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mimitatis_buecherkiste
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Krefeld

Bewertungen

Insgesamt 624 Bewertungen
Bewertung vom 05.10.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


ausgezeichnet

Vor fast drei Jahren veränderte sich das Leben von Bird, als seine Mutter Margaret fortging, sie verließ ihn und seinen Vater, kam nie mehr zurück. Zu Hause wird nicht mehr über sie gesprochen, es ist, als habe sie nie existiert, und Bird heißt nun Noah. Als er per Post eine seltsame Zeichnung erhält, ist er überzeugt davon, dass diese von seiner Mutter stammt. Er beginnt nachzuforschen, was schlimme Folgen nach sich ziehen kann, schließlich ist PACT in Kraft und Kinder können verschwinden, wenn die Regierung es will. Es sind harte Zeiten und Ungehorsam wird gnadenlos bestraft.

„Der Preserving American Culture and Traditions Act, PACT, das Gesetz zur Erhaltung amerikanischer Kultur und Traditionen. In der Vorschule nannten sie es ein Versprechen: Wir versprechen, die amerikanischen Werte zu schützen. Wir versprechen, aufeinander aufzupassen. Jedes Jahr lernen sie das Gleiche, nur in bombastischeren Worten.“ (Seite 22)

Schon nach den ersten Seiten ist mir klar, dass die Geschichte sich nicht in unserer Zeit abspielt. Erst sind es Hin- und Verweise auf ein Gesetz, das mir vollkommen unbekannt ist, dann aber Geschehnisse, die ich mir kaum vorstellen kann. Der erste Teil dreht sich hauptsächlich um Bird, um seine kindliche Sicht; was er glaubt, was passiert ist beziehungsweise an was er sich erinnert. Diese Sicht ist unvollständig, verzerrt und nicht immer stimmig, was natürlich damit zusammenhängt, dass Bird ein Kind ist und zum Zeitpunkt des Verschwindens von Margaret nicht mal neun Jahre alt. Die vielen Hinweise und Andeutungen, was geschah, sind zwar interessant und machen mich neugierig, aber es ist ein ruhiger Teil, der nicht sonderlich aufregend ist. Dennoch bin ich seltsam gebannt und gespannt darauf, ob ich mehr über die Vergangenheit erfahren werde.

Im zweiten Teil ist es soweit, endlich werden meine Fragen beantwortet und die Lücken gefüllt. Nun bin ich mir sicher, dass ich eine Dystopie lese, dass die Story mehr Fiktion als Realität ist, obwohl erschreckende Parallelen nicht von der Hand zu weisen sind, wenn auch die Ethnie nicht stimmt. Rückwirkend ergibt sich nun erstaunlicherweise eine komplett andere Richtung, was mich staunen und durch die Seiten fliegen lässt. Die Welt, die Celeste Ng vor meinen Augen entstehen lässt, macht mir Angst, denn so abwegig ist eine solche nicht. Ein Szenario, das so ähnlich bereits in vielen Teilen der Welt für viele Menschen Realität ist, abscheulich und verachtend, erschütternd und krank.

Ich hatte keine Ahnung, wie dieses Buch enden könnte und war gespannt auf die Auflösung im dritten Teil. Das Ende ist anders als gedacht, allerdings könnte ich mir kein anderes vorstellen, weil es so gut zum Gesamtbild passt. Es ist ganz schön traurig, aber auch traurig schön. Emotional und ergreifend endet die Erzählung und stimmt mich nachdenklich, wozu auch das Nachwort der Autorin beiträgt, das einiges erklärt. Ein wunderbares Buch über ein Thema, das wohl alle angeht, ob sie Kinder haben oder auch nicht. Über eine Ungerechtigkeit, die gerade überall auf der Welt tatsächlich passiert. Grandios umgesetzt und in eine Geschichte verpackt, die berührt, erschüttert und hoffentlich aufrüttelt. Volle Punktzahl mit Sternchen gibt es dafür von mir. Lesen!

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.09.2022
Ein Lied vom Ende der Welt
Ferencik, Erica

Ein Lied vom Ende der Welt


sehr gut

Ein Forschungskollege ihres toten Bruders ruft die Linguistin Valerie an und bittet sie um Hilfe. Er hat in der Arktis ein kleines Mädchen gefunden, deren Sprache niemand erkennt, Valerie soll herausfinden, woher das Kind kommt. In der Arktis angekommen, merkt Val schnell, dass etwas nicht stimmt und weiß bald nicht mehr, wem sie trauen kann. Als das Mädchen langsam Vertrauen zu Val fasst, ist es fast zu spät, denn das Kind wird immer schwächer und Val muss eine Möglichkeit finden, es zu retten. Der Preis dafür ist jedoch sehr hoch.

Erst gemächlich kommt die Geschichte in Schwung, anfangs dreht sich alles um die physische und psychische Verfassung von Val, die nach dem Tod ihres Bruders immer noch mit der Trauer kämpft. Dies ist nicht uninteressant, weil ich so ein Gefühl für die Person dahinter bekomme. Mit vielen Hinweisen und Andeutungen schürt die Ich-Erzählerin Val meine Neugierde und ich kann es nicht erwarten, bis die Reise endlich losgeht. Meine anfängliche Euphorie legt sich allerdings schnell wieder, denn in der Mitte dümpelt die Story schon ein wenig vor sich hin, um im letzten Drittel das Tempo plötzlich anzuziehen und dann nicht mehr zu verlangsamen.

Die Geschichte ist ein wenig mystisch angehaut, jedoch nicht in dem Maße, dass es vollkommen unrealistisch wäre, was ich persönlich nicht mag. Die Beschreibungen der unwirtlichen Landschaft und der Tierwelt fand ich faszinierend und hätte auch gern mehr darüber gelesen, genauso wie über das unbekannte Kind aus dem Eis. Leider ist dies in weiten Strecken etwas untergegangen zu Lasten der Figur Val, die einfach zu viel mit sich selbst beschäftigt war. Das letzte Drittel bewahrt das Buch tatsächlich davor, mittelmäßig bewertet zu werden, denn dieser Teil konnte mich fesseln und unglaublich gut unterhalten, zudem gefiel mir die Auflösung total gut. Ich war mir lange nicht sicher, welches Ende diese ungewöhnliche Erzählung nehmen wird. Von mir gibt es dreieinhalb Sterne.

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2022
Wo vielleicht das Leben wartet
Jachina, Gusel

Wo vielleicht das Leben wartet


ausgezeichnet

Der ehemalige Soldat Dejew bekommt den Befehl, fünfhundert Kinder von Kinderheimen und Sammelstellen abzuholen und mit dem Zug von Kasan nach Samarkand zu bringen, um diese vor dem Hungertod zu bewahren. Dieser Auftrag ist ungewöhnlich für Dejew, der trotz seines jungen Alters bereits im Bürgerkrieg gekämpft hat, denn bisher transportierte er Waren und keine Personen, geschweige denn elternlose Kinder. Es ist das Jahr 1923, es herrscht große Hungersnot im Wolgagebiet, genauso wie im restlichen Land. Die Reise steht unter keinem guten Stern, denn es fehlt alles, was man auf einer solchen Reise benötigt. Dejew nimmt die Herausforderung an und kommt schon bald an seine Grenzen.

„Dejew war ein einfacher Mann und liebte einfache Dinge. Zum Beispiel, wenn einer die Wahrheit sagte. Wenn die Sonne aufging. Wenn ein unbekanntes Kind ihm ein sattes, sorgloses Lächeln schenkte. Wenn Frauen sangen, oder auch Männer. Er liebte Alte und Kinder, er war ein Menschenfreund.“ (Seite 91)

Dieses ungewöhnliche Buch lässt mich erschüttert zurück. Ich habe bereits oft am Rande über die Hungersnot in der Sowjetunion gelesen, mich aber nie mit dem Thema beschäftigt. Hier vermischt die Autorin Realität und Fiktion, wodurch eine ergreifende Geschichte entsteht, die so ähnlich tatsächlich passiert sein könnte. Die fremdländischen Namen und Bezeichnungen im Buch wurden nicht alle übersetzt oder erklärt, dies war aber auch nicht nötig. Daneben gab es zudem viele verschiedene Bevölkerungsgruppen, von denen ich noch nie gehört habe, aber auch diese Fülle erschwerte mir die Lektüre nicht. Die Autorin hat eine unglaubliche Gabe, so zu erzählen, dass diese Dinge zwar auffallen, aber den Lesefluss nicht behindern. Hier muss ich aber zusätzlich ein Kompliment an den Übersetzer aussprechen, der großartige Arbeit geleistet hat.

Dejew ist die Hauptperson im Buch, aber da gibt es noch die Kinderkommissarin und Kinder, deren Sicht ich kennenlernen durfte. Dies war, besonders was die Kinder angeht, sehr emotional und stellenweise schwer zu ertragen, weil viele Erlebnisse zwar kindlich und unschuldig vorgetragen wurden, dadurch aber umso schwerer wogen. Es ist ein Unterschied, ob ein Erwachsener oder ein Kind beschreibt, wie ein Toter aussieht, besonders, wenn das Kind nicht wirklich versteht, was das tatsächlich heißt. Diese und anderen Beschreibungen haben mich oft an meine Grenzen gebracht, aber auch das Leid der Kinder und der Umgang mit ihnen haben dazu geführt, dass ich das Buch oft auf die Seite legen und mich förmlich sammeln musste. Auf der anderen Seite gab es aber viele Momente der Hoffnung und des kleinen Glücks, wenn etwa Hilfe erfolgte von einer Seite, von der man es nicht mal hätte erträumen dürfen. Auch der Einfallsreichtum und die Findigkeit von Dejew, der einfach nicht müde wurde, für diese ihm völlig fremden Kinder sein Leben aufs Spiel zu setzen, entlockte mir oft ein Lächeln und, so kitschig es auch klingt, bewirkte eine Wärme im Herzen.

„Vielleicht können wir die Welt tatsächlich so drehen, wie wir es wollen? So verstehen, wie wir es wünschen?“ (Seite 399)

Ein wunderbares Buch über Hoffnung, Menschlichkeit und Liebe und darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein. Eine Zeitreise in die Vergangenheit, die mir wieder einmal vor Augen führt, zu was ein Mensch fähig ist, wenn er nur will. Oder auch nicht. Von mir gibt es fünf Sterne mit Sternchen und eine Leseempfehlung.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.09.2022
Diese eine Entscheidung
Tuil, Karine

Diese eine Entscheidung


ausgezeichnet

ie Ermittlungsrichterin Alma Revel untersucht den Fall von Abdeljalil Kacem, gegen den jungen Mann besteht ein Terrorismusverdacht. In ihrem Privatleben ist Alma nicht glücklich, ihre Ehe ist am Ende und so fängt sie eine Affäre an, ausgerechnet mit Emmanuel Forest, der den Verdächtigen vertritt. Als das Urteil fällig wird, trifft Alma eine Entscheidung, die nicht nur ihr Leben implodieren lässt, sondern auch ihr Land in Gefahr bringt.

Anfangs ist mir nicht klar, worauf die Geschichte hinausläuft, denn hauptsächlich geht es um die Arbeit der Ich-Erzählerin als Ermittlungsrichterin in der Anti-Terror-Abteilung. Vorrangig geht es um Politik, Religion und Terrorismus. Unterbrochen wird die Erzählung durch Auszüge von Verhören durch die Richterin und den Anwalt der inhaftierten Person. Als mir klar wird, worauf die Beziehung der Richterin mit dem Verteidiger genau der Menschen, über die sie ermittelt und richtet, hinausläuft, erwarte ich nichts Gutes, bin aber über das Ausmaß der tatsächlichen Konsequenzen entsetzt und erschüttert. Die Geschichte nimmt eine Wendung, die ich vielleicht hätte erwarten sollen, die mich aber dennoch kalt erwischt und dazu bringt, dass ich eine Zeit lang mit meinen Gefühlen kämpfen muss. Es ist ein schwieriges Thema, zu dem wohl jeder eine eigene Meinung hat; ein explosiveres Thema für kontroverse Diskussionen kann ich mir kaum vorstellen. Die Autorin wirft hier Fragen auf, die mich noch lange beschäftigen werden. Sehr besonders finde ich dabei die Mischung aus Realität und Fiktion, wobei die Grenzen verwischen und dadurch unklar ist, was real und was erfunden ist.

Dieses Buch entfaltet seine Wucht erst spät, dann aber heftig und gewaltig. Es hinterlässt soziale, politische und juristische Fragen, lässt mich dabei aber auch hinterfragen, was ein Leben wert ist und vieles mehr. Eine Gesellschaftskritik, die richtig und wichtig ist. Volle Punktzahl und eine Leseempfehlung gibt es von mir.

9 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.09.2022
Was ich euch verschweige
Lodge, Gytha

Was ich euch verschweige


ausgezeichnet

DCI Jonah Sheens sitzt mit seiner Tochter im Biergarten, als plötzlich ein blutüberströmtes junges Mädchen vor ihm steht. Keely Lennox ist nicht verletzt und antwortet auf die Frage, ob sie Hilfe braucht, dass nicht sie, aber ihre Schwester dringend welche bräuchte. Wo sich ihre Schwester befindet und was passiert ist, verrät Keely nicht. Erst muss Jonah sich ihre Geschichte anhören, und zwar von Anfang an, als die Schwestern vor vielen Jahren ihre Mutter verloren haben. Eine Geschichte, die so brutal und erschütternd ist, dass man diese kaum glauben kann. Und genau das wird im folgenden Verlauf zum großen Problem.

Der vierte Teil der Reihe um DCI Sheens und sein Team knüpft fast nahtlos an das vorherige Buch an, zumindest was das Privatleben der Ermittler betrifft. Dieses ist aber fast unwichtig im Vergleich zum neuen Fall für das Team, der verworrener und komplizierter nicht sein könnte. Die Autorin bleibt ihrer Erzählweise treu, die Gegenwart wechselt sich mit der Erzählung von Keely ab, sodass es lange dauert, bis ein klares Bild entsteht. Je weiter die Erzählung der Jugendlichen voranschreitet, desto entsetzter bin ich, dennoch bleiben Fragen offen und so richtig stimmig scheint mir vieles nicht zu sein. Als ich glaube, dass es genauso weitergeht, kommt eine Wendung, die alles auf den Kopf stellt. Ungeheuerliches kommt ans Licht, Spuren werden verfolgt, der ein oder andere Verdacht verworfen, neue Beweise entdeckt. Und als ich schon sicher bin, den Durchblick erlangt zu haben, gibt es eine Enthüllung, die mich kalt erwischt und so überraschend ist, dass ich innehalten und das bisher gelesene Revue passieren lassen muss.

Wer denkt, das wäre es nun gewesen, kennt die Autorin schlecht, denn eine letzte Überraschung hat sie noch parat. Ein Kriminalroman, der keine Wünsche offen lässt und mich wieder total begeistern konnte. Lediglich in der Mitte gab es einen kleinen Hänger, aber dies hat das letzte Drittel wieder wettgemacht. Die Auflösung ist stimmig, alle Fragen beantwortet und mir bleibt nur, auf den nächsten Teil zu warten und zu hoffen, dass es nicht allzu lange dauern wird. Volle Punktzahl gibt es von mir und eine Leseempfehlung.

8 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2022
Neben wem du erwachst
Lodge, Gytha

Neben wem du erwachst


ausgezeichnet

Stell dir vor, du wachst nach einer durchzechten Nacht auf, ein mörderischer Kater kündigt sich an, du möchtest dich an deinen Mann schmiegen, der neben dir im Bett liegt, und plötzlich merkst du, dass da ein Fremder liegt. Als wäre das nicht schlimm genug, fühlst du, dass das Bett in Blut schwimmt und der Mann neben dir nicht nur fremd, sondern auch tot ist. So ergeht es Louise, als sie aufwacht, und dann trifft diese eine fatale Entscheidung, bevor sie die Polizei ruft.

Dies ist der dritte Teil der Buchreihe um DCI Jonah Sheens und sein Team. Man muss die ersten beiden Teile nicht gelesen haben, um dieses Buch zu verstehen, aber es wäre von Vorteil. Zum einen, weil es grandiose Kriminalromane sind, zum anderen, weil das Privatleben der ermittelnden Beamten immer wieder thematisiert wird, wenn auch nicht zu übermäßig, denn der jeweilige Fall steht immer sehr im Vordergrund. Der Schreibstil ist flüssig und der Erzählstil toll gewählt; die Gegenwart wechselt sich ab mit einer Art Brief, mit dem Louise sich an ihren Mann wendet. So verfolge ich parallel die Ermittlungen und kann gleichzeitig lesen, welche Erinnerungen Louise schriftlich festhält. Es gibt immer wieder überraschende Wendungen, die meine Vermutungen ad absurdum führen, was mich aber nicht davon abhält, weiterhin zu raten, was tatsächlich geschehen sein könnte. Als sich dann ein Tathergang klar herauskristallisiert, bin ich entsetzt, erschüttert und den Tränen nahe. Dennoch schafft es die Autorin, mich auf den letzten Seiten noch mehrfach zu überraschen, denn natürlich war das noch nicht alles. Letztendlich ist es unglaublich, wie gut die losen Fäden zusammengeführt und miteinander zu einem Ganzen verbunden werden.

Ein einschneidendes Ereignis im Leben einer der beteiligten Personen am Ende des Buches wird Konsequenzen haben, da trifft es sich gut, dass der nächste Teil der Reihe soeben erschienen und auch bereits auf meinem Stapel der demnächst zu lesenden Bücher bereit liegt. Von mir gibt es die volle Punktzahl und eine Leseempfehlung.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2022
Bullauge
Ani, Friedrich

Bullauge


sehr gut

Auf einer Demonstration wird der Polizist Kay Oleander von einer Bierflasche im Gesicht getroffen und verliert ein Auge. Kurze Zeit später trifft er auf Silvia Glaser, auch sie eine Versehrte, verletzt und verbittert auf den ersten Blick. Zusammen kommen sie einer Sache auf die Spur, die ungeheuerlich ist.

Ehrlich gesagt weiß ich anfangs nicht, ob dieses Buch ernst gemeint ist oder Satire. Nun kenne ich mich mit einer Verletzung, wie der Protagonist sie erlitten hat, natürlich nicht aus, aber wenn man danach so drauf ist wie er, dann sollte man aus dem Dienst entfernt werden, und zwar sowohl aus dem Außen-, wie auch dem Innendienst. Am besten erstmal aus jedem Dienst, vor allem aber aus der Öffentlichkeit, weil man eine Gefahr für sich, auf jeden Fall aber für die Allgemeinheit wäre.

Der erste Teil des Buches ist so wirr und chaotisch, dass ich an einen Drogenrausch denken muss; natürlich nicht bei mir, aber beim Protagonisten selbst. Die Gedanken, aber auch seine Gespräche sind unvollständig, oft konfus und ergeben - zumindest für mich - meistens keinen Sinn. Da hilft es auch nicht, eine weitere Person hinzuzuziehen, die genauso neben der Spur zu sein scheint. Ich war froh, als das Vorgeplänkel vorbei war und es endlich zur Sache zu gehen schien.

„Da war nichts Merkwürdiges an meinem Verhalten, im Gegenteil: Mir schien, als würde ich mich nach einer langen Zeit der Verirrung wieder der Normalität annähern; als wäre ich endlich nüchtern genug, meinen Zustand zu akzeptieren und die Ratschläge, die in den vergangenen Wochen auf mich eingeprasselt waren, ad acta zu legen und meinen eigenen Vorstellungen zu folgen.“ (Seite 129)

Im zweiten Teil ist mehr Struktur drin, der Schreibstil zwar immer noch ungewöhnlich und der Ich-Erzähler kompliziert, aber nun wird langsam klar, worauf es hinausläuft. Atemlos verfolge ich die Ereignisse, hoffe auf Erlösung und kann doch nur hilflos zusehen, wie alles den Bach hinunterläuft. Tragisch und emotional verläuft die Geschichte, nichts anderes habe ich erwartet und bin trotzdem mehr als erstaunt, wie sehr mich das Finale erschüttert und mitnimmt. Das Ende ist stimmig, der Abschluss perfekt. Ein ungewöhnlicher Lesegenuss, der mich noch eine Zeitlang beschäftigen dürfte. Dafür gibt es vier Sterne und eine Leseempfehlung.

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.09.2022
Die Vergessene
Slaughter, Karin

Die Vergessene


ausgezeichnet

Die siebzehnjährige Emily macht sich bereit für ihren Highschool-Abschlussball, auf dem sie nicht willkommen ist. Denn Emily verbirgt ein Geheimnis, das vielen Personen gefährlich werden könnte. Eine dieser Personen bringt Emily für immer zum Schweigen. Ein Zeitsprung, es sind vierzig Jahre später. Andrea Oliver hat gerade ihre Ausbildung zum US-Marshal beendet, ihr erster Auftrag ist es, eine Richterin zu beschützen, die Morddrohungen erhält. Aus persönlichen Gründen fängt Andrea nebenher an, eigene Ermittlungen anzustellen, um herauszufinden, was damals mit Emily passiert ist. Ihr ist nicht klar, wie gefährlich diese Suche für sie werden könnte.

Dies ist die Fortsetzung des großartigen Bestsellers „Ein Teil von ihr“ und ein Wiedersehen mit Andrea, die in diesem Buch nebst ihrer Mutter die Hauptperson gespielt hat. Man muss den Vorgänger nicht zwingend gelesen haben, um dieses Buch zu verstehen, ich würde es aber zum besseren Verständnis raten, zumal es viele Hin- und Verweise auf die Vorgeschichte gibt, die auch in diesem Thriller wieder eine Rolle spielen. Die Story springt zwischen 1982 und der Gegenwart vierzig Jahre später hin und her. Die Vergangenheit ist interessant, aber dennoch wird nichts verraten, das einen Hinweis auf die schuldige Person geben könnte, was die Suche in der Gegenwart umso spannender macht. Anfangs habe ich meine Probleme damit, mich an die Vorgeschichte zu erinnern, aber durch die vielen eingestreuten Anmerkungen erinnere ich mich bald an viele Einzelheiten. Immer tiefer tauche ich in die Geschichte ein, die mit jeder Seite vielschichtiger und komplexer wird. Je mehr ans Licht kommt, desto erschütterter bin ich darüber, was geschehen ist. Immer wieder gehe ich die Verdächtigen durch und revidiere meine Meinung, dennoch bin ich meilenweit von der tatsächlichen Auflösung entfernt. Diese habe ich überhaupt nicht erwartet, obwohl es im Nachhinein die logischste Erklärung für den Tathergang ist.

Ein unglaublich spannender Thriller, der mich begeistert zurück- und auf eine weitere Fortsetzung hoffen lässt. Von mir gibt es fünf Sterne mit Sternchen und eine Leseempfehlung.

25 von 28 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2022
Was ans Licht kommt / Die Halland-Krimis Bd.2
Carlsson, Christoffer

Was ans Licht kommt / Die Halland-Krimis Bd.2


gut

Ein anonymer Anruf im Februar des Jahres 1986 alarmiert die Polizei. Ein Mann behauptet, er habe eine Frau vergewaltigt und kündigt an, es wieder tun zu wollen. Kurz danach wird das Opfer gefunden, das an den Verletzungen stirbt. Der Polizist, der die junge Frau fand, macht sich verbissen auf die Jagd nach dem Täter, findet diesen aber nicht. Über dreißig Jahre nach seinem Tod findet sein Sohn auf dem Dachboden die Ermittlungsakte nebst einem Karton weiterer Unterlagen und stellt eigene Nachforschungen an. Dabei kommen Dinge ans Licht, die besser verborgen geblieben wären.

Meine Erwartungen an das Buch waren hoch, ich habe ein Jahres-, mindestens aber ein Monatshighlight erwartet. Geworden ist es keines davon, was ich wirklich schade finde, denn die Geschichte enthält alles, was ich in einem Kriminalroman sehr mag; ein ungelöster Fall, mysteriöse Verwicklungen, ungewöhnliche Figuren, Geheimnisse. Dennoch hatte ich die meiste Zeit das Gefühl, der Autor lässt mich außen vor, und nicht nur das, seinen Figuren erging es ebenso. Fast alle sind wortkarg, tun geheimnisvoll, machen alles mit sich aus, keiner spricht mit anderen. Immer wieder hat eine Person einen Gedanken, einen Einfall oder ein Gefühl, die nicht klar kommuniziert werden. Das kann spannend sein, wenn es aber permanent passiert, ist es irgendwann einfach nur noch frustrierend.

Dabei ist die Story selbst unglaublich interessant, allerdings fehlt es in der Umsetzung an Spannung. Zu ausschweifend, zu langatmig wird diese erzählt und erst im letzten Drittel kommt etwas Schwung in die ganze Sache. Allerdings geht es da genauso weiter; niemand stimmt sich ab, jeder macht sein Ding und es dauert unglaublich lange, bis endlich Licht ins Dunkel kommt. Ich habe einen Verdacht, der sich zunächst nicht bestätigt, und dann kommt eine Wendung, die ich nicht erwartet habe und diese ist ungeheuerlich. Dieser Ansatz hat mich wirklich überrascht und ich habe versucht, mich zu erinnern, ob es Hinweise darauf gab. Dennoch war durch die vielen Längen bereits ein wenig die Luft raus, hier hätte eine Kürzung wohl Wunder gewirkt, und ich glaube, die Story hätte eher ihre volle Wucht entfalten können. Die erneute Kehrwende kam dann zwar unerwartet, aber der große Knall blieb trotzdem aus. Als sich dann erstaunlicherweise mein Anfangsverdacht bestätigt, fühle ich keine Befriedigung, sondern bin froh, dass dieses Verbrechen, das so viele Jahre ungeklärt blieb, endlich einen Abschluss finden kann, und das Buch damit auch.

Als Fazit bleibt zu sagen, dass hier viel Potential verschenkt wurde. Eine Straffung der Story hätte zur Folge gehabt, dass ich mich mehr darauf hätte einlassen können. Zu krampfhaft hat der Autor sich bemüht, eine besondere Atmosphäre zu schaffen und dadurch leider das Gegenteil erreicht. Das Buch ist nicht schlecht, aber eben auch nicht herausragend, sodass ich die goldene Mitte wähle und drei Sterne vergebe. Beim nächsten Buch wird hoffentlich alles anders.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.09.2022
Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben?
Strobel, Arno

Fake - Wer soll dir jetzt noch glauben?


ausgezeichnet

Patrick Dostert bekommt Besuch von der Polizei, eine Frau beschuldigt ihn, ihre Freundin misshandelt und entführt zu haben. Patrick kennt die Frauen nicht, da ist es gut, dass er ein Alibi hat, er verweist auf ein Geschäftsessen mit einem potentiellen Kunden seines Arbeitgebers. Dumm nur, dass dieser Kunde nicht nur nicht auffindbar ist, sondern gar nicht existiert. Als dann noch ein Video auftaucht, in dem Patrick eine Frau massiv bedrängt und bedroht, spitzt sich die Situation zu, denn nun ist Patrick der einzige Verdächtige, an dessen Unschuld nicht einmal mehr seine Frau glaubt.

Holla, die Waldfee, das war ein spannendes Leseerlebnis! Eigentlich wollte ich das Buch in einem Buddyread lesen, aber schnell war klar, dass daraus nichts wird, als ich nach wenigen Stunden, ohne es zu merken, im letzten Drittel angekommen bin. Natürlich konnte ich gerade in diesem Abschnitt keine Pause mehr machen und dann war es auch schon geschehen; ich war am Ende angekommen und klappte das Buch mit einem zufriedenen Gefühl zu. In diesem Buch war nichts so, wie es auf den ersten Blick schien. Bereits der Prolog hat mich vor ein Rätsel gestellt, konnte ich diesen bis zum Ende hin nicht in einen Zusammenhang bringen mit der restlichen Story. Erst der Epilog, der das fulminante Finale einläutete, brachte Licht in das Dunkel. Ich habe immer wieder gerätselt und auch die ein oder andere Person verdächtigt, aber auf diese Auflösung bin ich tatsächlich nicht gekommen. Ein großartiger Thriller, der die volle Punktzahl verdient und für den ich sehr gerne eine Leseempfehlung ausspreche.

24 von 24 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.