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leseleucht
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Alfter

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Insgesamt 151 Bewertungen
Bewertung vom 27.10.2024
Die Könige von Babelsberg
Günther, Ralf

Die Könige von Babelsberg


sehr gut

Skandale in einer skandalträchtigen Zeit
Kommissar Beneken ermittelt in dem Todesfall Lisa Rosenthal, der Ehefrau des Filmregisseurs Fritz Lang. Selbstmord? Unfall? Oder Mord aus Eifersucht? Immerhin hatte Lang ein offenes Verhältnis mit seiner Regisseurin und Drehbuchautorin Thea von Harbou. In welchem Verhältnis stand sie zu der Ehefrau? Wie kam es zu dem Tod durch einen Pistolenschuss im heimischen Ehebett von Rosenthal und Lang? Weitere Ungereimtheiten am Tatort und im pathologischen Befund setzen Kommissar Beneken auf die Spur eines Verbrechens. Allerdings haben höhere Kreise ein Interesse daran, den Fall unter den Teppich zu kehren.
Der Autor des Romans „Die Könige von Babelsberg“, Ralf Günther, verknüpft darin zwei Erzählstränge. Zum einen geht es um die Beziehungsverhältnisse des skandalträchtigen Filmemachers Fritz Lang in einer Zeit, in der die Gesellschaft nach Verlust der alten politischen Ordnung und des Wertesystems als Konsequenz der Niederlage im 1. Weltkrieg sich neu zu erfinden suchte, sich ausprobierte, dabei durchaus auch ins Taumeln geriet und vor allem eins wollte: die Schrecken des Krieges und die Not seiner Folgen für ein bischen Vergnügen zu vergessen. Auf der anderen Seite geht es um die Entwicklung des Helden, der Langs Gegenspieler sein müsste, es dann aber doch nicht ist. Der Kriminalbeamte Beneken, der der Mutter den gefallenen Mann und älteren Sohn ersetzen muss, der als Beamter den Ruf eines hartnäckigen Ermittlers mit klaren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit genießt, muss sich zunehmend die Frage stellen, welche Art Mann er ist. Er will der Mutter ein guter Sohn sein und ihre Vorstellungen von Familie erfüllen. Er fühlt sich auch von Frauen angezogen, aber anders als ein Mann. Eher als eine Frau. Am Ende eines jeden Ermittlungstages steigt er – oder sollte man zunehmend eher sagen: sie – hinab in das Babylon Berlin der 20er Jahre. Die Metamorphose vom Mann zur Travestiekünstlerin Marlene vollzieht sich schrittweise. Aber dann doch in großen Schritten oder Sprüngen. Damit muss der nicht allzu umfangreiche Band dem ehrgeizige Unterfangen diesen zwei komplexen Erzählsträngen gerecht zu werden, Rechnung tragen. Zugegebenermaßen passen beide Stränge gut zusammen. Es scheint, dass Benekens persönliche Wandlung ihn in besonderem Maße befähigt, Verständnis für die Konstellation Lang, Rosenthal, von Harbou zu entwickeln, die sich ebenso außerhalb jeglicher gesellschaftlichen Konventionen. Gleichzeitig macht sie ihn in den delikaten Ermittlungen erpressbar, was der Auflösung des Falls dann wiederum hinderlich ist.
Der Roman, der auf den ersten Blick ein Krimi zu sein scheint, entwickelt sich im Verlauf weg von dem Bestreben, einen Fall zu lösen, dem Guten zum Recht und dem Bösen zur Strafe zu verhelfen. Er zeigt die Mehrdimensionalität auf, die nicht nur eine Gesellschaft, sondern auch jeden einzelnen durchzieht. So wird hier nicht über Gut und Schlecht geurteilt, sondern in der Figur des Beneken für Verständnis für die Andersartigkeit geworben, wobei durch die große – am Ende auch schwer erträglichen – Offenheit sich dem Leser der Raum zu vielen Fragen eröffnet, der ihn zugleich in die Verantwortung eines eigenen Urteils nimmt. Ein Roman, der bisweilen (mich) etwas befremdet und über den man noch lange nachdenken kann. Was ja in einer Zeit, in der viel ge- und abgeurteilt und angefeindet und mundtot gemacht wird, nicht das Schlechteste ist.

Bewertung vom 23.10.2024
So gehn wir denn hinab
Ward, Jesmyn

So gehn wir denn hinab


sehr gut

Der Weg in die HölleKeine leichte Lektüre ist der Roman „So gehn wir denn hinab“ von Jesmin Ward über das in Sklaverei geboren Mädchen Annis. Mit dem Titel zitiert die Autorin Dantes „Inferno“ und beschreibt den Weg der jungen Annis, die, nachdem schon ihre Mutter verkauft worden war, von Sklavenhändler aus dem Norden nach New Orleans deportiert wird. Und nicht nur der Weg dorthin ist die Hölle. Annis muss sich gegen die Willkür ihrer Herren und der Aufseher verteidigen. Ihre Mutter hat sie für den Kampf dagegen gut gerüstet, stammt sie doch selber von einer Kriegerin ab, die einst als Strafe für ihre Liebe mit dem Schiff nach Amerika verschleppt und in die Sklaverei gezwungen wurde. Eine andere Verbündete in Annis Kampf um Leben und Freiheit ist die beseelte Natur. Schon auf dem Weg nach Süden begleitet sie eine Frauengestalt, die für das Element des Wassers, für das Wetter, den Nebel, den Wind und den Regen steht. Sie scheint sie zu beschützen. Auf ihrem Weg lernt sie dann noch die Elemente der Erde, „Die, die geben und nehmen“, und des Feuers, „Die, die erinnert“ kennen. Doch auch diese alle geben nichts umsonst, sondern fordern Opfergabe und Anbetung. Wie kann es möglich sein, mit ihrer Hilfe einen Weg in die Freiheit und Selbstbestimmung zu finden?
Das Buch zu lesen, ist anstrengend. Das liegt auch an der Schwere der Thematik und der Intensität der Darstellung. Auch wenn es Hoffnungsschimmer gibt und die Stärke der Heldin beeindruckend ist, enthält es so viel Leid und Qual, soviel Grausamkeit und Gewalt, dass man sich nach der Lektüre regelrecht abgekämpft fühlt, obwohl man ja nur der stumme Beobachter in seinem bequemen Lesesessel ist. Was das Lesen auch anstrengend macht, sind die bildlichen Darstellungen. Gleichwohl voller Poesie und Schönheit widersetzen sie sich doch einem westlichen Deutungskonzept. Auch wenn die Autorin mit Dante dem christlichen Weltbild von Himmel und Hölle einen zweiten Deutungsrahmen gibt, ist das Buch doch sehr stark indigener Naturreligion verbunden. Die Natur ist beseelt. Der Mensch kann ihr huldigen, sie anbeten, ihr Opfer bringen, versuchen, sie gnädig zu stimmen und seine Hoffnung auf ihren Schutz zum Ausdruck bringen. Doch bleibt sie ein Stück willkürlich, folgt ihren eigenen Interessen, gibt sich divenhaft, will Verehrung, aber keine Verbindlichkeit. Mit ihrer allzu menschlichen Natur erinnert sie dabei schon wieder eher an die antiken Götter, die streiten, lieben, hassen, helfen und verdammen.
Insgesamt zeichnet der Roman das Buch eines Mädchens, das durch die beeindruckende Liebe ihrer Mutter und Großmutter – die Zärtlichkeit unter Frauen ist ebenso ein großes Thema, während Männer eher als grob fordernd und unterwerfend dargestellt werden, mit Ausnahme der Besitzerin, der Annis zum Schluss gehört – zu einer bewundernswert starken Frau heranwächst. Die Gräuel der menschenverachtenden Sklaverei werden bedrückend nachvollziehbar vor Augen gestellt. Hoffnung gibt, dass es Bereiche gibt, die diese nicht entwerten kann: die Liebe, den familiären Zusammenhalt, die Spiritualität eines freien Geistes und die Sehnsucht nach Selbstbestimmung. Das Ende gleicht eher einer Utopie als einer realen Chance. Ausgestoßen aus der menschlichen Gemeinschaft (der Weißen) qua Geburt ist ein Leben in Koexistenz nicht möglich.
Die Naturvisionen sind schon beeindruckend, bisweilen aber auch sehr ausgedehnt. Der Stil ist für meinen Geschmack stellenweise emotional zu überladen und zu sehr metaphorisch überhöht. Es ist sicherlich eine nachhaltige Leseerfahrung, die aber auch Mühe macht.

Bewertung vom 21.10.2024
Am Fluss der Zeiten
Renk, Ulrike

Am Fluss der Zeiten


ausgezeichnet

Das Ende der Welt
Der Auftakt zur Trilogie um den dreißigjährigen Krieg, „Am Fluss der Zeiten“ von Ulrike Renk schildert das Leben der Eigenbehörigen Elze mit ihrer Familie auf dem Hof Kalmule im Münsterländischen. Anschaulich und mit profunder Kenntnis entwirft die Autorin ein lebendiges Bild vom bäuerlichen Leben im 16. Jahrhundert, das nicht nur den Naturgewalten, sondern auch der Willfähr der adeligen Herrschaften unterworfen ist. So muss der Hof, den Elzes Familie bewirtschaftet, neben Tante und Eltern auch das junge Bauernpaar, Elzes Bruder mit Frau und Kind, sowie zwei weitere Brüder und eine jüngere Schwester ernähren. Dürre und Unwetter machen die Ernten schlecht. Doch der Lehnsherr will seinen Anteil, und er will Geld für die Auffahrt des ältesten Bruders, der den nach einem Unfall kränklichen Vater in der Hoffolge ablösen soll. Da dies nicht reicht, muss Elze ihren Dienst für ein Jahr in der großen Stadt Münster bei einem Domherren ableisten. So wie zuvor schon ihre Tante Stine zur Zeit der Widertäufer in Münster. Seit dieser Zeit predigt sie den Untergang der Welt. Und der scheint nahe, als sich ein neuer Belagerer der Stadt Münster nähert und der Beginn des 30jährigen Krieges abzuzeichnen beginnt.
Eine spannende Lektüre über eine Zeit voller Aberglaube und Tod durch Krieg und Krankheit. Auch die Passagen, in denen Ulrike Renk das bäuerliche und das höfische Leben schildert und das Beziehungsgeflecht innerhalb der Familien und innerhalb der damaligen Gesellschaft nachzeichnet, sind sehr interessant zu lesen. Sie verleiht den unbekannten, weil niederen Menschen der damaligen Zeit Gesicht und Stimme. Mit der Figur der Elze kann der Leser abtauchen in die Gefühlswelt eines jungen Mädchens, dass zwischen realen Ängsten und abergläubischer Hysterie versucht, ihren Weg im Rahmen der ihr durch die Gesellschaft vorgegebenen Einschränkungen und somit ein klein wenig Lebensglück zu finden. Eine auf jeden Fall lohnenswerte Lektüre!

Bewertung vom 20.10.2024
Traue sich, wer kann! / Die Geisterhelfer Bd.1
Blase, Tina

Traue sich, wer kann! / Die Geisterhelfer Bd.1


ausgezeichnet

Leo Helsing, Geisterhelfer
Leo verdankt seinen zweiten Namen weniger seiner furchtlosen Entschlossenheit im Kampf gegen Geister, sondern eher einem ungewöhnlichen Umstand seiner Geburt. Denn eigentlich fürchtet Leo die Dunkelheit und alles, was in ihr ist. Aber ausgerechnet er kann die Geister Verstorbener sehen und hören. Und so erhält ausgerechnet er den Auftrag von drei Geistern einen Poltergeist – im Wortsinne – vom Friedhof zu vertreiben, damit dieser die Ruhe der Toten nicht mehr stören kann. Unterstützt von seiner Nachbarin Antonia, die einen Faible für die Nacht und alles, was in ihr ist, hat, begibt er sich auf die unheimliche Jagd des Poltergeistes, den ein Geheimnis des Nächtens sein Unwesen treiben lässt.
Der Roman hat einen angenehmen Gruselfaktor für Groß und Klein, eine packende Geschichte und noch mehr Humor und Herzenswärme. Wunderbar erzählt wird von Ängsten, Einsamkeit, Mut und Freundschaft. Mit tollen Illustrationen und liebevollen Details auf allen Seiten und natürlich dem klasse Cover, das uns verspricht, was der Inhalt hält. Klare Leseempfehlung auch für Angsthasen à la Leo Helsing, die sich danach sicherlich noch oder wieder in den dunklen Keller trauen, auch wenn die Glühbirne kaputt ist.

Bewertung vom 16.10.2024
Um jeden Preis
Ferreira Cress, Maximilian;Blaschke, Bernd

Um jeden Preis


gut

Nicht um jeden Preis
Der „Politthriller von Maximilian Ferreira Cress und Bernd Blaschke beginnt rasant. Verschieden Erzählstränge starten: Die Polizistin sagt in einem Prozess gegen einen Kollegen aus, der bei einem Einsatz Moosa Rachid getötet hat. Rechtsradikaler Hintergrund? Die junge Reporterin Michelle stellt ihre Auftragsarbeit für die Reederei Doorben vor, eine Chronik, die die nationalsozialistische und koloniale Vergangenheit des Unternehmens beleuchten und damit ein Ausdruck der Verantwortlichkeit sein soll. Ein Täuschungsmanöver? Als Michelles Reporterkollege, der an einer Story über Rechtsextremismus in der Polizei dran ist, überfallen, angeschossen und halb tot geprügelt wird, ist Michelles Spürnase geweckt. Und es scheint Verbindungen zu geben zwischen Nazi-Polizisten, Sicherheitsfirmen, der Reederei Doorben und anderen internationalen Wirtschaftsunternehmen sowie deren Anwaltskanzlei, geleitet vom Vater des Verlobten von Michelle. Bald wird klar, dass ihre Spurensuche schnell privat und gefährlich wird.
Der Erzählstil ist interessant, weil von recht harten Cuts geprägt. Hier macht sich die Handschrift des Drehbuchautors Bernd Blaschke sicherlich bemerkbar.
Allerdings wird dieser Stil meines Empfindens nach der Story auch bald zum Verhängnis. Die Figuren sind wenig entwickelt, ihre Handlungen oft nicht gänzlich nachvollziehbar. Sie agieren willkürlich und die Handlungsverläufe sind dementsprechend ein wenig sprunghaft. Die Geschichte spitzt sich immer mehr auf die Perspektive der Michelle zu. Die Gegner bleiben Schattenmänner – sowohl die Rechtsradikalen bei der Polizei wie die Wirtschaftsbosse, die für ihre Profite über Leichen gehen. Wer – wie angekündigt – einen Thriller über ein rechtsextremes Netzwerk bei der Polizei erwartet, wird enttäuscht. Das spielt mal eine Rolle, mal ist es mehr der koloniale Wirtschaftsstil, der von den Autoren angeprangert wird. Darüber hinaus geht es um die Problematik des Journalismus und der Sozialen Medien, der Unterscheidung von Propaganda, Fake news und ernsthaft engagierter Presse, die zum Opfer ihrer selbst wird: Lügenpresse und Verschwörungstheorien sind ein Thema. Dabei hat man, ohne das Problem klein reden zu wollen, manchmal selbst das Gefühl, nicht genau zu wissen, wo die Verschwörungstheorie anfängt bzw. aufhört: Da sind rechtsradikale Polizisten, die am Wochenende für einen international agierenden Sicherheitsdienst arbeiten, der, ausgestattet von einem Waffenlieferanten, Wirtschaftsprojekte deutscher Scheinfirmen auf den Bahamas mit Brachialgewalt durchsetzt. Das mag sicherlich alles vorkommen, ist aber für eine Story, wie ich finde etwas viel und auf gut 300 Seiten kaum differenziert zu entfalten. So bleiben für mich viele Fragen nach Plausibilität und Zusammenhängen und Handlungsmotivationen offen. Den Thriller muss man nicht um jeden Preis gelesen haben.

Bewertung vom 04.10.2024
Wüstenzauber (Band 1)
Arold, Marliese

Wüstenzauber (Band 1)


gut

Nicht magisch gebannt
Samira begleitet ihren Vater häufig. Er ist Händler und zieht Ort zu Ort. Als der Vater eines Tages auf der Suche nach einem besonderen liegenden Teppich verschwindet, ist Samira auf sich allein gestellt. Auf der Suche nach ihrem Vater begegnet sie einem Flaschengeist, einem Jungen mit einem weißen Kamel, das sprechen kann, und einem bösen Zauberer, der eventuell mit dem Verschwinden ihres Vaters zu tun haben könnte. Aber auch in Samira schlummern magische Kräfte, von denen sie noch nichts weiß. Und auch ihre verstorbene Mutter hilft ihr immer wieder in der Not.
Eigentlich eine spannende Geschichte mit vielen Abenteuern und viel magischem Flair wie aus Tausend und einer Nacht. Und doch hat mich die Geschichte nicht wirklich gepackt. Manchmal verliert sie sich zu sehr in einzelnen Ereignissen, aber der rote Faden, die Suche nach dem Vater gerät ins Hintertreffen, wie Samira selbst immer wieder einfällt Die Schilderungen gerade der Gedanken- und Gefühlswert sind bisweilen recht langatmig. Viele Motive kennt man aus anderen Märchen oder Geschichten.
Am Ende nimmt die Geschichte wieder an Fahrt auf, aber von Samiras Vater noch immer keine Spur. Da wird man wohl auf Teil 2 warten müssen, was einen als Leser etwas unbefriedigt zurücklässt.

Bewertung vom 24.09.2024
Im Warten sind wir wundervoll
Inden, Charlotte

Im Warten sind wir wundervoll


ausgezeichnet

Ein Märchen aus alten Zeiten
Wie ein Märchen oder ein Weihnachtswunder mutet die Geschichte von Luise Adler an. Sie ist eine junge Deutsche, die sich in einen amerikanischen GI verliebt, der mit dem 2. Weltkrieg nach Deutschland gekommen ist. Doch eine Verbindung zwischen einem Amerikaner und einer Deutschen ist von Seiten der amerikanischen Regierung gänzlich verboten und wird auch von den Deutschen misstrauisch beäugt. Aber Luise und Hunter meines es ernst. Als er zurück in die USA muss, scheint ihre Liebe aussichtslos, ist Luise die Einreise doch strikt verboten. Aber der War Bride Act eröffnet für eine kurze Zeitspanne eine Möglichkeit. Doch wo ist Hunter, als Luise am Idlewood Flughafen in New York landet? Mit Hilfe von Ernest, einem ehemaligen Journalisten, und Rosie, Bodenpersonal der New York Airlines, sowie einem Presseaufruf versucht halb New York, Luises Aufenthalt in den Vereinigten Staaten zu sichern. Denn irgendwo muss Hunter doch stecken.
Viele Jahre später macht sich Luises Enkelin ebenfalls auf den Weg nach Amerika, um den jungen Mann, den sie liebt, zu heiraten. Doch auf dem Flug macht sie eine verstörende Begegnung, die sie ihre Beziehung infrage stellen lässt.
Zwei Frauen zu zwei unterschiedlichen Zeiten erleben auf ganz unterschiedliche Weise das Wunder der Liebe. Eigentlich klingt das ziemlich kitschig. Aber genau das ist die Geschichte nicht. Die Figuren sind alle so charmant und liebreizend, dass sie direkt das Herz berühren. Man sieht die Bilder dieser Begegnungen an sich vorübergehen wie einen Hollywood-Klassiker aus den 50er oder 60er Jahren mit Doris Day oder Marilyn Monroe. Auch ist die Geschichte der Luise Adler in den Teilen, die im Nachkriegsdeutschland spielen, zu ernst, um kitschig zu sein. Auch wenn Luise, eine Person, die ein Zimmer zum Leuchten bringt, wenn sie es betritt, nicht solche Anfeindungen dafür erleben muss, dass sie sich mit einem Amerikaner, einem Kriegsgegner und Sieger, einlässt wie die Frauen, denen man die Haar schor und die man ächtete, so erlebt doch auch Luise Verlust, Hunger und den Schmerz, eine aussichtslose Liebe eingegangen zu sein. Und als sich ihr die Möglichkeit bietet, macht sie sich, die so in ihrer Heimat und Familie verwurzelt ist, dennoch auf in eine ungewisse Zukunft und muss zunächst erfahren, ganz auf sich gestellt zu sein.
Ich denke schon, dass das Buch das Schicksal einer War Bride gut vermitteln kann. Und auch so ist „Im Warten sind wir wundervoll“ von Charlotte Inden ein schön zu lesendes Buch, auch vom Schreibstil her sehr herzlich mit an passender Stelle leichtem Witz, aber angenehm unprätentiös und nie pathetisch-kitschig.
Auf jeden Fall vermisst man Ernest, Rosie, Hunter, Wilson, Tante Frieda und Luise schon in dem Moment, in dem man die letzte Seite zuklappt.

Bewertung vom 21.09.2024
Die Bilder meines Vaters
Goltz, Astrid

Die Bilder meines Vaters


ausgezeichnet

Eine bewegende Lebensreise
Die Romanbiografie „Die Bilder meines Vaters“ von Astrid Goltz lassen Marie Luise Vogeler ihr Leben als Tochter des Worpsweder Künstlers Heinrich Vogeler und als Lebensgefährtin und spätere Frau des Schriftstellers Gustav Regelers im Rückblick erzählen. Aus dem Exil in Mexico erzählt die an Krebs erkrankte Marie Luise im Angesicht des Todes von ihrer Kindheit in der Worspweder Künstlerkommune, von ihrer Ausbildung zur Goldschmiedin, ihrer Entfremdung des sich immer mehr dem Kommunismus zuneigenden Vaters und ihrer Begegnung mit ihrem späteren Ehemann Gustav Regeler. Dieser verschreibt sich unter Einfluss des Schwiegervaters in Spe zunehmend selbst dem Kommunismus und der stalinistischen Partei. Auch wenn ihn die Reisen, die er mit Marie Luise zu ihrem Vater nach Russland unternimmt und im Rahmen derer er an den Schauprozessen Stalins gegen seine politischen Gegner teilnimmt, vom Stalinismus Abstand nehmen lässt, so nimmt er doch den Kampf gegen den Faschismus auf, was ihn zunächst aus Deutschland nach Frankreich fliehen und von dort in den Kampf gegen Franco nach Spanien ziehen lässt. Mit Expansion des 3. Reiches muss er weiter nach Mexiko ins Exil.
So liest sich das vorliegende Buch zunächst eher so wie die Biographie von Marie Luises Vater und dann Lebensgefährten, was daran liegt, dass sie ihrem Motto gemäß „Seid getreu bis in den Tod und ich will euch die Krone des Lebens geben.“, das der Vater ihr einst in einem Brief aus dem 1. Weltkrieg schrieb, ihr Leben stets ganz den Idealen der Männer in ihrem Leben unterordnet. Dabei geht es ihr aber eher um die Person als um deren Ideen oder Ideale. So distanziert sie sich vom Vater, als dieser den geliebten Barkenhof ihrer Kindheit in eine kommunistische WG umwandelt, ohne sich aber ganz vom Vater lösen zu können. Genauso tritt sie zwar nie in die kommunistische Partei ein, wendet aber freiwillig Worpswede und Deutschland den Rücken, lebt im französischen Exil im Warten auf bzw. Bangen um den in Spanien kämpfenden Geliebten, um dann mit ihm unter dramatischten Umständen nach Mexiko zu fliehen, weil das freiheitsliebende Nordamerika keine Flüchtlinge und schon gar keine Kommunisten aufnimmt. Dort kämpft sie nicht nur mit dem Krebs, sondern auch um eine sinnvolle Existenz und die Liebe ihres Mannes, der schon längst einer anderen schreibt.
Ihr eigenes Künstlersein, gelernte Goldschmiedin und begabte Malerin, versucht sie in diesem Leben, das sich stets auch ein Stück weit von dem Einfluss der Männer zu entziehen sucht, als etwas ihr Eigenständiges zu wahren. Die phantasiebegabte „Heckenrose“, so ihr Spitzname, vermag es mit den Moorgestalten zu kommunizieren und in der Natur das Wesen hinter den sich manifestierenden Gestalten zu sehen, denen sie dann in ihren Bildern Ausdruck verleiht.
So sind die Naturbeschreibungen in diesem Roman auch eine besondere Stärke und verleihen ihm ein stimmungsvolle Atmosphäre, sei es in der Worpsweder Moorlandschaft, sei es in russischen Winterlandschaften oder in der mexikanisch exotischen Vegetation.
Zu Anfang muss man sich ein wenig an das Springen zwischen den verschiedenen Zeitebenen gewöhnen. Dazwischen eingeschoben sind Beschreibungen einzelner Bilder Vogelers, die entweder ein besondere Bedeutung für das Leben der Protagonistin haben oder eine bestimmte Entwicklungsstufe des Vaters spiegeln. Mir ist es allerdings nicht ganz leicht gefallen, von diesen Beschreibungen eine Anschauung des Bildes zu gewinnen.
Insgesamt ist das Buch sehr spannend zu lesen, und zwar in mehrfacher Hinsicht, für die man die anfänglich strukturelle Verunsicherung gerne in Kauf nimmt: zum einen die Darstellung der schillernden Figur des Heinrich Vogeler, desweiteren die Schilderung der künstlerischen, der ideologischen und der politischen Strömungen der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts und zwar über die Achse Deutschland, Russland, Frankreich, Spanien und Mexiko aus einer globalen Perspektive. Und last but not least das bewegende und bewunderungswürdige Leben einer jungen Frau, die sich neugierig auf eine Reise durch eine wirre Welt begibt, und das weniger aus Abenteuerlust, ist sie doch eigentlich in Worpswede tief verwurzelt und genießt das Sitzen mit den Freundinnen in der gemütlichen Stube bei Tee und Butterkuchen, sondern in tiefer Verbundenheit und Treue zu zwei sehr schwierigen, sehr um sich kreisenden Künstlermännern, die ihr Leben bestimmt und denen sie treu bis in den Tod folgt, doch ohne sich selbst dabei aufzugeben.
Dem Wunsch der Autorin, ihren Roman „als Ausgangspunkt [zu] nehmen, um mehr über die historischen Personen sowie ihre Zeitgeschichte zu erfahren und sich ein eigenes, ganzheitliches Bild zu machen, will man nach Lektüre des Romans nur zu gerne nachkommen.

Bewertung vom 18.09.2024
Und später für immer
Jarck, Volker

Und später für immer


ausgezeichnet

Leben wollen
Johann Meinert will kein Held (mehr) sein, er will nur noch (über)leben in den letzten Tagen des wahnsinnigen Tötens und Mordens des Zweiten Weltkrieges. Wie durch ein Wunder in den Fliegerhorst in Stade, nahe seiner Heimat, versetzt, nutzt der junge Funker die Gelegenheit, sich mit seiner Fliegereinheit aus dem Staub zu machen. Er versteckt sich in einer Scheune seines Onkels und seiner Tante und wartet auf das Ende des Krieges. Immer in der Angst, entdeckt und verraten zu werden, die Gestalt annimmt in Person der sechzehnjährigen Frieda, einem aufgeweckten, klugen, neugierigen und unerschrockenen Mädchens vom Nachbarhof, deren Brüder nicht das Glück haben, sich in Sicherheit zu bringen und dem großen Sterben am Ende des Krieges zu entgehen.
Das zähe Warten auf Frieden, die Hoffnung, weiterleben zu dürfen, nach Hause zurückkehren zu können und der jungen Ehefrau und baldigen Mutter des gemeinsamen Kindes das Versprechen zu erfüllen, „und später für immer“ zu bleiben, und die Angst, das zum Greifen nahe Ziel nicht erreichen zu können, quälen den jungen Deserteur. Hat er doch nichts anderes zu tun, als zu warten, eingesperrt in der Scheune, die er nicht verlassen darf, zur Untätigkeit verdammt, um sich nicht zu verraten. In der täglichen Ungewissheit, ob sie kommen und ihn holen werden, um ihn am nächsten Baum mit einem Schild um den Hals als abschreckendes Beispiel aufzuknüpfen als Vaterlandsverräter. In dieser Zeit liest Johann noch einmal seine knappen Tagebuchaufzeichnungen aus den letzten Kriegsjahren und die Briefe von Emmy, seiner Frau. Episodenhaft wandern seine Gedanken in seine Kindheit mit den drei Brüdern, die auch alle im Krieg sind, zu seiner Zeit mit der Truppe und seinem Kennenlernen von Emmy. In nicht-pathetischem, aber dennoch anrührendem Ton zeichnet der Autor damit die verschiedenen Facetten des Alltags, geprägt durch die grausame Präsenz des Todes und des Sterbens. Schon als der junge Johannes abenteuerlustig in den Krieg zieht mit dem Anspruch, das Vaterland zu verteidigen und ruhmreich zu siegen, hängt die Ahnung der Möglichkeit zu sterben, die sich mit zunehmender Kriegsdauer mannigfach manifestiert und in dem flehentlich sich wiederholenden Gebet um das Überleben zum Ende hin verdichtet. Die Kostbarkeit des Lebens wird hier in und zwischen all den Szenen beschworen: „Seit fünf Jahren hat man uns gesagt, wofür wir zu sterben bereit sein müssen. Ich glaube, ich habe nun verstanden, wofür ich leben will.“
Zum Glück hatte Volker Jarcks Großvater das Glück von seinem Überleben erzählen zu können, sodass der Leser nun das Glück hat, Volker Jarcks Roman „Und später für immer“ lesen zu dürfen. Ein großartiges Buch, das dem Anspruch des Autors „nicht historisch wahr sein, sondern menschlich“ sein zu wollen, mehr als gerecht wird.

Bewertung vom 18.09.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


sehr gut

Ohne Heimat

„Als wir Schwäne waren“ ist wohl ein Roman mit autobiographischen Zügen. Der Erzähler kommt als Junge mit seinen Eltern nach Deutschland. Er wächst auf in einer Siedlung in Bochum, aus der immer mehr deutschstämmige Bewohner weg- und in die immer mehr Migranten unterschiedlichster Herkunft zuziehen. Das Leben in diesem Ghetto gestaltet sich als perspektivlos und ist geprägt von Kriminalität und Gewalt. Viele der Bewohner stammen aus einer sozial benachteiligten Schicht, bildungsfern, ohne Aufstiegschancen. Sie verdingen sich als Drogendealer oder Kleinkriminelle, gerieren sich als Halbstarke und mehr als einmal endet ein solches Leben früh und gewaltsam. Die Eltern des Erzählers sind anders. Sie sind studiert, gebildet. Aber auch für sie gibt es kaum Chancen, in der neuen Gesellschaft Fuß zu fassen. Sie versuchen ihren Status zumindest im Privaten zu kultivieren, erfahren von der Gesellschaft aber auch wenig Wertschätzung und Ausgrenzung. Das Weiterkommen scheint ein Privileg der Einheimischen zu sein. Dennoch versuchen sie dem Sohn ein Gefühl von Stolz und Würde zu vermitteln. Dieser steht zwischen beiden Polen. Zum einen zieht er mit den anderen Jugendlichen um die Häuser, dealt mit und hat viele Kontakte zu kriminellen Existenzen. Auf der anderen Seite hält ihn vielleicht sein Elternhaus davon ab, ganz in den Sumpf der Ausweglosigkeit zu rutschen. Er bleibt immer ein wenig der distanzierte Beobachter zum Geschehen.
In seinem Roman schildert Khani dieses Leben durchaus anschaulich und nachvollziehbar. Die Entwurzelung und Heimatlosigkeit des jungen Erzählers, seine Wut auf ein Land, das er sich nicht ausgesucht hat und das ihm und seinen Eltern keine Chance gibt, ist sehr greifbar. Das respektvolle Denkmal, das er seinen Eltern hier setzt, nötigt auch dem Leser einen entsprechenden Respekt ab und ein Gefühl davon, dass das Schicksal, das Menschen nötigt, ihre Heimat zu verlassen und in einem Land zu leben, in das sie eigentlich nicht wollen, ein ungerechtes und grausames ist.
Befremdlich sind bisweilen die ein wenig kryptisch, lebensphilosophischen Zwischentöne, deren Sentenzen und Bilder sich dem Zugriff verweigern. So bleibt mir letztlich auch das Bild der Schwäne diffus. In einem Land werden sie für Zugvögel gehalten, ähnlich dem Schicksal der Migranten dazu genötigt, immer weiter zu ziehen. In Deutschland aber ziehen sie nicht fort, sondern bleiben sie in ihren Gefilden. Ähnlich den Migranten, die aus dem Auffangghetto nicht hinauskommen, weil das Weiter-, das Fortkommen nur etwas für die Deutschen mit ihren Redewendungen ist, für die von nichts nichts kommt, die keine Müdigkeit vorschützen, Nägel mit Köpfen machen und auf das A-Sagen das B-Sagen folgt.
Der Roman ist sicher keine leichte Kost, am Ende ähnlich perspektivlos und desillusionierend wie das Leben im Ghetto. Während die Eltern wenigsten zurückkehren können an ihre heimatlichen Wurzeln, so bleibt dem Erzähler über seine Wut hinaus nur das Fortgehen ohne Ankommen. Was fängt der Leser an mit dieser Wut und dieser Erkenntnis? Soll er damit etwas anfangen? Oder geht es dem Autor mehr um das Loswerden und Luftmachen?