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Island
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Nürnberg

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Insgesamt 541 Bewertungen
Bewertung vom 20.03.2022
Die kleine Buchhandlung im alten Postamt
Lucas, Rachael

Die kleine Buchhandlung im alten Postamt


sehr gut

Für Hannah, Mutter eines 16-jährigen, fußballbegeisterten Sohnes, ergibt sich die Möglichkeit, von ihrer Cousine den Dorfladen mit Postamt in Little Maudley in den bei Promis beliebten Cotswolds zu übernehmen und Manchester, wo ihr Ehemann mehr Zeit im Büro als zuhause verbringt und ihr Sohn auf die schiefe Bahn zu geraten droht, zu verlassen. Sie überlegt daher nicht allzu lange, das Angebot anzunehmen und zieht zunächst nur mit ihrem Sohn auf's Land, während ihr Mann angeblich noch alles in der Stadt regeln möchte. Dort lernt sie neben vielen Dorfbewohnern bald auch einen bekannten ehemaligen Profifußballer kennen, der die neue Mannschaft ihres Sohnes trainiert und sie nicht ganz kalt lässt. Außerdem etabliert sie eine kleine Buchabteilung in ihrem Dorfladen und gründet einen Lesekreis.

Der Roman war, nachdem sich der Anfang für meinen Geschmack etwas gezogen hat, sehr unterhaltsam. Allerdings hätte das Titelthema mit der Buchhandlung für mich etwas mehr im Mittelpunkt der Handlung stehen können. Es geht eigentlich genauso viel um den Dorfladen allgemein oder Fußball, die Bücher oder der Lesekreis spielen nur immer mal kurz eine Rolle. Auch, was die weiteren Personen angeht, hätte ich mir teilweise gewünscht, dass es lieber weniger Nebenpersonen (also neue Bekannte aus dem Dorf) wären, diese aber im Laufe der Handlung immer wieder auftauchen, sodass man sie besser kennenlernt und erfährt, wie es mit ihnen weitergeht. Das Dorfleben wird aber lebhaft und anschaulich beschrieben und der Schreibstil der Autorin lässt sich angenehm lesen, etwas erinnert mich die Geschichte an die Romane von Jenny Colgan, sodass ich sie deren Fans gerne auch empfehle.

Bewertung vom 20.03.2022
Die Diplomatin
Fricke, Lucy

Die Diplomatin


ausgezeichnet

Fred, die 50-jährige Protagonistin in Lucy Frickes neuem Roman "Die Diplomatin", ist zunächst im recht verschlafenen Montevideo tätig, wird dann aber als Konsulin nach Istanbul versetzt, wo die deutsch-türkischen Beziehungen durch die Flüchtlingskrise und Erdogans Vorgehen gegen kritische Medienvertreter und Kurden sehr angespannt sind. Dort merkt sie immer mehr, dass ihr persönlich die wenigen Mittel, die ihr auf diplomatischem Wege zur Verfügung stehen, um jemanden zu unterstützen, nicht genügen und, dass sie als Frau es im absolut männerdominiertem System Erdogans noch schwerer hat, respektiert zu werden und etwas zu erreichen. Zugleich hat sie es, als Preis für ihre diplomatische Karriere, nicht geschafft, eine Familie zu gründen oder eine stabile Partnerschaft zu führen und alte Vertraute entwickeln sich in eine andere Richtung als sie selbst, sodass sie oft ziemlich einsam und auf sich allein gestellt ist. Zu ihrer in Hamburg lebenden alten Mutter hat sie, bis auf weihnachtliche Besuche, nur sporadischen Telefonkontakt.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, er vermittelt durch die beschriebenen Situationen einen sehr vielschichtigen Eindruck von der Arbeit von Diplomaten und speziell von der aktuellen Situation in der Türkei und der Gratwanderung, einerseits Erdogan bei Laune halten zu wollen, damit er die EU-Außengrenzen mit absichert und andererseits wenige diplomatische Mittel zu haben, wenn deutsche Staatsbürger in der Türkei zu unrecht verhaftet werden. Lucy Fricke bringt dies sehr eindrucksvoll näher und zudem ist ihr Schreibst gut lesbar und anschaulich. Nebenbei geht es aber auch noch um weitere Aspekte, wie die Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen in einem männerdominierten System, Einsamkeit ohne festen Partner und einen guten Freundeskreis aufgrund der vielen Umzüge und Verantwortung für die eigene Mutter trotz der großen räumlichen Distanz.

Bewertung vom 13.03.2022
Flüchtiges Glück
Mothes, Ulla

Flüchtiges Glück


ausgezeichnet

Ulla Mothes neuester Roman befasst sich einerseits mit der deutsch-deutschen Vergangenheit vor und nach der Wende, aber auch mit der Geschichte einer Familie, die von den politischen Umständen beeinflusst wurde. Der Titel "Flüchtiges Glück" ist dabei mindestens in zweifacher Hinsicht passend gewählt, weil es einerseits um Flucht (nicht hauptsächlich, aber auch aus der DDR und später aus Afghanistan, sondern vor allem auch vor der eigenen Schuld), andererseits aber auch um die Vergänglichkeit von Glück geht. Die Gestaltung des Covers hat mir ebenfalls sehr gut gefallen, die Farbgestaltung spricht mich an und sie passt zu einem Roman, der auch in den 70er und 80er Jahren in der DDR spielt.

Insgesamt wechselt der Roman aber auf den verschiedensten Zeitebenen, den letzten ca. 20 Jahren der DDR, der Zeit um den Jahrtausendwechsel und der Gegenwart. In der aktuellen Zeit ist die 23-jährige Studentin Milla schwanger von Navid, der aus Afghanistan geflohen ist, nachdem ein Großteil seiner Familie dort ermordet wurde. Milla dagegen ist wohlbehütet bei ihrer Mutter Jola und einem homosexuellen Männerpaar in einer Berliner WG aufgewachsen. Sie kennt aber ihren leiblichen Vater nicht, weil ihre Mutter ein Geheimnis um ihn macht. Navid drängt Milla nun dazu, herauszufinden, was in ihrer Familie vorgefallen ist, damit ihre Familiengründung quasi ohne ungeklärte Altlasten beginnt. So kommen immer mehr Details aus dem Leben von Millas Großmutter, die anscheinend für die Stasi tätig war und deren damalige Nachbarn ans Tageslicht und dies alles steht wiederum im Zusammenhang dazu, dass Milla ihren leiblichen Vater nicht kennt. Es geht aber auch um die Umweltverschmutzung im ehemaligen Chemiedreieck um Bitterfeld.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Es war bereits mein zweites Buch der Autorin und auch diesmal hat sie es toll hinbekommen, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verknüpfen und sogar Parallen aufzuzeigen. Alles wirkt sorgfältig recherchiert und die Personen sind sehr überzeugend gestaltet. Durch die verschiedenen Zeitebenen wird zusätzlich Spannung erzeugt. Der Schreibstil der Autorin ist gut lesbar und die Sprache sehr anschaulich und öfter auch symbolkräftig. Dadurch kann man sich sehr gut in die Beteiligten hineinversetzen. Ulla Mothes ist es durch ihre vielschichtigen Charaktere auch gelungen, deutlich zu machen, dass es bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nicht ausschließlich Gut oder Böse gibt, sondern auch viel dazwischen.

Bewertung vom 06.03.2022
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße


ausgezeichnet

Michael Hartung war in der DDR bis zu dem Vorfall, der im Mittelpunkt der Handlung steht, zunächst bei der Staatsbahn tätig und wurde anschließend zwangsversetzt. Nach der Wende setzte er dann mehrfach auf neue Technologien, die irgendwann dann auch wieder nicht mehr zeitgemäß waren. Zuletzt auf eine Videothek, an der er, mehr aus Verzweiflung weiter festhält, obwohl diese mittlerweile natürlich ein Draufzahlgeschäft ist.

Eines Tages taucht ein Journalist bei ihm auf, um dessen Stelle es ebenfalls nicht allzu gut bestellt ist und der dringend eine gute Story anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Wiedervereinigung braucht. So wird aus dem Versehen Michael Hartungs, der in der DDR eine Weiche beschädigt und so versehentlich einen Zug in den Westen umgeleitet hat, plötzlich ein Akt des Widerstands und Hartung wird zum in Talkshows und von Politikern gefeierten Helden, der wegen seiner selbstlosen Tat im Stasi-Gefängnis leiden musste. Das beschert ihm neben dem Ruhm auch einen kleinen Geldsegen, den er dringend braucht, um die Mietschulden seiner Videothek bezahlen zu können und so spinnen er und der Journalist immer weiter an seiner "Helden-Geschichte".

Maxim Leo ist es in seinem Roman sehr gut gelungen, seinen Protagonisten so zu gestalten, dass er trotz alles Scheiterns, für das man ihn als Leser bemitleidet, und seiner leicht schrulligen Art auch liebenswerte Seiten aufweist. Er schreibt auf eine sehr humorvolle und unterhaltsame Art und Weise und fängt die Stimmung von Michael Hartung, der irgendwie doch nie komplett im wiedervereinigten Deutschland Fuß gefasst hat, sehr gut ein und regt zugleich auch zum Nachdenken an, über den Umgang von Westdeutschen mit Menschen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind und mit der DDR-Vergangenheit allgemein, die ja nicht nur aus heldenhaften Fluchthilfe-Geschichten bestand, die bei bestimmten Jubiläen immer wieder aufgewärmt werden.

Bewertung vom 06.03.2022
Kaiserstuhl
Glaser, Brigitte

Kaiserstuhl


sehr gut

Brigitte Glasers neuer historischer Roman spielt auf mehreren Zeitebenen und an verschiedenen Orten. In Freiburg, wo die Protagonistin Henny zunächst mit ihrem Vater und nach dessen Tod dann alleine, eine Weinhandlung betreibt, am Kaiserstuhl bei ihrer Schwiegermutter (mit deren Sohn Henny kriegsbedingt aber nur sehr kurz verheiratet war) und ihrem Ziehsohn Kaspar und in der Champagne. Rückblicke entführen in die Zeit des Nationalsozialismus und der Resistance mit der extrem angespannten Lage zwischen Deutschland und Frankreich bis hin zum Krieg. Die eigentliche Handlung findet aber in der Zeit der Wiederannäherung Frankreichs an Deutschland unter Charles de Gaulle statt.

Die männliche Hauptperson Paul lebte eine Zeit lang mit Henny, deren Schwiegermutter und Kaspar zusammen, Pauls Leidenschaft gilt dem Kino, er erhält aber den Auftrag, eine besondere Flasche Champagner aus dem Jahr 1937 zu Charles die Gaulle zu schaffen, da diese Flasche ein Symbol für die wiederaufkeimenden Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sein soll. Aber auch für Henny hat diese Flasche eine besondere Bedeutung, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Und auch noch andere Personen sind hinter dieser Flasche her.

Zunächst fiel mir der Einstieg in den Roman etwas schwer, weil mir erst noch der Überblick über die verschiedenen Personen fehlte und es recht häufig zu Perspektivwechseln und Zeitsprüngen kommt. Das gibt sich aber mit der Zeit und nachdem sich die Zusammenhänge immer mehr herauskristallisierten, fand ich die Geschichte sehr spannend und fesselnd, auch wenn die Handlung stellenweise doch etwas komprimiert hätte werden können. Es war interessant, mehr über das schon immer besondere Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich zu erfahren und die spannende Zeit der Wiederannäherung aus der Perspektive von Henny und Paul mizuerleben. Mein Verhältnis zu den beiden Hauptpersonen blieb dabei aber relativ distanziert, da ich mich nicht voll mit all ihren Handlungen identifizieren konnte, auch wenn ich nachvollziehen konnte, warum sie sich so verhielten. Nichtsdestotrotz ist "Kaiserstuhl" ein sehr interessanter Roman, der mir die deutsch-französische Geschichte und die Welt des Champagners wieder ein Stück näher gebracht hat. Das Cover ist passend zum Thema und zur Zeitebene der Geschichte gewählt.

Bewertung vom 25.02.2022
Tage der Entscheidung / Palais Heiligendamm Bd.3
Grünig, Michaela

Tage der Entscheidung / Palais Heiligendamm Bd.3


ausgezeichnet

Dies ist der dritte Teil einer (hoffentlich) vierbändigen Reihe über das Palais Heiligendamm und dessen Inhaberfamilie Kuhlmann. Julia, die Enkelin des Hotelgründers ist mittlerweile erwachsen und bringt sich leidenschaftlich ins Hotel ein, während ihre Eltern sich etwas zurückziehen und auch ihr Onkel Paul zwischenzeitlich anderen Verpflichtungen nachgeht. Auch in Liebesdingen tut sich bei Paul, dessen Schwester Luise und Julia etwas. Zugleich gewinnen die Nationalsozialisten aber auch immer mehr an Macht und Einfluss, was sowohl Auswirkungen auf das Hotel als auch auf das Privatleben aller hat.

Ich fand es sehr interessant und spannend, wie es Michaela Grünig gelungen ist, wahre historische Ereignisse mit dem Leben der beteiligten Personen zu verknüpfen, sodass man die Konsequenzen davon aus deren Perspektive miterlebt und nicht nur aus der Distanz des Geschichtsunterrichts oder von Dokumentationen über den Nationalsozialismus. Die historischen Fakten wirken gut recherchiert und alles wird durch den Erzählstil der Autorin sehr anschaulich und greifbar. Auch die einzelnen Charaktere sind überzeugend gestaltet und jede:r auf seine Weise liebenswert.

Ein kleines Manko stellt für mich dar, dass noch nicht festzustehen scheint, ob es noch einen weiteren Band geben wird und dennoch die meisten Handlungsstränge nicht voll abgeschlossen sind. Daher hoffe ich sehr, dass wir bald doch noch eine Fortsetzung der Geschichte lesen dürfen.

Bewertung vom 20.02.2022
Ungeheuer weckt man nicht / Sea Monsters Bd.1
Iland-Olschewski, Barbara

Ungeheuer weckt man nicht / Sea Monsters Bd.1


ausgezeichnet

Finn lebt auf einer kleinen Insel im Norden Schottlands, hat aber Angst vor dem Meer, seit er einmal fast ertrunken ist. Eines Tages bekommt die kleine Dorfschule seiner Heimatinsel eine neue Schülerin, die gleichaltrige Poppy, die mit ihren Eltern aus Glasgow zurückgekommen ist, um die Großmutter zu unterstützen. Im Rahmen einer Mutprobe für das Mädchen wecken die Kinder der Klasse anscheinend ein mächtiges See-Ungeheuer und versetzen so die ganze Insel in Aufregung. Finn muss seine Angst vor dem Meer überwinden, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.

Ich finde die Geschichte sehr gelungen. Sie spielt an einem abgelegenen, spannenden Ort, der sich für derartige Abenteuer anbietet. Die Mischung aus fantastischen Elementen, Abenteuer und einer realistischen Geschichte um Ängste und deren Überwindung gefällt mir gut. Die beiden Hauptpersonen sind zudem sehr sympathisch und junge Leser:innen können sich gut mit ihnen identifizieren. Sowohl Jungen als auch Mädchen. Der Schreibstil ist gut lesbar und es ist Spannung vorhanden, aber es wird nicht zu gruselig oder nervenaufreibend für die Altersgruppe. Illustrationen lockern alles auf und sorgen zudem dafür, dass man sich manches Detail besser vorstellen kann. Ich würde das Buch jungen Leser:innen in der 3. und 4. Jahrgangsstufe empfehlen, was sich auch in etwa mit der Altersempfehlung des Verlags deckt.

Bewertung vom 07.02.2022
Dachs und Rakete. Ab in die Stadt!
Isermeyer, Jörg;Schüttler, Kai

Dachs und Rakete. Ab in die Stadt!


ausgezeichnet

Bei diesem Kinderbuch hat mich das liebevoll-witzig gestaltete Cover mit seinen freundlichen bunten Farben gleich neugierig gemacht und auch die raue Haptik des Einbandes, die es natürlicher wirken lässt, gefällt mir gut.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen der Erfinder Herr Dachs und seine Freundin, die Schnecke Rakete. Deren Namensgebung lässt schon vermuten, dass es sich um ein humorvolles Kinderbuch handelt und besonders die witzigen Überschriften der 13 Kapitel verstärken diesen Eindruck. Aber auch ansonsten versteht es der Verfasser wortgewandt, aber zugleich auch kindgerecht zu schreiben, witzig, aber nicht zu sehr ins Klamaukige abdriftend. Kinder werden viel Spaß an diesem Schreibstil haben. Etwas Ernst ist aber auch dabei, Herr Dachs und Rakete werden nämlich von der Baustelle eines Erlebnisparks aus ihrem paradiesischem Abenteuerspielplatzgarten mit viel Gemüse und Obststräuchern vertrieben. So landen sie mit Sack und Pack in der großen Stadt, wo sie glücklicherweise schnell Zuflucht und Anschluss finden und einige Abenteuer erleben.

Ich denke, das Buch ist super zum Vorlesen für 3-6-Jährige geeignet, durch die Einteilung in 13 Kapitel bietet es sich auch als Vorlesebuch zum Einschlafen an. Die sehr liebevoll gestalteten und bunten Illustrationen verstärken die Lesefreude zusätzlich und treffen den Geschmack der Kinder genauso wie den der erwachsenen Vorleser. Gleiches gilt für den Schreibstil mit viel Wortwitz.

Bewertung vom 07.02.2022
Das Vorkommnis / Biographie einer Frau Bd.1
Schoch, Julia

Das Vorkommnis / Biographie einer Frau Bd.1


sehr gut

Im Mittelpunkt von "Das Vorkommnis" steht eine Frau um die 40, Mutter mehrer Kinder. Sie scheint Schriftstellerin und Dozentin für neuere Literatur zu sein und wird auf einer Lesung von einer Fremden angesprochen, die ihre Halbschwester ist. Nach dieser Begegnung kommt es aber zu keinen weiteren Treffen, die Geschichte ihrer Halbschwester und damit auch die ihres Vaters und ihrer Mutter lassen sie danach aber nie mehr ganz los. Auch nicht, als sie beruflich für einige Zeit an eine Uni in den USA geht und ihre Mutter und ihre Kinder mitnimmt, ihr Mann aber in Deutschland zurückbleibt. Sie denkt immer wieder über das Verhältnis ihrer Eltern zueinander, ihr doch recht distanziertes Verhältnis zu ihrer "echten" Schwester, mit der sie aufgewachsen ist, zu ihren Kindern und ihrem Mann nach und darüber, wie viele Menschen wissentlich oder unwissentlich Halbgeschwister haben.

Den größten Teil des Romans nimmt die Zeit in den USA ein. Die Kapitel sind oft sehr kurz und episodenhaft, vieles wird nur knapp angerissen, ohne, dass es sich komplett klärt. Dadurch fehlen mir persönlich ein bisschen der rote Faden und eine echte Handlung, wobei es der Autorin andererseits sehr gut gelingt, ihre durcheinander geratenen Gefühle authentisch und eindrücklich in Worte zu fassen. Die weiteren Personen bleiben für meinen Geschmack dagegen zu blass, man kann sich kein wirkliches Bild von ihnen machen. Damit bleiben für mich interessante Gedankengänge beeindruckend in Worte gefasst, aber eine Geschichte, die noch mehr Potential gehabt hätte.

Bewertung vom 07.02.2022
Dschinns
Aydemir, Fatma

Dschinns


ausgezeichnet

Hüseyin, der einst als Gastarbeiter nach Deutschland kam, hat es geschafft, sich seinen Traum zu verwirklichen. Mit sehr harter Arbeit und Entbehrungen hat er es geschafft, zum Renteneintritt ausreichend Geld für eine Eigentumswohnung in Istanbul zusammen zu haben. Doch ausgerechnet, als er dort alles für die Ankunft seiner Frau und der vier Kinder, der jüngste unter ihnen noch im schulpflichtigen Alter, vorbereitet, fällt Hüseyin tot um und seine Familie muss sich nun um seine Beerdigung kümmern.

Der Tod des Familienoberhaupts führt dann auch dazu, dass sich alle mit ihrem eigenen bisherigen Leben auseinander setzen. Alle haben ihre "Baustellen", Wünsche und Geheimnisse, selbst Hüseyins Witwe Emine. Manches erinnert an eine "typische" Gastarbeitergeschichte, wenn es die überhaupt gibt. Viele Probleme gibt es aber in jeder anderen Familie auch in ähnlicher Form und man kann sich beim Lesen darin teilweise wiedererkennen und auch Hüseyins eigenes Schicksal stimmt auf jeden Fall nachdenklich, da uns das ebenso ereilen kann, wie er sich für seine Familie und seinen Lebenstraum kaputt geschuftet hat und nun seinen verdienten Ruhestand nicht mehr genießen kann.

Der Schreibstil der Autorin ist angenehm lesbar und es gelingt ihr gut, das, was sie mitteilen möchte, in passende Worte zu fassen, sodass man sich als Leser in die Beteiligten hineinversetzen kann. Was das Cover angeht, hätte es für mich aber gerne mit einem passenden Bild unterlegt sein dürfen, anstatt auf die recht auffällige Kombi aus Farbe und Schriftart zu setzen.