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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 501 Bewertungen
Bewertung vom 23.04.2020
Vom gleichen Blut / Nik Pohl Bd.2
Hartung, Alexander

Vom gleichen Blut / Nik Pohl Bd.2


gut

Greta, die 14-jährige Tochter des Bauunternehmers Clemens Grohnert wird entführt, der Chauffeur, der sie zum Ballett-Unterricht fahren sollte, wird erschossen. Rache am Bauunternehmer wegen eines Bauskandals? Ein terroristischer Akt? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter?
So weit, so spannend. Findet auch der eigenwillige Ermittler Nik Pohl, selbst ehemaliger Kriminalbeamter und jetzt Privatdetektiv, und nimmt sich des Falls an. Spannend bleibt das Buch auch bis zum Schluss. Einige Verdächtige, weitere Opfer, viele Spuren (einige davon in die Irre) – alles Zutaten für einen gelungenen und lesenswerten Krimi. Und das ist das Buch alles in allem auch. Flüssig geschrieben, einfache Sprache, simple Sätze. Dadurch, dass das Ermittler-Trio nur aus Männern besteht, bleiben auch flapsig-chauvinistische Sprüche nicht aus. Dennoch fand ich die Geschichte an sich betrachtet spannend und packend, für mich die perfekte Lektüre für zwischendurch.
Dem kritischeren Leser bietet das Buch allerdings einen sehr großen Kritikpunkt. Die Protagonisten sind einfach zu genial und ihre Ausstattung eher unrealistisch. Das Informanten-Netzwerk, das Nik noch aus seiner Zeit bei der Kripo hat, ist riesig und er findet immer jemanden, der ihm einen Tipp geben kann. Außerdem haben alle immer in kürzester Zeit alles Notwendige zur Hand (inklusive Waffen und größerer Summen Geld für das „Schmieren“ von Informanten) – da gingen mit dem Autor ein bisschen die Pferde durch und die Geschichte verlässt den Boden des Realistischen.
Konzeptionell ist das Buch ein solider und handwerklich guter Krimi. Allerdings wird der fesselnde Auftakt (eine Schwangere wird im Krankenhaus verfolgt und nach der Entbindung verschwindet sie, um sich und ihr Baby zu retten) erst so spät im Buch aufgelöst, dass vermutlich die meisten Leser ihn bis dahin vergessen haben. Dadurch verkommt der Prolog zu dem, was er wohl sein soll: ein Teaser, was bei mir ja auch funktioniert hat. Der Schluss konnte mich dann allerdings kaum begeistern.
Die Charaktere selbst fand ich eher seltsam oder aus psychologischer Sicht interessant als sympathisch. Über Nik und seine Vergangenheit erfährt man einiges, über Hacker Jon und Pathologe Balthasar so gut wie gar nichts. Keine Ahnung, ob im Vorgängerband „Auf zerbrochenem Glas“ mehr über sie steht, das Buch kenne ich nicht. Aber sonst ist „Vom selben Blut“ auch ohne Vorkenntnisse hervorragend zu lesen. Jeder Charakter hat seine Eigenheiten, Niks unkonventionelle Art fand ich erfrischend, und die drei ergänzen sich sehr gut. Und im Trio sind sie auf jeden Fall schlauer als die Polizei (erlaubt).
Die Geschichte ist flott geschrieben, stellenweise sehr spannend und packend, stellenweise plätschert sie ein bisschen dahin. Als Lektüre für nebenher empfehlenswert, wenn man keine allzu großen Ansprüche an eine realistisch mögliche Handlung hat. 3 Sterne.

Bewertung vom 23.04.2020
Zauberhaft mit Drachenkraft / Nelly und Klex Bd.1
Schütze, Andrea

Zauberhaft mit Drachenkraft / Nelly und Klex Bd.1


ausgezeichnet

Nela Herbst ist ein ganz normales Mädchen. Fast. Sie hat zwei Väter, eine kleine Schwester und einen Hund namens Klex. Aber sie hat noch eine zweite Seite. Als Nelly November ist sie ein Drachenkind und hat Superkräfte, die sie zum Schutz von Schwächeren einsetzt.

„Nelly und Klex“ von Andrea Schütze ist ein sehr schönes Kinderbuch zum Vor- und Selberlesen. Es ist nicht nur sehr niedlich und anschaulich geschrieben, es bietet auch kindgerecht aufbereitete Themen wie Mut, Freundschaft und Toleranz, aber auch Angst, Regenbogenfamilien und Rassismus und nicht zuletzt Träume, imaginäre Freunde und Phantasiewelten. Die Autorin schreibt sehr einfach und lesenswert, mir war es zum Teil zu platt, aber ich bin der Zielgruppe auch entwachsen. Für Kinder zwischen 8 und 10 ist es eine unbedingte Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 22.04.2020
Der Schmetterling / Kommissar Johan Rokka Bd.1
Ullberg Westin, Gabriella

Der Schmetterling / Kommissar Johan Rokka Bd.1


ausgezeichnet

Ich gestehe, ich habe die Serie von Gabriella Ullberg Westin in falscher Reihenfolge gelesen, da ich mit „Der Läufer“ angefangen habe. „Der Schmetterling“ ist allerdings der erste Band der Serie um Ermittler Johan Rokka. In diesem Band kommt Rokka aus Stockholm zurück in seine alte Heimat Hudiksvall in der Schwedischen Provinz und er trifft nicht nur auf seinen alten Freundes- und Bekanntenkreis, sondern muss sich auch seiner eigenen Vergangenheit stellen.
Sein erster Fall am neuen Einsatzort ist der Mord an Henna Pedersen, der Ehefrau des berühmten Fußballspielers Måns Sandin. Sie wurde an Heilig Abend vor den Augen ihrer beiden Kinder von einem als Weihnachtmann verkleideten Täter getötet. Verdächtig ist in erster Linie ihr Mann, der kein richtiges Alibi hat.
Nach einem sehr guten und spannenden Anfang lässt die Geschichte leider merklich nach. Da ich ein weiteres Buch der Autorin kenne weiß ich, dass sie das eigentlich besser kann. Vielleicht übte sie mit dem Buch noch ein bisschen. Auf jeden Fall kommt die Handlung nicht wirklich in Fahrt, viel Ermittlung, viele Nebenhandlungen und sehr viel Leerlauf bestimmen in der Hauptsache das Geschehen. Handwerklich ist das Buch „korrekt“, die Kapitel sind gut gegliedert und die meisten enden mit einem Cliffhanger, da kann ich nichts kritisieren. Allerdings sind die Charaktere allesamt eher farblos und ohne charakteristische Eigenschaften beschrieben und ich kann kaum Sympathiepunkte vergeben.
Sprachlich ist das Buch wenn man keine Probleme mit schwedischen Namen hat einfach, die Wortwahl ist schlicht, ebenso der Satzbau. Es ist flüssig zu lesen aber alles in allem eher unspannend. Vor allem der Mittelteil ist langatmig und bringt sehr wenig Substanz für die Geschichte. Neben der Haupt-Handlung gibt es noch einen zweiten Handlungsstrang, der ein Tagebuch des Opfers umfasst, was kursiv vom Rest des Buchs abgehoben ist. Die Themen, die die Autorin anschneidet, sind aktuell und schwierig: Missbrauch, Affären, schwierige Beziehungen und Mord, um nur einige zu nennen. Der Schluss kam für mich zwar überraschend, ist aber stimmig.
Da ich weiß, dass die Autorin es besser kann, sehe ich das Buch als eine Etüde, ein Übungsstück mit verschenktem Potenzial an und vergebe für das solide Handwerk 3 Punkte.

Bewertung vom 22.04.2020
Heimgesucht
Edwards, Mark

Heimgesucht


ausgezeichnet

Alle 35 Jahre holt sich die „Rote Witwe“ in einem kleinen walisischen Dorf ein Kind. Zuletzt wohl am Neujahrstag vor zwei Jahren die kleine Lily. In der Annahme, sie sei in den Fluss gefallen, springt ihr Vater hinterher und ertrinkt. Seine Leiche wird geborgen. Von Lily fehlt bis heute jede Spur. Die verwitwete Mutter Julia verwandelt ihr Haus in ein „Schriftsteller-Refugium“, vermietet an Autoren, die einen ruhigen und inspirierenden Platz zum Arbeiten suchen.
Und ausgerechnet Lucas Radcliffe mietet sich dort ein um seine Schreibblockade zu überwinden. Er stammt aus diesem Ort, viele der Einheimischen erinnern sich noch an seine Eltern. Und er verdient sein Geld mit dem Schreiben von Horror-Romanen, sein Bestseller handelt ausgerechnet von verschwundenen Kindern, deren Seelen von einem Monster gefressen werden. Und dann beginnt es zu spuken und der Leser gerät in einen wilden Strudel aus Aberglaube, Mystik, Esoterik und Gewalt aus dem zumindest ich mich erst befreien konnte, als ich das Buch fertiggelesen hatte. Die Spannung, die sich langsam aber konstant von der ersten Seite an aufgebaut hat, steigerte sich zum Schluss hin für mich ins fast Unerträgliche.
Nach „Glücklich sind die Toten“ ist „Heimgesucht“ mein zweites Buch von Mark Edwards und im Vergleich war es das wesentlich bessere Buch. Die Spannung hatte mich von Anfang an gepackt, die düstere, mystische und bedrückende Atmosphäre zieht sich durch die komplette Geschichte und ließ mich immer wieder schaudern, der überraschende Schluss war eine Erleichterung und Erlösung. So angenehm und fast familiär die Stimmung im „Refugium“ auf den ersten Blick auch scheint, fast jeder der dort wohnenden Schriftsteller hat seine eigenen Probleme, hauptsächlich Schaffens- und Ehekrisen. Lucas selbst trauert noch um seine Lebensgefährtin, Max hat Streit mit seiner Frau und so wirklich sympathisch ist mir im Verlauf der Geschichte keiner geworden, auch die eher undurchschaubare Vermieterin Julia nicht.
Sprachlich war das Buch gut zu lesen, der Autor verwendet einfache Wörter in einfachen Sätzen. Was allerdings ein Aga-Herd ist, wusste ich erst, nachdem ich es nachgelesen habe und das Wort „Mäusefalle“ gibt es nicht, es heißt Mausefalle. Und auch ist die Spontanheilung von Lucas gegen Ende (die Art seiner erlittenen Verletzungen erlaubt seine weiteren Handlungen eigentlich nicht) ist eher unrealistisch und da vermisse ich die medizinisch-anatomisch gründliche Recherche. Neben dem Haupt-Handlungsstrang erfährt der Leser noch einiges aus der Sicht von Lily, was auch durch die kursive Schrift vom Rest des Textes abgehoben ist. Die Hauptpersonen sind gut und klar beschrieben, die Nebenakteure bleiben eher blass und zweidimensional. Und leider fehlt für mich auch ein bisschen die Beschreibung der Landschaft, außer der direkten Umgebung des Refugiums und dem Wald wird nichts wirklich deutlich beschrieben, schade bei dem Charme, den die Landschaft von Wales hat.
Aber alles in allem und ungeachtet der (wenigen) Kritikpunkte fand ich das Buch enorm spannend und gruselig. Kein wirklicher Thriller und kein Horror-Grusel-Roman, aber eine gekonnte Mischung aus beidem mit riesigem Gänsehaut-Potenzial. Von mir eine absolute Lese-Empfehlung für alle, die Mystik, Grusel, kauzige Einheimische mit düsteren Geheimnissen und ein bisschen Psychologie im Hintergrund mögen. 5 Sterne

Bewertung vom 22.04.2020
Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?
Neumann, Claudia

Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?


gut

Claudia Neumanns Buch „Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten“ ist in mehrerlei Hinsicht kein einfaches Buch. Es ist eine Mischung aus Autobiografie und Sachbuch, beschreibt den beruflichen Werdegang der Sportreporterin, also vor allem ihr Wachsen und Werden in einem bis vor einiger Zeit überwiegend von Männern dominierten Beruf und ihre Probleme damit. Die meisten Leser erinnern sich an die Hass-Kommentare, denen sich die Autorin ausgesetzt sah, vermutlich hat der eine oder andere das Buch nur deshalb gelesen, weil er sich ein bisschen Hintergrund-Information dazu erhoffte. Auf den eigentlichen Inhalt möchte ich daher gar nicht eingehen, der ist wohl hinlänglich bekannt.
Erschreckend, aber nicht überraschend ist, dass in so vielen Bereichen immer noch ein antiquiertes Welt- und Frauenbild herrscht. Die Kommentare, denen sich Claudia Neumann ausgesetzt sieht (Hasskommentare verfolgen sie wohl seit der EM 2016 ständig), sind weit abseits von sachlicher Richtigkeit, sondern ausschließlich geprägt von Chauvinismus und Macho-Denken. Fehler, die in ihrer Berichterstattung vorkommen (wie bei jedem anderen Menschen in jedem Beruf auch), wiegen bei ihr viel schwerer als bei den Kollegen.
Und so ist ihr Buch sowohl eine Autobiografie als auch eine Aufforderung an alle (jungen) Leserinnen, für ihre Träume einzustehen und dafür zu kämpfen. Aber auch ein Hinweis an alle Leser, umzudenken, sich auf eine sachliche Ebene zu begeben und das anzuerkennen, was Fakt ist: Frauen gehören beileibe nicht nur an den Herd. Allerdings: das Thema „Herd“ greift die Autorin am Schluss noch einmal auf. Sie kocht nämlich tatsächlich gern, Kollegen kommen zu diesem Thema auch zu Wort und selbst ihr Lieblingsrezept darf nicht fehlen.
Stilistisch ist das Buch das Werk einer gelernten Journalistin, knapp und sachlich. Es ist in Über- und Unterkapitel gegliedert, wobei die Überkapitel mit 1:0, 2:0 und so weiter durchnummeriert sind. Abseits ihrer eigenen Geschichte und Erfahrungen mit Hasskommentaren vor allem in den sozialen Medien beleuchtet sie die Erfahrungen anderer mit Drohungen und zum Teil übelsten Beleidigungen. So nennt sie beispielsweise Renate Künast, Marcel Reif oder Dunya Hayali und deren teilweise auch seltsamen Erfahrungen vor Gericht. Und auch die Tatsache, dass es im Leben von (mehr oder weniger) Prominenten Sonnen-, aber auch Schattenseiten gibt, lässt sie nicht aus. Boris Becker und Jan Ullrich sind da zwei der Beispiele. Und sie listet auch eine Reihe Frauen auf, die ihren Platz in der Fußballwelt gefunden haben und behaupten, wie Birgit Prinz und Bibiana Steinhaus.
Aber alles in allem ist es zwar ein wichtiges und richtiges Buch, aber kein gutes. Es ist sprachlich zum Teil holprig und manche Exkurse der Autorin, so interessant und lehrreich sie sein mögen, gehören einfach nicht zum Thema („Die Live-Übertragung – ein kleiner Exkurs“). Da wäre mehr drin gewesen. Allerdings wäre das Buch ohne sie noch kürzer ausgefallen und hätte in einer guten Zeitschrift vermutlich einen hervorragenden Essay abgegeben. Daher kann ich für das Thema und seine Ausarbeitung fünf, für den Rest aber nur einen Stern vergeben, in der Summe also 3.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.04.2020
Der Wundertäter
Strittmatter, Erwin

Der Wundertäter


sehr gut

„Der Wundertäter“ von Erwin Strittmatter ist vermutlich eines der umfangreichsten Werke, die ich je gelesen habe – wenn nicht das umfangreichste überhaupt. Mehr als 1500 Seiten lang begleitet man als Leser Stanislaus Büdner durch sein Leben, aufgeschrieben in drei Teilen. Er wird 1909 in eine ärmliche Familie hineingeboren und sein Vater versucht ihn schon als Kind als „Wundertäter“ zu vermarkten. Später beginnt er seine Lehr- und Wanderjahre als Bäckerlehrling, liebt mal die eine, mal die andere, wechselt häufig die Gesellenstellen und nach dem Krieg verdingt er sich an den verschiedensten Orten in den verschiedensten Berufen und endet in der DDR. Immer wieder flammt sein Wunsch auf, Dichter zu werden, bis er zuletzt seine Erinnerungen zu Papier bringt. Trotz seines angefangenen Fernstudiums ist und bleibt Büdner ein schriftstellerischer Autodidakt, ein autobiografisches Element, denn auch Strittmatter hatte eine Bäcker-Lehre abgeschlossen, aber keine Ausbildung genossen, die ihm als Grundlage für seine Autoren-Tätigkeit diente.
Das Buch ist wohl eines der meistdiskutierten Werke der Literaturgeschichte und sowohl im Umfang als auch in der Sprache keine leichte Lektüre. Die Sprache ist die der Zeit, in der das Buch spielt, aus heutiger Sicht also eher altbacken und überholt, gewöhnungsbedürftig, aber durchaus passend. Der Autor schreibt bildgewaltig und jedes einzelne Wort scheint gut überlegt und keines ist zufällig. Selbst die Namen der unwichtigsten Nebencharaktere haben in sich eine Aussage, passend zu Aussehen, Stellung oder Beruf der Person. Auch die Worte, derer sich Strittmatter bedient, sind grandios. Eine Mischung aus wunderbar und sonderbar, aber immer stimmig.
Spannung gibt es in dem Buch kaum, was aber nicht heißt, dass es langweilig ist. Es ist ein Epos, ein Jahrhundertroman. Voller Zeit- und Gesellschaftskritik, dazu hat es Elemente eines Liebes- und eines Schelmenromans. Eine wilde und bunte Mischung aus literarischen Stilen, passend zu der wilden und bunten Mischung der Personen. Protagonist Stanislaus ist ein interessanter Charakter. Irgendwo zwischen naiv und gerissen, einfältigem Tölpel und gut- und leichtgläubigem Trottel. Natürlich altert er im Lauf der Geschichte (man liest nur ab und zu und im Kontext heraus, dass wieder ein Jahr vergangen ist oder zum Beispiel, dass er inzwischen eine Halbglatze hat), aber wirklich schlauer wird er nicht. Seine immer wieder aufflammende Liebe zu Literatur und Dichtkunst ist ebenso wie seine ständige Verliebtheit in irgendwelche Frauen durch alle drei Teile präsent. Auch Büdners Verhältnis zu Frauen hat einen autobiografischen Touch. Das Buch ist Strittmatters dritter Frau Eva gewidmet (dem, der mehr über Erwin und Eva Strittmatter lesen möchte, dem sei „Du bist mein zweites Ich“ ans Herz gelegt). Das Buch hat einige Längen, bedingt durch die größtenteils minutiösen Beschreibungen und manches kann man getrost querlesen, ohne den roten Faden zu verlieren. Aber alles in allem fand ich es für ein Buch dieses Umfangs gut zu lesen und auch mit dem „ostdeutschen Flair“ hatte ich keine Schwierigkeiten. Ob es ein literarisches Meisterwerk ist, vermag ich nicht zu beurteilen, Strittmatter ist nicht meine Zeit und nicht meine literarische Welt. Ich fühlte mich gut unterhalten, zum ausgiebigen Nachdenken angeregt und manchmal musste ich herzhaft lachen – die Wortwahl und –Wortschöpfungen des Autors sind zum Teil lustig aber auch immer hintergründig.
Fast 30 Jahre hat der Autor an dem Werk gearbeitet, vieles davon ist vermutlich autobiografisch, so hat beispielsweise auch Strittmatter Bäcker gelernt und die Zeiten, über die er schreibt auch selbst erlebt. In den Zeilen und dazwischen ist viel Kritik, viel Augenzwinkern und zum Teil aber auch Verbitterung zu lesen.
Obwohl ich mich manchmal durchkämpfen musste, finde ich das Buch im Rückblich lesenswert und sowohl einzig- als auch eigenartig. Von mir vier Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2020
Das neue Lernen
Beck, Henning

Das neue Lernen


ausgezeichnet

„Viele Wege führen ins Hirn“ – dieser Satz beinhaltet für mich eine der wichtigsten Aussagen in Henning Becks „Das neue Lernen“. Ebenso wie „Alles Wissen fängt damit an, dass man denkt.“ Und die verschiedenen Wege ins Hirn zeigt der Autor in seinem Buch auf. Verständlich geschrieben und anhand von anschaulichen Beispielen erklärt Beck, wie unterschiedlich Lernen und Verstehen funktionieren und dass selbst in der heutigen Zeit beides bei weitem nicht obsolet ist, denn „wer nichts weiß, muss alles googeln“. Er beschreibt, was im Hirn beim Lernen passiert, welche verschiedenen Methoden des Lernens es gibt und wie sie funktionieren, vor allem aber, dass nicht jede Methode für jeden gleich gut geeignet ist.
Er handelt bei seinen Erläuterungen sowohl pädagogische als auch neurowissenschaftliche Aspekte ab und erklärt alles lebensnah und in leicht verständlicher Sprache. Das Buch ist kein Fachbuch und kein unterhaltendes Werk, es ist eine gelungene Mischung aus beidem. Es unterhält mit viel Fachwissen und ist nie langweilig und ich konnte bei vielen Aspekten einfach nur nicken und an meine eigene Schulzeit (damals noch ohne Internet und nur mit einem 12bändigen Brockhaus ausgestattet) zurückdenken.
Das Buch ist keine Anleitung zum Lernen aber ein hervorragender Überblick über verschiedene Methoden des Wissens-Erwerbs. Denn, obwohl jedes Lebewesen in der Lage ist zu lernen, sind nur Menschen in der Lage, zu verstehen und analytisch zu denken. Im Laufe seines Lebens hat vermutlich jeder Mensch die eine oder andere (oder eine Kombination aus mehreren) Lernmethode verwendet – nach Lektüre des Buchs wissen sie auch, wie sie heißen und dass keine davon falsch war. Beim Lernen gibt es kein „eines passt jedem“, jeder muss seinen individuellen Weg finden.
In diesem Zusammenhang geht der Autor auch mit der aktuellen Bildungspolitik und der heute praktizierten Vermittlung von Wissen ins Gericht, da sieht er großen Verbesserungsbedarf, denn essenziell ist nicht die Menge an Informationen (also die Menge an Wissen), die man gespeichert hat, sondern die Fähigkeit, damit umzugehen, sie richtig und folgerichtig abrufen zu können. Denn sonst landet man schnell bei Dingen wie „Bulimie-Lernen“, bei dem so viel wie möglich so schnell wie möglich auswendig gelernt, in der Prüfung abgerufen und dann genauso schnell wieder vergessen wird. „Was schnell kommt, kann auch schnell wieder gehen“.
Vieles, was der Autor ausführt, wusste ich schon, manches war mir neu oder habe ich jetzt erst verstanden – und dadurch gelernt. Unzählige Quellenangaben am Schluss laden zum Weiterlesen und –lernen ein. Das Buch ist gut und logisch strukturiert und jedem ans Herz gelegt, der weiß, dass Wissen das Wichtigste ist, das wir Menschen haben. 5 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2020
Die untalentierte Lügnerin
Schmidt, Eva

Die untalentierte Lügnerin


ausgezeichnet

Schon mit dem Abitur hatte Maren Schwierigkeiten, schaffte es nur auf den zweiten Anlauf. Und ihr Schauspielstudium musste sie aus gesundheitlichen Gründen abbrechen, ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik nach einer Überdosis folgte. Und im Anschluss zieht sie wieder bei Mutter Vera und Stiefvater Robert ein, was sie auf keinen Fall jemals wieder tun wollte. Vor allem mit ihrer Mutter hat sie ein Problem und ihre Mutter hat ein Problem mit ihr. Nach Ansicht ihrer Mutter ist sie schon immer an allem schuld. „Der Streit wäre vermutlich gar nicht eskaliert, wenn sich ihre Mutter nicht eingemischt hätte. In ihren Augen war Maren an allem schuld. Sie zerstöre die Familie, hatte Vera gesagt, lege es darauf an, sie, ihre Mutter, für was auch immer zu bestrafen, trete Roberts Großzügigkeit mit Füßen, treibe einen Keil zwischen sie und ihren Mann.“
„Die talentierte Lügnerin“ von Eva Schmidt ist stilistisch am ehesten eine Novelle. Das Buch beschreibt einen kurzen Ausschnitt aus Marens Leben und die in der Hauptsache schwierigen Verhältnisse zu anderen Menschen. Sie kommt mir vor wie ein Schiff ohne Steuermann. Treibt mal hierhin, mal dorthin im Leben. Eigene Wohnung, Job als Aufpasserin in einem Kunstmuseum, Hund, neuer Freundeskreis – Maren gibt sich auf jeden Fall viel Mühe, sich zu emanzipieren. Auch wenn die Grundlage für vieles in ihrem Leben schlichte Lügen sind. Nach und nach baut sie ein Lügenkonstrukt aus wilden Ideen mit wenig Plan auf. Mich als Leser haben die Ereignisse auf jeden Fall tiefer berührt, als Maren selbst, die ihren Alltag wie im Nebel zu erleben scheint und nicht wirklich teilnimmt.
Die Sprache der Autorin ist schlicht und wenig bildhaft. Alles in allem sehr nüchtern und monochrom, wie das Leben der Protagonistin. Eine Mischung aus kurzem und knappem Tagebuch und unmotiviertem Grundschul-Schulaufsatz. „Sie aß einen Teller Suppe, tunkte Brotstücke hinein. Es schmeckte gut. Danach ging sie in ihr Zimmer, legte sich aufs Bett, stand aber gleich wieder auf. Es war kalt. Sie hatte vergessen, das Fenster zu schließen, machte es zu. Am liebsten wäre sie wieder ins Freie gegangen. Doch es regnete. Außerdem war sie müde.“ – Emotionen sucht man in diesem Buch vergeblich, selbst in schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen bleibt die Autorin nüchtern und deskriptiv, nicht wertend. Aber zwischen den Zeilen findet sich ein komplettes zweites Buch. Eines voller Gefühle, Gedanken, Wünsche und Träume. Wenn man hinter den Nebel des Vordergründigen schaut, findet man es. Dann findet man das Buch auch gut – bleibt man in der Zweidimensionalität, findet man es vermutlich langweilig, langatmig und dröge.
Für mich war das Buch teilweise eine verstörende Reise in mein eigenes Leben, daher hat es mich tief berührt. Eine wilde Achterbahnfahrt durch toxisch-dysfunktionale Beziehungen. Die Geschichte liest sich nur im ersten Eindruck leicht weg. Tatsächlich war es eines der wenigen Bücher, die ich nicht querlesen konnte, praktisch jeder Satz hatte einen tieferen Sinn und einen Hintergrund. Von mir 5 Punkte und eine absolute Lese-Empfehlung.

Bewertung vom 17.04.2020
Mordsfreunde / Oliver von Bodenstein Bd.2
Neuhaus, Nele

Mordsfreunde / Oliver von Bodenstein Bd.2


gut

Ein im Opel-Zoo gefundener toter Tierschützer gibt dem Ermittlerteam Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein Rätsel auf. Viele Motive, zahlreiche Verdächtige und einige falsche Spuren machen die Ermittlungen schwierig. Fast jeder, den die Ermittler als möglichen Verdächtigen im Auge haben, hätte ein Motiv, denn das Opfer war kein einfacher Zeitgenosse.
So viel kann ich zu „Mordsfreunde“ von Nele Neuhaus sagen, ohne irgendwas zu verraten. Das Buch ist der zweite Teil der Reihe um die beiden Beamten des Hofheimer K11 und für mich eines der schwächeren, fast scheint es, als habe die Autorin noch ein wenig geübt. Die folgenden Krimis der Serie finde ich weitaus besser und um einiges spannender. Das bisschen Spannung, das die Autorin in „Mordsfreunde“ schafft, macht sie durch sehr langatmige und langweilige Sequenzen wieder kaputt. In der Hauptsache beschreibt sie bodenständige Polizeiarbeit, sachlich, nüchtern und ohne nennenswerte Höhepunkte. Die vielen Verhöre mit viel zu vielen Verdächtigen, von denen jeder ein Motiv haben könnte, fand ich sehr unübersichtlich und zum Teil verwirrend. Von einer konstanten Spannungskurve kann man hier auf jeden Fall nicht wirklich sprechen.
Die beiden Ermittler werden ausführlich und gut beschrieben. Beide sind sympathisch, wohingegen viele der Verdächtigen direkt auch bis in die Spitzen der fettigen Haare unsympathisch beschrieben werden. Und auch sonst sind die Beschreibungen teilweise ein bisschen sehr platt („Rosalie platzierte ihren kleinen Popo auf der Arbeitsplatte“). Wäre das Buch von einem männlichen Autor, könnte man ihm fast Sexismus vorwerfen. Insgesamt steht aber die Ermittlungsarbeit im Mittelpunkt, aufgelockert mit ein bissen Privatleben und etwas Romantik. Alles in allem ist der Stil der Autorin sehr sachlich und nüchtern, fast journalistisch.
Sprachlich ist das Buch bodenständig, die Autorin benutzt in der Hauptsache Umgangs- und Alltagssprache. Was mir allerdings negativ auffällt ist, dass die Autorin sehr oft von „Bodenstein und Pia“ spricht. Generell benutzt sie bei weiblichen (Haupt-)Charakteren sehr häufig die Vor- bei den männlichen die Nachnamen.
Konzeptionell hatte ich manchmal das Gefühl, die Autorin hätte sich etwas verrannt und verzettelt. Auf jeden Fall hat sie sich mit den vielen Handlungssträngen, zahlreichen Personen und möglichen Motiven sehr viel vorgenommen und es am Schluss nicht 100% zufriedenstellend aufgelöst. Es wirkt auf mich fast, als hätte sie am Schluss selbst den Überblick verloren und wollte das Buch dann schnell abschließen, es fühlte sich an, wie eine ins Rollen gekommene Lawine, die Handlung wurde immer schneller, zum Teil auf Kosten der Logik. So ganz stimmig finde ich den Schluss auf jeden Fall nicht, er ist ebenso verworren wie die ganze Geschichte, konstruiert und reichlich an den Haaren herbeigezogen.
Mein Fazit daher: verworrener Krimi mit guten Elementen, basierend auf guten Ideen aber nicht 100% gut umgesetzt. Zu viele chaotische Handlungsstränge, zum Teil sehr plakativ und klischeebehaftet – gut zu lesen zwar, durchaus stellenweise unterhaltsam, aber bei weitem nicht der beste Taunuskrimi. 3 Punkte.

Bewertung vom 09.04.2020
Der Krieg in mir - Das Buch zum Film
Heinzel, Sebastian

Der Krieg in mir - Das Buch zum Film


schlecht

„Anscheinend sind traumatisierte Mäuse wirklich bereit, ein höheres Risiko einzugehen. Ich frage mich, ob dieses Verhaltensmuster auch auf mich zutrifft. […] Bin ich aufgrund der Kriegserlebnisse meiner Großväter bereit, ein höheres Risiko einzugehen, oder ist das völlig aus der Luft gegriffen?“ Dieser Gedankengang ist eine der Grundlagen von „Der Krieg in mir“, dem Buch und Film von Sebastian Heinzel. Seit er Mitte 20 ist, träumt er von Kriegsszenen. Und, anders als vermutlich die meisten Menschen, ist er schnell davon überzeugt, er habe die Erlebnisse seiner Großväter „geerbt“. In Zürich trifft er die Epigenetikerin Isabelle Mansuy, die das an Mäusen erforscht: Kann ein Trauma von einer Generation an die andere vererbt werden und wenn ja, wie? Ihre Ergebnisse: „Denn die Folgen eines frühkindlichen oder vererbten Traumas können schwerwiegend sein: Depressionen, bipolare Störungen, Borderline-Verhalten, bis hin zu Suizid. Aufgrund der schädlichen Einflussfaktoren unserer modernen Zivilisation sitzen wir zudem auf einer epigenetischen Zeitbombe, deren Auswirkungen auf unsere Gesundheit und auf unsere Gesellschaft erst unsere Nachkommen spüren werden. Es ist eine große, aber wichtige Frage: Welches Erbe hinterlassen wir unseren Enkeln?“ – so wären wir und alle nachfolgenden Generationen dazu verdammt, mit allen Traumata der vorherigen zu leben und sie in sich zu tragen und weiterzugeben? Klingt für mich bedrückend und abstrus, aber dennoch wissenschaftlich.
Hätte der Autor an dieser Stelle das Buch beendet, wäre es durchaus lesenswert gewesen. Allerdings folgt auf diesen kurzen wissenschaftlichen Exkurs eine Aneinanderreihung von Gedanken, Gefühlen und unwissenschaftlichen Erkenntnissen. Er begann von Kriegsszenen zu träumen, als er schon mitten im Leben stand. Er kannte die Geschichte seines Großvaters mütterlicherseits, hatte vermutlich Filme zum Thema gesehen, Bücher gelesen und nicht zuletzt Geschichtsunterricht in der Schule besucht. Die Träume mit Erlebnissen des Großvaters in Verbindung zu bringen, ist legitim. Auch, dass er sich die Frage nach der Herkunft dieser inneren Bilder stellt, kann ich nachvollziehen. Sabine Bode und Verena Kast haben dazu auch sehr logische Gedanken und Erklärungen bezüglich Träumen und Unterbewusstsein.
Aber oft beschleicht mich beim Lesen das Gefühl, der Autor möchte das Trauma unbedingt "geerbt“ haben. Die ersten Gespräche zu dem Thema führte er mit einer Heilpraktikerin, in der Folge „arbeitet“ er mit teils sehr renommierten „Traumatherapeuten“, deren Aussagen ich beim besten Willen nicht als wissenschaftlich ansehen kann. Heinzel hat seinen Zivildienst in einer anthroposophischen Gemeinschaft in den USA verbracht, Esoterik und die Lehren Rudolf Steiners sind ihm also nicht fremd. Dazu belegt er ein Seminar mit Elementen nach Wilhelm Reich, der in der esoterischen Welt tief verankert und durch seine Orgonforschung bekannt ist. „Traumatherapeut“ Andre Jacomet sieht beim Autor eine Entwicklung. Einen „inneren Umwandlungsprozess“. „Ich glaube […] Dass du in der Session mit Peter von diesen Händen aus dem Himmel genommen wurdest, ja, geschüttelt wurdest, aufgeweckt wurdest, sich dein ganzes Leben fragmentiert hat und sich jetzt neu ordnet“, sagt Andre.
Viel Positives kann ich über das Buch nicht sagen. Weder sprachlich noch inhaltlich konnte es mich überzeugen. Natürlich ist die Auseinandersetzung mit den (Un)Taten der (Ur)Großeltern wichtig, vielleicht heute wichtiger denn je. Die Frage nach Erb- und Kollektivschuld ist stets aktuell. Aber das leistet dieses Buch nicht. Es ist eine persönliche Reise des Autors in die Vergangenheit seiner Großväter (und seine eigene) mit ein bisschen Wissenschaft. Da wäre viel mehr drin gewesen, wie etwa ein fundierter Exkurs in die (Neuro)Epigenetik mit wissenschaftlichem Inhalt, echte therapeutische Ansätze und sogar konkreterer geschichtlicher Hintergrund. All das versäumt der Autor zugunsten einer pseudowissenschaftlichen Traumdeutung. 1 Stern.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.