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Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 20.09.2007
Die Stunde der Komödianten
Greene, Graham

Die Stunde der Komödianten


ausgezeichnet

Wen köpfen wir, wenn die Feinde schon geköpft sind? Die Revolution frißt ihre Kinder, zerfrißt die Helden. Ein Regime richtet sich gegen den Widerspruch. George Büchner ist mit Dantons Tod gelungen, die Mechanismen der Macht nachzuweisen, sobald der Umsturz erreicht ist. Von da ab gilt es die Macht nach allen Seiten abzusichern, jene auszuschalten, die nicht auf der vorgegebenen Linie liegen. Wer das 20. Jahrhundert betrachtet, wird in ihm eine Wiederholung des Schauprozesses finden, der in Dantons Tod aufgeführt wird. Büchners Sicht auf die Geschichte ist von Pessimismus geprägt. Auch wenn historisch gesehen, Dantons Hinrichtung womöglich notwendig erscheint, um dieser Revolution überhaupt eine Chance zu geben. Wenn die französische Revolution, die neue Freiheiten versprach, neue Unfreiheit hervorbringt, kann es um diese Revolution nicht so gut bestellt gewesen sein. Man spürt in den Versen die Trauer hinter einer geplatzten Illusion, das Unvollendete des Idealen, die Zerrissenheit ihrer Helden. Ob jede Revolution zum Scheitern verurteilt ist, wenn die persönliche, wie parteiische Machtabsicherung ein Wert an sich ist, rückt Büchner in den Mittelpunkt der Fragen. Es sind immer noch die Menschen, die einen Umsturz anschieben, und die sind es auch, die den Erfolg verwalten. Ein Stück, das wieder und wieder auf die Bühne gehört und sich nie die Frage zu stellen braucht, was es mit uns heute noch zu tun hat.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 20.09.2007
Die Stunde der Komödianten
Greene, Graham

Die Stunde der Komödianten


ausgezeichnet

Dekadent könnte man die Ausländer auf Haiti unter Papa Docs Regime nennen, ob sie nun ein Auskommen suchen oder nur Ferien machen wollen, hätten sie nicht alle mehr mit sich als mit dem Land und den Leuten zu tun. Sei es die unausgegorene Liebe eines Hotelbesitzers zu einer Diplomatengattin, sei es das Sendungsbewußtsein eines Ehepaars den Vegetarismus zu propagieren, jeder verfolgt nur sein eigenes Ziel und ist der Gewalt der Tontons Macoute hilflos ausgesetzt. Die Toten werden verscharrt. Sie verschwinden. Tauchen als Name auf einer Liste auf. Nur wenn einer der wichtigsten Politiker im eigenen Pool liegt, was dann? Wo die einen reden wollen, ist der andere bereits hoffnungslos desillusioniert. Ein hervorragender Roman über den Westen, der mit seinen Rezepten versucht, die Dritte Welt zu betrachten. Eine Geschichte über das menschlichen Unvermögen die Liebe außerhalb eines Schlafzimmers zu leben. Und eine faszinierende Beschreibung Haitis unter Papa Doc. Graham Greene ist mit diesem Roman vieles gelungen, vor allem seine Leser fesselnd für eine Region, eine Zeit zu interessieren, die sich selbst überlassen seine Bewohner verachtete, solange sie nicht der Machterhaltung des Schreckens dienten. Graham Greenes vielleicht bester Roman.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 20.09.2007
Der große Gatsby
Fitzgerald, F. Scott

Der große Gatsby


ausgezeichnet

Der letzte Satz des Romans gilt heute vielen als der beste Satz, der je geschrieben wurde. Der große Gtasby taucht immer wieder auf den Listen auf, die von Zeit zu Zeit nach dem besten Roman aller Zeiten forschen. Es ist Fitzgeralds Sprache, dem melancholischen Blick auf seine Figuren zu verdanken, die einen zur Leichtigkeit des Seins verführt, daß einem die Dekadenz der handelnden Figuren in der Geschichte nicht abstößt. Trotz allem Reichtum handelte es sich um Verlorene, deren Riß in sich so pocht, daß sie ihn nicht zu füllen, zu überwinden verstehen. Deutlich vor allem in Jay Gatsbys unstillbarer Liebe zu Daisy Fay. Was nützt einem da das viele Geld? Fitzgerald versteckt Gatsby hinter der Beschreibung eines Außenstehenden, eines am Rand Teilhabenden. James Gatz ist fasziniert von der schillernden Gesellschaft der Zwanziger Jahre, dem Mondänen. Eine Zeitlang darf er an ihren Tischen Platz nehmen. So traumhaft durchlebt dieses Leben auch erscheinen mag, herrschen darin der Betrug, die Eifersucht, die Neurosen. Am Besten im Rausch zu ertragen. Allerdings läuft nicht alles nach Plan, in dieser nach außen verschlossenen Welt, die sich für unberührbar hält. Romantisch in der Sehnsucht, subtil im Scheitern. Auch ein Gatsby vermag das nicht aufzuhalten. Fitzgerald erzählt vom Riß im Menschen, den er erst verspürt, dann hofft, ihn zu beherrschen, schließlich vergessen machen will, damit er einen nicht in den Abgrund zerrt. Jay Gatsby lächelt, hält Hof und versinkt doch im Unglück.
Polar aus Aachen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.09.2007
Notizbuch eines Schriftstellers
Maugham, W. Somerset

Notizbuch eines Schriftstellers


sehr gut

Es war nicht alles gesagt mit dem ersten Band. Die halbe Wahrheit, die er ausdrücklich als keine Autobiographie kennzeichnete. Doch bietet dieser Band mit einer schönen biografischen Einführung von Thomas und Simone Stölzel vor allem weitere Schnipsel aus W. Somerset Maughams Welt. Er erklärt, warum er irgendwann beschloß, keine Stücke mehr zu schreiben. Am Ende sollte ein Roman über Bermondsey stehen, um zu den Anfängen zurückzukehren und den Kreis zu schließen. Was allerdings nicht mehr möglich war, da das Leben dort nicht mehr so ausschaute, wie er es kannte. Eine kleinbürgerliche, ihm verhaßte Welt, über die er nicht mehr schreiben wollte. Somit schließt er auf den letzten Seiten mit Leben und Werk ab, versöhnt mit dem Tod, von dem er kein ewiges Leben erwartet. Ganz der Grandseigneur der Literatur, den er Zeitlebens verkörperte. Als Werkstatt eines Schriftstellers hervorragend zu lesen. Hier werden Ideen geboren oder beerdigt, indem sie nicht zur Ausführung kommen. Einen Schriftsteller macht aus, was er sieht, in seinen Notizen auffängt, aber auch wie er mit seinem Leben abschließt.
Polar aus Aachen

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.09.2007
Die halbe Wahrheit
Maugham, W. Somerset

Die halbe Wahrheit


sehr gut

Diese Erinnerungen sind eher ein Fragment, aus denen sich die Facetten der Welt des W. Somerset Maughams darstellen. Es ist ihm nicht an eine abschließende Betrachtung, an einem Resümee gelegen, vielmehr werden dem Leser Einblicke in seine Sicht der Literatur, Theater, Kino, Philosophie, Politik gegeben. Zudem tauchen Jugenderinnerungen, neben Reisebeschreibungen, sowie Begegnungen auf und viele seiner Geschichten lassen sich auf Erlebtes zurückführen, denen er lediglich sprachliche Brillanz beiheftet. Maugham zeigt sich hier als vielseitig Interessierter und scheut auch nicht vor einer Hintergrundbeleuchtung seiner Arbeit als Schriftsteller zurück. Ein Buch, um W. Somerset Maugham besser kennen und einschätzen zu lernen. Ob es sich dabei nur um die halbe Wahrheit handelt oder sie weit darüber hinaus reicht, mag der Leser selber entscheiden. Bekanntlich trifft sich die Wahrheit eigentlich immer in der Mitte.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 19.09.2007
Die Behandlung / Inspector Jack Caffery Bd.2
Hayder, Mo

Die Behandlung / Inspector Jack Caffery Bd.2


sehr gut

Das Schreckensgespenst überhaupt: Jemand bemächtigt sich der Kinder, und man erfährt nichts über ihr Schicksal, hofft auf einen Entführungsfall, aus dem die Kinder unbescholten nach Hause finden. Schnell zeichnet sich jedoch in Die Behandlung ab, daß man es mit einem krankhaft Perversen zu tun hat, der genau nach Plan vorgeht, den es zu entschlüsseln gilt, um seiner habhaft zu werden. Mo Hayder steigt Stufe um Stufe höher, sie zeichnet einen Mann, der sich einnistet, eine Familie von innen heraus zerstört. Sie versteht die Spannung zu steigern, indem sie die Geschichte wie eine Schleife zu einer Schlinge verknotet und dabei auf Inspector Caffery zurückgreift, dessen privater Wahnsinn bereits den Roman Der Vogelmann prägte. Obwohl die Geschichte beklemmend realistisch in der Beschreibung des Schreckens bleibt, besitzt sie nichts aufgesetzt Sensationslüsternes. Mo Hayder führt uns in den Abgrund, aus dem wir froh sind, wieder auftauchen zu dürfen.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.09.2007
Alle Seelen
Marías, Javier

Alle Seelen


ausgezeichnet

Aller Seelen erleidet das Schicksal vieler früher Romane eines erfolgreichen Autors, sie drohen, gemessen an den späteren Werken unterzugehen. Marías beschreibt in ihm im Vergleich zu Mein Herz so weiß oder Morgen in der Schlacht denk an mich den Alltag nicht als etwas, das durch ein in ihn einbrechendes Ereignis skurril, fremd zum aufarbeitenden Verbrechen sich entwickelt. Marías dient sich in dieser Geschichte als detailversessener Beobachter an, durch dessen Augen wie Oxford und seine Menschen kennen lernen. Das ist linearer erzählt, bar des Unheimlichen und der scheinbar widersprüchlichen Verstrickung. Liebe, Tod, Lust treiben auch hier ihr Unwesen, doch scheint es greifbarer zu sein. In der Verstörung breitet sich nicht plötzlich die Nacht aus, um den Seelen, den Dämonen unterdrückte Geheimnisse zu entreißen. Oxford mit seinen Lehrkörpern, seinen Zimmervermietern, seinen Studenten bilden eine Theaterbühne der großen nüchternen Gefühle.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 17.09.2007
Der Tod auf dem Nil
Christie, Agatha

Der Tod auf dem Nil


gut

Die meisten Krimiautoren besitzen ein Strickmuster, eine Landschaft, in der sich immer wieder Leichen auffinden, einen Helden, der in bewährter Manie Morde aufklären und einen Tonfall, der sich entweder der Nacht verschreibt, der Logik, dem Seziermesser oder wie bei Agatha Christie dem Charme wie bei einem Suchspiel, jedem Mitwirkenden frühzeitig ein Motiv zu geben, einen Ermittler zu beschäftigen, sei er bei Scotland Yard, privat engagiert oder wie Miss Marple krimibelesen, um ihn auf die Spur zu setzen, so daß am Ende alle versammelt werden, um mit einer einzigen fulminanten logischen Anstrengung, den Mörder zu demaskieren. Das fasziniert und ist oft vorhersehbar. Im Tod auf den Nil sorgt nicht nur das Ambiente für Abwechslung, die Protagonisten sind so schillernd dargestellt, daß man diesen Krimi nicht nur wegen Hercule Poirot gerne liest. Der Haß einer Frau auf eine andere, ihr Geschick dies möglichst zu verbergen, nimmt einen an die Hand und erreicht seinen Höhepunkt auf dieser Flußfahrt schon vor dem Kreis der Verdächtigten. Das besitzt Charme und ist als ausgelagerte Teerunde in Ägypten von nachvollziehbarer Tragik, denn das Monster muß sterben.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 17.09.2007
Die Selbstmord-Schwestern
Eugenides, Jeffrey

Die Selbstmord-Schwestern


ausgezeichnet

Mag man es mit Todessehnsucht umschreiben, mit Überdruß am Leben, Angehörige, wie Nahestehende, wie Leser sehen schockiert zu, wie ein Selbstmord nach dem anderen die Familie Lisbon befällt. Glaubt man noch beim ersten Selbstmord die Gründe kaum zu fassen, warum ein junges Mädchen seinem Leben ein Ende setzt, wirkt die Verlockung des Todes, die die Töchter dieser Familie befällt, rätselhaft, dämonisch, glauben Außenstehende, daß sich einen Abgrund auftut, in den sie lieber niemand blicken möchten. Die Mädchen sind so unterschiedlich gezeichnet, daß jeder ein eigener Grund unterstellt werden müßte, um zu einer solchen Tat fähig zu sein. Doch wie bei einem Sog, einer Kettenreaktion läßt sich die Tragödie nicht aufhalten, nachdem sie einmal losgetreten wurde. Eugenides gelingt es dabei, nicht sensationslüstern einen Schauer nach dem dam anderen zu erzeugen, nüchtern berichtet er von den Ereignissen, den zuspitzenden Hilfeaktionen. Er führt seine Leser ins Unverständnis, in das Gefühl ein, daß alle versagen, und schärft den Blick dafür, wie schnell etwas schief läuft, wenn das Erträgliche überreizt wird. Das Unheimliche wächst hinter der Haustür der Familie Lisbon, ist nicht greifbar und die Mitglieder dieser Familie schweigen sich aus, während draußen das Interesse, die Anteilnahme Kapriolen schlägt.
Polar aus Aachen

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.09.2007
Lektüreschlüssel Georg Büchner 'Woyzeck'
Schede, Hans G.

Lektüreschlüssel Georg Büchner 'Woyzeck'


ausgezeichnet

Selten stand einem Stück das Fragmentarische so gut zu Gesicht wie Büchners Woyzeck. Sein Leben, eher ein fristendes Dasein wird von seinen Mitmenschen kaum beachtet. Er ist zum Haare schneiden, zum Rasieren da, besorgt die Erledigungen, darf sich belehren, Experimente mit sich machen lassen und für Marie sorgen, die ihn betrügt. Doch schimmert hinter diesem Schatten, von dem alle wissen, daß irgendwo dort ein Mensch sein muß, ein Getriebener durch, der sich auch des Letzten beraubt sieht, seiner Liebe zu Marie und durch einen Mord gegen alles aufbegehrt, das ihn zu formen, auszunutzen, zu verletzen sucht. Büchner ist mit diesem Stück eine kritische Groteske auf eine Zeit gelungen, in der das Militär, der Gehorsam, das Funktionieren alles ist. Der kleinen Leute ihren Beitrag leisten, indem sie das Schwungrad am Laufen halten. Daß sich Woyzecks Aufbegehren ausgerechnet gegen das richtet, was er am meisten liebt, ist von kaum zu überbietender Tragik. Doch bleibt der Mensch Woyzeck uns allen verborgen. Er ist die Kreatur, von der wir glauben, sie geschaffen zu haben, lenken zu können. Er bleibt letztlich ein Fragment, dem wir dank Büchner nachzuspüren.
Polar aus Aachen

0 von 13 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.