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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 495 Bewertungen
Bewertung vom 11.05.2020
Zimmer 19 / Tom Babylon Bd.2
Raabe, Marc

Zimmer 19 / Tom Babylon Bd.2


ausgezeichnet

Erst einmal vorneweg: „Zimmer 19“ war mein erstes Buch von Marc Raabe und tatsächlich fehlte mir manchmal ein bisschen Hintergrundwissen. Vor allem über seine Hauptfigur, den Berliner LKA-Beamten Tom Babylon, der sich selbst oft an den Fall aus dem Vorgänger „Schlüssel 17“ erinnert. Aber auch ohne die Vorkenntnisse findet man sich schnell und problemlos in die Geschichte ein, denn der rasanten Spannung kann man sich praktisch nicht entziehen.
Die Geschichte beginnt auf der Berlinale. Statt des Animationsfilms wird dort allerdings sehr zum Entsetzen der Zuschauer ein Snuff-Film mit einer jungen Frau in der Hauptrolle gezeigt. Nach kurzer Recherche stellen Tom Babylon und sein Team fest, dass der Film echt ist. Die junge Frau ist die Tochter des Bürgermeisters – und sie wird vermisst. Tom beginnt zu ermitteln, ihm steht die Psychologin Sita Johanns zur Seite und zusammen versuchen sie in perfektem Zusammenspiel das Rätsel des Films und noch dazu das Verschwinden mehrerer Mädchen aufzuklären.
Mehrere Handlungsstränge in Vergangenheit und Gegenwart verflechten sich im Laufe der Geschichte. Sitas eigene Geschichte und auch Toms Vergangenheit (seine Schwester verschwand vor 20 Jahren) spielen dabei ebenso eine Rolle wie die tatsächliche Geschichte der DDR samt Stasi und dem Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, denn die Stasi-Vergangenheit einiger Charaktere spielt eine entscheidende Rolle. Fiktion trifft da auf Fakten und die Kombination gelingt dem Autor hervorragend.
Die Geschichte ist gut durchdacht und hat eine klare Linie, zwar ist einiges ein bisschen sehr konstruiert und manchmal auch ein bisschen weit hergeholt, was der Spannung aber zu keiner Zeit einen Abbruch tut. Die Zahl 19 spielt eine immer wiederkehrende Rolle, ebenso alle möglichen offenen Rechnungen. Die Charaktere sind hervorragend und sehr deutlich beschrieben, sympathische ebenso wie sehr unangenehme Zeitgenossen. Und auch die Schauplätze kann man sich gut vorstellen, die Atmosphäre des Buchs pendelt zwischen entspannt (zum Beispiel Tom zusammen mit seinem kleinen Sohn Phil) und enorm bedrückend, zum Beispiel bei der Beschreibung von Sitas Vergangenheit.
Spannung ist von der ersten Seite an vorhanden und der Spannungsbogen ist bis zur letzten Seite fast konstant hoch. Langeweile kommt nie auf, wenn, dann gönnt der Autor seinen Leser:innen höchstens ab und zu mal eine kurze Verschnaufpause. Seine Sprache ist schlicht und alltagsnah, das Buch ist flüssig geschrieben und hervorragend zu lesen. Der Schluss ist logisch und schlüssig – ein Hintertürchen für einen dritten Band der Reihe lässt sich Marc Raabe mit einem kleinen Cliffhanger offen (der aber nichts mit dem Kriminalfall an sich zu tun hat, dieser findet seinen Abschluss).
Für mich der erste Babylon, aber nicht der letzte. Das Buch hat mir eindeutig Lust auf mehr gemacht und daher von mir 5 Punkte und eine klare Lese-Empfehlung.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.05.2020
Birgit ungeschminkt
Schrowange, Birgit

Birgit ungeschminkt


gut

Erst einmal vorweg: das Buch fängt richtig gut an. Lustig, persönlich und mit einer großen Portion Gesellschaftskritik. Birgit Schrowange schreibt in „Birgit ungeschminkt“ über ihr Leben, Beziehungen, ihren Sohn, ihre Mutter und über vieles, was ihrer Ansicht nach in der Gesellschaft schief läuft. Zum Beispiel, dass es kein Problem ist, als älterer oder alter Mann eine sehr junge Frau zu finden, wohingegen ältere Frauen es schwerer haben, gleichalterige, geschweige denn jüngere Männer zu finden. Ihre abwertende und diskriminierende Wortwahl „Scheintoter“ bei der Beschreibung eines etwa 80-Jährigen missfällt mir allerdings ebenso wie die Bezeichnung als „Greis“.
Sie schreibt über Cellulite, Plastik-Busen und Gleichberechtigung in der Partnerschaft und das Recht auf Selbstverwirklichung für Frauen. Alles wahr, richtig und gut geschrieben. Allerdings schießt sie dann etwas übers Ziel hinaus und verwandelt ihr Buch in einen Ratgeber für Frauen. Nette Idee, kommt aber in der Hauptsache über den Informationswert einer Zeitschrift beim Frisör nicht hinaus. Allein die Liste der Einsparmöglichkeiten im Alltag („Wer braucht schon Coffee to go?“) hat sicher jeder schon unzählige Male genauso gesehen, wobei ich hier auch den Hinweis auf ein Vergleichsportal ebenso als (Schleich)Werbung werte wie ihre Hinweise auf die Modekette, deren Botschafterin sie ist.
In der Folge schildert sie über mehrere Kapitel die Vorteile eines ETF-Sparplans und wie man es schafft, dass „Geld Junge bekommt“. Ja, Altersarmut ist weiblich, auch das ist bekannt. Aber in Aktien oder Sparpläne zu investieren ist schlicht nicht jedem möglich. Vielleicht sind Frauen ja tatsächlich die besseren Anleger – aber man muss auch was zum Anlegen haben und ich weiß nicht, ob Birgit Schrowange eine Kapazität in der Finanzberatung ist. Aber schön, sie hat mal übersichtlich zusammengefasst, was man sich sonst eventuell in vielen Broschüren selbst zusammensuchen müsste.
Alles in allem ist das Buch die durchaus lesenswerte Rückschau auf 40 Jahre Fernsehen und ein paar mehr Jahre Leben. Eine ehrliche Beschreibung von Höhen und Tiefen, unglaublichem Ehrgeiz, großem Selbstbewusstsein und großem Erfolg. Birgit Schrowange schreibt wie ihr der Schnabel gewachsen ist, locker aus der Hüfte und hält mit nichts hinter dem Berg – ungeschminkt halt. Eine starke Frau, ein nicht ganz so starkes Buch, das sich leider als Finanzratgeber verzettelt. Von mir 3 Sterne.

Bewertung vom 02.05.2020
Deutschland schafft mich
Abdollahi, Michel

Deutschland schafft mich


ausgezeichnet

„Deutschland schafft mich“ – der Titel von Michel Abdollahis Buch erinnert nicht zufällig an „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. Da hört die Ähnlichkeit aber beim Titel auch schon auf. Michel Abdollahi kam als Fünfjähriger aus dem Iran nach Deutschland, inzwischen hat er die deutsche Staatsangehörigkeit und musste feststellen, dass er trotzdem kein Deutscher ist, nie einer sein wird. Als Journalist hat er für die Reportage „Im Nazidorf“ in Jamel recherchiert und gelebt. Täglich erlebt er Anfeindungen, persönlich, aber viel mehr noch in den sozialen Medien.
Das Buch ist kein Roman, kein Sachbuch, kein Fachbuch und kein Geschichtsbuch. Es ist irgendwie eine Mischung aus allem. Abdollahi listet chronologisch Ereignisse ab 1986, viel mehr aber ab 2015 auf. Schreibt über „die Rechten“ („Das Gegenteil von Rechtsextremismus ist nicht Linksextremismus. Es ist Nicht-Rechtsextremismus. Oder Vielfalt. Ohne Alternative“), die hässliche Fratze von AfD, Identitären und Pegida, die Rückkehr des Antisemitismus, Islamkritik, Islamisierung, Leitkultur und alle andere Schlagworte der vergangenen paar Jahre. Und er spart die zum Teil unrühmliche Rolle der Medien nicht aus. Zu viel Sendezeit für die Rechten und immer wieder die Bezeichnung „besorgte Bürger“ oder „Bürgerlichkeit“ in Zusammenhang mit Rassisten.
Besorgt ist Abdollahi auch. Und auch der Leser sollte es sein oder im Lauf der Lektüre werden. Er spricht davon, dass die Medien als vierte Gewalt ihre Neutralität verloren haben. Das ist möglicherweise etwas zu pauschal – aber in der Sache richtig. Ich musste das Buch immer wieder aus der Hand legen und tief Luft holen, so bedrückend und erschreckend wahr ist das, was der Autor auflistet und beschreibt. Dass wir inzwischen in einem Land leben, in dem Rassismus salonfähig und rechts-außen die neue Mitte ist. Das Buch rüttelt auf, zeigt auf – und macht Angst. Ich habe zwar keinen Migrationshintergrund aber auch mein Leben ist eines, das rechts-außen nicht gefällt – aufgrund meiner politischen Einstellung und schlicht meiner Persönlichkeit. Natürlich habe ich es nicht im selben Ausmaß erleben müssen, wie der Autor, aber auch mir wurde schon „konzentrierte Arbeit“, eingesperrt in einen Keller angedroht.
Er schildert die Veränderungen in Gesellschaft und Politik. Wo früher der Rassismus noch ganz offen gezeigt wurde, wird er heute eher versteckt, ist aber inzwischen alltäglich geworden. Es ist salonfähig geworden, Menschen aufgrund ihrer Herkunft herabzuwürdigen. Leider. Sachliche Kritik in so vielen Bereichen – Fehlanzeige. Stattdessen Beleidigungen Hass und Hetze. Bei so vielen Menschen kommt hinter einem „Ich habe nichts gegen Ausländer“ ein „aber“. Er selbst müht sich, die Menschen nicht über einen Kamm zu scheren, verurteilt daher die „Islamkritik“, die schlicht eine komplette Menschengruppe pauschal verurteilt. Aber Fakt ist: der Rechtsextremismus (und Faschismus) ist nicht wieder da, er war nie weg. Er ist in allen Bereichen verankert, sei es in der Bundeswehr, der Polizei, der Politik – überall.
Mich hat das Buch von der ersten Seite an tief berührt und mit noch mehr Angst zurückgelassen, als ich sie ohnehin schon hatte. „Der gesellschaftliche Kompass hat sich verschoben“, konstatiert er verstörend richtig. „Zu bunt gehört auch braun“, stellt Abdollahi fest, aber nur, „solange sich Braun an die Spielregeln hält und nicht versucht, alle anderen Farben zu übermalen“ – das gilt nicht nur für bunt und braun, „biodeutsch“ und „Migrant“, das sollte schlicht für alle, jeden und für immer gelten. Aber das Miteinander ist zum Teil ebenso abhanden gekommen wie Toleranz und Offenheit. Für diese tiefgreifende, treffende und zutiefst traurig machende Gesellschaftskritik von mir 5 Sterne. Ohne „aber“.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.04.2020
Der Todgeweihte / Kommissar Johan Rokka Bd.3
Ullberg Westin, Gabriella

Der Todgeweihte / Kommissar Johan Rokka Bd.3


ausgezeichnet

Nach „Der Schmetterling“ und „Der Läufer“ ist „Der Todgeweihte“ der dritte Band aus Gabriella Ullberg Westins Serie um den schwedischen Ermittler Johan Rokka. Ich habe alle drei Bücher gelesen, alle drei sind sehr lesenswert, aber man kann ohne Verständnisprobleme auch nur einen Teil der Serie lesen. Und zugegebenermaßen steigerte sich die Autorin mit jedem Buch, „Der Todgeweihte“ ist bislang der beste und spannendste ihrer Krimis.
Wie die anderen Rokka-Bücher fängt auch dieses mit einem Paukenschlag an: mitten auf dem Marktplatz von Hudiksvall wird ein junger Mann erschossen. Seine Freundin wird aus der Entfernung Zeugin der Tat und der Täter schießt auch auf sie – sie überlebt schwerverletzt. Parallel zu diesem Handlungsstrang verschwindet in einem zweiten Louise, die Frau von Rokkas Cousin Frank, spurlos. Sie arbeitet für eine Biometrie-Hightech-Firma und wird vermisst, als sie zu einem Termin in Shanghai nicht erscheint. Und auch ihre Tochter Silje, eine gewitzte Fünfjährige, die Rokka vergöttert, ist ein Teil der Handlung.
Mehr möchte ich zur Handlung gar nicht verraten, das würde zu viel der enormen Spannung kaputtmachen und das wäre wirklich schade. Thematisch spielt die Autorin neben den typischen Krimi-Elementen Gewalt und Mord auch die Karten High-Tech, Industriespionage, Erpressung und Missbrauch aus, eine bedrückende Mischung. Schön fand ich, dass Johan Rokka nicht nur, wie in den ersten beiden Büchern, ein harter Ermittler ist, sondern auch eine überraschend weiche Seite hat, die in seinem Verhältnis zu Silje ganz deutlich wird.
Das Buch ist, wie auch die Vorgänger, sehr gut und flüssig zu lesen, wenn man sich erst einmal an die schwedischen Namen gewöhnt hat. Die Sprache an sich ist einfach und alltagsnah, leider sind ab und an mal Fehler in der Übersetzung zu finden. Der Spannungsbogen wird anfangs durch Einschübe unterbrochen, vor allem, wenn Rokka mit Silje oder mit seiner Kollegin und Freundin Janna Weissmann zusammen ist. Allerdings ändert sich das, als auch die Geschichte rund um das kleine Mädchen spannend zu werden beginnt – dann lässt die Autorin dem Leser kaum mehr Verschnaufpausen.
Im Vergleich zu den beiden vorigen Bänden ist in diesem noch mehr Privates rund um Johan Rokka verarbeitet. Seine Beziehung, seine Freundschaften und natürlich seine familiären Verhältnisse, denn nicht nur sein Cousin und dessen Familie spielen eine Rolle, nach 15 Jahren Funkstille taucht auch sein Bruder Daniel wieder in seinem Leben auf. Anfangs scheinen die verschiedenen Handlungsstränge nichts miteinander zu tun zu haben. Aber im Lauf der Geschichte zeigen sich Zusammenhänge, denn die Autorin schafft es, die Stränge gekonnt und geschickt zu verflechten und alles in einem furiosen Finale zu zeitweise fast unerträglicher Spannung gipfeln zu lassen.
Der Krimi ist flüssig und in alltagsnaher Sprache, zeitweise Umgangssprache geschrieben, Kraftausdrücke sind selten aber durchaus vorhanden. Und ein paar holprige Übersetzungen, was aber der Lesefreude keinen Abbruch tut. Eine absolute und uneingeschränkte Lese-Empfehlung. 5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.04.2020
Vom gleichen Blut / Nik Pohl Bd.2
Hartung, Alexander

Vom gleichen Blut / Nik Pohl Bd.2


gut

Greta, die 14-jährige Tochter des Bauunternehmers Clemens Grohnert wird entführt, der Chauffeur, der sie zum Ballett-Unterricht fahren sollte, wird erschossen. Rache am Bauunternehmer wegen eines Bauskandals? Ein terroristischer Akt? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter?
So weit, so spannend. Findet auch der eigenwillige Ermittler Nik Pohl, selbst ehemaliger Kriminalbeamter und jetzt Privatdetektiv, und nimmt sich des Falls an. Spannend bleibt das Buch auch bis zum Schluss. Einige Verdächtige, weitere Opfer, viele Spuren (einige davon in die Irre) – alles Zutaten für einen gelungenen und lesenswerten Krimi. Und das ist das Buch alles in allem auch. Flüssig geschrieben, einfache Sprache, simple Sätze. Dadurch, dass das Ermittler-Trio nur aus Männern besteht, bleiben auch flapsig-chauvinistische Sprüche nicht aus. Dennoch fand ich die Geschichte an sich betrachtet spannend und packend, für mich die perfekte Lektüre für zwischendurch.
Dem kritischeren Leser bietet das Buch allerdings einen sehr großen Kritikpunkt. Die Protagonisten sind einfach zu genial und ihre Ausstattung eher unrealistisch. Das Informanten-Netzwerk, das Nik noch aus seiner Zeit bei der Kripo hat, ist riesig und er findet immer jemanden, der ihm einen Tipp geben kann. Außerdem haben alle immer in kürzester Zeit alles Notwendige zur Hand (inklusive Waffen und größerer Summen Geld für das „Schmieren“ von Informanten) – da gingen mit dem Autor ein bisschen die Pferde durch und die Geschichte verlässt den Boden des Realistischen.
Konzeptionell ist das Buch ein solider und handwerklich guter Krimi. Allerdings wird der fesselnde Auftakt (eine Schwangere wird im Krankenhaus verfolgt und nach der Entbindung verschwindet sie, um sich und ihr Baby zu retten) erst so spät im Buch aufgelöst, dass vermutlich die meisten Leser ihn bis dahin vergessen haben. Dadurch verkommt der Prolog zu dem, was er wohl sein soll: ein Teaser, was bei mir ja auch funktioniert hat. Der Schluss konnte mich dann allerdings kaum begeistern.
Die Charaktere selbst fand ich eher seltsam oder aus psychologischer Sicht interessant als sympathisch. Über Nik und seine Vergangenheit erfährt man einiges, über Hacker Jon und Pathologe Balthasar so gut wie gar nichts. Keine Ahnung, ob im Vorgängerband „Auf zerbrochenem Glas“ mehr über sie steht, das Buch kenne ich nicht. Aber sonst ist „Vom selben Blut“ auch ohne Vorkenntnisse hervorragend zu lesen. Jeder Charakter hat seine Eigenheiten, Niks unkonventionelle Art fand ich erfrischend, und die drei ergänzen sich sehr gut. Und im Trio sind sie auf jeden Fall schlauer als die Polizei (erlaubt).
Die Geschichte ist flott geschrieben, stellenweise sehr spannend und packend, stellenweise plätschert sie ein bisschen dahin. Als Lektüre für nebenher empfehlenswert, wenn man keine allzu großen Ansprüche an eine realistisch mögliche Handlung hat. 3 Sterne.

Bewertung vom 23.04.2020
Zauberhaft mit Drachenkraft / Nelly und Klex Bd.1
Schütze, Andrea

Zauberhaft mit Drachenkraft / Nelly und Klex Bd.1


ausgezeichnet

Nela Herbst ist ein ganz normales Mädchen. Fast. Sie hat zwei Väter, eine kleine Schwester und einen Hund namens Klex. Aber sie hat noch eine zweite Seite. Als Nelly November ist sie ein Drachenkind und hat Superkräfte, die sie zum Schutz von Schwächeren einsetzt.

„Nelly und Klex“ von Andrea Schütze ist ein sehr schönes Kinderbuch zum Vor- und Selberlesen. Es ist nicht nur sehr niedlich und anschaulich geschrieben, es bietet auch kindgerecht aufbereitete Themen wie Mut, Freundschaft und Toleranz, aber auch Angst, Regenbogenfamilien und Rassismus und nicht zuletzt Träume, imaginäre Freunde und Phantasiewelten. Die Autorin schreibt sehr einfach und lesenswert, mir war es zum Teil zu platt, aber ich bin der Zielgruppe auch entwachsen. Für Kinder zwischen 8 und 10 ist es eine unbedingte Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 22.04.2020
Der Schmetterling / Kommissar Johan Rokka Bd.1
Ullberg Westin, Gabriella

Der Schmetterling / Kommissar Johan Rokka Bd.1


ausgezeichnet

Ich gestehe, ich habe die Serie von Gabriella Ullberg Westin in falscher Reihenfolge gelesen, da ich mit „Der Läufer“ angefangen habe. „Der Schmetterling“ ist allerdings der erste Band der Serie um Ermittler Johan Rokka. In diesem Band kommt Rokka aus Stockholm zurück in seine alte Heimat Hudiksvall in der Schwedischen Provinz und er trifft nicht nur auf seinen alten Freundes- und Bekanntenkreis, sondern muss sich auch seiner eigenen Vergangenheit stellen.
Sein erster Fall am neuen Einsatzort ist der Mord an Henna Pedersen, der Ehefrau des berühmten Fußballspielers Måns Sandin. Sie wurde an Heilig Abend vor den Augen ihrer beiden Kinder von einem als Weihnachtmann verkleideten Täter getötet. Verdächtig ist in erster Linie ihr Mann, der kein richtiges Alibi hat.
Nach einem sehr guten und spannenden Anfang lässt die Geschichte leider merklich nach. Da ich ein weiteres Buch der Autorin kenne weiß ich, dass sie das eigentlich besser kann. Vielleicht übte sie mit dem Buch noch ein bisschen. Auf jeden Fall kommt die Handlung nicht wirklich in Fahrt, viel Ermittlung, viele Nebenhandlungen und sehr viel Leerlauf bestimmen in der Hauptsache das Geschehen. Handwerklich ist das Buch „korrekt“, die Kapitel sind gut gegliedert und die meisten enden mit einem Cliffhanger, da kann ich nichts kritisieren. Allerdings sind die Charaktere allesamt eher farblos und ohne charakteristische Eigenschaften beschrieben und ich kann kaum Sympathiepunkte vergeben.
Sprachlich ist das Buch wenn man keine Probleme mit schwedischen Namen hat einfach, die Wortwahl ist schlicht, ebenso der Satzbau. Es ist flüssig zu lesen aber alles in allem eher unspannend. Vor allem der Mittelteil ist langatmig und bringt sehr wenig Substanz für die Geschichte. Neben der Haupt-Handlung gibt es noch einen zweiten Handlungsstrang, der ein Tagebuch des Opfers umfasst, was kursiv vom Rest des Buchs abgehoben ist. Die Themen, die die Autorin anschneidet, sind aktuell und schwierig: Missbrauch, Affären, schwierige Beziehungen und Mord, um nur einige zu nennen. Der Schluss kam für mich zwar überraschend, ist aber stimmig.
Da ich weiß, dass die Autorin es besser kann, sehe ich das Buch als eine Etüde, ein Übungsstück mit verschenktem Potenzial an und vergebe für das solide Handwerk 3 Punkte.

Bewertung vom 22.04.2020
Heimgesucht
Edwards, Mark

Heimgesucht


ausgezeichnet

Alle 35 Jahre holt sich die „Rote Witwe“ in einem kleinen walisischen Dorf ein Kind. Zuletzt wohl am Neujahrstag vor zwei Jahren die kleine Lily. In der Annahme, sie sei in den Fluss gefallen, springt ihr Vater hinterher und ertrinkt. Seine Leiche wird geborgen. Von Lily fehlt bis heute jede Spur. Die verwitwete Mutter Julia verwandelt ihr Haus in ein „Schriftsteller-Refugium“, vermietet an Autoren, die einen ruhigen und inspirierenden Platz zum Arbeiten suchen.
Und ausgerechnet Lucas Radcliffe mietet sich dort ein um seine Schreibblockade zu überwinden. Er stammt aus diesem Ort, viele der Einheimischen erinnern sich noch an seine Eltern. Und er verdient sein Geld mit dem Schreiben von Horror-Romanen, sein Bestseller handelt ausgerechnet von verschwundenen Kindern, deren Seelen von einem Monster gefressen werden. Und dann beginnt es zu spuken und der Leser gerät in einen wilden Strudel aus Aberglaube, Mystik, Esoterik und Gewalt aus dem zumindest ich mich erst befreien konnte, als ich das Buch fertiggelesen hatte. Die Spannung, die sich langsam aber konstant von der ersten Seite an aufgebaut hat, steigerte sich zum Schluss hin für mich ins fast Unerträgliche.
Nach „Glücklich sind die Toten“ ist „Heimgesucht“ mein zweites Buch von Mark Edwards und im Vergleich war es das wesentlich bessere Buch. Die Spannung hatte mich von Anfang an gepackt, die düstere, mystische und bedrückende Atmosphäre zieht sich durch die komplette Geschichte und ließ mich immer wieder schaudern, der überraschende Schluss war eine Erleichterung und Erlösung. So angenehm und fast familiär die Stimmung im „Refugium“ auf den ersten Blick auch scheint, fast jeder der dort wohnenden Schriftsteller hat seine eigenen Probleme, hauptsächlich Schaffens- und Ehekrisen. Lucas selbst trauert noch um seine Lebensgefährtin, Max hat Streit mit seiner Frau und so wirklich sympathisch ist mir im Verlauf der Geschichte keiner geworden, auch die eher undurchschaubare Vermieterin Julia nicht.
Sprachlich war das Buch gut zu lesen, der Autor verwendet einfache Wörter in einfachen Sätzen. Was allerdings ein Aga-Herd ist, wusste ich erst, nachdem ich es nachgelesen habe und das Wort „Mäusefalle“ gibt es nicht, es heißt Mausefalle. Und auch ist die Spontanheilung von Lucas gegen Ende (die Art seiner erlittenen Verletzungen erlaubt seine weiteren Handlungen eigentlich nicht) ist eher unrealistisch und da vermisse ich die medizinisch-anatomisch gründliche Recherche. Neben dem Haupt-Handlungsstrang erfährt der Leser noch einiges aus der Sicht von Lily, was auch durch die kursive Schrift vom Rest des Textes abgehoben ist. Die Hauptpersonen sind gut und klar beschrieben, die Nebenakteure bleiben eher blass und zweidimensional. Und leider fehlt für mich auch ein bisschen die Beschreibung der Landschaft, außer der direkten Umgebung des Refugiums und dem Wald wird nichts wirklich deutlich beschrieben, schade bei dem Charme, den die Landschaft von Wales hat.
Aber alles in allem und ungeachtet der (wenigen) Kritikpunkte fand ich das Buch enorm spannend und gruselig. Kein wirklicher Thriller und kein Horror-Grusel-Roman, aber eine gekonnte Mischung aus beidem mit riesigem Gänsehaut-Potenzial. Von mir eine absolute Lese-Empfehlung für alle, die Mystik, Grusel, kauzige Einheimische mit düsteren Geheimnissen und ein bisschen Psychologie im Hintergrund mögen. 5 Sterne

Bewertung vom 22.04.2020
Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?
Neumann, Claudia

Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?


gut

Claudia Neumanns Buch „Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten“ ist in mehrerlei Hinsicht kein einfaches Buch. Es ist eine Mischung aus Autobiografie und Sachbuch, beschreibt den beruflichen Werdegang der Sportreporterin, also vor allem ihr Wachsen und Werden in einem bis vor einiger Zeit überwiegend von Männern dominierten Beruf und ihre Probleme damit. Die meisten Leser erinnern sich an die Hass-Kommentare, denen sich die Autorin ausgesetzt sah, vermutlich hat der eine oder andere das Buch nur deshalb gelesen, weil er sich ein bisschen Hintergrund-Information dazu erhoffte. Auf den eigentlichen Inhalt möchte ich daher gar nicht eingehen, der ist wohl hinlänglich bekannt.
Erschreckend, aber nicht überraschend ist, dass in so vielen Bereichen immer noch ein antiquiertes Welt- und Frauenbild herrscht. Die Kommentare, denen sich Claudia Neumann ausgesetzt sieht (Hasskommentare verfolgen sie wohl seit der EM 2016 ständig), sind weit abseits von sachlicher Richtigkeit, sondern ausschließlich geprägt von Chauvinismus und Macho-Denken. Fehler, die in ihrer Berichterstattung vorkommen (wie bei jedem anderen Menschen in jedem Beruf auch), wiegen bei ihr viel schwerer als bei den Kollegen.
Und so ist ihr Buch sowohl eine Autobiografie als auch eine Aufforderung an alle (jungen) Leserinnen, für ihre Träume einzustehen und dafür zu kämpfen. Aber auch ein Hinweis an alle Leser, umzudenken, sich auf eine sachliche Ebene zu begeben und das anzuerkennen, was Fakt ist: Frauen gehören beileibe nicht nur an den Herd. Allerdings: das Thema „Herd“ greift die Autorin am Schluss noch einmal auf. Sie kocht nämlich tatsächlich gern, Kollegen kommen zu diesem Thema auch zu Wort und selbst ihr Lieblingsrezept darf nicht fehlen.
Stilistisch ist das Buch das Werk einer gelernten Journalistin, knapp und sachlich. Es ist in Über- und Unterkapitel gegliedert, wobei die Überkapitel mit 1:0, 2:0 und so weiter durchnummeriert sind. Abseits ihrer eigenen Geschichte und Erfahrungen mit Hasskommentaren vor allem in den sozialen Medien beleuchtet sie die Erfahrungen anderer mit Drohungen und zum Teil übelsten Beleidigungen. So nennt sie beispielsweise Renate Künast, Marcel Reif oder Dunya Hayali und deren teilweise auch seltsamen Erfahrungen vor Gericht. Und auch die Tatsache, dass es im Leben von (mehr oder weniger) Prominenten Sonnen-, aber auch Schattenseiten gibt, lässt sie nicht aus. Boris Becker und Jan Ullrich sind da zwei der Beispiele. Und sie listet auch eine Reihe Frauen auf, die ihren Platz in der Fußballwelt gefunden haben und behaupten, wie Birgit Prinz und Bibiana Steinhaus.
Aber alles in allem ist es zwar ein wichtiges und richtiges Buch, aber kein gutes. Es ist sprachlich zum Teil holprig und manche Exkurse der Autorin, so interessant und lehrreich sie sein mögen, gehören einfach nicht zum Thema („Die Live-Übertragung – ein kleiner Exkurs“). Da wäre mehr drin gewesen. Allerdings wäre das Buch ohne sie noch kürzer ausgefallen und hätte in einer guten Zeitschrift vermutlich einen hervorragenden Essay abgegeben. Daher kann ich für das Thema und seine Ausarbeitung fünf, für den Rest aber nur einen Stern vergeben, in der Summe also 3.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.04.2020
Der Wundertäter
Strittmatter, Erwin

Der Wundertäter


sehr gut

„Der Wundertäter“ von Erwin Strittmatter ist vermutlich eines der umfangreichsten Werke, die ich je gelesen habe – wenn nicht das umfangreichste überhaupt. Mehr als 1500 Seiten lang begleitet man als Leser Stanislaus Büdner durch sein Leben, aufgeschrieben in drei Teilen. Er wird 1909 in eine ärmliche Familie hineingeboren und sein Vater versucht ihn schon als Kind als „Wundertäter“ zu vermarkten. Später beginnt er seine Lehr- und Wanderjahre als Bäckerlehrling, liebt mal die eine, mal die andere, wechselt häufig die Gesellenstellen und nach dem Krieg verdingt er sich an den verschiedensten Orten in den verschiedensten Berufen und endet in der DDR. Immer wieder flammt sein Wunsch auf, Dichter zu werden, bis er zuletzt seine Erinnerungen zu Papier bringt. Trotz seines angefangenen Fernstudiums ist und bleibt Büdner ein schriftstellerischer Autodidakt, ein autobiografisches Element, denn auch Strittmatter hatte eine Bäcker-Lehre abgeschlossen, aber keine Ausbildung genossen, die ihm als Grundlage für seine Autoren-Tätigkeit diente.
Das Buch ist wohl eines der meistdiskutierten Werke der Literaturgeschichte und sowohl im Umfang als auch in der Sprache keine leichte Lektüre. Die Sprache ist die der Zeit, in der das Buch spielt, aus heutiger Sicht also eher altbacken und überholt, gewöhnungsbedürftig, aber durchaus passend. Der Autor schreibt bildgewaltig und jedes einzelne Wort scheint gut überlegt und keines ist zufällig. Selbst die Namen der unwichtigsten Nebencharaktere haben in sich eine Aussage, passend zu Aussehen, Stellung oder Beruf der Person. Auch die Worte, derer sich Strittmatter bedient, sind grandios. Eine Mischung aus wunderbar und sonderbar, aber immer stimmig.
Spannung gibt es in dem Buch kaum, was aber nicht heißt, dass es langweilig ist. Es ist ein Epos, ein Jahrhundertroman. Voller Zeit- und Gesellschaftskritik, dazu hat es Elemente eines Liebes- und eines Schelmenromans. Eine wilde und bunte Mischung aus literarischen Stilen, passend zu der wilden und bunten Mischung der Personen. Protagonist Stanislaus ist ein interessanter Charakter. Irgendwo zwischen naiv und gerissen, einfältigem Tölpel und gut- und leichtgläubigem Trottel. Natürlich altert er im Lauf der Geschichte (man liest nur ab und zu und im Kontext heraus, dass wieder ein Jahr vergangen ist oder zum Beispiel, dass er inzwischen eine Halbglatze hat), aber wirklich schlauer wird er nicht. Seine immer wieder aufflammende Liebe zu Literatur und Dichtkunst ist ebenso wie seine ständige Verliebtheit in irgendwelche Frauen durch alle drei Teile präsent. Auch Büdners Verhältnis zu Frauen hat einen autobiografischen Touch. Das Buch ist Strittmatters dritter Frau Eva gewidmet (dem, der mehr über Erwin und Eva Strittmatter lesen möchte, dem sei „Du bist mein zweites Ich“ ans Herz gelegt). Das Buch hat einige Längen, bedingt durch die größtenteils minutiösen Beschreibungen und manches kann man getrost querlesen, ohne den roten Faden zu verlieren. Aber alles in allem fand ich es für ein Buch dieses Umfangs gut zu lesen und auch mit dem „ostdeutschen Flair“ hatte ich keine Schwierigkeiten. Ob es ein literarisches Meisterwerk ist, vermag ich nicht zu beurteilen, Strittmatter ist nicht meine Zeit und nicht meine literarische Welt. Ich fühlte mich gut unterhalten, zum ausgiebigen Nachdenken angeregt und manchmal musste ich herzhaft lachen – die Wortwahl und –Wortschöpfungen des Autors sind zum Teil lustig aber auch immer hintergründig.
Fast 30 Jahre hat der Autor an dem Werk gearbeitet, vieles davon ist vermutlich autobiografisch, so hat beispielsweise auch Strittmatter Bäcker gelernt und die Zeiten, über die er schreibt auch selbst erlebt. In den Zeilen und dazwischen ist viel Kritik, viel Augenzwinkern und zum Teil aber auch Verbitterung zu lesen.
Obwohl ich mich manchmal durchkämpfen musste, finde ich das Buch im Rückblich lesenswert und sowohl einzig- als auch eigenartig. Von mir vier Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.