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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 16.10.2007
Relic - Museum der Angst / Pendergast Bd.1
Preston, Douglas;Child, Lincoln

Relic - Museum der Angst / Pendergast Bd.1


sehr gut

Schauerromane sind nicht jedermanns Sache. Monster, die als Mutationen, als mythische Gestalten durch tief unter der Erde liegende Gänge spucken, sich auf Grund eines Fluchs dem Töten verschreiben, begegnen uns vor allem im Kino. Als Genre stehen sie in der Hackordnung noch unter dem Kriminalroman, kurz vor den Liebesromanen verstoßener Fürstinnen. Daß Preston/Child es verstehen, den Leser nach furiosem Beginn, behutsam wie bei einem Sog in ihre Geschichte einzuführen, liegt vor allem an der geschickten Ausschmückung ihrer Figuren, deren Schicksal sich bei der Eröffnung der Ausstellung "Aberglaube" im Museum of Natural History in New York in einem Netz aus Todesangst und Verzweiflung verfangen, so daß weniger die Gestalt des Unheimlichen den Leser in den Bann schlägt, als daß man sich vielmehr dafür interessiert, wer von den vielen bösen, wie guten Helden diesen Schrecken überstehen. Mit Relic begründeten Preston/Child eine Reihe von Romanen, in deren Mittelpunkt FBI-Agent Pendergast steht. Ruhige Ausstrahlung, analytischer Blick, eigensinnig, mit seinem Auftreten sogleich zum Serienhelden erkoren. Was in anderen Romanen störend wirkt, fügt sich hier zu einem unterhaltsamen Ganzen zusammen, bei dem es nicht darum geht, einen Täter zu überführen, sondern einzig und allein darum zu überleben. Voller Spannung, wenn auch an einigen Stellen übertrieben auf Effekt abzielend, wird ein Leser in die Welt der genetischen Codes, Ethnologie, Anthropologie, in die Launen der Natur eingeführt, so daß man nur jeden bedauern kann, der in die Kanalisation der Städte steigen muß, um deren Bestand zu wahren. Vorausgesetzt man möchte für ein paar Stunden an dieses Wesen glauben. Und so zieht der Titel der Ausstellung: "Aberglaube" einen doppelten Boden in die Geschichte ein: Sagen wir einfach: wir hören Schritte hinter uns, lassen uns vom abscheulichen Gestank des Monsters einhüllen und schon wollen wir wissen, wie es ausgeht.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.09.2007
Rausch
Griesemer, John

Rausch


ausgezeichnet

Knapp siebenhundert Seiten verlangen vor allem eins, daß man Zeit mit ihnen verbringt. Es gibt den schönen Ausdruck Schmöker, der besagt, daß ein Leser in eine Geschichte eintaucht, ohne Gefahr zu laufen überanstrengt zu werden, die Figuren einem so ans Herz wachsen, daß man unbedingt herausfinden muß, was aus ihnen wird. Griesemer versteht es faszinierend zu beschreiben, mit Spannung umzugehen und ihm gelingt dabei das Kunststück, die Technik in den Mittelpunkt zu rücken. Seine Helden versenken ein Transatlantikkabel im Meer und verwirren sich in den Strängen ihres Privatlebens. Chester Ludlow hat eine Vision und folgt ihr manisch, als ersetze sie ihm das Leben. Unglücklich verheiratet sucht er die Herausforderung eines für damalige Zeiten unglaublichen Unterfangens, ihm steht der Sinn danach, gleich ganze Kontinente miteinander zu verbinden, und er läßt sich auch nicht durch Rückschläge davon abhalten, die jemand anderen zur Aufgabe gezwungen hätten. Der Roman lebt von diesem Abenteuer, er zeigt aber erst seine ganze Stärke in den zahlreichen Nebenfiguren, Geschichten am Rand, die Griesemer geschickt bündelt, als handele es sich dabei um ein weiteres Kabel, das diesmal nur in uns verlegt wird.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2007
Ripley's Game oder Der amerikanische Freund
Highsmith, Patricia

Ripley's Game oder Der amerikanische Freund


ausgezeichnet

Wenn man sich daran erinnert, mit welcher Nachsicht, Zuneigung Patricia Highsmith über ihren Ripley gesprochen hat, sieht, daß sie ihm allein vier Roman gewidmet hat, wird man nicht abstreiten wollen, daß es sich bei ihm um eine zentrale Figur im Werk der Highsmith handelt. Ripleys Game ist dabei der beste von den vier Romanen. In ihm beschreibt die Highsmith, wie er in seine Rolle hineinwächst, wie ihn die Sehnsucht nach einem anderen Leben dazu verführt, sich dieses Leben einzuverleiben. Er wird zu einem Meister der Verstellung, bereit sich selbst zu verleugnen, wird zum Mörder, wie Betrüger und maßt sich alles an, was seiner ehemaligen Existenz zu fehlen scheint. Highsmith Suspense ist viel gerühmt worden. In manchen ihrer Romane schleicht er eher daher. So offen, so rücksichtslos schreibt sie selten. Sie verdankt diesen Stil Ripley, der die Skrupellosigkeit einfordert, ständig auf der Flucht vor der Entdeckung ist. Nur eines bleibt ihm versagt: Die Liebe. Und da steht er nicht allein im großen Kosmos, unter dem Patricia Highsmith die Welt morden läßt.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2007
Gib jedem seinen eigenen Tod
Heinichen, Veit

Gib jedem seinen eigenen Tod


ausgezeichnet

Was Veit Heinichen von Donna Leon unterscheidet? Sicher nicht die Anlage des Plots, der in Kommissar Maigret Art, das Leben eines Polizisten und seiner Familie schildert. Sein Laurenti bietet jedoch ein eigenständigeres Umfeld. Die Themen werden sich auch bei Heinichen wie bei Donna Leon allen Brennpunkten zuwenden. In seinem ersten Roman ist es der Menschenhandel, dessen er sind annimmt. Hintergründe werden beleuchtet, sprachlich überzeugend geschildert und in bester Simenon Manier der natürlichen Kraft des Sinnierens, Kombinierens überlassen. Vor allem gefällt, daß die Geschichte augenzwinkernd Seitenblicke wie auf die Miss-Wahl der Tochter erlaubt, ohne ihren Zug zu verlieren. Sie versinkt nicht in blanker Sozialkritik, die sich der Aufklärung verschreibt. Heinichen beschreibt Entwurzelte, deren Leben auf dem Balkan sie in die Fänge von Schleppern treiben. Frauen werden zur Prostitution gezwungen. Morde und Erpressungen sind der Alltag. Heinichen findet für seinen Helden einen weniger idyllischen Ort als Venedig. Triest, so nahe der Grenze, hat über die Jahrhunderte unterschiedliche Herrscher gekannt, und so stranden auch heute noch in dieser Stadt Flüchtlinge verschiedenster Couleur und treffen auf bürgerliche Beschaulichkeit. Heinichen hat ein Auge und ein Ohr dafür.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2007
Garp und wie er die Welt sah
Irving, John

Garp und wie er die Welt sah


ausgezeichnet

An diesem Roman mißt John Irving sich immer wieder selbst. Ihn zu übertreffen wird ihm kaum gelingen, doch wie jeder Autor besitzt er ein Thema, eine Handvoll Figuren, die es zu variieren gilt, eine Welt, die nur die Kulisse stellt. Wer kennt Garp nicht, wer empfiehlt ihn nicht, wer weiß nicht sofort, zwei, drei Szenen, die er brüllend komisch fand. Irvings Familien leiden trotz ihres Zusammenhalts zumeist unter einem Mangel. Entweder fehlt die Mutter, sind Söhne zu früh verstorben oder suchen einen Ort, an dem sie bleiben können und bedecken ihre Sehnsucht mit Umtriebigkeit, unverwüstlichem Optimismus, Begegnungen, die uns Normalsterblichen versagt bleiben und scheinen irgendwo, irgendwann, ganz kurz, trotz aller Tragik, glücklich zu sein. Garp und wie er die Welt sah beruht in erster Linie darauf, wie sie ihn sieht. Er ist ein sympathischer Abenteurer, schlittert durch seine Zeit, verwandelt sie in eine Groteske, bestärkt uns darin, daß wir alles überleben. Wir wachsen nur mit einer starken Mutter auf ... es muß weitergehen ... wir verlieren die Ehefrau ... es muß weitergehen ... wir werden von übergeschnappten Feministinnen ohne Zunge verfolgt ... es muß weitergehen ... und selbst am Ende geht es weiter ... nur nicht ganz ohne hin. Nie ohne ihn. Tragik, die Mut macht, denn eines sollte jeder ganz schnell lernen, über sich selbst lachen. Es geht viel zu schnell vorbei dieses Leben, also laßt uns alles mitnehmen. Transsexuelle, Bären, Seitensprünge, Karrieren wie Abstürze. Ein Roman, den man wieder in die Hand nimmt, weil man seine Geschichten vermißt.
Polar aus Aachen

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.09.2007
Heldenplatz
Bernhard, Thomas

Heldenplatz


ausgezeichnet

Über die Skandale, die sich um Thomas Bernhards Werk ranken, vergiß man allzu leicht, was für eine wunderbare Sprache, dieser Autor besaß, wie er es verstand, die Abgründe seiner Figuren in ihren Schrullen zu spiegeln. Heldenplatz kommt einem wie ein letztes Aufbegehren vor, in der er seiner Heimat die Stirn bieten wollte. So fragil das Leben Thomas Bernhards auch erscheinen mag, so unnachsichtig sprangen ihm seine Figuren auf der Bühne zur Seite. Die breite Palette von Haß, Gleichgültigkeit und Verblendungen bietet auch dieses Stück. Österreichs Anschluß prägte Bernhards Einstellung zu seinem Land. Die Auswirkungen sah er nie als überwunden an. Das Lachen bleibt einem bei diesem großen Komödianten im Hals stecken. Selbst der Haß zeigt seine lächerlichen Fratzen, wenn er glaubt unter sich zu sein.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2007
Die Bildhauerin, Sonderausgabe
Walters, Minette

Die Bildhauerin, Sonderausgabe


sehr gut

Die Geschichte könnte von Hitchcock sein: Eine Journalistin, will einen Auftrag nicht übernehmen, wird dazu gezwungen und verfällt ihm. Minette Walters schafft es, ihre Olive Martin trotz aller Häßlichkeit, dem Abscheu vor ihrer Tat, ihrer Erscheinung, ihrem Jähzorn, mit der sie einer Welt gegenübertritt, die sie betrogen hat, so menschlich zu beschreiben, daß man Rosalind Leigh als Leser zur Seite steht, wenn sie die Unschuld der Bildhauerin beweisen will. Wäre sie auch in das Netz der Verleumdungen geraten, wenn es sich bei ihr um schillernde Schönheit gehandelt hätte? Die Journalistin kämpft nicht für die gerechte Sache, sie steht einem Menschen bei, den die Presse zu einer Kreatur herabgewürdigt hat. Was erwartet man von einem guten Kriminalroman mehr? Eine der besten Geschichten der Walters. Überzeugend im Spannungsaufbau, schillernd in den unterschiedlichen Psychogrammen. Die Geschichte irritiert, berührt. Hitchcock hätte sie sicher gerne verfilmt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 26.09.2007
Warten auf die Barbaren
Coetzee, Jean M.

Warten auf die Barbaren


ausgezeichnet

Wer sind die Barbaren, wenn nicht wir selber? Eine harte Antwort, die Coetzee da an uns weiterreicht. In seinem ergreifenden Roman Warten auf Barbaren führt uns der Autor zwischen die Mauern einer Gesellschaft, die sich vor dem fürchtet, was da draußen ist. Je unsichtbarer die Gefahr erscheint, desto mythischer sind die Geschichten, die sich um sie ranken, desto ins Unermeßliche wächst die Bedrohung an. Coetzee zeichnet die Wege nach, die eine Gesellschaft in die Totalität ihres Machtanspruchs führt, zeigt auf, wie sie Angst schürt, um sie aufrechtzuerhalten, wie sie Repressalien erläßt, um Andersdenkende mundtot zu machen. Wie würden wir uns verhalten, fragt Coetzee. Jeder wird seine Antwort anders formulieren wollen. Daß wir antworten müssen, nachdem uns diese Geschichte nicht unberührt zurückläßt, ist die große Kunst des Nobelpreisträgers. Politik ist bei ihm immer in der Auswirkung auf die Menschen zu fassen, nie an Visionen festzumachen. Zumeist scheitern sie alle an der eigenen Unzulänglichkeit.
Polar aus Aachen

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2007
Theodor Chindler
Brentano, Bernard von

Theodor Chindler


sehr gut

Brentano zeichnet ein Spiegelbild Deutschlands nach Bismarck, unter einem selbstherrlichen Kaiser dem ersten Weltkrieg entgegen treibend. Was das Land zerreißt, pocht inmitten der Familie Chindler und wird sie am Ende zerstören. Der Patriarch herrscht autoritär, glaubt sich, zu Höherem berufen, die Religion ist staatsmännisch, und es erscheint sogar die Revolution in ihren Reihen. Wie sich die Geschichte seiner Bürger bemannt, Theodor Chindler zu einer Figur des Zeitgeschehens macht, seine Karriere in Zeiten des Umbruchs verfolgt und wie das Verständnis untereinander versiegt, all das führt dazu, daß selbst die Familie Chindler die kleinste Zelle einer staatstragenden Gesellschaft wortlos voreinander steht und sich dem Untergang verschreibt. Ein Sittengemälde. Ein bürgerliches Epos, das den Ereignissen seiner Zeit hilflos ausgesetzt ist, obwohl sie alle glauben, die Zügel fest in der Hand zu halten.
Polar aus Aachen

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.09.2007
Betty
Simenon, Georges

Betty


sehr gut

Ein Lieblingsthema: Frauen, die Männer zerstören. Wem ist schon jemals eine Femmes fatale außerhalb der Literatur oder dem Kino begegnet? Betty soll angeblich amoralisch sein, nur weil ihr alles egal ist. Als Ehefrau eines Mannes, der sie kaum beachtet, dem es egal ist, ob sie sich herumtreibt, solange sie der bürgerlichen Tradition treu bleibt, für den Nachwuchs zu sorgen. Es ist ein Aufbegehren in der Teilnahmslosigkeit. Das Gemüt eher stoisch angesichts der Unausweichlichkeit. Es ist, als treibe sie in einem Fluß und finde keine Anlegestelle, stoße hier mal an, dann da und werde von der unausweichlich Strömung zum Sterben gerissen. Mag sie physisch wie psychisch krank erscheinen, muß sie jedoch erst einmal die Haftung überwinden, die eine Frau in einer konventionellen Ehe einbindet. Georges Simenon beschreibt den faszinierenden Abstieg einer Frau, deren Abwendung Verachtung, Scham und Mitgefühl hervorbringen. Sie scheitert an sich und läßt es zu, indem sie nur scheinbar Rache nimmt.
Polar aus Aachen