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Magnolia
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Bayern

Bewertungen

Insgesamt 622 Bewertungen
Bewertung vom 07.01.2023
Der Strand - Vermisst / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.1
Sander, Karen

Der Strand - Vermisst / Engelhardt & Krieger ermitteln Bd.1


gut

„Bestell alle Kollegen zum Wanderparkplatz am Krielmoor. Wir koordinieren die Suche von dort.“ Eine junge Frau ist verschwunden. Die Zeit drängt, sollte wirklich etwas passiert sein. Eigentlich ist es noch zu früh für eine polizeiliche Suche, hier liegt die Sache etwas anders: Lilli Sternberg, die Vermisste, ist gehörlos. Sie waren am Weststrand verabredet: Fabienne, Lillis Freundin, kommt zehn Minuten zu spät…

Es ist der erste von drei Bänden – „Verraten“ und „Vergessen“ folgen. Karen Sander hat mit „Vermisst“ einen fulminanten Start hingelegt. Die knapp 380 Seiten waren im Nu gelesen, „Der Strand“ hat mich nicht losgelassen, mich bestens unterhalten, aber leider ist das Buch zu Ende, Lillis Geschichte jedoch nicht. Ich bin so klug als wie zuvor, ich tappe nämlich nach wie vor im Dunkeln. Die Frage, was mit Lilli geschehen ist, zieht sich durchs Buch und drüber hinaus.

„Der Strand“ befindet sich an der Ostseeküste auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst, das Städtchen Sellnitz ist fiktiv, alle anderen Orte sind real.

Mit dem Kriminalhauptkommissar Tom Engelhardt und der Kryptologin Mascha Krieger hat die Autorin zwei sympathische Figuren erschaffen, deren privates Umfeld immer mal wieder durchscheint. Vor allem Tom hat es nicht gerade leicht, er ist mit seiner fünfjährigen Tochter Romy hierher gezogen, er ist ihr ein guter Vater, stößt aber permanent an seine Grenzen. Mascha ist noch ziemlich verschlossen, ihr Privatleben gibt sie ungern preis, so einiges blitzt aber auch bei ihr durch. Privates lockert einen Krimi immer auf, es sollte nur nicht allzu viel davon sein. Zeitweise hat es den Anschein, als ob genau dies im Vordergrund steht, auch wenn so etliches noch ungesagt bleibt. Band 2 und 3 werden hiervon bestimmt Weiteres berichten.

Lilli ist verschwunden, ich bin ihr nie begegnet. Ich weiß von ihr das, was ihre Freunde, was ihre Familie über sie zu erzählen haben. Sie arbeitet in der örtlichen Gärtnerei, die Sellnitzer kennen und schätzen sie. Lillis Großvater Walter drängt darauf, dass schnellstmöglich nach ihr gesucht wird, als ehemaliger Bürgermeister ist er eine Respektsperson, richtig warm werde ich mit ihm jedoch nicht. Auch seinem Geschäftspartner Henning ist nicht zu trauen, er ist der Vater von Lillis Freundin Fabienne, die von Lillis Handy mehrere verschlüsselte Nachrichten erhält. Alle Charaktere sind glaubhaft angelegt, die Story durchweg spannend und temporeich, erzählt wird aus wechselnden Perspektiven. So einiges dröselt sich schon auf und doch bleiben mehr Fragen offen, die losen Fäden werden nicht weniger.

Der Prolog wirft einen ersten Blick auf Lillis Mutter, diese hat anscheinend mit der weiteren Geschichte um Lilli nichts zu tun. Vordergründig ist ihr Schicksal klar, die Auflösung jedoch wird wohl bis zum dritten Band auf sich warten lassen. Und hier setzte meine Kritik an: Ich habe einen spannenden, sehr kurzweiligen, gut lesbaren Thriller gelesen, um jedoch den Durchblick zu haben, ist es zwingend notwendig, alle drei Teile zu kennen. „Vermisst“ endet sehr unbefriedigend, als ob die Autorin keine Lust mehr hätte, weiterzuerzählen. Natürlich sollen die beiden Nachfolgebände gelesen werden, was ich auch vor habe. Und doch sollte jedes Buch zumindest einigermaßen in sich abgeschlossen sein. Es wäre ein sehr gutes Buch, das volle Punktezahl bekommen sollte, dieser sehr unschöne, ja ärgerliche Abschluss, der wohl einen monetären Hintergrund hat, lässt mich diesen ersten Teil mit immerhin noch 3 Sternen bewerten.

Bewertung vom 05.01.2023
Seelendunkel (eBook, ePUB)
Bryndza, Robert

Seelendunkel (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Kate Marshall ist zurück. Die Ex-Polizistin hat nun ihre eigene Detektei, mit an ihrer Seite ist Tristan Harper, der seine Vollzeitstelle an der Universität halbiert hat. Bev Ellis, die Mutter der Enthüllungsjournalistin Joanna Duncan, beauftragt sie, nach ihrer Tochter zu suchen. Joanna ist vor zwölf Jahren spurlos verschwunden, ihr Fall wurde zu den Akten gelegt. Kate und Tristan stoßen bei ihrer Recherche auf junge Männer, deren Verbleib ebenfalls nie aufgeklärt wurde.

Schon der Prolog erzeugt die nötige Spannung, Robert Bryndza nimmt seine Leser sofort mit. Bald wird klar, dass Joanna brisante Details eines ehemaligen Politikers aufgedeckt hat, sie hatte aber noch sehr viel mehr an Material, nicht alles wurde veröffentlicht.

Es ist der mittlerweile dritte Band um Kate Marshall. Sie ist ebenso akribisch wie brillant, sie lässt nicht locker. Man muss die Vorgängerbände nicht kennen, das Nötigste wird gut eingeflochten. Neben der Ermittlungsarbeit blitzt auch die private Kate durch, der Schwerpunkt liegt jedoch auf der Suche nach Joanna.

Es sind mehrere Erzählstränge, Abgründe tun sich auf. Und - es ist nichts so, wie es den Anschein hat. Gefühlt jeder hat so einiges zu verbergen, die Charaktere sind allesamt gut und glaubhaft dargestellt. Den Täter erlebe ich hautnah und doch bleibt seine Identität im Dunkeln. Der Fall um die verschwundene Journalistin weitet sich aus, er wird zusehend komplexer. Ich bekomme immer mehr Infos, Irgendwann habe ich eine vage Vermutung, wer denn für diese Verbrechen verantwortlich sein könnte.

Auch dieser dritte Band hat viel Dynamik, er ist kurzweilig und temporeich, wie von Robert Bryndza nicht anders erwartet. Ich mag seinen so einnehmenden Schreibstil, er lässt tief in die Welt seiner Protagonisten blicken. Das Private und auch Kates Vergangenheit sind wohldosiert, es fügt sich perfekt in ihre Ermittlungen ein. Dunkle Geheimnisse, die zu lange im Verborgenen verblieben sind. Ein empfehlenswerter Thriller, ich freu mich auf den nächsten Fall.

Bewertung vom 05.01.2023
Blüte der Zeit
Weiß, Sabine

Blüte der Zeit


ausgezeichnet

Historie trifft Fiktion und das in der von Sabine Weiß gewohnten Perfektion. Mit dem jungen Prinz Wilhelm III. von Oranien sind seine Jugendfreunde Paulus und Hans Willem Bentinck auf der Jagd. Von Wilhelms Idee eines Lustgartens (wir kommen noch dazu) ist die fiktive Figur Paulus nicht begeistert, wir schreiben das Jahr 1667. Das Schicksal hat es mit dem mittlerweile 16jährigen Prinzen nicht allzu gut gemeint, sein Vater ist nur Tage nach seiner Geburt verstorben. Wilhelm war ein kränkliches Kind, als 10jähriger wurde auch seine Mutter dahingerafft. Der Ratspensionär Johan de Witt hatte von da an ein Auge auf seine Erziehung, gleichzeitig hat er die Weichen für sich gestellt und Wilhelm immer mehr an Macht und Vorherrschaft als künftiger Statthalter der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen qua Verordnung – wenn auch nicht auf Dauer - genommen.

1672 setzt Wilhelm alles daran, die französischen Truppen abzuwehren, König Ludwig XIV. greift nach den Niederlanden. Die französische Armee steht bereits auf der anderen Rheinseite, bei niedrigem Wasserstand. Kanonen werden herbeigeschafft, die ersten Häuser brennen. Wilhelm befiehlt, die Wasserlinie aufzuheben, die Landbevölkerung rebelliert. Dem Volk drohen Hunger und Vertreibung, nicht nur die Franzosen sind ihre Feinde, auch der eigene Machthaber ist im Begriff, ihnen alles zu nehmen. Der historische Hintergrund ist gut und gründlich recherchiert. Sofort habe ich mich in der Geschichte wohlgefühlt, mein doch sehr lückenhaftes Geschichtswissen hat die Autorin auf gut lesbare, sehr anschauliche und so gar nicht trockene Weise aufs Beste aufgefrischt.

Die zauberhafte Idee eines Lustgartens ist nicht erst mit Wilhelm entstanden, er war dieser blühenden Vielfalt jedoch durchaus zugetan. Mit Max hat Sabine Weiß einen Gärtner aus Leidenschaft erschaffen, seine Liebe zu den zarten Geschöpfen ist in jeder Zeile spürbar. Auch er musste mit Debora, seiner Mutter und seinem Bruder Floris fliehen, sie sind in Brandenburg gelandet, Deboras Schwester hat sie mehr schlecht als recht aufgenommen. Um die fiktive Figur Max entspannt sich ein weitreichender Bogen um eine Gartenidylle, die zwischenmenschlich gesehen beileibe nicht immer idyllisch war. Mit ihm und all den Figuren drumherum habe ich all die heimischen und die eher südländischen Gewächse sehr genossen, habe so etliche Zwistigkeiten verurteilt, über so manches Missgeschick geschmunzelt und ihnen die zarten Bande der ersten Liebe gegönnt, ich war bei ihnen, war sozusagen gefühlt mittendrin. Nicht nur in den Gärten im Brandenburgischen, auch in Versailles mit all seiner Raffinesse konnte ich dank des bildhaften Schreibstils lustwandeln.

Beide Erzählstränge – der historische Teil um Wilhelm III. und der fiktive Teil um Max, den Gärtner – haben mich gut unterhalten und mir in punkto Geschichtswissen so manche Lücke aufgefüllt. Es war eine kurzweilige Reise zurück ins 17. Jahrhundert.

Sabine Weiß hat mit ihrer „Blüte der Zeit“ einen wiederum interessanten, informativen und sehr eindrucksvollen historischen Roman vorgelegt. Sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 03.01.2023
In der Stille der Polarnacht
Macallister, Greer

In der Stille der Polarnacht


ausgezeichnet

Eine rein weibliche Expedition in die Arktis im 19. Jahrhundert – ist dies zu abwegig? Greer Macallister hat sich trotz aller Bedenken herangewagt, hat mit „In der Stille der Polarnacht“ einen gut lesbaren Roman vor historischem Hintergrund vorgelegt. Die Franklin-Expedition war die dritte Forschungsreise des britischen Polarforschers Sir John Franklin. Kurz gesagt wollte er die Nordwestpassage kartographisch erfassen und somit den kürzesten Seeweg von Europa nach Asien finden. Die Expedition scheiterte, Lady Jane Franklin entsandte etliche Suchexpeditionen, um das Schicksal ihres Mannes zu ergründen. Lady Franklin war eine Abenteuerin, sie war eine außergewöhnliche Frau und solche gab es auch zu jener Zeit genau so wie es sie heute gibt. So die historischen Tatsachen.

Zunächst hat mir der etwas sperrige Schreibstil nicht so ganz zugesagt, das hat sich aber bald geändert. Denn eins ist gewiss: Es treibt einen weiter, die vielen offenen Fragen wollen alle beantwortet werden. Auch finde ich den steten Wechsel zwischen der Gerichtsverhandlung und der Erzählung, wie es zu dieser Expedition kam, gelungen. Es wird chronologisch nachgezeichnet und zwischendurch werden die einzelnen Frauen proträtiert. Dass Virginia als erfahrene Führerin, die so manche Planwagenzüge sicher über den Pass geleitet hat, ausgewählt wurde, zeugt davon, dass Lady Franklin sie für die Beste hält.

Die Anklageschrift beinhaltet zwei schwerwiegende Vergehen, deren sich Virginia schuldig gemacht haben sollte. Entführung und Mord - sie bekennt sich nicht schuldig.

Das Buch lebt von und mit den Frauen. Angefangen von der geheimnisvollen Lady Franklin, deren Absichten immer nebulöser scheinen, hin zu den Frauen, die jede für sich genommen willensstarke Persönlichkeiten sind bis zum Gericht und zu den Passagen im Gefängnis entwickelt sich die ganze Geschichte um die Arktisreise davor, mittendrin und danach immer mehr zu einem Sog. Die Charaktere sind gut und glaubhaft dargestellt, wenn auch mit einer gewissen Distanz. Die gesellschaftliche Stellung der Frau, das vorherrschende Patriarchat, ist deutlich spürbar.

Rund um die Historie ist der Autorin eine fiktive Reise um dreizehn mutige, charakterlich sehr unterschiedliche Frauen gelungen. Auch wenn ich zunächst eine ganz andere Story erwartet habe, so bin ich mit dieser Reise in die Arktis sehr zufrieden, ich habe mich darauf eingelassen und bin bestens unterhalten worden.

Bewertung vom 31.12.2022
Wehrlos
Benrath, Nora

Wehrlos


sehr gut

Der örtliche Spielplatz ist Treffpunkt für die Kleinen und die Großen. Die Mütter unterhalten sich, schießen Foto um Foto von ihrem Nachwuchs, um sie nachher in Netz zu stellen. All die süßen Schnappschüsse und die bearbeiteten Hochglanzbilder wollen sie mit der ganzen Welt teilen.

Die kleine Nele ist vertieft ins Spiel, der Blick von Mieke, ihrer Mutter, ist abgelenkt und schon ist Nele verschwunden. Wie kann das sein? In dieser Idylle, direkt ländlich, kennt man sich, an der Suche nach dem Kind beteiligen sich alle. Auch die Polizei ist aktiv, die Ringfahndung läuft.

Phase eins hat schon mal geklappt „die Ware ist unterwegs...“.

Ein Albtraum für alle Eltern ist hier wahr geworden. Aus verschiedenen Perspektiven wird Neles Schicksal erzählt. Und zwischendurch eine Stimme, die sich nicht zuordnen lässt. Jedoch ist offensichtlich, dass diese mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun hat.

Schon das Cover zeigt ein beklemmendes Bild. Hier möchte man kein Kind auf die Schaukel setzen, alles ist düster, selbst WEHRLOS ist gespenstisch, eher schemenhaft dargestellt, der Nebel deckt vieles zu.

Nora Benrath hat einen fesselnden Thriller vorgelegt, der mich bis fast zum Schluss nicht losgelassen hat. Die schöne Welt der Sozialen Medien wird so nach und nach entlarvt, der Zauber, das Glitzern lässt nach. Man präsentiert sich, gibt viel – zu viel? – von sich und seine Lieben preis. Die Schattenseiten von Social Media werden thematisiert, aber nicht nur. Auch längst vergangene Verletzungen, die tiefe Spuren hinterlassen haben, kristallisieren sich schlussendlich heraus.

Diesen äußerst rasanten Thriller habe ich am Stück gelesen, das Szenario ist durchaus nachvollziehbar. Auch wenn man über die vielen viel zu offenherzigen Posts nur den Kopf schütteln kann, so sind sie doch real. Der Schluss jedoch war mir zu konstruiert, als ob jetzt nochmal was draufgesetzt werden müsste. Hier wäre weniger mehr gewesen, es hat die gute Story, die Grundidee, doch etwas verdorben. Und doch kann ich „Wehrlos“ jedem Thriller-Fan empfehlen, man rast direkt atemlos durch die Story.

Bewertung vom 31.12.2022
Die Totenzeichnerin (eBook, ePUB)
Oldenettel, Raiko

Die Totenzeichnerin (eBook, ePUB)


gut

Der erste Weltkrieg ist vorüber, wir schreiben das Jahr 1919. Minna Dahl, die junge Krankenschwester, ist eine talentierte Zeichnerin. Immer wieder und leidenschaftlich gerne zeichnet sie Verstorbene. Ihr Chef, Doktor Sallinger wirft sie zwar nicht hinaus, auch wenn er sie beim Zeichnen einer Leiche im Keller erwischt hat. In der Klinik kann sie jedoch nicht bleiben, er schickt sie weg, in ein kleines Dorf. Dort soll sie einen Soldaten gesund pflegen.

Ein Toter wird gefunden, verunfallt sollte er sein. Minna macht eine schreckliche Entdeckung, die auf anderes schließen lässt.

Der Autor zeichnet ein düsteres Bild von all denen, die hier leben. Keiner ist so richtig zu durchschauen, jeder könnte dahinter stecken. Auch wenn es zu der Zeit noch keine Tatortfotos gab, so sagen Minnas Zeichnungen eine ganze Menge aus.

Ein wenig eigenartig mutet es schon an, wenn man als Zeichenmotiv ausgerechnet Verstorbene auswählt, sie jedoch will alles für die Ewigkeit festhalten. Minnas Geschichte kommt mir vor, als ob ich durch einen Nebel schauen würde, der sich zwischendurch lichtet. Sie ist eher detektivisch unterwegs, den Kranken pflegt sie wie nebenbei. Die Erzählung ist teilweise sprunghaft, als ob immer mal wieder ein Stück fehlen würde. Der Zusammenhang wird später dann schon wieder klar, die Story ist teils etwas langatmig geraten, um dann doch wieder Fahrt aufzunehmen. Die Spannung steigert sich, das Ende ist gut gewählt und logisch nachvollziehbar. Dranbleiben lohnt sich.

Bewertung vom 29.12.2022
Ginsterhöhe (eBook, ePUB)
Caspari, Anna-Maria

Ginsterhöhe (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Albert Lintermann wird von seinem Vater heimgeholt, der erste Weltkrieg ist vorbei, der junge Soldat, der immer viel lieber Bauer war, ist schwer versehrt. Und das sieht man ihm auf den ersten Blick auch an. Seine Berta wendet sich mit Entsetzen ab, sie kann sein zerschossenes Gesicht nicht ertragen. Ganz anders Leni. Sie heißt Albert willkommen, er bringt ihr einen Bleistiftstummel und eine Uhr, die letzten Dinge von seinem Freund, von Lenis Verlobtem und Vater ihrer Tochter Hildegard.

Albert kämpft sich zurück ins Leben, es kehrt sowas wie Alltag ein, auch wenn sein Weg ein beschwerlicher ist. In seiner zupackenden und fortschrittlichen Art bringt er so einiges zustande. Die Leute im Dorf akzeptieren und schätzen ihn, durch sein Zutun lebt es sich in Wollseifen dank Elektrizität und Wasserversorgung sehr viel angenehmer. Doch immer mehr drängt sich der mit Vorsicht zu genießende Meller ins Dorfgeschehen.

Der Roman basiert auf wahren Begebenheiten, die Personen sind fiktiv. Die Gegend im Wollseifen wurde nach der Machtergreifung Hitlers zu einem von drei Standorten als Schulungslager für die Nazi-Elite auserkoren. Die Bauern mussten ihr Land abgeben, die neuen Machthaber brauchten Platz.

Vor diesem Hintergrund ist Anna-Maria Caspari eine bewegende Geschichte über Liebe und Hass, über Ausgrenzung und grenzenloser Bösartigkeit, über Menschenverachtung und Hinterlist, aber auch um Zusammenhalt und bedingungsloser Liebe in unruhigen Zeiten gelungen. Albert erlebt nicht nur einen Krieg, den er gerade mal so überstanden hat. Seine körperlichen und seelischen Wunden hat er mit eisernem Willen bekämpft und nun muss er zusehen, wie seine Kinder erneut in einen Krieg hineingezogen werden.

Zwischendurch lese ich aus den Aufzeichnungen des Lehrers Faßbender, der über das Dorfleben berichtet. Es sind beileibe keine Banalitäten, er schreibt und beschreibt in Briefform von den politischen Ereignissen. Von denen, die es ehrlich meinen und von den anderen, den Emporkömmlingen, die um ihres eigenen Vorteils willen keinerlei Rücksichten auf die Befindlichkeiten anderer nehmen.

Das Cover zeigt auf den ersten Blick eine Idylle, das Dorf hat eher wenig Platz. Nach dem Lesen weiß man, dass es dem Untergang geweiht ist, es ist verschwunden.

„Ginsterhöhe“ ist eine tief bewegende Geschichte, leise und eindringlich erzählt. Ein aufwühlendes, ein herausragendes Zeugnis einer Zeit, die lange vorbei ist und doch nie vergessen werden darf. Mit Albert und seiner Familie, mit seinen Freunden und deren Anhang habe ich dunkle und hoffnungsvolle Momente erlebt. Anna-Maria Caspari ist es gelungen, all dies in Worte zu verpacken – ungeschönt und doch nicht zu grausam. Ein Roman vor realem Hintergrund, der lange nachhallt. Sehr lesenswert, sehr empfehlenswert.

Bewertung vom 28.12.2022
Volksfest - Suchanek ermittelt 1 (MP3-Download)
Nikowitz, Rainer

Volksfest - Suchanek ermittelt 1 (MP3-Download)


gut

„Volksfest“ hat einen ganz eigenen Humor, den muss man schon mögen. Suchanek - ein Loser schlechthin - ermittelt. Er lebt schon lange nicht mehr hier, im niederösterreichischen Wulzendorf, und doch muss er jetzt für einige Tage das Haus seiner Eltern hüten, sie sind on Tour.

Die Tage sind voller schräger Ereignisse und diese hat mir Marko Formanek als Sprecher des Hörbuchs nähergebracht. Sein österreichischer Zungenschlag passt hierzu perfekt, ich hab mich direkt in Suchaneks Dorfidylle hineinversetzen können.

Zunächst waren all die Namen und Spitznamen verwirrend. Ich hab diese dann einfach ignoriert und das war gut so, denn im Laufe der Ereignisse kommen sie so nach und nach zum Vorschein, sie sind zwar gewöhnungsbedürftig und das in mehrfacher Hinsicht, aber auseinanderhalten kann man sie schon. Das Dorfleben, so wie man sich dies vorstellt, in all seiner Wildheit, kommt hier geballt und arg überzogen rüber. Es gibt nicht nur einen Todesfall, auch wird so manch Skurrriles aus nem Rohr gespuckt. Kauzig, spleenig, ja bizarr und sonderbar kommen so einige Typen daher, Suchanek ist immer vorne dabei.

Man muss sich beim Hören schon konzentrieren, es passiert einfach eine ganze Menge. Vielleicht zu viel, denn es hat mich schier erschlagen ob der vielen Vorkommnisse. Ein derber Krimi, garniert mit schwarzem Humor. Satirisch-makaber, jedoch einer von der unterhaltsamen Sorte.

Bewertung vom 25.12.2022
Die Henkerstochter und die Schwarze Madonna / Henkerstochter Bd.9
Pötzsch, Oliver

Die Henkerstochter und die Schwarze Madonna / Henkerstochter Bd.9


ausgezeichnet

Nach Altötting zieht es die Kuisls, in den Wallfahrtsort. Eigentlich wollte der Schongauer Scharfrichter Jakob Kuisl Magdalena, seine Tochter und ihre Familie, in München besuchen, die Umstände haben sie nach Altötting weiterreisen lassen. Zwei hochrangige Persönlichkeiten werden dort erwartet: Kaiser Leopold I. von Österreich und der bayerische Kurfürst Max Emanual. Simon, Jakobs Schwiegersohn, wird zum kurfürstlichen Hofmedicus ernannt, wenngleich dieser Titel nur für die Wallfahrt gilt. Magdalena sowie Jakobs Enkel Peter, Paul und Sophia vervollständigen die Familie, sie alle werden in Neuötting untergebracht, der Wallfahrtsort ist komplett ausgebucht.

Es ist tatsächlich meine erste Begegnung mit der Henkerstocher. Auch wenn ich Oliver Pötzschs Totengräber-Bücher kenne und sehr schätze, so ist mir diese Serie schlichtweg entgangen. Der neunte Band ist ausgelesen und mein Entschluss steht fest: Die Vorgängerbücher muss ich unbedingt nachlesen. Eine so ganz andere Welt tut sich vor mir auf, Georg, Jakobs Sohn, ist nun städtischer Scharfrichter zu Schongau, sein Neffe Paul ist Henkerslehrling.

Der Prolog ist so spannend wie unheimlich. Welch finstere Gestalt wird hier vorgestellt und wie tritt diese im Buch dann auf? Ein Mann ohne Namen…

In Altötting dann tritt Jakobs feiner Instinkt zutage, er ist ein exzellenter Beobachter. Er sieht genau hin, ein Schatten verfolgt ihn, es geschehen unerklärliche Dinge. Nicht nur ein Mord will aufgeklärt werden, es werden rund um die Orte des Glaubens Tote gefunden, der Täter hinterlässt immer ein Zeichen, beinahe unsichtbar. Auch die Familie kommt nicht ungeschoren davon, nicht nur Paul in seiner ungestümen Art gerät in enorme Schwierigkeiten.

Oliver Pötzsch versteht es, seine Leser auf falsche Fährten zu locken. Natürlich habe auch ich mich von so mancher Figur blenden lassen. Habe in einigen viel Hinterhältiges gesehen, andere wiederum waren mir sofort sympathisch. Und nicht immer hat mein Gespür mir recht gegeben. Dieser ominöse Schatten – auf wen hat er es abgesehen? Sind Kaiser und Kurfürst in Gefahr? Die so unterschiedlichen Geschwister Peter, Paul und die kleine Sophia mischen kräftig mit, jeder auf seine Weise.

Der Autor versteht sein Handwerk, Historisches und Fiktives ergänzen sich perfekt, seine Bücher sind wie Magneten. Einmal aufgeschlagen, kurz hineingelesen, lassen sie einen nicht mehr los. Sein Nachwort und sein kleiner Zeitreiseführer durch den Roman, durch die Orte des Geschehens, sind kleine Leckerbissen zum Schluss. Die Wallfahrt ist zu Ende, ich bin schon gespannt auf das nächste Abenteuer rund um den alten Henker. Bis dahin werden mir die Vorgängerbände rund um die Henkerstochter kurzweilige Lesestunden bereiten.