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sleepwalker

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Insgesamt 467 Bewertungen
Bewertung vom 06.03.2020
Sag den Wölfen, ich bin zu Hause
Brunt, Carol Rifka

Sag den Wölfen, ich bin zu Hause


sehr gut

Wir schreiben das Jahr 1987. Ronald Reagan ist Präsident der USA. „Luka“ von Suzanne Vega ist in den Charts – und AIDS ist in aller Munde. June ist 14 und Greta 16, als sie mit der Krankheit konfrontiert werden, denn ihr Onkel Finn ist infiziert und stirbt. Und June stellt fest, dass sie über ihren geliebten Patenonkel viel weniger weiß, als sie dachte. Vor allem weiß sie nichts über seine große Liebe Tony.
Im Verlauf des Buchs „Sag den Wölfen, ich bin zu Hause“ von Carol Rifka Brunt lernt June nicht nur Tony kennen, sie lernt viel über ihren Onkel, über sich selbst und über wichtige Dinge im Leben. Über Liebe, Freundschaft, Vertrauen und Zuneigung, Verlust und Verlustängste, Einsamkeit und um einander Kümmern, über Schuld und Schuldzuweisungen und sie lernt, dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Das Buch ist ein Buch über zwei Jugendliche aber es ist kein richtiges Jugendbuch. Für mich ist es ein einfühlsamer Coming-of-Age Roman, mit viel Gefühl und Tiefgang. Natürlich ist er zum Teil auch sehr plakativ. Der homosexuelle Künstler mit AIDS, der gehasste und von der Familie nicht akzeptierte Lebensgefährte, dominante Eltern und die panische Angst vor Ansteckung mit dem Virus, das damals noch das Todesurteil bedeutete – all das kommt in dem Buch vor. Aber vieles davon entspricht auch den Tatsachen. 1987 wusste man noch sehr wenig über AIDS und die Unsicherheit und Angst war groß. Zwar war die herrschende Meinung zu der Zeit noch, dass es nur Homosexuelle beträfe (eine Art „Schwulenkrebs“) aber viele, wie auch die Mutter von June und Greta hatten Angst, man könne sich über etwas wie einen Fettstift für die Lippen oder einen Kuss auf die Wange anstecken.
Und dennoch schafft es die Autorin, zwischen all den Klischees eine ganz wundervolle Geschichte zu erzählen. June ist anfangs sehr naiv und unbedarft, macht aber (natürlich) eine enorme Entwicklung durch, findet sich selbst und zu sich selbst. Die Sprache im Buch ist bildhaft, poetisch und gleichzeitig leicht zu lesen. Obwohl von Anfang an klar ist, wie das Buch enden wird, fand ich es doch packend und habe es an einem Abend durchgelesen. Am Schluss greift die Autorin dann für meinen Geschmack auch etwas zu tief in die Klischee-Kiste. Die Hauptpersonen sind klar beschrieben, die Nebenpersonen leben ein eher blasses Leben. Vor allem die Eltern von June und Greta fallen kaum auf – und wenn, dann eher unangenehm, durch Engstirnigkeit und Ignoranz.
Ein paar Fehler sind der Autorin allerdings unterlaufen. In einem Kapitel beschreibt sie Donuts als „gedrehte Teilchen“, die aussehen wie DNA. Das ist ganz sicher nicht richtig, da Donuts runde Teilchen mit einem Loch in der Mitte sind. Außerdem lebt Luka, das Kind aus Suzanne Vegas gleichnamigem Lied im zweiten Stock, nicht im ersten („My name is Luka, I live on the second floor“). Von mir insgesamt einen Punkt Abzug, aber mit 4 Punkten immer noch eine absolute Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 06.03.2020
Unbarmherzig / Gina Angelucci Bd.2
Löhnig, Inge

Unbarmherzig / Gina Angelucci Bd.2


sehr gut

Nicht wirklich spannend, aber politisch aktuell und bedrückend.
„Unbarmherzig“ von Inge Löhning ist nicht wirklich ein Krimi, auch kein historischer Roman, kein Heimatroman, bezüglich des Genres ist das Buch nichts Ganzes und nichts Halbes. Aber trotz der Mischung hat die Autorin ein sehr gut zu lesendes Buch geschaffen, das den Leser aufgrund seiner politischen Aktualität ziemlich bedrückt zurücklassen kann.
Die Autorin verflicht mehrere Handlungsstränge sehr gekonnt miteinander. Zum einen den der Kriminalbeamtin Gina Angelucci, die nach zwei Jahren Elternzeit wieder zurück im Beruf ist. Sie ermittelt in alten ungeklärten Fällen, sogenannten Cold Cases. Und auch ihr Privatleben spielt eine Rolle im Roman, sowohl ihr Mann Tino, als auch ihre Tochter Chiara, die mit dem Down-Syndrom geboren wurde. Dazu kommt dann noch eine Stalkerin, die ihr das Leben schwer macht. Und nicht nur ihr, mir als Leser kam dieses Element des Romans ziemlich überflüssig und sehr aufgesetzt vor, irgendwie möchte das nicht ganz ins Buch passen.
Zwei skelettierte Leichen werden in dem (fiktiven) Ort Altbruck, 10km von Dachau entfernt gefunden. In diesem Wort war eine Munitionsfabrik, in der unter anderem auch Zwangsarbeiter und Strafgefangene beschäftigt waren. Die männliche Leiche ist gemäß Isotopenanalyse aus der Gegend, die weibliche stammt aus dem Baltikum. Die Ermittlungen, wer die beiden waren, was sie verband und vor allem auch, was sie mit dem Ort verband, sind der Kern des Buchs.
Parallel dazu verlaufen Handlungsstränge aus dem Dorf. Zwei seit Jahrzehnten verfeindete aber verwandte Familien, Geldnöte, Krankheit und dunkle Geheimnisse geben dem Buch ein bisschen Spannung, aber sie hält sich in Grenzen. Wer also einen Krimi erwartet, könnte enttäuscht werden.
Die Personen sind sehr anschaulich beschrieben, sympathische wie auch sehr unsympathische. Vor allem Gina und Ellen (die Finderin der Skelette) fand ich sympathisch, zwei starke Frauen, die mitten in Leben und Beruf stehen und versuchen, das Beste draus zu machen und allen Widrigkeiten trotzen. Obwohl das Buch schon der zweite Band um Gina Angelucci ist, konnte man ihn problemlos verstehen und hatte keine Schwierigkeiten, der Handlung zu folgen.
Insgesamt fand ich das Buch sehr gelungen. Flüssig geschrieben, einfache Sprache (bis auf einige Sätze auf bayerisch) und politisch sehr aktuell. So greift die Autorin den aufkeimenden Rechtsextremismus auf „Die Rechten waren wieder da. Vermutlich waren sie nie weg gewesen. Und jetzt, wo der Wind sich drehte, krochen sie aus den Löchern und hofften, dass ihre Stunde kommen würde.“ Da das Buch in einem Ort spielt, der sehr nah an Dachau ist, einige der Personen den 2. Weltkrieg noch erlebt haben, bekommt der Leser hautnah beides mit: das „wir wussten von nichts“, aber auch die damals wohl üblichen Drohungen „sonst kommst du nach Dachau“. Dunkle Vergangenheit, oder sind wir auf dem besten Weg dazu, sie zu wiederholen? Klare Lese-Empfehlung und 4 Sterne.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2020
Eisgrab / Matthew Cave Bd.2
Nordbo, Mads Peder

Eisgrab / Matthew Cave Bd.2


sehr gut

Wenn deine Vergangenheit deine Gegenwart einholt
Das Buch „Eisgrab“ von Mads Peder Nordbo ist der zweite Band um den dänischen Journalisten Matthew Cave nach „Eisrot“ (im Original „Pigen uden hud“). Im Original gibt es mit „Kvinden med dødsmasken“ schon den dritten Teil. Zwar ist der Thriller fiktiv, aber mit Sicherheit ist nichts, was darin aufgegriffen wird, unmöglich, auch die Orte, die der Autor nennt, gibt es alle. Nuuk, die Hauptstadt Grönlands, die Thule Airbase und auch die praktisch verlassene Siedlung Færingehavn sind die Orte, an denen sich die Handlung des Buchs überwiegend abspielt. Hochpolitische Fakten wie medizinische Versuche auf der Thule Air Base der amerikanischen Armee, Kindesmissbrauch, Verschwörungstheorien und Drogenprobleme werden vom Autor gekonnt und schonungslos mit einer Menge Fantasie und Fiktion, ein bisschen nordischer Mythologie (wie beispielsweise der Glaube an Dämonen) und Tradition zu einer enorm spannende Geschichte gestrickt.
Anfangs tat ich mich ein bisschen schwer, mich in die Geschichte einzufinden, da viele der Beziehungen der Figuren ihren Ursprung im ersten Teil haben, daher habe ich den parallel dazu, praktisch als Hintergrundlektüre, gelesen. Es ist also zwar durchaus möglich, das Buch ohne Vorkenntnisse zu lesen, wesentlich mehr Spaß macht es aber, wenn man den Vorgänger kennt. Zwar erklärt der Autor, wie Matthew, Tupaarnaq, Arnaaq und alle anderen zusammenhängen, wer und was sie sind, aber sich diese Fakten heraus zu sammeln ist ziemlich mühsam. Auch die beiden verschiedenen Handlungs- und Zeitstränge, die der Autor parallel zueinander beschreibt, muten anfangs etwas kompliziert an. Der eine Strang dreht sich um Tom Cave (Matthews Vater) und spielt 1990, der andere 2014 und hat Matthew, aber auch Tupaarnaq als zentrale Figuren.
Aber wenn man einmal richtig in dem Buch Fuß gefasst hat, mag man es gar nicht mehr aus der Hand legen. Viel mehr möchte ich über den Inhalt auch gar nicht sagen, denn das muss man einfach selbst lesen. Das Buch an sich ist aber definitiv nichts für schwache Nerven und für schwache Mägen. Es ist blutig, brutal und grausam. Die Charaktere, die der Autor beschreibt sind zum Teil sehr klar und deutlich gezeichnet. Ich konnte mir Tupaarnaq und ihre traditionellen Tätowierungen bildhaft vorstellen, sie war mir auch, trotz ihrer Brutalität und ihrem Pragmatismus von Anfang an sympathisch, während mit Matthew zum Teil ein bisschen zu naiv erschien.
Das Buch ist spannend und flüssig geschrieben. Ein paar holprige Übersetzungen haben meinen Lesefluss etwas gebremst, so tat ich mich definitiv mit dem Wort „abgespact“ schwer. Zwar ist es laut Duden richtig, aber abgespaced sieht irgendwie für mich gefälliger aus, abgesehen davon finde ich die Übersetzung für „syret“ nicht optimal. Auch finde ich den Titel im Original wesentlich passender. „Kolde Angst“ – das passt sowohl zur bedrückenden und angstgeladenen Atmosphäre des Buchs, als auch zu den medizinischen Experimenten der Amerikaner, die ein Mittel suchten, um Menschen gegen Kälte unempfindlich zu machen. Aber vermutlich sollte es zu „Eisrot“ passen, was zu „Pigen uden hud“, also „Mädchen ohne Haut“ auch nicht wirklich die passende Übersetzung ist, aber so schafft man natürlich eine Serienzusammengehörigkeit, auch wenn es auf Biegen und Brechen ist.
Aber alles in allem ein enorm spannender und bedrückender Thriller, fesselnd und packend geschrieben, ein Punkt Abzug dafür, dass viel aus dem Vorgängerband aufgegriffen wird und es dadurch anfangs undurchsichtig und kompliziert scheint. Aber eine klare Lese-Empfehlung mit 4 Sternen.

Bewertung vom 27.02.2020
Ich und andere Irrtümer
Ayan, Steve

Ich und andere Irrtümer


sehr gut

„Ich und andere Irrtümer“ von Steve Ayan ist eine gelungene Mischung aus Fachbuch (gespickt mit zahllosen Querverweisen auf Studien und Zitaten), Sachbuch (er erklärt schwierige Themen gekonnt auch für Laien) und Roman, denn er bereitet das Thema zum Teil sehr unterhaltsam auf. Was das Buch natürlich nicht ist, ist eine Anleitung zur Selbsthilfe, es ist, wie der Autor selbst im Vorwort konstatiert, „Kein Fahrplan zum Ich, keine Charakterkunde“.
Vielmehr ist es eine sehr ausführliche und kompetente Anleitung und Aufforderung, sich zu hinterfragen und sein eigenes Ich zu suchen. Das Buch ist klar gegliedert, hervorragend recherchiert und aufgebaut und noch dazu liest es sich flüssig. Zu keinem Zeitpunkt gibt sich der Autor (er ist Diplompsychologe und Wissenschaftsjournalist mit dem besonderen Focus auf Neuropsychologie und Bewusstseinsforschung) arrogant und allwissend. Vielmehr beruft er sich immer wieder auf die Arbeiten anderer (mehr oder weniger Fach-) leute quer durch die Jahrhunderte. So bezieht er sich auf Sigmund Freud ebenso wie auf Descartes oder Leibniz.
Insgesamt hat mir das Buch einen ziemlich guten Einblick in die Thematik gegeben, viele Themen und Namen für weitere Lektüre genannt und mich tatsächlich auch für ein Buch dieser Art gut unterhalten. Vielleicht waren es ein bisschen viele Namen und Denk-Ansätze, an manchen Stellen hat mich das Buch trotz meiner Vorbildung zugegebenermaßen auch ein bisschen überfordert. Aber alles in allem für diejenigen, die sich informieren wollen aber keine Strickanleitung für ein glückliches Leben suchen eine klare Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 21.02.2020
Das Echo deiner Frage
Weissweiler, Eva

Das Echo deiner Frage


ausgezeichnet

„Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“ – selten hatte ich diesen Satz als so wahr erlebt, wie beim Lesen des Buchs „Das Echo deiner Frage“ von Eva Weissweiler. Sie hat in diesem Buch die Ehe von Walter und Dora Benjamin und ihre Beziehung anhand von Briefen, Artikeln und durch Gespräche mit Hinterbliebenen nachvollzogen, also keine Biografie zweier Menschen geschrieben, sondern die Biografie einer Beziehung (so auch der Untertitel des Buchs).
Walter Benjamin war Philosoph und Intellektueller. Über ihn ist sehr viel bekannt, nicht zuletzt aus zahllosen Publikationen über ihn. Aber an seiner Seite war eine interessante und starke Frau. 13 Jahren waren die beiden verheiratet, für Dora war es die zweite Ehe. Aus dieser Ehe ging der Sohn Stefan hervor. Wer und was Dora Benjamin (später Dora Sophie Kellner) war, stellt die Autorin ganz klar dar: die studierte Chemikerin (und Philosophin) war mitnichten die „dumme Gans“ oder das „wichtigtuerische Großmaul“, wie sie von verschmähten Liebhabern oder Neidern bezeichnet wurde. Sie war ihrerseits eine talentierte Autorin und Übersetzerin. Zumindest bestritt sie zeitweise mit durch ihre Arbeit den Familienunterhalt, sie unterstützte Walter Benjamin wohl auch noch nach ihrer Scheidung.
Eva Weissweiler zeichnet ihre Hauptfigur sehr sympathisch und vor allem für die Zeit, in der sie lebte (1890–1964) enorm emanzipiert. Sie war ihrem Mann in einigem ebenbürtig, in vielem ist sie ihm aber haushoch überlegen. Er, einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts, kommt in diesem Buch nicht besonders gut weg. Kann man der Korrespondenz trauen und dem, was überliefert ist, glauben, so war er egozentrisch, ziemlich lebensuntüchtig und reichlich arrogant und undankbar und nährte das Klischee des verkopften Intellektuellen. Von seinem Sohn verlange er in der Hauptsache „Ruhe“ („Das erste Wort, das er sinnvoll aussprach, war ›Rue‹“) und Arbeit ging bei ihm nach dem Lustprinzip. („Doch das Problem war, dass er fast gar kein Hebräisch konnte und auch wenig Lust hatte, es zu lernen“; […]seine Habilitationsschrift zu schreiben, deren Thema – der »Ursprung des deutschen Trauerspiels« – inzwischen feststand. Er hatte eigentlich keine besondere Lust dazu. Der notwendige »Elan« und der »Funken der ersten Eingebung« wollten sich nicht einstellen.“) Auch die außerehelichen Beziehungen der beiden spart die Autorin nicht aus, beide hatten ihre Affären, fanden aber bis zu ihrer Scheidung und auch danach immer wieder zusammen.
Insgesamt fand ich das Buch sehr interessant zu lesen. Die innere Verbundenheit, die Dora ihrem geschiedenen Mann bis zu dessen Tod gegenüber wohl spürte finde ich bewundernswert, vor allem, da er sich bei der Scheidung ihr gegenüber sehr schofel benommen hat. Er war wohl, wie man heute so schön sagt, ihr Herzensmensch, ihre Liebe und Zuneigung ging über die Ehe und das Körperliche weit hinaus. Sie war eine starke und enorm emanzipierte Frau – vermutlich war sie ihrer Zeit einfach sehr weit voraus. Im Gegensatz zu ihrem Mann suchte und fand sie ihren Platz im Leben und machte das Beste aus allen Lebenslagen. Schon ihre Eltern hatten eine unkonventionelle Ehe mit vielen Umzügen und Trennungen geführt, diese Rast- und Ruhelosigkeit (später natürlich auch durch den 2. Weltkrieg und die Verfolgung bedingt) hat Dora Benjamin übernommen.
Schön auch die vielen Zitate aus den Werken von Dora Kellner, die ihr großes Talent zeigen. Das Buch ist trotz der unzähligen Namen und Orte, die erwähnt werden, flüssig und gut zu lesen, teilweise sogar ein bisschen spannend – da ist der Autorin etwas für dieses Genre eher unübliches gelungen. Daher wurde das Buch auch für mich, der ich kein besonders großer Freund der Philosophie bin, ein echter Lese-Genuss. Eine ganz klare Lese-Empfehlung für Freunde der Philosophie, aber auch für jeden, der etwas über eine starke und wahrlich emanzipierte Frau lesen möchte. 5 Sterne.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.02.2020
Nicht wie ihr
Schachinger, Tonio

Nicht wie ihr


weniger gut

Das Buch „Nicht wie ihr“ von Tonio Schachinger stand auf der Liste für den Buchpreis 2019, daher wollte ich es lesen. Hinterher fragte ich mich dann allerdings: WIESO? Wieso stand es auf der Liste und wieso sollte es jemand lesen?
Von der ersten Seite an habe ich mich durch das Buch durch gequält, selten habe ich für ein Buch dieses Umfangs so lange gebraucht. Dabei ist das Thema Fußball das eine – grundsätzlich habe ich nichts dagegen, auch Bücher zu diesem Thema habe ich schon viele gelesen. Aber Sprache, Ausdruck und Form des Buches ist das andere. Ich konnte damit absolut nicht warm werden. Und damit meine ich nicht das Österreichische, was ja durchaus Charme haben kann. Die Wortwahl ist eher mau und ich kann an der Sprache nichts finden, sie wirkt auf mich ziemlich verkrampft und uninspiriert. Ja, der Protagonist ist eher ungebildet (aber nicht dumm), aber trotzdem bedarf es nicht ständig der Verwendung von Schimpfwörtern und Fäkalausdrücken.
Das Buch bedient jedes Klischee von Fußballspielern. Fußball, Geld, schnelle Autos und Frauen, und das 24/7. Laut Klappentext ist das Buch „Ein Roman für Fußballfans und Fußballverweigerer gleichermaßen“ – für mich war es ein Buch, das mich durchweg gelangweilt und im Endeffekt genervt hat. Oft hatte ich mir gewünscht, ich könnte mit meinem Anspruch brechen, und könnte Bücher ungelesen lassen.
Ivo war mir nicht sympathisch. Weder seine arrogante und narzisstische Art, noch seine Sprache. Und die Wege, mit denen er seine innere Leere zu füllen versucht, finde ich einfach nur machohaft und prollig. Insgesamt hat das Buch praktisch keine Handlung, ist ein Schnipsel aus dem Leben eines Berufsfußballers. Es hat weder einen Anfang noch einen Schluss, dafür viel Fußball und pseudo-intellektueller innerer Monolog und ich war froh, als ich die letzte Seite erreicht hatte. Was an dem Buch „deep und fresh“ sein soll, weiß ich nicht, und mal ganz ehrlich, ich finde, diese Begriffe haben auf Klappentexten schlicht nichts verloren.
Von mir zwei Sterne.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.02.2020
Was wirklich wirkt
Grams-Nobmann, Natalie

Was wirklich wirkt


ausgezeichnet

Homöopathie ist ein heiß diskutiertes Thema. In der Öffentlichkeit, wie auch im Privaten. Denn, hat sie nicht jeder? Die Schwägerin, die ihre Angina mit nur einem einzigen, zufällig noch gefundenen Globolus geheilt hat? Impfgegner, die Krankheiten als Mittel zur Stärkung des Charakters ansehen? Und diejenigen, die Homöopathie mit Naturheilkunde verwechseln und das Wassergedächtnis erklären? In meinem Umfeld sind sie alle.
Dr. Natalie Grams hat mit ihrem neuen Buch „Was wirklich wirkt“ einen guten Überblick über die „alternative“ Medizin geschaffen. So erklärt sie beispielsweise Homöopathie, TCM, Osteopathie und Akupunktur, klärt über Placebo-Effekt und Impfen auf. Und das alles ohne erhobenen Zeigefinger. Nie muss sich der Leser von oben herab behandelt fühlen, weil er auf „alternative Heilmethoden“ reingefallen ist oder weil er auf Placebos anspricht. Nein, Natalie Grams war selbst homöopathische Ärztin, ein Fan von diesen Methoden und weiß, wie leicht es ist, daran zu glauben. Inzwischen hat sie ihre Praxis aufgegeben und ist unermüdlich in der Aufklärung tätig. Aber sie zeigt Verständnis für jeden, der in seiner Not einen „Heiler“ aufsucht, denn „Enttäuschung und Unzufriedenheit machen empfänglich für Populismus“.
Und so ist ihr Buch ein sehr umfassender Versuch der Aufklärung. Sie erklärt einfach und nachvollziehbar beispielsweise, wie Immunsystem und Placebos funktionieren und sie widmet mehrere Kapitel dem Impfen. Auch aktuelle Themen greift sie auf. Sei es nun freie Impfentscheidung, MMS (= Miracle Mineral Solution, also Chlorbleiche, die gegen alle möglichen Krankheiten von Krebs bis Autismus helfen soll); die Germanische Neue Medizin von Ryke Geerd Hamer oder die drei Todesfälle in Brüggen-Bracht durch einen „Krebs-Heiler“.
Ihre Sprache ist einfach und verständlich, zum Teil schafft sie es, schwierige Themen wie Immunabwehr sogar mit etwas Witz sehr anschaulich zu erklären. Zwar verwendet sie zahlreiche Fachbegriffe, aber man fühlt sich irgendwie von der Autorin im Dschungel der Heilmethoden an die Hand genommen und begleitet. Sie schreibt zu jeder Zeit sachlich und beruft sich auf Fakten und zerlegt dabei sehr gekonnt die allgegenwärtigen Phrasen der Scharlatane und Verschwörungstheoretiker. Angefangen von „Wer heilt hat Recht“, über „Natürliche Medikamente nützen, chemische Medikamente schaden“ (alles, wirklich alles um uns herum IST chemisch!), „Kinderkrankheiten sind ein natürlicher Reifeschub fürs Immunsystem“ bis zu „Meinem Heiler vertraue ich blind“ – da ist für jeden was dabei. Es fallen Schlagworte wie „Die Pharma-Industrie will uns vergiften“ bis hin zu Andrew Wakefields riesiger Lüge, dass die MMR (Masern-Mumps-Röteln)-Impfung Autismus verursache – eine Lüge, die sich bis heute hartnäckig hält.
Alles in allem ist das Buch für mich toll zu lesen, informativ und sehr sehr mutig. Denn, wie Natalie Grams schreibt, sieht sie sich ständig Hass und Bedrohung ausgesetzt (so wurde sie beispielsweise unter anderem schon als „gehirngewaschene Pharma-Nutte, die vergiftet gehört“ beschimpft).
Natalie Grams geht aber auch mit der evidenzbasierten Medizin ins Gericht. Sie zeigt sich selbst als Verfechterin der „sprechenden Medizin“, denn die durchschnittlichen 7,6 Minuten, die der Arzt für den Patienten Zeit hat (und bezahlt bekommt), sind einfach zu wenig, wohingegen ein Homöopath ein Vielfaches abrechnen kann.
Im Epilog nimmt sie eine Reihe „alternativmedizinischer Verfahren“ noch einmal genauer unter die Lupe und klärt kurz und knapp darüber auf, welche kruden Gedanken und Vorstellungen zum Teil dahinterstecken. Und zu guter Letzt endet das Buch mit einer Liste von Alarmzeichen, an denen man Scharlatane erkennen kann - von Heil(ung)sversprechen über fehlende Aufklärung bis hin zu teuren Behandlungen, die bar und ohne Quittung bezahlt werden sollen. Denn auch hier gilt „Keep calm and stay informed! Ihre Gesundheit wird es Ihnen danken.“

Bewertung vom 18.02.2020
Belladonna / Grant County Bd.1
Slaughter, Karin

Belladonna / Grant County Bd.1


sehr gut

Schon über zehn Jahre ist es her, dass ich „Belladonna“ von Karin Slaughter zum ersten Mal gelesen habe. Das Buch war das erste der Autorin, aber beileibe nicht mein letztes, man kann sagen: sie hat mich damals damit komplett angefixt. Ich muss aber dazu sagen, dass ich blutige, anschaulich beschriebene, eventuell auch realistisch-eklige Thriller mag, Gerichtsmedizin und Pathologie sind mir nicht fremd, daher hat mich das auch nicht abgeschreckt.
Und blutige (eventuell auch sehr eklige) Szenen gibt es in dem Buch reichlich. Weder die Autorin, noch der von ihr geschaffene Killer sind in der Beziehung zimperlich und das Buch ist definitiv nichts für schwache Nerven und sensible Gemüter. Und auch Sara Linton (Kinderärztin und örtliche Leichenbeschauerin) ist nicht zimperlich, weder in Worten noch in Taten. Sie kann ordentlich zupacken und auch ihre Wortwahl ist nicht der feinsten eine.
Aber sie legt auch eine gewisse Ruhe und Kompetenz an den Tag, was sehr gut zur Arbeitsweise ihres Ex-Mannes, des Polizeichefs Jeffrey Tolliver passt. Und zu tun haben sie im Auftakt zur Grant-County-Serie eine ganze Menge. Beginnend an einem Montag mit dem grausamen Mord an einer blinden College-Professorin deckt das Buch den Zeitraum einer fast kompletten Woche ab – manchmal gab es ein paar Längen (hauptsächlich, wenn sehr viel aus dem Privatleben der Haupt-Charaktere beschrieben wird), die ich eher flott überblättert habe. Dadurch ging mir an der Handlung nichts verloren, die Autorin hätte getrost darauf verzichten können. Da ich aber alle folgenden Bände der Serie schon kenne, weiß ich ja auch, wie es zwischen Sara und Jeffrey weitergeht.
Im Großen und Ganzen ist das Buch aber sehr rasant geschrieben, leicht und flüssig zu lesen und hat mich insgesamt sehr gefesselt. Manchmal scheint die Autorin von der Geschichte überrollt zu werden und die Logik leidet ein bisschen und manchmal sind es zu viele Anglizismen und das ständige „Yeah“ geht einem ab und an auf die Nerven. Aber für Freunde blutiger Krimis mit derber Wortwahl, viel amerikanischem Kleinstadt-Charme, starken und eigenwilligen Frauen (von denen jede ihre eigene Vergangenheit mitbringt) ein absolutes Muss. 4 Sterne.

Bewertung vom 17.02.2020
Der Läufer / Kommissar Johan Rokka Bd.2
Ullberg Westin, Gabriella

Der Läufer / Kommissar Johan Rokka Bd.2


sehr gut

Ich muss zugeben, das Buch „Der Läufer“ von Gabriella Ullberg Westin lässt mich ein bisschen ratlos zurück. Es ist einerseits enorm spannend, hat mich von der ersten Seite an gefesselt und bis zum Schluss konnte ich es kaum aus der Hand legen. Andererseits ist es ziemlich chaotisch, die Verwicklungen und Verstrickungen sind sehr weit hergeholt und die Übersetzung fand ich zum Teil schlicht nicht gut.
Auf die Geschichte an sich mag ich gar nicht so genau eingehen. Beginnend mit dem grausamen Mord an der Abiturientin Tindra wird der Leser in einen Strudel aus Intrigen, Verbrechen, Vergehen und alten Leichen im Keller hineingezogen. Im Zentrum des Geschehens steht Kriminalkommissar Johan Rokka, der sein eigenes Päckchen zu tragen hat: an derselben Stelle, an der die Leiche von Tindra gefunden wird, verschwand vor über 20 Jahre seine Freundin Fanny. Sie wurde nie mehr gesehen – weder tot noch lebendig.
Das Buch ist der zweite Band um Johan Rokka, aber auch ohne den ersten zu kennen, hat man keinerlei Verständnis-Probleme (ich kenne den ersten Band „Der Schmetterling“ auch noch nicht aber bin jetzt schon gespannt auf den dritten Teil „Der Todgeweihte“). Rokka ist ein interessant gezeichneter Charakter mit sehr viel (auch dunkler) Vergangenheit, die oft zur Sprache kommt. Ebenso wie seine Kollegin Janna war er mir von der ersten Seite an sympathisch. Insgesamt sind die Charaktere des Buchs sehr gut und anschaulich beschrieben.
Allerdings hatte ich Probleme mit der Übersetzung, beziehungsweise der Wortwahl. Wieso wird in einer Übersetzung aus dem Schwedischen ins Deutsche ein Satz mit „no offence“ übersetzt? Oder das allgegenwärtige „nice“ – ich weiß schon, wieso ich Bücher am liebsten im Original lese, leider ist mein Schwedisch nicht besonders gut. Um mit den Namen und Ortsangaben klarzukommen reicht es aber allemal. Abgesehen von den Stolpersteinen der Übersetzung war das Buch sehr flüssig zu lesen, der Spannungsbogen war extrem konstant aufrecht erhalten und ich habe in letzter Zeit bei wenigen Büchern dem Ende und der Auflösung so dermaßen entgegengefiebert, wie bei diesem Buch.
Einen Punkt Abzug für die Übersetzung, daher 4 Punkte und eine klare Lese-Empfehlung von mir.