einer vorgegebenen Norm anpasst. Die Augen werden vergrößert, die Lippen voller und perfekt geschwungen gestaltet... Knochen werden abgeschliffen oder mit einem speziellen Kunststoff stärker herausgebildet, um eine vollkommene Symmetrie zu erschaffen. Sogar die Haut wird abgezogen und durch eine neue ersetzt, in einer genormten Hautfarbe.

Diese Grundidee fand ich sehr spannend, originell und interessant! Mal was ganz anderes: eine Dystopie, die erstmal wirkt wie eine Utopie, eine schöne neue Welt.

Der Autor treibt eine Entwicklung auf die Spitze, die es in der realen Welt ja tatsächlich gibt. In Film und Fernsehen oder in Hochglanz-Zeitschriften werden uns ganz bestimmte Schönheitsideale immer wieder vor Augen geführt. Viele junge Mädchen fühlen sich hässlich, weil sie diesen Idealen nicht entsprechen, was zu Magersucht, Bulimie oder anderen Essstörungen führen kann.

Wären wir wirklich alle glücklicher, wenn wir alle gleich schön wären? Wo bliebe da die Individualität?

Tally und Shay haben die Operation noch vor sich und symbolisieren die beiden Gegenpole dieser Problematik. Tally will einfach nur dazugehören, so sein wie alle, endlich ein hübsches Gesicht im Spiegel sehen. Shay dagegen will lieber hässlich bleiben, als im wahrsten Sinne des Wortes ihr Gesicht zu verlieren.

Am Anfang erschien mir Tally unglaublich naiv und oberflächlich, aber andererseits konnte ich ihren brennenden Wunsch, dazuzugehören, auch nachvollziehen. Im Laufe der Geschichte wird sie zunehmend gezwungen, als Individuum zu handeln, Wagnisse einzugehen und die Dinge zu hinterfragen, und als Leser merkt man, dass sie auch intelligent, entschlossen und mutig handeln kann.

Sie wuchs mir schnell ans Herz, und ich habe wirklich mit ihr mitgefiebert. Denn sie gerät immer wieder in Situationen, in denen es die eine richtige Lösung nicht gibt, sondern sie nur die Wahl zwischen zwei Übeln hat! Einen Freund verraten, oder ein Versprechen gegenüber einem anderen Freund brechen?

Mir hat Tallys Humor sehr gut gefallen, der dramatische Situationen oft ein wenig auflockert. Auch die anderen Charaktere fand ich gut geschrieben: glaubhaft, komplex und interessant.

Die Liebesgeschichte ist in meinen Augen schön und anrührend, und sie stellt Tally vor spannende moralische Probleme! Ich fand sie auch nicht kitschig oder übertrieben.

Die Geschichte hat mich sehr schnell in ihren Bann gezogen, und je mehr man über diese schöne, schreckliche Welt erfährt, desto mehr Fragen kommen auf... Man merkt nach und nach, dass hinter der perfekten Fassade ein gnadenloses System abläuft wie ein Uhrwerk - und Rädchen, die sich nicht drehen wollen, werden zurecht geschliffen oder entsorgt.

Ein paar Dinge erschienen mir noch nicht so ganz schlüssig, aber ich vermute, dass man darüber in den nächsten Bänden mehr erfährt.

Der Schreibstil ist eher einfach, aber dennoch ansprechend. Interessant fand ich, dass in Tallys Umgangssprache unheimlich viele Begriffe enthalten sind, die einem immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass man in einer fremden, merkwürdigen Zukunft ist. Ich habe das Buch auf deutsch UND englisch gelesen und muss sagen, die Übersetzerin hat das perfekt hingekriegt!

Bewertung vom 21.08.2015
Das Lied, das uns trägt
Love, Alison

Das Lied, das uns trägt


sehr gut

Die Geschichte erstreckt sich über ein turbulentes, von Faschismus und Krieg überschattetes Jahrzehnt: sie beginnt im Herbst 1937 und endet im Frühjahr 1947. Natürlich gibt es viele Romane, die in dieser Zeit spielen, aber Alison Love wählt für ihr Buch eine eher ungewöhnliche Perspektive: im Mittelpunkt stehen die in dieser Zeit in Großbritannien lebenden Italiener, die sich nach Mussolinis Machtergreifung zunehmendem Misstrauen ausgesetzt sahen.

Ich fand es sehr interessant, die damalige Zeit mal aus einer anderen Perspektive zu sehen! Überhaupt hat mich die Geschichte nicht nur gut unterhalten, sondern mir auch neues Wissen über die 30er und 40er Jahre nahe gebracht.

Die Charaktere fand ich an sich sehr interessant. Fast alle sind gefangen in gesellschaftlichen Konventionen und familiären Erwartungen, das hat die Autorin in meinen Augen sehr gut herausgearbeitet. Ich hatte allerdings große Schwierigkeiten, die Emotionen wirklich nachzuempfinden - dabei ist es eine Geschichte voller Dramatik, unerwarteter Wendungen, Leid, Verrat und leidenschaftlicher Liebe!

Ich fand das Buch immer spannend und herausfordernd, aber berührt hat es mich nur selten.

Hier einmal die wichtigsten Figuren:

Olivia, eine junge Tänzerin aus armen Verhältnissen. Sie hat Vater, Mutter und Schwester viel zu früh verloren und schlägt sich seither alleine in London durch.

Bernard, ein Journalist aus einer reichen, privilegierten Familie. Er engagiert sich sozial und sitzt in mehreren Ausschüssen, die sich um das Wohl von Flüchtlingen kümmern.

Antonia, ein Sänger aus armen Verhältnissen, der in einer arrangierten Ehe lebt. Er und seine Frau Danila wurden einander schon mit 14 versprochen. Er ist ein aufrechter, anständiger Mann, der sich bemüht, seiner Frau Liebe entgegen zu bringen, auch wenn er sie sich nicht ausgesucht hat.

Danila, seine Frau. Wirkt erst kindlich, unschuldig und unbeholfen, stellt sich aber schnell als berechnende Intrigantin heraus.

Filomena, seine Schwester. Sie ist ebenfalls einem Mann versprochen, obwohl sie einem anderen vorsichtig zugetan ist - einem Engländer, was ihre Familie niemals gutheißen würde.

Bruno, Filomenas Verlobter. Er kämpft als Freiwilliger in Mussolinis Armee, weswegen er als Kriegsheld gefeiert wird.

Valentino, Antonios Bruder, der auch mit den Faschisten sympathisiert. Er ist selbstherrlich, überheblich und verwöhnt und kann als Liebling des Vaters nichts falsch machen. Zwar bringt er "Schande" über verheiratete Frauen, das ist aber selbstverständlich immer deren Schuld.

Die erste Begegnung zwischen Antonio und Olivia ist alles andere als der typische Einstieg in eine Liebesgeschichte: Olivia krümmt sich nach einer Abtreibung unter Schmerzen in einer schmutzigen Seitengasse, und Antonio ist entsetzt und fühlt sich davon abgestoßen...

Und dennoch können sich die beiden nicht vergessen. Aber Antonio ist verheiratet und ein Ehrenmann, und so sucht Olivia ihr Glück mit Bernard. Der ist entzückt, seiner unterkühlten Familie in einem Akt des Trotzes eine Ehefrau präsentieren zu können, die alles andere als standesgemäß ist - eine Tänzerin, ein verruchtes Weibsbild! Mehr und mehr hat sie den Verdacht, dass Bernard nicht sie liebt, sondern ein verzerrtes Wunschbild, die Projektion seiner Erwartungen...

Wie schon gesagt: ich konnte mit den Charakteren einfach nicht mitfühlen. In vielen Szenen horchte ich in mich hinein und stellte fest, dass da wenig mehr war als kühles Interesse. Deswegen konnte mich auch das überraschende, mutige Ende nicht so sehr bewegen, wie es sonst wohl der Fall gewesen wäre!

Der Schreibstil hat mir ganz gut gefallen. Er liest sich leicht und flüssig, ohne zu einfach oder platt zu wirken, und vermittelt dabei gut die Atmosphäre dieser turbulenten Zeit.

Bewertung vom 19.08.2015
Zeugenkussprogramm / Kiss & Crime Bd.1
Völler, Eva

Zeugenkussprogramm / Kiss & Crime Bd.1


ausgezeichnet

Es gibt Bücher, die machen einfach unheimlich viel Spaß, und man fühlt sich pudelwohl auf dem Lesesofa, während man die Seiten verschlingt, als wären sie Kartoffelchips. Sie lesen sich locker-leicht runter, die Charaktere findet man direkt super sympathisch, und man ertappt sich beim Lesen oft bei einem Lächeln.

"Zeugenkussprogamm" ist für mich so ein Buch!

Die Grundidee fand ich richtig witzig und süß. Emmy, ein Mädchen aus der Großstadt Berlin gerät mitten hinein in einen verwickelten Kriminalfall, und im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes werden sie und ihre Familie dann auch noch in ein winziges Kaff irgendwo in der Wallapampa verpflanzt. Kontakt zu den alten Freunden ist streng verboten, Facebook und andere soziale Medien sind tabu, für den Gebrauch des Handys gibt es auf einmal tausend Verhaltensregeln - zum Beispiel sind Selfies jetzt ein absolutes No-Go. Das einzige Highlight ist der Personenschützer Pascal, der Emmys Herz schnell zum Flattern bringt, aber auch das ist verboten.

Emmy mochte ich von der ersten Seite an sehr gerne. Sie ist witzig, clever und einfach nett. Ok, zwischendurch benimmt sie sich mal wie eine kleine Zicke, aber da sie da gerade schwer unter Druck steht und auch noch an ihren Gefühlen für Pascal rumknabbert, fand ich das verständlich und verzeihlich! Sie hat mich oft zum Lachen gebracht.

Auch Pascal hat mir gut gefallen. Auf mich wirkte er erfreulicherweise gar nicht so machohaft, wie das im Klappentext angedeutet wird! Absolut kein Bad Boy, in meinen Augen. Er hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, was er als Personenschützer wohl auch muss, und ist noch sehr jung, weil er in der Schule dank seines fotographischen Gedächtnisses ein paar Klassen übersprungen hat.

Die Liebesgeschichte zwischen den beiden fand ich richtig niedlich!

Auch die anderen Charaktere fand ich schön geschrieben und interessant. Mein absoluter Lieblings ist Emmys Oma, die als Bestsellerautorin den lieben langen Tag heiße Liebesromane in ihr Diktiergerät spricht - und das oft in den unpassendsten Situationen. Einfach kostbar! Eins steht fest, Emmy muss niemand mehr aufklären...

Das Buch ist ein Krimi - aber ein harmloser, den man in meinen Augen auch jüngere Teens lesen lassen kann. Oft geht es mehr um Emmys Gefühlschaos als um den Kriminalfall, aber ich fand die Mischung aus Liebesgeschichte, Jugendbuch und Krimi sehr gelungen und auch spannend zu lesen. Mit dem Ende konnte mich die Autorin dann auch nochmal überraschen!

Den Schreibstil fand ich sehr ansprechend und gut zu lesen. Die Geschichte wird uns von Emmy erzählt, locker und in saloppen Worten, und ich fand das sehr gelungen und sie klang für mich auch überzeugend wie ein echter Teenager.

Der Humor ist einfach großartig. Ich könnte hier unzählige Stellen zitieren!

ZITAT:
Mit einem verunglückten Lachen wandte sie sich an mich. 'War das erste Mal, das jemand auf mich geschossen hat. Ich glaube, ich habe mir gerade vor Angst in die Hose gepinkelt.'
'Ich auch', sagte ich.
'Ist doch super', meinte Sarah. 'Damit haben wir jetzt für den Rest unseres Lebens was gemeinsam.'

Fazit:
Ein witziger Jugendkrimi mit ordentlich Humor, ein bisschen Liebe und vielen bunten, liebenswerten Charakteren - für mich das ideale Sommerbuch für die Hängematte, auch für ältere Leser!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2015
Tiefer Fall / Anna Kronberg & Sherlock Holmes Bd.2
Wendeberg, Annelie

Tiefer Fall / Anna Kronberg & Sherlock Holmes Bd.2


sehr gut

Wie schon den ersten Band, "Teufelsgrinsen", habe ich auch diesen zweiten Band wieder parallel gelesen und als Hörspiel gehört. Ich war erneut begeistert davon, wie großartig Esther Schweins die Charaktere zum Leben erweckt! Sie gibt jedem seine ganz eigene Stimme und Art zu sprechen, und so hört man direkt, ob da jetzt gerade Anna Kromberg, James Moriarty oder Sherlock Holmes zu Wort kommen. Besonders für Anna Kromberg ist sie in meinen Ohren einfach die Idealbesetzung, und bei ihrer Interpretation von Moriarty ist es mir öfter eiskalt über den Rücken gelaufen!

Der Titel des Buches, "Tiefer Fall", und die Tatsache, dass James Moriarty darin eine große Rolle spielt, verrät eingefleischten Fans von Sherlock Holmes natürlich schon einen Teil der Handlung, denn die Autorin findet hier für eine der Originalgeschichten von Arthur Conan Doyle eine Neuinterpretation - und eine Vorgeschichte, die den Leser vieles in ganz neuem Licht sehen lässt.

Ich fand das sehr originell, einfallsreich und gut gelungen. Die Geschichte stellt über weite Teile der Handlung nicht Sherlock Holmes in den Mittelpunkt sondern Anna Kromberg, die dadurch wieder zeigen kann, wie genial und entschlossen sie ist, und wie sehr sie Holmes darin ähnelt, dass ihre überragende Intelligenz sie oft harsch, überlegen und schneidend arrogant macht...

James Moriarty entführt sie und versucht sie dazu zu zwingen, ihre medizinischen Kenntnisse in den Dienst der biologischen Kriegsführung zu stellen. Sie kann nicht offen gegen ihn kämpfen, da er ihren Vater als Geisel in seiner Gewalt hat, und so ist sie gezwungen, ein perfides Katz-und-Maus-Spiel mit ihm zu beginnen, eine Gratwanderung zwischen ihrem Abscheu vor Moriarty und ihrem widerwilligen Gefühl des Respekts für den eiskalten, aber brillanten Gegner. Bei dem Versuch, sein Vertrauen zu gewinnen, gerät sie in Gefahr, selber zu glauben, was sie ihm vorgaukelt - mit ungeahnten Folgen.

Annelie Wendeberg stellt Holmes und Moriarty als zwei Männer dar, die sich im Prinzip sehr ähnlich sind; beide sind rastlos, getrieben von einer problematischen Vergangenheit, scheinbar gefühlskalt und überheblich... Ein Quäntchen Gewissen, ein wenig Mitgefühl - mehr trennt sie nicht. Manchmal wichen sie mir zu weit von ihrer Darstellung in den Originalgeschichten ab, aber im Großen und Ganzen fand ich sie glaubhaft und überzeugend geschrieben.

Anna Kromberg ist in meinen Augen ein fabelhafter Charakter, eine ungewöhnliche, starke Frau, die Holmes und Moriarty von der Intelligenz her locker das Wasser reichen kann. Im Laufe dieses Buch verliert sie allerdings viel von ihrem Bravado und ihrer Stärke, und an einem Punkt der Geschichte musste ich das Buch erstmal zuklappen und weglegen...

Ich will hier noch nicht zu viel verraten, aber ich war erst nicht sicher, was ich von dieser Entwicklung halten sollte. Holmes würde es wahrscheinlich ein Drei-Pfeifen-Problem nennen: ich musste das Ganze erstmal sacken lassen und darüber nachdenken. Fand ich das jetzt glaubhaft? Fand ich es gut? Wollte ich das Buch an die Wand pfeffern oder ihm einen Ehrenplatz in meiner Sherlock-Holmes-Sammlung geben?

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nachvollziehen kann, warum Anna so handelt wie sie handelt. Sie ist etwa ein halbes Jahr lang die Gefangene von Moriarty und steht dabei ständig unter enormem Druck, und ich denke, ihre Entscheidungen sind ein Resultat ihrer dadurch verzerrten Wahrnehmung.

In "Tiefer Fall" passiert eigentlich recht wenig; die Spannung entwickelt sich langsam und resultiert eher aus dem psychologischen Hin und Her zwischen Anna und Moriarty - und Annas Versuch, sich dabei nicht selbst zu verlieren. Ich fand das Buch dennoch (oder gerade deswegen?) sehr interessant und packend!

Der Schreibstil ist glasklar, präzise und intelligent, was mir wieder sehr gut gefallen hat.