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Wedma

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Insgesamt 549 Bewertungen
Bewertung vom 22.12.2017
Kein Dach über dem Leben
Brox, Richard

Kein Dach über dem Leben


ausgezeichnet

Eine beeindruckende Biographie des Obdachlosen Richard Brox, gekonnt geschrieben von Albrecht Kieser, gründlich recherchiert von Dirk Kästel.

Dirk Kästel ist Journalist und Vorsitzender des Vereins kunst hilft geben für Arme und Wohnungslose in Köln e.V. Er schreibt: „Was Richard mit erzählte, war so unfassbar, dass ich schon früh dachte, diese Lebensgeschichte müsste eigentlich in Buchform festgehalten werden. Um anderen Menschen auf der Straße Mut zu machen und in der Gesellschaft Vorurteile wie ‚Obdachlose sind doch selber schuld‘ abzubauen.“ S. 266.

Mit diesem Buch ist es sehr gut gelungen. Geschichten aus dem Leben von Richard Brox gehen unter die Haut. Sie sind nicht nur mutig, ehrlich und authentisch, sie zeigen einen hochintelligenten Mann, der sich treu geblieben, seinen Weg auf den Straßen Deutschlands gegangen war.

Richard Brox hat 30 Jahre auf der Straße verbracht. Mit 21 wurde er nach dem Tod seiner Mutter obdachlos. Dem Sozialamt war die zweieinhalb Zimmer Wohnung zu groß für einen Alleinstehenden. Gerichtsvollzieher, mithilfe von Polizei und Räummännern, schmiss ihn aus der elterlichen Wohnung. So fing sein Weg ohne Dach über dem Leben, wie Titel es so treffend zum Ausdruck bringt.

Richard gibt zu, er war schon mit dreizehn „ein Flüchtender“: oft auf der Straße, schlief, wo es gerade möglich war. Keine Freundschaften, keine emotionale Bindung. So wurde bald kokainabhängig. Mit 28 wurde er wieder clean. Diese Geschichte, auf nur paar Seiten erzählt, ist sehr beeindruckend. „..ich hatte gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ohne Halt an Kokain und Alkohol zu suchen. Was für ein großartiger Erfolg.“ S. 52.

Richard hatte durchaus andere Probleme, die ihn fest im Griff hatten und ihn weder sesshaft noch ein guter Vater werden ließen, weder für eigene noch für Kinder der Frauen, mit denen er mal paar Wochen zusammengelebt hatte, denn er selbst hatte kein besonders positives Vorbild aus eigener Kindheit mitnehmen können. Er war nicht imstande, das zu geben, was ihm selbst als Kind kaum gegeben wurde.

Viele Aushilfsjobs hatte er im Laufe seines Lebens erledigt: „Das gehört zu den schönen Seiten des Berberlebens: Du kommst nicht nur in Regionen, in die du als Sesshafter nie gelangen würdest, du setzt dich auch Situationen aus, in die du sonst nie geraten wärst.“ S. 83.

Es gab auch viele Begegnungen anderer Art: Ungerechtigkeit, Willkür der Beamten, Gefahr, Gewalt, Tod. Alles war dabei.

Sein Schachspiel beeindruckte viele. Einige gute Schachspieler konnte er schlagen.

Sein Lebensprojekt, der online-Ratgeber für Menschen, die auf der Straße leben (müssen), das eine große Anzahl an Obdachloseneinrichtungen beschreibt und auf deren Vorzüge und Nachteile eingeht, ist eine große Hilfe für die Menschen in Not und erfreut sich großer Beliebtheit.

Die Geschichten aus dem Leben von Richard Brox zeigen auch deutlich, dass es auch an dieser Gesellschaft, v.a. ihrer neoliberalen wirtschaftspolitischen Ordnung liegt, dass es immer mehr Obdachlose gibt, alle Bildungsschichten und Berufsstände sind dabei vertreten, schätzungsweise 335.000, mit dem Sprung von 2012 bis 2014 auf 18%, so Günter Wallraff im Vorwort.

In der Hinsicht ist es auch ein gesellschaftskritisches Buch, dem ich auch viele Leserinnen und Leser wünsche. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung. Dieses Buch ist eine wahre Bereicherung. Unbedingt lesen.

Bewertung vom 19.12.2017
Verschwörung in der Camargue (eBook, ePUB)
Holbe, Daniel; Tomasson, Ben

Verschwörung in der Camargue (eBook, ePUB)


gut

Die Buchbeschreibung hörte sich verlockend an. Zum Teil wurden meine Erwartungen erfüllt. Der versprochene religiöse Fanatismus, im christlichen Glauben, und eine geheime Bruderschaft in der Camargue waren gut präsent und haben ihr Unwesen getrieben. Capitaine Jaques Maillard von der örtlichen Polizei hat die Ermittlungen geleitet. Ihm zur Hand stand die britische Archäologin Meredith Bedford. Nachdem ihr Mentor Philippe Clairvaux ermordet wurde, leitete sie die Ausgrabungen in der Krypta der alten Kirche von Les-Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue, um ein altes Geheimnis zu lüften.
Im Grunde wurden viele Zutaten für einen spannenden, süffigen Krimi voller Lokalkolorit aufgetischt, meine Begeisterung aber hielt sich, insb. zum Schluss, sehr in Grenzen.
Bis zu zwei Dritteln ging es noch, wobei mich das sprachliche Unvermögen und die wenig kunstfertige Einführung der Figuren nicht gerade erfreuten: zu viel „war“ hatte mein Lesevergnügen doch deutlich getrübt. Die Art, wie die Hauptfiguren vorgestellt wurden, erschien mir zu amateurhaft, zudem schaute es wie Abklatsch aus Bestsellern anderer Autoren aus, mit kleinen Veränderungen hierher verfrachtet.
Auf Religions- und Geschichtsunterricht sollte man sich einstellen, wenn man sich entscheidet, diesen Krimi zu lesen. Diese Einlagen wurden in regelmäßigen Abständen verabreicht und sind z.T. zu lang, um den Leser nicht zu langweilen. Diese historisch-geschichtlichen Ausführungen waren noch das Spannendste vom Ganzen. Der Konflikt zwischen der offiziellen katholischen Kirche in Rom und anderer Glaubensrichtung, die Südfrankreich als Wiege des wahren Glaubens ansieht, ist gut zur Geltung gekommen. Manche Bruderschaftaktivisten haben da ein recht überzeugendes Bild abgegeben.
Dagegen konnten viele übrige Figuren und ihre Lebensgeschichten leider nicht punkten. Besonders Frauen waren wenig glaubhaft. Die Autoren scheinen keinen Bezug zu ihnen gehabt zu haben. Frauen wurden oft vom allwissenden Erzähler erklärt. Und ich hatte meine liebe Mühe, dem Gesagten meinen Glauben zu schenken. Im Übrigen waren sie mir leider wieder als Abklatsch aus schon mal gelesenen Bestsellern vorgekommen.
Dasselbe gilt für die Handlung, insb. im letzten Drittel. Haltlose Bombasterei zwecks Eindrucksschinderei, was natürlich auf Kosten der Glaubwürdigkeit geht, hat mir die Lust am Lesen gänzlich vergällt. Mit Glaubwürdigkeitsfragen hatte ich auch in der gesamten Länge zu kämpfen. Die Handlung und die Motive erschienen mir leider zu konstruiert. Die Stoffdarbietung war leider auch oft voll von Fertigfrei (alles bis ins Kleinste erklärt und auf silbernem Tablett serviert): man brauchte nur zu schlucken. Mochte ich leider nicht. Schmeckte mir nicht.
Dass einer der Autoren Camargue persönlich kennt, ließ sich deutlich beim Lesen wahrnehmen. Die entspr. Beschreibungen der Landschaften, Geschichte und Gebräuche sind sehr gelungen: atmosphärisch und überzeugend.

Das Cover passt nicht zum Inhalt. Es ist zwar schön dynamisch, hat aber mit diesem Krimi nichts zu tun.

Fazit: Sehr viel gewollt, deutlich weniger gekonnt. Vieles in der Handlung und Figuren liest sich leider wie abgeschrieben von bekannten Bestsellern, nur etwas abgewandelt, oft unglaubwürdig, mit hölzernen Figuren, eher klobigen Frauenrollen. Stilistisch unsicher. Insg. leider eher amateurhaft. Drei Sterne mit viel Wohlwollen.

Bewertung vom 11.12.2017
Lévi-Strauss
Loyer, Emmanuelle

Lévi-Strauss


ausgezeichnet

Diese Biographie (Bio) habe ich gern gelesen. Sie ist etwas Besonderes. Nicht nur weil es um einen außerordentlichen Wissenschaftler geht. Auch die Art, wie sie geschrieben wurde, ist auf jeden Fall bemerkenswert. Emmanuelle Loyer ist sehr gut gelungen, das Wesen von Claude Lévi-Strauss (CLS), seine Art, seinen Gedankengut, seine Arbeit, seine Bücher, uvm. den Lesern näher zu bringen.
Diese Biographie weist ein recht hohes Niveau auf. Im Wesentlichen ist diese Bio chronologisch aufgebaut, aber insb. zum Schluss eher nach Themen, sodass man mal in den Zeiten springt. Aber das ist gerechtfertigt.
Sein Werdegang ist faszinierend, weit davon entfernt, gradlinig und von Kindesbeinen an auf nur ein vordefiniertes Ziel ausgerichtet zu sein. Sein Vater ist Künstler, Maler. Claude wuchs entspr. nach dem humanistischem Vorbild auf, studierte zunächst Philosophie und unterrichtete diese. Dann reiste er nach Brasilien und besuchte auf mehreren Expeditionen die indigenen Völker. Dies hat ihn dazu bewegt, Anthropologe zu werden, der sich und der Welt diese Menschen, die Vielfalt ihrer Kulturen, ihre Eigenart, etc. mithilfe von Strukturalismus zu erklären suchte. Nach der Epoche des Strukturalismus, die paar Jahrzehnte gedauert hatte, wendete er sich der Mythologie der Völker und versuchte auf diesem Gebiet, gemeinsame Nenner zu finden und diese zu erklären. Danach widmete er sich der Ästhetik, bereiste Japan und lernte die eigenartige Kultur dort kennen. Insb. in der zweiten Hälfte seines Lebens und zum Schluss erwies er sich recht unkonventionell, oft kontrovers zur öffentlich angenommenen Meinung in seinen Urteilen und offenherzig in seinen Äußerungen. Dies hat ihm noch mehr Aufmerksamkeit gebracht, aber da er hatte schon längst den Status einer Kultfigur im In- und Ausland erreicht.
Es gibt viele Zitate aus seinen Werken, aus seiner Korrespondenz, auch der seiner Gefährten und u.a. Kontrahenten und schlicht anderen Denkern, die stets wunderbar das Gesagte beleuchteten.
Die Vielfalt an Themen und Blickwinkeln der Betrachtung ist schier überwältigend. Man lernt nicht nur CLS, sondern seine Kollegen und Weggefährten kennen, u.a. was LAS war, wie dort gearbeitet wurde, welche persönlichen Beziehungen seine Mitarbeiter untereiander pflegten, Werdegang und Rolle seiner Mitarbeiter bei der Arbeit der LAS, welche Rolle CLS selbst dabei spielte, wie er sich um seine Leute kümmerte, welche Bücher er z.Zt. schrieb, uvm.
Auch die Höhen und Tiefen seiner Karriere, wie auch seines Privatlebens, sind eingehend beleuchtet worden, z.B. dass er oft nicht verstanden und gar verklärt wurde, da er nicht viel reden mochte. Eine klassische Uni-Karriere schien anfangs unmöglich, die zweite Frau weg. Er ging aber unbeirrt seinen Weg und hinterließ trotz aller Widrigkeiten ein beachtliches Erbe, das die Wissenschaft und das Selbstverständnis der Menschen noch heute prägt.
CLS schrieb gern Bücher: 22 Titel sind im Anhang aufgelistet, die sich zwar kaum an breites Publikum richten, da recht anspruchsvoll, wurden aber stets gut verkauft, auch im Ausland, und in diverse Sprachen übersetzt.
Es gibt auch Fotos, manche sehr ausdrucksstark: nach Teil II, die CLS in seinen jungen Jahren, seine Mutter, seine zweite Frau mit Sohn Laurent als Baby zeigen, und nach Teil III. Dort bilden die Fotos CLS in seinen reifen Jahren ab, auch seine vier Masken aus Britisch Columbia sind dabei, alles in schwarz-weiß, auf dem gleichen Papier wie der Text.
Fazit: Eine außergewöhnliche, beeindruckende, anspruchsvolle Biographie von Claude Lévi-Strauss, eines herausragenden Wissenschaftlers, Schriftstellers, Humanisten, Ästheten.
Wenn man eine spannende Persönlichkeit auf diesem Wege kennenlernen möchte, ist man hier an der richtigen Adresse. Gut möglich, dass man dann auch den Wunsch verspürt, die Werke von CLS zu lesen. Die gibt es auch auf Deutsch.

Gekürzt gem. Anforderung.

Bewertung vom 08.12.2017
Die phantastische Welt des Märchenkönigs (eBook, ePUB)
Reichold, Klaus; Endl, Thomas

Die phantastische Welt des Märchenkönigs (eBook, ePUB)


sehr gut

Die vorliegende Biographie (Bio) vom Märchenkönig von Bayern Ludwig II. (1845-1886) habe ich gern gelesen, einiges Neues darin entdeckt, habe mich dabei prima unterhalten gefühlt, daher empfehle ich das Buch auch gern weiter.

Auszug aus dem Prolog: „Dieses Buch ist ein Kolportagebericht, ein Klatschreport, eine Art ‚Yellow Press‘ des neunzehnten Jahrhunderts. Augenzeugenberichte sind die Basis dieser Darstellung.“
Das halte ich für ein dezentes Unterstatement. Diese Bio ist wesentlich mehr als das geworden. Sie ist ein gelungenes Portrait eines Visionärs, eines Genies, der nur wenigen seiner Zeitgenossen begreiflich und seiner Zeit weit im Voraus war. Er wurde hier als ganze Person mit seine Stärken, Schwächen und Zweifeln gezeigt.
Man erfährt mehr über Ludwig II. als nur die Dinge, die Augenzeugen zu berichten wussten. Über seine Herkunft, seine Eltern liest man paar Kernpunkte, auch ihre Fotos sind dabei. Man sieht, dass er seiner Mutter in jungen Jahren sehr ähnlich aussah. Über seine frühere Begeisterung für Elisabeth von Österreich-Ungarn (1837-1898) gibt es auch paar Zeilen samt Foto der beiden auf der Blumeninsel. Bereichernd fand ich die hier zitierten Gedichte der Kaiserin, die z.T. auf die Kritik an Ludwig II. eingingen und nicht nur den klaren Verstand und Talent der Verfasserin bezeugen, sondern u.a. auch dass Ludwig II. von manchen Freigeistern seiner Zeit auch richtig verstanden wurde.

Den Teil über seine Pläne auszuwandern, da sein Sekretär nach geeigneten Gegenden bereits Ausschau gehalten und ihm die Beschreibungen vorgelegt hat, ist neu, denn in keiner anderen Quelle habe ich diese Info bisher vernehmen können.

Diese Bio ist auch vom Aufbau her etwas Besonderes. Sie fängt mit den Tod Ludwigs II. an und arbeitet sich anschließend von seiner Jugend mit all seinen vielfältigen Interessen und sehr wohl geübtem Verstand eines Forschers und Visionärs über die reifen Jahre seiner erfolgten Bauprojekte, seiner gelebten Homosexualität und sonstigen Andersartigkeit, seinen Krankheiten zum Schluss bis zu seiner Unsterblichkeit.

Ludwig II. wurde kurz vor seinem Tod für Verrückt erklärt, dabei liest es sich eher heraus, dass er es keineswegs war, vielmehr war er ein Kaiser, der viel weiter blicken konnte als die meisten, die sich anmaßten, über ihn zu urteilen. Die Kleingeister von Ministern haben ihn für verrückt erklären lassen, u.a. weil er so viel Geld für seine in die Zukunft gerichteten Projekte ausgab und sich sonst wenig um die Regierungsroutine kümmerte. So gesehen war es ein Staatsstreich, bei dem der König, der sich anders als erwartet erwies, klammheimlich eliminiert wurde. An diesem Bps. kommen wir zur Art der Stoffdarbietung, die mir hier auch zugesagt hat. Die Autoren legen sich bei einigen Fragen, die niemand definitiv beantworten kann, nicht auf irgendeine Version fest, sondern liefern den Stoff, durchaus kontroversen Charakters, der die Leser dazu verleitet, selbst über das Gelesene nachzudenken und, falls erwünscht, zum eigenen Entschluss zu kommen.

Zum Schluss gibt es ein Interview mit einem 3-D Spezialisten Gerd Hirzinger, der vieles aus den Ludwigs II. Projekten in 3D nachgestellt hat. Es gibt Fotos vom Luftschiff, ähnelt einem Zeppelin, dessen Entstehung von Ludwig II. mitfinanziert wurde, auch zwei Fotos der 3-D Nachstellungen von seinen „Architekturvisionen“ der Schlösser, die nie erbaut wurden.

Es gibt recht viele Fotos. In der E-Book Version auf dem Tablett sehen sie gestochen scharf aus, die Farben sind satt und prächtig. Die Links hinten im Buch, nach Literaturverzeichnis, führen direkt zu buchrelevanten I-Seiten wie den Webseiten von den Schlössern, Familie Wittelsbacher, Museen, etc.

Fazit: Eine gut gelungene Biographie von Ludwig II. Wer wissen möchte, wie er als Person war, was ihn interessiert, was ihn bewegt hat, ist bei dieser Bio an einer sehr guten Adresse.

Bewertung vom 06.12.2017
Businessplan: Mord
Mansour, Monika

Businessplan: Mord


sehr gut

„Businessplan Mord“, den Schreibratgeber von Monika Mansour, finde ich ganz gut: Das Wesentliche, was man zum Krimischreiben braucht, ist kurz und knackig auf den Punkt, die Ratschläge wirken authentisch. Es gibt auch Beispiele, die erläutern, wie die Tipps in den Krimis eingesetzt wurden uvm.

Es gibt drei Teile.

Der erste Teil erzählt, wie Monika Mansour Krimi-Autorin wurde, was im Allgemeinen für einen Krimiautor wichtig wäre, wie man den Schreiballtag meistert, wie man die eigenen Bücher vermarkten kann, welche Rolle z.B. die Lesungen spielen, etc. Auch über die Kritiken gibt es extra ein Unterkapitel, das diese in drei Kategorien unterteilt und entsprechenden Umgang damit empfiehlt.

Im zweiten Teil geht es um das Schreiben an sich, u.a. wie man lebendige, dreidimensionale Figuren entwirft, Haupt- wie Nebenfiguren; wie das Plotten vonstattengeht; welche Fragen man vorher klären sollte. Auch die 3-Akt-Struktur ist kurz und knackig erklärt worden. Gute Tipps zum gelungenen Angang sowie „Wie baust du Höhepunkte auf und wo baust du sie ein?“ sind auch dabei. Zum gelungenen Stil gibt es ein Unterkapitel mit guten Tipps, die jeder Schreiber gern beachten kann, egal was er schreibt; sowie Unterkapitel, wie man am besten die Beschreibungen, die Dialoge meistert; zu Erzählperspektiven, Kameraführung, Eigenschaften einer Szene und wie man die Szenen nicht schreiben sollte; ob Gewalt, Sex und Liebe gezeigt werden, wie es um die kriminaltechnischen Details steht und einiges mehr.

Der dritte Teil, Anhang genannt, ist vergleichsweise kurz und gibt Checklisten z.B. zu Figuren oder zu allg. Fragen wie zum zentralen Konflikt, Motiv, guten/bösen Figuren, etc. Paar gut brauchbare I-Seiten für Autoren, die wiederum weitere Ratschläge parat haben; die gängige Software, die zum Plotten und im allg. zum Schreiben benutzt wird, sind auch dabei.

Der Erzählton ist in diesem Ratgeber angenehm locker, der Stil ist klar, griffig und für breites Publikum verständlich. Es ist wie ein Gespräch unter Freundinnen. Das Buch liest sich sehr angenehm.

Die Tipps von 10 Schweizer Krimiautoren fand ich auch sehr gut: sie lockern auf, bringen mehr Authentizität mit ein und bereichern ungemein. Jede(r) geht auf ein jeweils anderes Thema ein: z.B. bringt Nicole Bachmann („Endstation Bern“) ihren Tipp zum Dialogeschreiben, Tony Dreher („Gletschertod“) spricht vom Umgang mit Hauptfiguren, Mitra Devi (Schickfrost) verrät ihre Handhabe beim Plotten, usw.

Das Buch ist toll gestaltet: Festeinband in Dunkelrot, passend zur Farbgebung des Titels; Umschlagblatt in glatter, angenehmer Haptik; die Schrift ist sehr augenfreundlich; nicht zu viel aber auch nicht zu wenig Text pro Seite. Inhaltsverzeichnis vorn hilft prima beim Navigieren.

Fazit: Ein guter Schreibratgeber, der anschaulich, kurz und knackig das Wesentliche über das Krimischreiben seinen Lesern beibringt. Alles ist dabei, um mit dem Schreiben loslegen zu können. Schön auch als Geschenk.

Bewertung vom 22.11.2017
Ehemänner
Attenberg, Jami

Ehemänner


ausgezeichnet

Jarvis Miller, eine schöne junge Frau, lebt allein und weitestgehend zurückgezogen in einer großen Wohnung in Williamsburg, New York, da ihr Mann, ein bekannter und gefragter Künstler, seit sechs Jahren im Koma liegt. Eines Tages sucht sie ein Waschsalon auf, da ihre Waschmaschine kaputtgegangen war, und lernt dort drei Ehemänner kennen, deren Frauen Geld verdienen, die Männer währenddessen schöne Zeit genießen. Dieses Treffen, dem auch paar weitere folgen, verändert nicht nur Jarvis‘ Leben, sondern auch das der Männer.
Der Roman spielt im Künstlermilieu in New York, das von Neid, Egoismus und Missgunst geprägt ist. Manche Figuren sind nicht konventionelle Persönlichkeiten. Es gibt aber auch ganz „normale“ Leute wie Jarvis‘ Freundin Mariza und ihre Familie. Ihre Präsenz war als Kontrast und insg. sehr bereichernd.
Allem voran fiel die tolle Sprache auf. Sie war oft der Grund, das Buch kaum aus der Hand legen zu wollen. Die Geschichte ist aus Jarvis‘ Perspektive erzählt worden. Sie ist auch eine nicht konventionelle Persönlichkeit, ein wenig Kunst studiert, deren Sicht der Dinge einfach Spaß macht und entsprechend passend zur Sprache gebracht wurde: unverbrauchte Metaphern, lebensnahe Bilder ihres Stadtteils, frischer Ausdruck voller poetischer Momente. Alles kommt so ungezwungen und sehr authentisch rüber.
Die Handlung hat mich oft überrascht, denn die Wendungen konnte ich nicht vorausahnen. Das passte zu Jarvis und ihren Freunden, alten wie neuen, sehr gut.
Die Themen sind aktuell und sehr gut ausgearbeitet worden: Vor dem Hintergrund der Einsamkeit in einer großen Stadt voller Menschen die Suche nach eigener Identität, nach dem Sinn im Leben, nach Erfüllung, Glück und Liebe. Aber auch Themen wie Sterbehilfe, Familienzusammenhalt, Freundschaft, Vater-Tochter, Mutter-Tochter Beziehung, Umgang mit älteren, dementen Personen, etc. waren gekonnt in den Erzählteppich eingeflochten worden.
Die Auflösung mag vordergründig etwas irritierend vorkommen, aber wenn man weiterdenkt, merkt man, dass sich die Lösung auf einer anderen Ebene abspielt, frei nach dem Motto: „If you want to change the world, change yourself.“ Wie oft ist es schon passiert, dass man dasitzt und wartet, dass sich die Welt so verändert, dass es einem in das eigene Weltbild passt. Wenn man aber die eigene Einstellung verändert und entsprechend handelt, dann ändert sich einiges ganz entscheidend.
Es gibt auch viele schöne, bemerkenswerte Gedanken über die Liebe und das Leben, die jedes Zitatenheft zieren können. Eine Kostprobe:
„Ich glaube nämlich immer noch an Kunst. Ich glaube an die Macht der Farben, dass sich die Farben in Bedeutung und Gewicht und Substanz unterscheiden, dass Farben eine Naturgewalt sind, der realen wie imaginären Natur. Ich glaube an Struktur, daran, dass es etwas bedeutet, wie sich ein raues Stück Holz anfühlt, ebenso sehr wie die Glätte von Eisen oder die Unebenheiten getrockneter Farbe auf Leinwand, und dass die Bedeutungen unterschiedlich sind. Ich glaube an das Licht, das aus einem Foto kommt, und glaube im selben Moment ebenso an die gemalte Repräsentation ohne jegliches Licht. Ich glaube, all das ist wahr, und all das ist Lüge, und all das ist wichtig für mich. Nichts, was geschehen ist, wird jemals etwas daran ändern.“ S. 318.
Das Buch ist toll gemacht. Fester Einband in Dunkellila, Umschlagblatt, Lesebändchen. Alles passt prima zum Inhalt. Sehr schön als Geschenk.

Fazit: Ich habe den Roman sehr gern gelesen. Er hat mir schöne, erfüllte Lesestunden geschenkt. Ich freue mich, Jami Attenberg, diese talentierte und bemerkenswerte Autorin entdeckt zu haben und verbleibe auf ihre weiteren Werke sehr gespannt. Von mir gibt es 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 22.11.2017
Zum Aufgeben ist es zu spät!
Ameruoso, Timo

Zum Aufgeben ist es zu spät!


ausgezeichnet

Klappentext fasst den Inhalt prima zusammen: „Grenzen gibt es nur im Kopf.
Vor Timo Ameruoso lag eine vielversprechende Karriere als professioneller Springreiter, bis ihn ein tragischer Unfall mit 16 Jahren in den Rollstuhl zwang. Was ihn rettete, war seine Liebe zu Pferden und der Wunsch, wieder reiten zu können. Timo begann, sich intensiv mit dem Wesen der Pferde zu beschäftigen, und entdeckte dabei viele Parallelen zwischen ihnen und uns Menschen. Fünf zentrale Eigenschaften hat er herausgefiltert, die ihm bei der Arbeit mit Pferden und im Leben als Ganzes weitergeholfen haben. In diesem Buch erzählt er anhand seiner eigenen Geschichte, wie es gelingen kann, trotz schwerster Schicksalsschläge seinen Weg zu gehen, um langfristig erfolgreich und glücklich zu werden – und zu bleiben.“
Durch seine Liebe zu Pferden hat Timo nicht nur sich selbst neu erfunden, er hat zu sich, zu seinem wahren Ich gefunden. Andere wichtige Dinge wie Lebensaufgabe, von der er auch leben kann, eine Traumlebenspartnerin kamen dazu.
In der ersten Hälfte bilden Pferde den Schwerpunkt seiner Erzählung. Er erklärt, wie die Pferde denken, was ist ihnen wichtig und warum, z.B. dass es für sie ein Graus ist, in die Pferdebox zu gehen und wie man sie trainieren kann, dies problemlos zu tun. Er beschreibt an konkreten Beispielen auch die typischen Fehler, die Pferdebesitzer oftmals machen. Er stellt auch klar, dass Gewalt im Umgang mit Pferden absolut keine gute Lösung ist und schadet nicht nur den Tieren, sondern in der ersten Linie denjenigen, die diese den Pferden antun.
In der zweiten Hälfte widmet er sich seinem Werdegang und erzählt, was er anfangs falsch gemacht hatte, von welchen falschen Denkmustern er fehlgeleitet war. Er zeigt auch, wie er seine alten Verhaltensmuster durchbrechen konnte, denn nur durch das Bestreiten der neuen Wege kann man die neuen Horizonte entdecken und sich neue Ziele setzen können.
Es liest sich leicht und angenehm. In nur paar Sitzungen hat man das Buch durch.
Sympathisch ist, dass er über seine Fehler genauso offen wie über seine Erfolge redet. Er hatte keineswegs einen gradlinigen Weg. Oft genug und lange genug hat er sich an Dinge geklammert, die ihm nicht guttaten. Oder an seine Fähigkeiten, an sich selbst nicht geglaubt und deshalb nicht auf den grünen Zweig kam.
Das Cover ist ein tolles Foto von Timo mit dem Pferd. Einen richtig schönen, innigen Moment erwischt. Es gibt noch mehr Fotos, in schwarz-weiß, von Timo mit Pferden im Buch.
Die 5 Dinge, die auf dem Cover angekündigt sind, gibt es im Laufe seiner Erzählung bildhaft präsentiert und zum Schluss nochmals auf einer Seite aufgelistet.
Paar Lebensweisheiten, die Timo aus eigener Lebenserfahrung bestätigen kann, findet man im ganzen Text hier und dort verstreut, besonders spannend sind sie zum Schluss.

Fazit: Es ist ein eigenartiges Buch geworden, ein lehrreicher Lebensbericht: lebensbejahend, Mut machend, optimistisch stimmend, zum Nachdenken anregend. Für Pferdeliebhaber und nicht nur. Selbst wenn man mit Pferden nicht viel zu tun hat, erfährt man, wie sie „ticken“, was Menschen aus dem Umgang mit diesen intelligenten Tieren über sie und über sich selbst lernen können, wie sie daran persönlich wachsen können. Sehr lesenswert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.11.2017
Die Krise der Demokratie und wie wir sie überwinden
Lammert, Christian;Vormann, Boris

Die Krise der Demokratie und wie wir sie überwinden


ausgezeichnet

Das vorliegende Werk von Christian Lammert und Boris Vormann ist eine sehr gute Adresse, wenn man die gegenwärtige Krise der Demokratie in USA und Europa begreifen will.
Die Autoren nehmen die Krise als Chance und, in Zusammenhängen über die Ursachen und Hintergründe nachdenkend, haben nicht nur eine treffende wie wohl recherchierte und somit wohl begründete Analyse des Niedergangs zu bieten.
Sie erarbeiteten auch die Wege aus der Krise, ihre möglichen Finanzierungsmodalitäten, v.a. für USA, und nannten zum Schluss die Voraussetzungen, die Umstände, unter welchen diese Lösungsvorschläge erfolgreich umgesetzt werden könnten.
Was die beiden Autoren vorschlagen hat Hand und Fuss, kann beten und singen. Die Politiker, hüben wie drüben, sollten dieses Buch unbedingt gelesen haben. Es ist eine wahre Fundgrube an Anregungen und Lösungen, Auswegen aus der heutigen, wenig zufriedenstellenden, für viele Beteiligten aussichtlosen Situation.
Zu den Autoren, laut der I-Seite des Verlags:
„Boris Vormann ist Professor für Politikwissenschaften am Bard College in Berlin. Seine Forschung befasst sich vergleichend mit der Politik Nordamerikas und Staat-Markt-Beziehungen im Kontext von Globalisierungs- und Urbanisierungsprozessen.“
„Christian Lammert ist Professor für die Innenpolitik Nordamerikas am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die politischen Systeme in den USA und Kanada sowie die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung.“
Das Buch liest sich gut und flüssig, alles ist sehr verständlich dargelegt worden, sodass niemand sich Sorgen zu machen braucht, ob er den Inhalt verstehen wird.
Die angegebenen Quellen sind im besten Sinne die weiterführende Literatur, eine Fundgrube, die manchem Studenten sehr gut weiterhelfen kann.

Fazit: Ein sehr lesenswertes Werk, das Lust auf mehr macht, v.a. für alldiejenigen, die sich Gedanken um die gute, lebenswerte Zukunft machen. Ein wahres Highlight in diesem politischen Leseherbst. Ein must read.
5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 13.11.2017
Leere Herzen
Zeh, Juli

Leere Herzen


ausgezeichnet

„Leere Herzen“ von Julie Zeh habe ich sehr gern gelesen und empfehle das Buch auch gerne weiter. Eine tiefgründige, zum Nachdenken anregende Lektüre voller messerscharfer Beobachtungen, was die heutige Gesellschaft angeht und was daraus werden kann.
Die Autorin zeichnet eine Möglichkeit der nahen Zukunft in Deutschland, die erschreckend wirkt und zugleich sehr real erscheint. Trotzdem würde ich den Roman nicht als Psychothriller bezeichnen, nicht im üblichen Sinne, wenn man z. B. an amerikanische oder skandinavische Werke des Genres denkt, eher als eine politisch gelagerte, gesellschaftskritische Dystopie, in der die heutigen gefährlichen Tendenzen wie Politikverdrossenheit, die sich u.a. in Nicht-Wahlbeteiligung äußert, ein Stück weitergedacht und gekonnt wie eindringlich geschildert wurden.
Die Sprache ist toll, jedes Wort sitzt, dabei erscheint der Ausdruck so ungezwungen, so natürlich. Schon allein das verwandelt das Lesen in pures Vergnügen.
Das Buch konnte ich kaum aus der Hand legen. Es las sich so gut, dass es nach nur wenigen Sitzungen, zu schnell alle war.
Spannend ist die Geschichte insg. Erst konnte ich mir Brittas Arbeit nicht so recht vorstellen, aber nach und nach legte sich ein Puzzleteilchen zum nächsten, und ich konnte mich sehr gut in ihre Weltsicht einfügen und mich in ihre Lage hineinversetzen. In der Zukunft, in der Britta lebt, wollen viele junge Leute nur eins: sterben. Das gibt zu denken, nicht wahr? „Full hands, empty hearts.“ Die Strophe kommt paar Mal im Laufe des Romans und passt zum Ganzen sehr gut.
Britta, die Hauptfigur, ist pragmatisch veranlagt, sie weiß diesen Wunsch in ein lukratives Geschäft zu verwandeln. Sie ist kein typisches niedliches Liebchen aus Frauenromanen. Sie hat aber die beste Freundin, die auf diese Beschreibung passt.
Bald bekommt Brittas Firma Konkurrenz, denn Erfolg zieht magisch Nachahmer an. Britta als Geschäftsführerin muss schnell eine gute Lösung finden, um sich und ihre Familie zu schützen. Spannend bleibt es bis zur letzten Seite.
Die Figuren erschienen mir wie Archetypen der heutigen, und vllt auch künftiger Gesellschaft:
Jeder hat seine (Vor-)Geschichte, verfolgt eigene Interessen und legt eigene Sicht der Dinge an den Tag, was sie mehrdimensional und lebendig werden lässt. Britta entwickelt sich im Laufe des Romans, was die Protagonisten in den meisten Thrillern heute sehr selten tun. Das Ganze kommt zu einem überzeugenden wie erschreckenden Bild von Deutschland von morgen zusammen. Am Ende blieb ich aber im Unklaren, was genau dieser Schluss den Lesern vermitteln will: Frau soll zurück zu ihrer wohlbekannten Rolle? Back to the roots?
Dieses zukünftige Leben, das die Figuren dem Leser vor Augen führen, erscheint so selbstverständlich, als logische Konsequenz der heutigen Situation, dass man die aufgezeichneten Entwicklungen für durchaus möglich hält, falls sich heute nichts grundlegend ändert.
In vielerlei Hinsicht ist dieses Werk etwas viel besseres als ein Thriller: Tiefgründig, klug, düster, vllt abgeklärt, aber ganz toll, sehr gut geschrieben und sehr lesenswert. Man sieht dem Roman auch deutlich an, dass es der Autorin keineswegs egal ist, wohin die Reise mit uns allen geht und was Schreckliches aus der heutigen Situation entstehen kann. Insofern kann man den Roman vllt auch als eine Warnung begreifen.
Das Buch ist sehr schön und passend zum Inhalt gestaltet, perfekt als Geschenk: Festeinband ist schwarz, innen rot, eingehüllt in das helle, weiße, leicht geriffelte Umschlagblatt. Es gibt nicht allzu viel Text pro Seite, die Schrift ist augenfreundlich.
5 Sterne und eine klare Leseempfehlung.