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jr17

Bewertungen

Insgesamt 41 Bewertungen
Bewertung vom 30.03.2022
Die Diplomatin
Fricke, Lucy

Die Diplomatin


ausgezeichnet

Lucy Fricke beweist erneut, was sie kann: Mit Humor und einer bestechenden Beobachtungsgabe begibt sie sich mit "Die Diplomatin" auf das Parkett der internationalen Politik. Dabei ist ihre Hauptperson, eine knapp 50-jährige Diplomatin namens Fred, ebenso nahbar, wie amüsant. Während sich Fred zunächst in Uruguay zu Tode langweilt, einzig die Feier zur deutschen Einheit ist zu planen, scheint sie in dieser sonst so ruhigen Umgebung kein Glück mit der Ruhe zu haben. Auch zwei Jahre später, in Istanbul, ist es alles andere als ruhig im Umfeld der Konsulin. Etwa die erste Hälfte des Romans überzeugt mit besagtem Witz und dem inneren Konflikt der Hauptperson, sich an die Regeln zu halten oder dem eigenen Instinkt zu folgen. Vor allem aber im zweiten Teil, wenn dieser Konflikt größer wird, nimmt die Handlung an Fahrt auf und als Fred beginnt, eigenmächtig zu handeln, möchte man das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

Bewertung vom 10.03.2022
Der Papierpalast
Heller, Miranda Cowley

Der Papierpalast


gut

Elle ist Mitte 50. Trotzdem kann sie sich nicht entscheiden: Die Jugendliebe Jonas oder Ehemann Peter? Während sie in Rückblicken ihr Leben schildert, kommen natürlich Sympathien auf. Da ist eine Frau, eigentlich Mitten im Leben, glücklich. Doch unter der Oberfläche, wie so oft, verbirgt sich ein langer Weg geprägt von Leid, Schmerz aber auch Freude und Zuversicht. Und ganz, ganz vielen Entscheidungen. Obwohl Elle allerdings die Entscheidung, Peter geheiratet zu haben, keine Sekunde in Frage stellt, ist sie unentschieden. Während eine schaurige Geschichte die Erklärung dafür liefert, warum es mit Jonas nicht geklappt hat, werden viele Entscheidungen Elles nicht richtig motiviert. Sie handelt impulsiv. So sind einige Episoden gut nachvollziehbar, man fühlt und fiebert mit, andere machen wütend: Auf Elle, auf Jonas, auf Menschen, die vor allem eines im Kopf haben. Sich selbst.
Cowley Heller schafft eine tolle Atmosphäre in ihrem Roman. Trotzdem hätte ich von Erwachsenen ein Verhalten erwartet, dass sich von dem 15-Jähriger unterscheidet.

Bewertung vom 05.03.2022
Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße


ausgezeichnet

Michael Hartung ist sympathisch. Ein wenig grummelig, ein bisschen hängengeblieben, aber irgendwie nahbar. Deshalb fiebert man auch mit, als er plötzlich ungewollt und vor allem unverdient zum Helden wird.
Dieser Roman bringt auf den Punkt, welche Probleme sich noch heute bei der Wiedervereinigung Deutschlands ergeben. Doch so trocken das klingt, so lustig ist das von Autor Maxim Leo realisiert. Nicht selten bringt einen der Roman zum Nachdenken, vor allem aber zum Schmunzeln oder direkt zum Lachen. Ohne Pathos legt er den Finger in die Wunde einer verschrobenen Erinnerungskultur, die lieber erklärt, als zuhört und das ein oder andere noch immer nicht gelernt zu haben scheint. Ein Buch für all diejenigen, die sich selbst nicht allzu ernst nehmen und all jene, die genau das lernen wollen. Eine Geschichte, die die Lesenden gleichermaßen fordert und unterhält. Das wahrlich gelungen erzählte Leben eines ungewollten Hochstaplers.

Bewertung vom 14.02.2022
Dschinns
Aydemir, Fatma

Dschinns


ausgezeichnet

Wenn Familien im Mittelpunkt stehen, haben Romane häufig die Tendenz, sich in die Länge zu ziehen. Familienmitglied um Familienmitglied muss eingeführt, entwickelt und in Aktion gezeigt werden. Nicht so bei Fatma Aydemir. "Dschinns" ist eine temporeiche Erzählung über das Leben einer kurdisch-stämmigen Familie. Die Eltern sind zum Arbeiten nach Deutschland gekommen, die Kinder leben zwischen den Kulturen, versuchen ihren Platz zu finden. So weit, so wenig neu. Doch Aydemir erzählt frisch, gibt jeder Person einen ebenso individuellen wie glaubwürdigen Charakter, führt die Erzähl-Stränge gekonnt zusammen und löst auf, was erzählt werden muss, ohne in die Falle zu tappen, so viel zu erzählen, dass das Buch seine Interpretationsräume verliert. Konfliktreiche und gleichzeitig liebenswerte Charaktere. Die Frage, nach der Verantwortung für das eigene Leben. Und ein ehrliches Bild von Deutschland um die Jahrtausendwende. Rundum, der fesselnder Roman einer wahrlich großen Autorin.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.02.2022
Erschütterung
Everett, Percival

Erschütterung


ausgezeichnet

Viele Menschen haben eine mehr oder weniger realistische Einschätzung von sich selbst. So auch Zach Wells, Paläontologe, Professor, Ehemann, Vater. Besonders in seiner Rolle als Vater geht er auf, seine 12-jährige Tochter ist sein ein und alles. Er weiß selbst, dass sie seine beste Seite zum Vorschein bringt. Als Tochter Sarah jedoch eine Diagnose bekommt, die darauf hindeutet, dass sie in absehbarer Zukunft sterben muss, muss auch Vater Zach sich eingestehen, dass damit das Beste in ihm verloren gehen wird. Von dieser Angst getrieben, sucht er händeringend etwas, das seinem Leben Sinn gibt. Er setzt sich für eine Kollegin ein, die keine Festanstellung an der Universität bekommen wird. Er forscht einer Hilfsbotschaft nach, die in einer auf ebay erworbenen Jacke aufgetaucht ist. Dabei reflektiert er sich selbst oft sarkastisch, der Humor Percival Everetts ist unverkennbar. Immer wieder musste ich beim Lesen auflachen, obwohl mir auf Grund der bedrückenden Gesamtsituation zum Heulen zu Mute war. Ein wahrlich beeindruckender Roman über Trauer, Hoffnung und der Umgang mit dem eigenen Verhalten.

Bewertung vom 20.10.2021
Althea Gibson - Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin
Schoenfeld, Bruce

Althea Gibson - Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin


gut

Althea Gibson ist eine faszinierende Person. Daran besteht kein Zweifel. Die US-Amerikanerin aus Harlem, die in den 1950er Jahren mit Ende 20 eine der besten Tennis-Spielerinnen der Welt war, trat bereits zu Jugend-Zeiten mit dem Selbstbewusstsein einer Wimbledon-Siegerin auf. Auch wenn es noch Jahre dauern sollte, bis ihr dieser Triumph gelang.
Bruce Schoenfeld macht in seiner Schilderung dieser besonderen Spielerin allerdings noch eine zweite Geschichte auf: Die ihrer Doppelpartnerin Angela Buxon, mit der Althea das erste Mal in Wimbledon triumphierte. Das Buch bekommt dadurch teilweise einige Längen, die nicht zwingend sein müssten. Auf der anderen Seite wird die Erzählung dadurch reicher: Es ist nicht nur die Erzählung einer schwarzen US-Amerikanerin, die sich im versnobbten, weißen Tennissport behaupten muss, sondern auch die einer jüdischen Engländerin, die, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß, ebenfalls immer und immer wieder von der Tenniswelt ausgeschlossen wurde.
Fans des Tennissports, aber auch solche, die es nicht sind, können in diesem Buch wahnsinnig viel lernen. Über die Individualität der mentalen Stärke. Über den Sportlerinnen-Alltag. Und darüber, dass Sport nie gänzlich unpolitisch sein kann.

Bewertung vom 08.10.2021
DAFUQ
Jarmysch, Kira

DAFUQ


sehr gut

Sechs Frauen in einer Arrest-Zelle. Es ist jedoch nicht irgend eine Arrest-Zelle, sondern eine in Russland. Anja, die Protagonistin des Romans, muss zehn Tage im Arrest verbringen, weil sie eine Anti-Korruptions-Demo mit veranstaltet haben soll. Zunächst eingeschüchtert von ihren Zellen Genossinnen, lernt sie die anderen Frauen in den ersten Tagen immer besser kennen. Die meisten sind ohne Führerschein Auto gefahren, mit Politik hat von den anderen niemand etwas am Hut.
Wie sechs unterschiedliche Frauen sich gezwungenermaßen aufeinander einlassen, beschreibt Kira Jarmysch mit großem Talent. Immer wieder schweift die Erzählung ab in die Vergangenheit der Insassinnen, besonders aber in die von Anja. Doch nicht nur Anjas Lebensgeschichte spielt hier immer wieder eine Rolle, sondern auch die Frage, was mit Menschen passiert, die in einer Zelle weitgehend auf sich und die eigenen Gedanken gestellt sind. Wer sind ihre Zellen-Nachbarinnen wirklich?
Ein packender Roman, der die großen Themen des Mensch-Seins beleuchtet: Wer sind wir wirklich?

Bewertung vom 25.09.2021
Das Glashotel
Mandel, Emily St. John

Das Glashotel


sehr gut

Das Glashotel ist anders. Hauptperson Vincent ist anders. Sie verliert früh ihre Mutter, versucht ihren Weg im Leben zu finden. Dabei lernt sie sich immer besser selbst kennen. Emily St. John Mandel begegnet all ihren Figuren mit Abstand. Auch Vincent lernt der/die Lesende zunächst nicht direkt kennen. Das erste Kapitel, das eine Geschichte erzählt beschäftigt sich zunächst mit Vincents Halbbruder. Durch den dichten Schleier von Pauls eigenen Problemen, stellt St. John Mandel Vincent vor. Auf diese Art und Weise erzählt sie den gesamten Roman: Durch den Blick ganz vieler Charaktere und einen nicht linearen Umgang mit Zeit ergibt Das Glashotel am Ende ein Panorama der Geschehnisse, dessen Fokus von Lesendem zu Lesender unterschiedlich sein kann. Durch diese verschiedenen Perspektiven verwischt St. John Mandel außerdem die Grenzen zwischen Realistischem und Unrealistischem. Ein Roman, der vor Augen führt, wie unterschiedlich Menschen ein und das selbe Ereignis erleben.

Bewertung vom 24.08.2021
Der Mauersegler
Schreiber, Jasmin

Der Mauersegler


sehr gut

'Der Mauersegler' ist Jasmin Schreibers zweiter Roman. Und ein zweites Mal gelingt ihr, woran so viele zuvor gescheitert sind: Sie beschäftigt sich auf einfühlsame, ehrliche und gerade deshalb sehr interessante Art mit dem Thema Tod. Doch dieses Mal kommt ein zweiter Aspekt hinzu: die Schuld. Wie umgehen, mit dem Gedanken, am Tod eines geliebten Menschen schuldig und wenn nicht schuldig, dann doch mitverantwortlich zu sein? Wie umgehen mit den Blicken der anderen und noch schlimmer, den eigenen Gedanken?
Jasmin Schreiber ist eine junge Autorin, deshalb sei ihr die ein oder andere sprachliche Unsauberkeit nachgesehen, wenn Naturbeobachtungen zu gut formuliert klingen für den 10-Jährigen, der beobachtet. Oder Charaktere in ihrer Sprache im einen Moment sehr gewählt, im nächsten eher flapsig klingen. Doch wenn es um die Innenansicht besonders der männlichen Hauptperson geht, oder wenn man die Art und Weise betrachtet, mit der sie sich an das omnipräsente und doch so oft verschwiegene Thema Tod heranwagt, so bleibt kein Zweifel daran, dass hier eine Autorin am Werk ist, von der noch viel zu erwarten ist.

Bewertung vom 04.05.2021
Der Junge, der das Universum verschlang
Dalton, Trent

Der Junge, der das Universum verschlang


ausgezeichnet

Trent Dalton ist der Meister des Details. Mit seinem Debütroman erschafft er eine ganz eigene Welt, in dessen Mittelpunkt ein Junge steht, der einem von Anfang an sympathisch ist. Während sein Bruder August nicht spricht und stattdessen Wörter in die Luft malt, ist Eli der vorlautere der beiden. Doch so unterschiedlich sie sind: Die Brüder halten zusammen. Gegen das Drogen-Dealende Umfeld, eine heruntergekommene Wohngegend und Menschen, die ihnen das Leben schwer machen möchten. Im Rahmen dieser Handlung öffnet Dalton ein Panorama aus kleinen Geschichten, oft Geschichten in der Geschichte, er geht vom Kleinen ins Kleinste. Und doch: Egal was passiert, welche Entscheidungen getroffen und wessen Vergangenheit hervorgeholt wird, Dalton erzählt unterhaltsam, packend, lebendig. Das Buch zur Seite legen - ein absurder Gedanke.