Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
melange
Wohnort: 
Bonn
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 866 Bewertungen
Bewertung vom 21.06.2020
City of Girls
Gilbert, Elizabeth

City of Girls


sehr gut

Großes Theater

Zum Inhalt:
Die Mode-Schneiderin Vivian schreibt am Ende ihres Lebens der Tochter ihres engsten Freundes, wie es sich anfühlte, als Teil der New Yorker Boheme jung zu sein. Dabei lässt sie schonungslos kein Vergehen und keinen Kratzer auf der Seele aus, beschreibt jedoch ebenso hingebungsvoll die Freuden dieses ausschweifenden Lebens.

Mein Eindruck:
Gilbert zeichnet sich durch einen bildhaften Stil aus, der absolut gut in ihre Geschichte um das rauschhafte Leben einer sehr genussfreudigen Person (in jeder Beziehung) passt. Leider kommt einem die Ich-Erzählerin nicht besonders nahe, da sie sehr egozentrisch und egoistisch wirkt (auch wenn sie diese Scharte zum Schluss ein bisschen auszuwetzen versucht). Ein Beispiel dafür ist, dass sie ganz großmütig verkündet, nur mit unverheirateten Männern zu schlafen, weil sie deren Ehefrauen nicht verletzen will, sich dabei aber keinen Deut um die Gefühle der möglicherweise verletzten und nur um ihrer Körper willen benutzten Männer kümmert. Rechtfertigung scheint ebenfalls Programm zu sein, wenn Vivian erst im letzten Viertel ihrer Geschichte auf den Punkt – das Verhältnis zu Vivians Vater – kommt, obwohl sie in dem Brief ankündigt, sich genau dazu auszulassen.
Wunderbar jedoch die Schauplätze, die Nebenfiguren. Wie gesagt, beherrscht Gilbert die Beschreibung und die Darstellung des Theaters, der Revuegirls, des Flitters (den sie bei den Hochzeitskleidern recyceln kann), - das ist schön zu lesen, das macht Spaß. Ihre Figuren besitzen (außer der Hauptperson) Tiefe und Charakter, die kleinkarierte Upperclass-Familie Vivians kommt einem ähnlich nahe wie die von der Hand in den Mund lebenden Theaterleute.
So hat der Roman seine größten Momente im Lauten, die weniger Guten im Stillen.

Mein Fazit:
Diese Revue funktioniert am besten in den großen und nicht so sehr in den kleinen Momenten

Bewertung vom 20.06.2020
Das Kind in mir will achtsam morden / Achtsam morden Bd.2
Dusse, Karsten

Das Kind in mir will achtsam morden / Achtsam morden Bd.2


ausgezeichnet

Du bist, was Du warst

Zum Inhalt:
Björn hat das Morden hinter sich gelassen, das Prinzip der Achtsamkeit jedoch weiter verinnerlicht. Aber dann passiert ihm doch wieder ein tödliches Missgeschick und er lässt sich von seinem Psychologen beraten. Dieser macht Björn mit dem Prinzip des inneren Kindes bekannt und lässt ihn eine Aussöhnung mit seinem jüngeren Selbst anstreben, - zum Wohle von Björns Ehe, seinem weiteren Leben und Personen, die seinen Weg kreuzen.

Mein Eindruck:
Zwar ist der Humor Dusses nicht mehr so neu und unbekannt, sein zweites Buch packt aber genauso zu wie „Achtsam morden“ und lässt die Muskulatur des Gegenübers nicht so schnell aus den Fängen, - vorzugsweise die Lachmuskulatur.
Wieder einmal nimmt der Autor spritzig die Betroffenheits- und Empörungskultur aufs Korn und hält der politisch korrekten Gesellschaft einen Spiegel vor, der nicht nur zum Lachen, sondern zum Nachdenken anregt. Denn bei aller absurden Komik findet sich nicht nur ein Quäntchen Wahrheit in den Lebensumständen, denen sich ein Anwalt mit Familie, Kindergarten und zwei Verbrechergruppen am Hals ausgesetzt sieht und die man (bis auf die Gangs) durchaus auf die eigenen Probleme anwenden kann. Genau das ist die Besonderheit, die Dusses Krimis aus dem Allerlei der Humor-Kriminalliteratur heraushebt. Der Versuch, mit einem psychologischen Prinzip Lösungsansätze zu finden, die den ganz normalen Wahnsinn erträglich machen. Das innere Kind ist dafür der Katalysator, der das ganze unterfüttert, - und die Chose brüllend komisch macht.
Leider bleibt dabei der Hintergrund des organisierten Verbrechens ein bisschen auf der Strecke; sollte dieser in einem dritten Buch wiederbelebt werden, würde es bestimmt nicht im Regal der Buchhandlung verstauben.

Mein Fazit:
Auch der zweite Aufguss schmeckt

Bewertung vom 20.06.2020
Mord in Sunset Hall / Miss Sharp ermittelt Bd.1
Swann, Leonie

Mord in Sunset Hall / Miss Sharp ermittelt Bd.1


sehr gut

Morden im Alter

Zum Inhalt:
Eine Leiche im eigenen Schuppen von Sunset Hall, eine Leiche im Herrenhaus nebenan. Beides ältere Frauen, beide mit der gleichen Waffe getötet. Und doch ist etwas anders: Während sich die eigene Tote gut erklären lässt, bleibt die Nachbarin ein Rätsel für die unorthodoxe Hausgemeinschaft: Allesamt Senioren, die im Dienste ihrer Majestät gearbeitet haben - mal mehr, mal weniger geheim – und mit dem Ziel, nicht als Gemüse in einer Senioreneinrichtung zu versauern. Da genau dieses Ziel auf der Kippe steht, als die Polizei und die Tochter der eigenen Toten zu schnüffeln beginnen, besinnen sich die Bewohner Sunset Halls auf ihre alten Fähigkeiten, um den Mord im Nebenhaus aufzuklären.

Mein Eindruck:
Obwohl Leonie Swann ihrem Prinzip eines tierischen (Mit-)Ermittlers – hier die Schildkröte Hettie - treu bleibt, kommt der dadurch früher mitschwingende Humor in diesem Buch erst sehr spät zur Geltung. Das liegt zum einen daran, dass Hettie zwar einige Male die Truppe auf den richtigen Weg bringt; dieses passiert aber nonverbal und unbeabsichtigt. Zudem weist die Autorin gefühlt in jedem zweiten Satz auf die Gebrechlichkeit der Hauptperson Agnes hin (knackende Hüfte, alles übertönender Tinnitus), welches einem Grinsen ebenfalls abträglich ist. Vielleicht wollte sich Swann Sozialkritik im Umgang mit der älteren Generation auf die Fahnen schreiben und die furchtbaren Verhältnisse in Pflegeheimen anprangern, hat damit aber leider die Erwartungshaltung ihrer Leser enttäuscht. Glücklicherweise bekommt die Autorin irgendwann die Kurve, führt einen verfressenen, kleinen Enkelsohn ein und die unterschwellige Komik kommt doch noch zum Tragen. Außerdem verleiht sie ihren Figuren mehr Esprit, die im Dienst erlernten Fähigkeiten treten in den Vorder- und die Zipperlein in den Hintergrund.
Besonders gut ist das Buch an den Stellen, wenn die vermeintlich hilflosen Alten diese Idee in die Hirne ihrer Gegner pflanzen und sie damit übertölpeln.
Am Schreibstil Swanns gibt es nichts zu kritisieren, die mordende Person ist zwar relativ schnell zu identifizieren, der Weg zur Entdeckung aber raffiniert erdacht.
Das Buch nimmt zum Schluss so viel Fahrt auf, dass man sich einen weiteren Band mit der Senioren-Truppe von Sunset Hall wünscht; eine Erkenntnis, die nach 100 Seiten des Buches in weiter Ferne lag.


Mein Fazit:
Nach einer zu ausgedehnten Ruhe am Beginn doch noch spritzig

Bewertung vom 30.05.2020
Die Oxford-Morde
Martínez, Guillermo

Die Oxford-Morde


gut

Distanziert

Zum Inhalt:
Ein Stipendium in Oxford führt den jungen, südamerikanischen Ich-Erzähler nach England in das Haus einer Witwe, die er kurz danach – gemeinsam mit dem Mathematik-Professor Seldom – tot auffindet. Da Seldom angibt, eine mysteriöse Nachricht gefunden zu haben, welche auf eine Mordserie hinweist, und um Beth, die Enkelin der Ermordeten zu entlasten, versuchen sie, der Polizei behilflich zu sein. Und das ist kein dummer Einfall, denn weitere Nachrichten treffen ein, weitere Tode geschehen.

Mein Eindruck:
Es ist kein Wunder, dass dieses Buch verfilmt wurde, denn es verfügt über eine überaus clevere Geschichte, zwei interessante Hauptpersonen unterschiedlichen Alters, eine schöne Umgebung und ein gewisses Niveau. Darüber hinaus lassen sich Anflüge von britischem Humor (obwohl der Autor – wie sein Protagonist – Argentinier ist) finden, subtil und selten, dafür umso feiner. Leider lassen sich ein paar Kritikpunkte nicht verhehlen: Die Frauenfiguren wirken unausgegoren und trotz einiger Todesfälle fehlt es der Erzählung an Spannung und Gefühl. In den Passagen, in denen es um mathematische Probleme, deren Lösung und die Abfolge von Reihen geht, läuft der Autor zur Hochform auf, will er allerdings Liebe oder Verzweiflung darstellen, fehlt ihm das Händchen dafür, - möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass Martinez selber Mathematiker ist und sich gerne in dieser Profession verliert.

Mein Fazit:
Absolut intelligent, sehr klinisch

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.05.2020
Schwestern im Tod / Commandant Martin Servaz Bd.5 (eBook, ePUB)
Minier, Bernard

Schwestern im Tod / Commandant Martin Servaz Bd.5 (eBook, ePUB)


sehr gut

Déjà vu

Zum Inhalt:
Zwei junge Studentinnen wurden ermordet. Schwestern, die Fans des Autors Erik Lang waren und auf eine ähnliche Weise wie Opfer in einem seiner Bücher ihr Ende fanden. Doch bei diesen Toten bleibt es nicht – 25 Jahre später steht Kommissar Martin Servaz wieder vor dem Schriftsteller, denn jetzt ist dessen Frau tot – und wieder ähnelt der Tathergang einem Buch Langs.

Mein Eindruck:
„Schwestern im Tod“ ist der fünfte Band einer Reihe, beschäftigt sich aber auch mit Vorgängen, die sich noch vor dem ersten Buch abspielen. Beeindruckend ist insbesondere der Stil des Autors: Minier beherrscht es wunderbar, seinen Lesern die Gedanken und Gefühle seines Protagonisten nahe zu bringen. Da viele Charaktere verschroben bis psychisch schwer gestört sind, hätten sie wie Karikaturen oder Zerrbilder wirken können; hier zeigt sich die Kunst, diese Figuren trotz allem wahrhaftig wirken zu lassen. Ein besonderes Augenmerk legt Minier dabei auf Interaktionen, - Dialoge wie nonverbale Kommunikation – die absolut bemerkenswert choreographiert sind. Interessante Einfälle und bemerkenswerte Twists in der Handlung sorgen für einen Spannungsbogen, der bis zu einem Ende mit Knall-Effekt erhalten bleibt.

Toller Stil, gute Geschichte, perfekte Spannung. Trotzdem gibt es ein Manko für Neu-Einsteiger in die Reihe: Die große Lücke von 25 Jahren macht es an einigen Stellen schwer, das volle Verständnis aufzubringen, - beispielweise wenn der in der ersten Hälfte verheiratete Martin plötzlich von der Liebe seines Lebens spricht, die einen völlig anderen Namen als die Ehefrau hat. Schlimmer noch, wenn augenscheinlich sehr wichtige Personen aus den Vorgängern nur per Name-Dropping auftauchen und die Leser gänzlich im Unklaren über die Funktion dieser Figuren gelassen werden.

Mein Fazit:
Besser die Bücher in der richtigen Reihenfolge lesen, trotzdem ein guter Stil mit einer fulminanten Auflösung

Bewertung vom 28.05.2020
Hollow Kingdom
Buxton, Kira Jane

Hollow Kingdom


gut

Traurig

Zum Inhalt:
Shit Turd (kurz S.T.) ist eine zahme Krähe in Seattle, die gemeinsam mit ihrem Hausgenossen Dennis, einem Bluthund, vor ihrem Herrchen fliehen muss, als dieses von einem weltumspannenden Virus getroffen wird, welches sämtliche Menschen zu Untoten mutieren lässt. Zuerst hofft S.T. noch, gesunde MoFos (kurz für Motherfucker) zu finden, nach einigen Fehlschlägen startet er eine neue Mission: Die Rettung eingeschlossener Haustiere mit dem Wissen, dass er sich durch sein Zusammenleben mit den Menschen angeeignet hat und mit Hilfe von Dennis, der sich als ein dummes, aber williges Werkzeug zeigt. Auf seiner Reise trifft er auf andere Tiere – einige feindlich, einige freundlich – und auf das, was von den Menschen übrig bleibt.

Mein Eindruck:
Es gibt ein paar witzige Momente in diesem Buch, - ganz klar überwiegt jedoch Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Bei „The Walking Dead“ gibt es wenigstens ein paar Überlebende der Apokalypse, hier mutiert die gesamte Menschheit durch einen Virus – ausgelöst durch unsere Techniksucht - und das ist tatsächlich gerade in der heutigen Zeit schwer verdaulich. So fällt dann auch die Rezension schwer. Die Autorin hat viele gut geschriebene Momente in ihrem Buch, insbesondere die Protagonistin ist ihr äußerst liebenswert und sehr „menschlich“ gelungen. Wenn sie ihr früheres Leben beschreibt und wie sie die Macken der MoFos auf sich selbst übertragen hat (übrigens etwas, was vielen Haustieren gemein ist), kommt man gar nicht umhin, sich darüber zu amüsieren. Doch das sind nur kurze Blitzer, in der Hauptsache wird gekämpft: Gegen die Umstände, mutierte MoFos, andere Tiere – bis aufs Blut und zum Teil bis zum Tod. Dagegen helfen auch nicht die Größe der Gemeinschaft vieler Tiere, die sich zum Schluss zusammenfinden und gemeinsam trauern, kämpfen, arbeiten und der kleine Silberstreif am Ende, - in der Hauptsache ist es traurig. Sehr traurig.

Mein Fazit:
Ein gutes Buch, eine gute Geschichte, kein Mutmacher

Bewertung vom 22.05.2020
Leichen, die auf Kühe starren
Kruse, Tatjana

Leichen, die auf Kühe starren


sehr gut

Ein Knaller

Zum Inhalt:
Luisa, genannt Leo, bekommt ein Angebot, dass sie nicht ablehnen kann (und möchte): Putzkraft bei Irina, einer Dame, deren Ex –Freund ein Gangsterboss war, welcher bei einem Auto-Unfall sein Leben ließ. Für ein horrendes Geld. Das lässt Grizelda, eine Agentin, aufhorchen. Sie denkt, dass Irinas Freund noch lebt und nutzt die Gelegenheit, Luisa einzuschleusen. Währenddessen tauchen Leichenteile auf und der geheime Hansi-Hinterseer-Fanclub möchte eine Trophäe ergattern.

Mein Eindruck:
Was für ein grandioser Blödsinn, den sich die Autorin für ihre Geschichte in den Kitzbühler Alpen ersonnen hat. Alleine die Tier-Akteure (Schnappschildkröte, Dobermann und Kuh), brav mit Namen ausgestattet, sind schon ein Lesen des Krimis wert. Dabei enthält er sogar ein bisschen Gesellschaftskritik: Kitzbühel ist so teuer (ähnlich wie in Deutschland Sylt), dass Einheimische keine Möglichkeit mehr finden, bezahlbaren Wohnraum zu finden, da vieles als Zweitwohnsitz nur zum Teil genutzt wird und über das Jahr leer steht. In der Hauptsache bietet das Buch jedoch skurriles Menschen-Material: Eine alte Agentin, die immer noch über psychische und physische Kraft verfügt, ein Fanclub, der nur aus Männern besteht, die nicht dabei ertappt werden wollen, dass sie ihrem Star huldigen und Hotelmitarbeiter und –gäste, die jenseits aller Konventionen agieren und Einblicke in ihre Seelenwelt bieten.
Der Schreibstil Kruses ist absolut amüsant und verhilft – abseits von einer abstrusen Krimihandlung – zu vielen Schmunzel-Einheiten. Glücklicherweise lässt sie den Dialekt beiseite und so ist eine gute Lesbarkeit garantiert. Den Hass auf die Wiener, der bei ihrer Polizeifigur Köttel deutlich wird, ist in Österreich durchaus vorhanden und sorgt für ein bisschen Glaubwürdigkeit in einer durchgeknallten Geschichte.
Zum Schluss ist alles aufgeklärt (sehr schön bei einem Kriminalroman), trotzdem ist eine Fortsetzung mit den gleichen Hauptcharakteren bei einer anderen Geschichte möglich. Perfekt!

Mein Fazit:
In der Überzeichnung liegt die Kraft!

Bewertung vom 22.05.2020
Achtzehn
Berg, Anton

Achtzehn


ausgezeichnet

Das schwedische Trauma

Zum Inhalt:
Axel Sköld arbeitet als freier Mitarbeiter beim schwedischen Radio und erstellt Podcasts. Momentan wähnt er sich auf einer spannenden Fährte, welche die Entdeckung der Panama Papers in den schwedischen Schatten stellen könnte: Die Aufklärung von drei verdächtigen Todesfällen, die das Land erschütterten, - unter ihnen der Mord an Olof Palme. Dass er mit seinen Vermutungen in ein Wespennest stößt, welches ihn nicht nur den Job kostet, sondern ihn und sein Umfeld in höchste Gefahr bringt, wird Axel erst richtig bewusst, als er eine Waffe auf sich gerichtet sieht. Denn er legt sich nicht mit irgendwem an, - sein Gegner ist eine ganze Gruppe, die seit 200 Jahren die Geschicke Schwedens abseits der Regierungen lenkt. Und diese mächtigen Männer denken nicht daran, sich in die Suppe spucken zu lassen.

Mein Eindruck:
Vor allen Dingen der Mord an Olof Palme – bis heute nicht aufgeklärt – ist ein Trauma in der jüngeren, schwedischen Geschichte. Die Möglichkeit, dass ein Geheimbund seine Finger im Spiel dabei hatte, ist eine von vielen Überlegungen. Anton Berg nutzt seine Kenntnisse der schwedischen Medienlandschaft (er arbeitet wie sein Protagonist als Podcast-Produzent für das staatliche Radio), diese Verschwörungstheorie glaubhaft an die Leserschaft zu bringen. Amüsant dabei ist eine gewisse Medienschelte, die ihn möglicherweise als Nestbeschmutzer auf die Füße fallen könnte.
Besonders gut gefallen in diesem Roman Bergs lebensechte Figuren, wobei er gendertechnisch sehr ausgefallen agiert: Die Frauen sind eher hart und kompromisslos, die Männer zeigen Gefühle und Idealismus bis zur Selbstaufgabe (wenn man einmal von den Strippenziehern absieht). Außerdem ist es überaus erfreulich, dass es zwar Morde und sehr gefährliche Szenen gibt, sie aber nicht in Blutdurst und Gemetzel als Selbstzweck verfallen. Der Stil Bergs ist genial: Die Bröckchen, die er Axel und damit den Lesern in Zeitlupe hinwirft, halten den Spannungsbogen gespannt und führt zu einem Suchtverhalten, welches das Umblättern der Seiten in schneller Folge bewirkt. Zumeist ist Axel die Person, an die sich die Lesersicht ankert, - es gibt jedoch auch Episoden, die sich mit anderen Charakteren befassen und Einblicke in die Gedankengänge von Tätern und Opfern bieten.
Das Ende schreit nach einer Fortsetzung, ob es diese geben wird und kann, steht jedoch am skandinavischen Firmament. Zu viele „echte“ Vorgänge werden angesprochen, die nun einmal entweder nicht erklärbar sind oder Zivilklagen nach sich ziehen könnten. Und so wird wahrscheinlich das Leserherz bluten müssen.

Mein Fazit:
Bei aller Qual zum Schluss ein perfekter Krimi

Bewertung vom 21.05.2020
SoKo Heidefieber
Henschel, Gerhard

SoKo Heidefieber


sehr gut

Tod dem Heimatkrimi

Zum Inhalt:
Ein Heimatkrimi-Verfasser wird ermordet, - und bei einer Leiche bleibt es nicht. Der Täter orientiert sich bei seinen Morden an den absurden Tötungsszenarien, welche die Schriftsteller für ihre literarischen Opfer ersonnen haben. Eine Sonderkommission mit Namen Heidefieber wird eingerichtet und insbesondere Gerold Gerold und Ute Fischer mühen sich redlich, bevor noch mehr Morde passieren. Dabei kämpfen sie nicht nur gegen den Täter: Innerhalb der Polizei ergeben sich Privatscharmützel und der sehr von sich eingenommene Autor König macht ihnen zusätzlich das Leben schwer. Währenddessen kämpft der Verfasser Frank Schulz nach einem von König initiierten Shitstorm und durch den Einfluss eines korrupten Griechen um sein Leben.

Mein Eindruck:
Eine Groteske, die an den sehr schrägen und sehr blutigen Humor eines Quentin Tarantino erinnert – in deutschen Landen und brutaler als Fitzek und Carter zusammen. Und man fragt sich unwillkürlich, ob die echten Verfasser von Heimatkrimis dieses Buch mit Humor nehmen oder Gerhard Henschel einem Schicksal wie Frank Schulz überantworten möchten, welcher mit diversen Schwerst-Verbrechern, bösartigen Tieren und anderen Naturgewalten um seinen Leben kämpfen muss. Denn alleine wie er – in Zitaten – die schlechte Schreibe seiner imaginären Kollegen aufs Korn nimmt, ist ein ums andere Mal einen lauten Lacher wert. Dazu rüstet er sie mit vielen unsympathischen Charakterzügen aus, die in ihrer (hoffentlich!!) Überzeichnung sehr humorvoll wirken. Die vielen Abenteuer, die Frank Schulz allein gegen alle erlebt, wären sogar ein Extra-Buch wert gewesen, lockern hier die Atmosphäre mit ihrem galligen Humor zusätzlich auf. Leider gibt es jedoch zwei große Kritikpunkte: Die zum größten Teil nicht übersetzten Teile in lautsprechendem Dialekt sind oft schwer zu lesen, die Nicht-Erklärung des Umstands, dass der Täter keinerlei Spuren hinterlässt (nur Plastiktüten um die Füße sind bestimmt nicht genug) und die Opfer immer noch reichlich dämlich in seine Fallen tappen, obwohl schon Alarmstufe rot herrscht, schmälern das Vergnügen.

Mein Fazit:
Für eine größtenteils herrlich verrückte Geschichte vier von fünf Heidschnucken.

Bewertung vom 17.05.2020
Der brasilianische Mörder (eBook, ePUB)
Gomes, Chris

Der brasilianische Mörder (eBook, ePUB)


gut

Mit kleinen Anlaufschwierigkeiten

Zum Inhalt:
Barbara hat eine Kunstfigur auf Youtube erschaffen: Den brasilianischen Mörder. Sein Gesicht ist das des Stotterers Carlos, der die schwarzhumorige Witzfigur rein äußerlich perfekt verkörpert. Für das geplante Buch sucht Barbara Sponsoren und da sie die nicht in Rio de Janeiro findet, lässt sie sich auf eine Einladung nach Österreich ein, wo Carlos und sie auf fünf skurrile Typen treffen – die Mitglieder eines Möchtegern-Mörderclubs. Entsetzt fliegen sie zurück, doch auch zu Hause meint es das Schicksal nicht besser: Mehrere junge Frauen wurden nach dem Vorbild des brasilianischen Mörders getötet, - und Carlos hat Gedächtnislücken….

Mein Eindruck:
Nach einem furiosen Start stottert der Motor der Geschichte, - möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass Chris Gomes eine ganze Menge Charaktere einführt, um zuerst ihre Geschichte und dann das Kommissariat zu unterfüttern. So bleibt für die einzelnen Figuren nicht viel Platz und es wird tatsächlich unmöglich, eine Hauptperson zu identifizieren. Allzu gleichberechtigt agieren Carlos und Barbara bzw. das Polizeiteam (in dem sich auch keiner wirklich in den Vordergrund spielt) nebeneinander. Bei den Äußerlichkeiten gibt sich Gomes zwar bei Carlos, Barbara und den Österreichern Mühe, doch ausgerechnet das angestrebte Dauerteam der Polizei bleibt praktisch gesichtslos. Insbesondere Mac, der Praktikant, der von der Autorin die meisten Seiten für tiefsinnige Gedanken und Aktion zugebilligt bekommt, ist nur als Schemen im Kopfkino vorhanden.
Der Schreibstil ist anfangs sehr einfach und wiederholt sich oft in Satzbau und Wortwahl. Das bessert sich jedoch im Verlauf der Story, - fast, als hätte sich Gomes eingrooven müssen.
Gut gefallen die Ortsbeschreibungen in Brasilien und Österreich und einige Nebencharaktere wie Carlos’ Nachbarin.

Mein Fazit:
Luft nach oben, aber Übung macht den Meister