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Benutzername: 
Juti
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Insgesamt 726 Bewertungen
Bewertung vom 05.03.2025
Halle und Heidelberg (eBook, ePUB)
Eichendorff, Joseph Von

Halle und Heidelberg (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

kurz und knackig

Dieser Eichendorff hat doch glatt in Heidelberg mit einer Bäckerstochter rumgemacht und als es ernst werden sollte, also heiraten, da ist er verduftet. So mag es nicht wundern, dass er mit dem Ausruf endet: "sei nur vor allen Dingen jung! Denn ohne Blüte keine Frucht."

Dann lobt er noch den Katholizismus als neuen Zeitgeist, aber das schönste sind die Schmähungen, die er schreibt. "In Heidelberg selbst aber saß der alte Voß, der sich bereits überlebt hatte und darüber ganz grämlich geworden war. Mitten in dem staubigen Gewebe seiner Gelehrsamkeit lauerte er wie eine ungesellige Spinne, auf alles Junge und Neue zufahrend, das sich unvorsichtig dem Gespinste zu nähern unterfing. Besonders waren ihm, nebst dem Katholizismus, die Sonette verhaßt." Mich würde es nicht wundern, wenn hier eigene Lebenserfahrungen verarbeitet werden.

Eichendorff schreibt über die Romantik. Seltsam, dass er nicht Jena anstatt Halle gewählt hat. Aber in Halle wurde die Universität von Napoleon sogar aufgelöst.

Die Romantik umfasst nicht nur die Literatur. Malerei kommt wenig vor, aber Musik mit Beethoven und Mozart und andere Wissenschaften wie die Mittelalterforschung sind eindeutig romantisch.

Ein kurzer Text, der viel bietet und trotz seines Alters noch aktuell ist, also 5 Sterne.

Zitat: Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik; da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen und erzählen Burgen und Wälder ein wunderbares Märchen der Vorzeit, als gäbe es nichts Gemeines auf der Welt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.03.2025
Was du kriegen kannst
Böckmann, Clemens

Was du kriegen kannst


schlecht

Stasi-Prosa

Erste Überraschung: Das Buch beginnt mit Teil 2. Hinten im Buch finde ich daraufhin ein Inhaltsverzeichnis und bin beruhigt: Teil 1 folgt später.

Recht schnell merke ich aber, dass ich nicht viel mehr als Stasi-Akten lese. Die Protagonistin Uta wird als Sexarbeiterin auf reiche Wessis angesetzt und anstatt intime Beschreibungen geht es viel mehr um Geschenke und um Wohnungen,wo man das Handwerk ausüben kann. Anstatt Namen und Orte gibt es dauernd schwarze Balken. Das muss man mögen.

Schlimmer noch ist, dass ich dauernd zurückblicken muss, ob ich nicht Wichtiges übersehen habe, weil ich den Satz nicht sofort verstehe. Je länger ich lese, desto mehr merke ich: Es liegt am Text, der unverständlich geschrieben ist.

Also hoffe ich auf Teil 1, der die Herkunft von Utas Eltern behandelt. Und obwohl wir in der Nazi-Zeit sind, ändert sich der Ton nicht. Ich habe weiterhin das Gefühl, als lese ich Stasi-Akten.
Teil 2 (2) folgt. Nach zwei Seiten wird es immer noch nicht besser.

Es bleibt mir nichts anderes übrig, als den Text auf S.142 beiseite zu legen. Mein erster Verriss in diesem Jahr. 1 Stern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.02.2025
Die Achse der Autokraten
Applebaum, Anne

Die Achse der Autokraten


ausgezeichnet

Rettet die Demokratie!

Erst im Epilog auf Seite 157 fordert der frühere Schachweltmeister Kasparow, dass wir die Demokraten der Welt zusammenstehen. Er wird im Dank auch nochmal erwähnt. Wer einen Schachweltmeister erwähnt, kann ja nur ein gutes Buch schreiben.

Auf Seite 33 beschreibt die Autorin die Vorstellung in den 90er Jahren, als Russland und China ihre Märkte öffneten: „Man ging wie selbstverständlich davon aus, dass sich Demokratie und freiheitliches Gedankengut in einer offeneren und vernetzteren Welt einfach in den autokratischen Staaten verbreiten würde. Niemand konnte sich vorstellen, dass stattdessen die Autokratie und ihr Gedankengut in die demokratische Welt vordringen könnte.“

Putin wusste nämlich, dass die Wirtschaft im Ausland gerne „nichtfreiheitliche Systeme“ aufbaut (39), weil sich so mehr Geld verdienen lässt. Letzteres ist das Hauptziel Nummer eins der Autokraten. Nicht nur Russland und Putin, auch Chavez im ölreichen Venezuela gelten als Beispiel. Demokratische Kontrollen wurden beseitigt, Bestechung und Diebstahl wird Tür und Tor geöffnet.

Ferner wird die öffentliche Meinung beeinflusst. Fake News werden über Nachrichtenagenturen oder im Internet verbreitet, wie es gerade passt. Und selbst wenn der Faktencheck etwas richtig stellt, irgendetwas bleibt immer hängen.

Im nächsten Kapitel, das „ein neues Betriebssystem“ heißt, geht es um den Kampf gegen die Menschenrechte. Anstatt auf deren universelle Einhaltung zu pochen, vereinbaren die Autokraten eine Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. China kann also die Uiguren verfolgen, die – obwohl türkischstämmig – selbst im Exil in der Türkei vor chinesischer Verfolger nicht sicher sind.
Und wenn es doch einmal eine Opposition im Land gibt, werden deren Anführer nicht wie früher ermordet, sondern ihre Glaubwürdigkeit wird untergraben. Haltlose Behauptungen wie Bestechungen werden geschürt und etwas bleibt schon hängen.

Wie für ein gutes Buch üblich entlässt es uns nicht ohne Handlungsempfehlungen. Eine Art Zusammenfassung findet sich auf S.162: [Es] „suchen einige Autokratien – zum Beispiel VAE, Saudi-Arabien, Singapur oder Vietnam – die Zusammenarbeit mit der demokratischen Welt. […] Dagegen haben einige Demokratien – die Türkei, Israel, Ungarn, Indien oder die Philippinen – gewählte Oberhäupter, die kein besonderes Interesse am Schutz der Menschenrechte zeigen.“

Ein kluges Buch, das volle 5 Sterne verdient hat.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.02.2025
Die Gleichzeitigkeit der Dinge
Josten, Husch

Die Gleichzeitigkeit der Dinge


gut

dem Sensenmann auf der Spur

Vorweg: Lieber Verlag, Schriftgröße 11 wäre schön gewesen. So wurde ich verleitet, den eng aneinandergereihten Text in entsprechender Schnelligkeit zu lesen. Das passte deswegen gut, weil der Roman sich zwar durchgehend mit dem Tod beschäftigt, aber eine Rahmenerzählung fehlt.

Der Roman beginnt vielversprechend mit Sourie, der immer über den Tod spricht und seiner Freundin Tessa, die sich im Restaurant des Ich-Erzählers befinden.
So philosophiert Sourie auf Seite 17: „Nun, der Tod lächelt uns an […] Er ist das unlösbare Rätsel, das Wissen, das es nicht gibt. Eine grandiose Zumutung, denn er ist auch die absolute Gewissheit. Niemand kommt an ihm vorbei, doch wir wissen nichts über ihn. Wir wissen vieles über das Sterben, aber nichts über den Tod.“

Neben diese Bemerkungen landen wir schnell im Augustinusheim, wo die Pflegebedürftigen auf den Tod warten. Dabei denken sie über ihr Leben nach. In Erinnerung ist mir der Zoodirektor geblieben, der jeden Tag Sex haben musste. Und hier frage ich die Autorin, ob es nicht noch andere Formulierungen für Sex haben gibt.
Immer wieder tauchen Sinnsprüche auf, nicht immer sind sie gelungen. Doch auf S.137 wird über Demenzkranke Personen gesagt: „Im Idealfall vergessen sie irgendwann, dass sie vergessen.“

Doch nicht nur der Tod im Alter, auch der Tod durch Terror wird behandelt, da über einen Mann berichtet wird, der beim Konzert im Bataclom in Paris ums Leben kam. Aus meiner Sicht hat sich die Autorin über das Thema Tod umfassend gebildet, ja es kommt schon einem Sachbuch nahe.
Auch unsere Hauptfigur Sourie hat mehr mit dem Tod zu tun, als wir anfangs glauben. Ich will aber nicht spoilern.


Wie ich schon oft geschrieben habe, aber lange nicht mehr: Ein Buch mit Licht und Schatten, 3 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.02.2025
Vienna
Cockett, Richard

Vienna


sehr gut

Wie eine Stadt die moderne Welt entstehen ließ

Hätten Sie gewusst, dass fast alles, was wir heute bewundern, in Wien den Ursprung hatte? Sei es die großen Schriftsteller Alfred Polgar und Stefan Zweig, sei es der Fußball. 1931 gelang ein 6:0 Sieg über Deutschland.

Im ausgehenden Habsburgerreich war das Bildungssystem zwischen 1867 und 1914 eins der besten der Welt. Nach dem Ersten Weltkrieg verließen die Bewohner der nun unabhängigen Staaten die ehemalige Hauptstadt. Dafür zogen zahlreiche Juden nach, die ein Zehntel der Stadtbevölkerung ausmachten, während sie im Rest der Alpenrepublik gerade einmal 0,16% ausmachten.So waren 1861 noch 62% der Gymnasiallehrer Katholiken. Ihr Anteil schmolz bis 1871 auf 36 %.

Wir könnten mit Freud und Adler viel über den Ursprung der Psychologie in Wien reden, wir könnten aber auch an Biologen wie den Verhaltensforscher Konrad Lorenz erinnern. Kein Wunder, dass es das Aquarium zum ersten Mal in Wien gab.

Weitere berühmte Namen waren der Mathematiker Kurt Gödel oder der Physiker Ernst Mach, über die Musik müssen wir in Österreich erst gar nicht sprechen. Dann eben über die Philosophen Karl Popper (schöner Name) und Wittgenstein oder die Kunst der Sezession wie Klimt.

Auch der Populismus und der politische Arm des Antisemitismus hatte mit Karl Luger in Wien seinen Ursprung. Bekannter ist die Donaumetropole für die Erfindung der Sozialdemokratie, wieso man bis heute auch vom „Roten Wien“ spricht. Sozialen Wohnungsbau wie der Karl-Marx-Hof, der so lang ist, dass er 4 Tramhaltestellen hat, führen bis heute für eine Großstadt zu niedrigen Mieten. Weitere Gemeindebauten waren Winarsk-Hof, Wiedenhofer-Hof und der Reumannshof. (88)

Die Vorgehensweise des Buches erschließt sich mir nicht ganz. Auf S.112 wir das Werk „Sexualität im Kulturkampf“ vom Psychologen Reich erwähnt, um dann wieder über Mozart und Beethoven zu sprechen und schließlich mit dem Looshaus in der Architektur zu landen.

Ich habe gesehen, dass es eine deutsche Ausgabe gibt, so dass ich meine Lektüre nach 4 Kapiteln mit 4 Sternen beenden kann.

Bewertung vom 18.02.2025
Reichskanzlerplatz
Bossong, Nora

Reichskanzlerplatz


ausgezeichnet

die Lebensgeschichte eines Liebenden

Eigentlich könnte es ein harmloses Buch sein, eine Geschichte, die wir unendlich oft gehört haben, eine Dreiecksbeziehung. Doch selten ist zum einen, dass der Liebende schwul ist und dies in der Nazi-Zeit verbergen will und zum anderen ist es außergewöhnlich, dass die Geliebte Magda Quandt heißt.
Quandt ist bis heute eine der reichsten Unternehmerfamilien Deutschlands, was auch problematisiert wird, da das Unternehmen während der Nazi-Zeit von Zwangsarbeitern profitierte.

Noch viel brisanter wird die Geschichte, wenn man weiß, dass Magda Quandt sich scheiden ließ und Josef Goebbels heiratete. Die beiden waren die Vorzeigefamilie der Nazis, obwohl der Mann etliche Seitensprünge machte. Da zählt der eine Liebhaber Magdas ja nur als Vergeltung. In Wikipedia steht das der Führer selbst die Ehe retten musste, hier wird das eher am Rande erwähnt, weil in den Kriegsjahren die Hauptfigur in der italienischen Botschaft arbeitet und den direkten Kontakt zu Marta verliert.

Ein Buch über die existentiellen Dinge des Lebens, auch weil Magdas und Quandts Sohn Helmut stirbt, was historisch nicht stimmt. Dieser Sohn leitete mit seinem Halbbruder die Firma. Ich habe das Buch schnell und gerne gelesen. Selbst wenn, wie die Zeit schreibt, der Wikipedia- Artikel von Magda Quandt ausreichen würde, man muss ihn erstmal finden. Und dieses Werk ist viel emotionaler.
5 Sterne für ein Buch der Longlist, die im letzten Jahr viele gute Bücher hatte. Ich hoffe, dass ich die drei von mir noch nicht gelesenen Bücher der Shortlist genauso gut finde.

Zitate: Haben Sie schon Charlotte gesehen? […] In ihrem Dekolleté könnte man Fledermäuse verstecken! (76)
Die Weimarer Republik mit ihren kleinteiligen Parteien und Anliegen hatte sich nicht bewährt in dieser Zeit, in der eine Wirtschaftskrise auf die nächste folgte und die Menschen sich am Abend ins Bett legten, das schon verpfändet war, ehe sie wieder aufwachten. Weimar war etwas Gutes, solange die Suppenküche nur die drei, vier Verlorenen des Viertels bediente, die die Köchin beim Vornamen kannte, und nicht die Massen, die straßauf, straßab anstanden, Großfamilien, Kleinfamilien, einsame Alte, zuversichtliche Junge, die jeden Morgen auf die Straße traten, dass es auch wieder besser werden würde. (146)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.02.2025
Seelenzauber
Ayan, Steve

Seelenzauber


ausgezeichnet

Ein äußerst empfehlenswertes Buch, das über viele Persönlichkeiten der Psychologie berichtet. Wie Freud seine Psychoanalyse entwickelt. Wie Adler, der in Freuds Gesinnungskreis kaum zu Wort kommt und deshalb selbst eine freie Psychoanalyse entwickelt.

Auch die Verhaltenstherapie von Watson wird zum Thema, weil besagter Mann die Traumdeutungen und die verdrängte Erfahtungen von Freud für Unsinn hält.
Auch der Urvater aller Selbstoptimierer und Verkäufer Gutmann hat später Amerika erobert.
Wie gesagt, sehr empfwehlenswert.

Bewertung vom 13.02.2025
Auf allen vieren
July, Miranda

Auf allen vieren


sehr gut

Das feuchteste Buch des Jahres

Buchse auf und rubbel die Katz! So lautet die Devise für dieses Buch. Natürlich ist die Handlung dann irgendwann egal. Die Ich-Erzählerin hat Torschlusspanik, dass nach der Menopause der Östrogengehalt so sinkt, dass sie keine Lust mehr hat. (Grafik 215)

Auf Seite 315, also erst im letzten Drittel steht der Satz, der zum ersten Auftritt von Sam gehört hätte: „Sam ist nonbinär. Geschlechtsneutrale Pronomen dey/demn.“ Passend darauf die Antwort: „Ah, verstehe. Das ist ja ganz was Neues“


Also, das Buch hat schon seine Mängel und gegen Ende habe ich vor lauter Gefummel den Faden verloren. Sagen wir mal 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.02.2025
Das Philosophenschiff
Köhlmeier, Michael

Das Philosophenschiff


ausgezeichnet

Die Revolution entlässt ihre Kinder

Ein Russland-Roman in westeuropäischer Kürze. Doch nicht Putin ist das Thema, sondern Lenin und seine Gräueltaten.
Alles wird beschrieben von einer hundertjährigen Architektin, die auf Ereignisse im Jahr 1922 zurückblickt. Damals musste sie mit ihren Eltern auf dem Philosophenschiff die Sowjetunion verlassen. Nur warum durfte sie, warum wurden sie nicht gehängt oder geköpft?

Nebenbei sei bemerkt, dass sich auch ein Mathematiker auf dem Schiff befand, der dem Mädchen folgendes Rätsel gibt. Ein zum Tode Verurteilter hat noch einen letzten Satz frei. Ist der Satz richtig wird er geköpft, ist der Satz falsch, wird er gehängt. Doch wenn der Verurteilte den richtigen Satz findet, kommt er frei. Lest dieses Buch, erfahrt die Antwort!

Der Autor erwähnt wie schon Sargnagel den Roman „Oblomow“, wo die Hauptfigur nur im Bett liegt. Offenbar ist sein Werk in Österreich nationales Kulturerbe.

Weiter werden viele russische Künstler zitiert, doch manches ist auch Fiktion. Ich habe dieses 220 Seiten kurze Büchlein schnell und gern gelesen. 5 Sterne. Oblomow lese ich noch in diesem Frühling.

Zitate:
Ich war vierzehn Jahre alt und hatte bereits einen Busen. Meine Mutter sorgte sich, dass er sehr groß werden könnte. Weil er schon so früh anfing. Er ist dann ja au. ch groß geworden. […] Die Damen zu der Zeit […] bevorzugten einen kleinen Busen oder gar keinen. Am besten gar keinen. Pech gehabt. Sonst war ich noch ein Kind. Sogar mehr ein Kind als die anderen Mädchen in meinem Alter, die noch keinen Busen hatten. Außerdem störte er beim Turnen und ich war eine gute Turnerin und tat es gern. (13)

Ich habe eine Liste von Dingen zusammengestellt, die wir als Erstes vergessen wollen (104)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.01.2025
Vierundsiebzig
Othmann, Ronya

Vierundsiebzig


sehr gut

Der Genozid an den Jesiden

Eigentlich ist mit ja egal, ob dieses Buch ein Roman ist oder nicht. Wäre es ein Sachbuch, hätte es nicht am Deutschen Buchpreis teilgenommen und wäre nicht oder erst später bei mir gelandet, weil ich - wie jedes Jahr – die ganze Shortlist lesen will.

Nach den beiden Nieten startet dieses Buch fulminant mit dem 3. August 2014, dem Tag als der Islamische Staat (IS) die Jesiden überfiel. 2018 fliegt sie zum ersten Mal ins Zweistromland, um mehr von diesem Genozid zu erfahren. Anfangs bedrückt mich die ganze Gewalt, die Kämpfe, die Morde, die Vergewaltigungen, die Entführungen.

Mir wird klar, dass die Autorin so keine 500 Seiten füllen kann und deswegen beschäftigt sie sich auch mit dem Familienbesuch, denn ihr Vater ist Jeside und ein großer Teil der Familie lebt noch im Morgenland, also in den heutigen Staaten Irak, Syrien, Türkei und Armenien.

Letztere beide werden auch ausführlich behandelt, haben doch die Türken 1916 einen Völkermord an den Armeniern verübt. Die Autorin zählt dann viele Völker auf, die „Geschwister“ der Jesiden sind, weil sie einen Völkermord erlitten haben. Im Museum in Erbil ist auch der Völkermord an den Asyrern (bin nicht ganz sicher, vielleicht hießen sie anders) dargestellt, den hier kaum jemand kennt.

Zwischenzeit wird ausführlich das Gerichtsverfahren gegen Jennifer W. Geschildert, die in Falludscha in der Sommerhitze ein 5jähriges Mädchen einfach verdursten ließ.

Während die meisten (früheren) Wohnorte der Jesiden im Kurdengebiet in Syrien und im Irak liegen, beschäftigt der Schlussteil sich mit einer Reise in die „Umstrittenen Gebiete“, die nicht von Erbil sondern von Bagdad aus verwaltet werden. Der Großvater der Autorin wurde schon in der Türkei umgebracht, der Rest der Familie konnte mit dem Auto ins Sindschar-Gebirge flüchten.

Die Autorin hat große Mühe aufgewandt und sich von „Ich schreibe“ über „Ich lese“ zu „Ich notiere“ weiterentwickelt. Zwischendurch behandelt sie auch die Geschichte der Jesiden, aber nur europäische Reisende scheinen schriftliche Quellen hinterlassen zu haben. Die jesidische Religion hat keine Bücher. Warum die Jesiden von ihren Nachbarn auch „Teufelsanbeter“ genannt werden, wird aber mit keinem Wort erwähnt und Carsten Niebuhr aus dem 18. Jahrhundert scheint die Autorin nicht zu kennen.

Es kann also noch ein dritter „Roman“ folgen. Für diesen gibt es 4 Sterne, das beste Buch der Shortlist, das ich gelsen habe, aber es folgen noch ein paar.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.