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Brombeere

Bewertungen

Insgesamt 205 Bewertungen
Bewertung vom 25.09.2024
VIEWS
Kling, Marc-Uwe

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sehr gut

krasses Gedankenspiel

Worum geht es?
Ein Mädchen verschwindet und dann taucht ein verstörendes Video auf, das das Land ins Chaos stürzt und die Polizei unter Druck setzt.

Worum geht es wirklich?
Fortschritt, Hass und Gewalt.

Lesenswert?
Ja, wobei ich es das Hörbuch besser fand als das Buch.
Im Mittelpunkt steht die Ermittlerin Yadira Saad, die eine führende Rolle übernimmt, nachdem ein brutales Video mit dem verschwundenen Mädchen Lena aufgetaucht ist und schnell viral geht. Bevölkerung und politische Gruppen schreiten direkt zur Tat und die Stimmung im Land ist aufgeheizt.
Gerade in solchen Szenen gibt es seitens des Buches eine große Gesellschaftskritik, zeigt der Autor doch Situationen, die auch bei uns aktuell möglich wären. Daneben gibt es jedoch auch viele kleine realistische Momente, die auch Veränderungen in der Gesellschaft zeigen und Generationsunterschiede.
Kling formuliert hier seine Kritik recht offen, manchmal wirkt es dabei vielleicht ein wenig plump. Trotzdem finde ich den Ansatz sehr gelungen, über solch eine Geschichte der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten.
Sprache gewohnt gut lesbar, Hörbuch vom Autor selbst gelesen und daher natürlich richtig toll.
Interessant ist der Kapitelaufbau, der immer zum nächsten entscheidenen Punkt springt und sich daran entlang hangelt. Langweilige Passagen sind mir nicht begegnet, dafür ist das Buch mit weniger als 300 Seiten natürlich auch echt kurz und knackig.
Möglicherweise ahnt man schon recht früh, in welche Richtung das Ganze gehen könnte. Hier ist es schwer, ohne Spoiler zu bewerten. Daher neutral verfasst: Die Auflösung hat mich jetzt nicht überrascht, das Ende hat es aber definitiv nochmal herausgeholt und war in meinen Augen super stimmig.
Die Menschen, die hier Lügen wittern, sollten vielleicht einmal in sich gehen, die Situation mit einem Schritt Abstand betrachten und sich fragen, wie viel hier wirklich nur Fiktion ist.
Klingt überzeugt mich einmal mehr und es ist sehr schön, dass man ihm in seiner Denkart als lesende Person vertrauen kann, dass es keine ausgeschlachtete Brutalität oder phrasendreschende Diskriminierung geben wird.

Bewertung vom 24.08.2024
Ich komme nicht zurück
Khayat, Rasha

Ich komme nicht zurück


sehr gut

Erwachsenwerden voller Verluste

Worum geht es?
Zeyna, Hanna und Cem wachsen miteinander auf, doch bereits in ihrer Kindheit gibt es einschneidende Erlebnisse und Jahre später ist von der engen Freundschaft nicht mehr viel übrig. Hanna versucht diesen Verlust zu verarbeiten und ihn ungeschehen zu machen.

Worum geht es wirklich?
Neuanfänge, Freundschaft und Rassismus.

Lesenswert?
Ja, obwohl keine sehr umfangreiche Geschichte, so dennoch recht bewegend und teilweise schön teilweise traurig. Erzählt wird die Handlung von der erwachsenen Hanna, die von den Erlebnissen in diesem Moment und der Vergangenheit berichtet. Dabei widmet sie ihre Erzählung immer einer anderen Figur, die sie mit „du“ anspricht und bei der es sich um Zeyna handelt, ihre Kinderfreundin, die sie aber mittlerweile verloren hat. Auch zwischen Hanna und Cem ist nicht mehr alles so leicht wie früher.
Erst nach und nach erfährt man, wie sich die Freundschaft entwickelt hat, welche Hürden sich zwischen sie gestellt haben, sowohl von außen als auch von innen.
Die Freundschaft entsteht eher spontan und ohne viel Nachdenken, die drei Kinder haben einige Gemeinsamkeiten in ihrem Leben. Und dennoch ist da immer eine Kluft zwischen Hanna und Zeyna, was erstere nie sehen will und zweitere ihr sehr deutlich sagt. Denn während Hanna viele Dinge unbeteiligt miterlebt, werden Zeyna und ihr Vater angefeindet nach den Terroranschlägen 9/11 und ist es Zeyna, die schon jung auf die Suche nach einer neuen Heimat gehen muss. Dazu kommen rassistische Anschläge auf geflüchtete Menschen.
Ich finde die Figuren sehr interessant, ebenso wie die Nebenfiguren, die teilweise echt sympathisch aufgefallen sind.
Interessant ist der Blickwinkel aus Hannas Sicht, einerseits zurückgelassen, andererseits aber auch naiv unwissend (oder angeblich unwissend) und auf sich selbst fokussiert. Spannend, dass die Autorin, die selbst als Kind aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen ist, aus der Sicht der hier geborenen Hanna erzählt und damit quasi den Blickwinkel der Figur einnimmt, die nicht von Rassismus betroffen ist.
Sprachlich hat mir das Buch gefallen die Perspektive in der Du-Form ist wie gesagt Geschmacksache, aber die teilweise poetischen Stellen mochte ich sehr. Man kann das Buch sehr zügig lesen, möchte dabei keine Stellen überspringen und wird immer wieder ein bisschen emotional und/oder nachdenklich.
Hat mir im Großen und Ganzen recht gut gefallen und habe ich gerne gelesen.

Bewertung vom 24.08.2024
Öl ins Feuer
Hartmann, Kathrin

Öl ins Feuer


sehr gut

Worum geht es?
Um weitere Gewinne unter dem Deckmantel Klimaschutz und um angeblich grünen Kapitalismus.

Worum geht es wirklich?
Menschenleben, Rassismus und Scheinwelt.

Lesenswert?
Ja, dieses Buch hat mich in großen Teilen einfach richtig wütend und fassungslos gemacht. Die Autorin erklärt dabei zum Beispiel die Themen LNG und Fracking. Letzteres sowohl in der Theorie als auch die praktische Umsetzung in den USA. Und - viel entscheidender - die Folgen.
Es geht darum, auf wessen Rücken bestimmte Dinge umgesetzt werden, welche Menschen die Leidtragenden sind und dass auch vermeintlich grüne saubere Lösungen meist im letzten Schritt dreckig und gefährlich sind. Nach vorne oder für ein Wohlstandseuropa klingen sie jedoch schön und sauber und verbessern das Image.
Viel geht es auch darum, dass dreckige Firmen und Länder ihr Bild nach außen verbessern, sich als Retter darstellen, super Lösungen präsentieren. Diese sind dann nur halbgar oder gefährlich oder zum Scheitern verurteilt.
Ich bin ehrlich: Ein Großteil des Buches hätte ich einfach nur schreien wollen, weil mich diese Arroganz und das Bild von „Wohlstand erhalten, nichts abgeben, süße saubere Lösungen retten alles“ so extrem wütend gemacht hat.
Meiner Meinung nach zeigt das Buch (das übrigens gut verständlich ist) warum die präsentierten angeblichen Lösungen in Wahrheit keine sind. Führt natürlich dazu, dass einem beim Lesen klar wird, dass wir ein Problem haben und es einfach keine Lösungen gibt, die ohne Verzicht auskommen.
Ich wünschte, dass viel mehr Menschen dieses Buch und dieses Thema begreifen!
Hierbei kritisiert die Autorin auch oft die Ampel-Regierung, deren angeblicher Klimaschutz eben doch keiner ist und uns keinen Schritt weiter bringt bei unserem gesamtweltlichen Problem.
Gefehlt hat mir ein Ausblick oder irgendein Aufzeigen von guten Lösungen. Außerdem habe ich es als widersprüchlich empfunden, dass die Autorin einerseits davon spricht, dass Einzelverhalten nicht die Lösung sein wird, dann zeitgleich aber positiv erwähnt wie sich Einzelbäuer*innen in manchen Ländern gegen Agrarkonzerne stellen. Das hat für mich nicht ganz zusammengepasst.
Alles in allem aber ein super informatives und lohnenswertes Buch, das ich sehr vielen Menschen in die Hand drücken möchte!

Bewertung vom 19.08.2024
Karte der Wildnis
Macfarlane, Robert

Karte der Wildnis


gut

Worum geht es?
Der Autor erlebt und analysiert die Wildnis in seiner näheren Umgebung, spürt sie mit allen Sinnen.

Worum geht es wirklich?
Geschichte, Besitz und Natur.

Lesenswert?
Teilweise ja, teilweise eher enttäuschend. Ich muss gestehen, dass ich den Autorennamen nicht kannte. Robert Macfarlane lebt in Großbritannien und ist ein preisgekrönter Autor im Bereich Natur.
Der Klappentext klingt sehr ansprechend und ich habe gewisse Erwartungen an dieses Buch gehabt.
Sprachlich hat es mir auch wirklich gut gefallen (toll übersetzt von Frank Sievers und Andreas Jandl) und obwohl es viele Informationen gab, waren diese sprachlich gut verständlich und auch die Wortherkünfte verständlich ins übertragen.
Der Autor widmet sich in sehr unterschiedlich langen Kapiteln verschiedenen Wildnis-Bereichen, wie zB dem Moor oder dem Hohlweg, alles immer auf Großbritannien bezogen. Dies war für mich erst einmal eine Überraschung, aber im Nachhinein auch faszinierend.
Oft besucht er dabei den genannten Ort und will ihn mit allen Sinnen erfahren und sich irgendwie zu eigen machen. Nebenbei dann sehr sehr viele Informationen und geschichtliche Einwürfe, wie diese Orte entstanden sind und wie sie genutzt wurden.
Störend habe ich empfunden, dass es dabei schon immer um eine Art Besitz und sich in die Wildnis begeben ging. Ein bisschen mehr Demut und Abstand hätten ihm meiner Meinung nach manchmal gut getan.
Der Verlust der Wildnis wird mehrfach bewertend, allerdings immer nur, weil dem Menschen dann etwas verloren ginge. Die Natur würde sich im Zweifel alles wieder zurückholen. Die Verknüpfung, was wir jedoch verlieren, wenn wir Flora und Fauna diese Lebensräume wegnehmen (also ökologisch verlieren) spielt keine Rolle. Eher muss Wildnis existieren, damit Männer wie Macfarlane sie dann besuchen und erleben können.
Generell kommt mir das Buch recht männerfokussiert vor.
Ich bin unschlüssig, wie mir die Lektüre gefallen hat. Thematisch sehr spannend, die Umsetzung aber eher unsympathisch. Trotzdem könnte ich mir auf Grund der Themen vorstellen, weitere Bücher des Autors zu lesen.

Bewertung vom 19.08.2024
Am Himmel die Flüsse
Shafak, Elif

Am Himmel die Flüsse


gut

andere Werke gefallen mir besser

Worum geht es?
Um drei Figuren, zwei in der heutigen Zeit und eine Person in der Vergangenheit. Auf den ersten Blick haben sie keine Verbindung. Doch das Wasser und das Schicksal der Eziden wird alle drei verbinden.

Worum geht es wirklich?
Leben, Macht und Wissbegierde.

Lesenswert?
Ja, aber hat mir persönlich weniger gut gefallen als andere Werke der Autorin. Ich befürchte, dass ich das nicht genau begründen kann und denke, dass das auch nur ein total subjektives Empfinden ist.
Das wunderschöne Buchcover fällt direkt auf, auch wenn es sich von den bisherigen Büchern unterscheidet (anderer Verlag). Sprachlich hat mir das Buch gefallen, die Übersetzerin Michaele Grabinger hat Shafak schon früher übersetzt.
Weiterhin gewohnt ist der Aufbau von verschiedenen Handlungssträngen, die zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten spielen. Selbstverständlich gibt es aber einen gemeinsamen Punkt zwischen den drei Protagonist*innen, der ganz zum Ende aufgedeckt wird.
Zudem gefällt mir hier, wie bei fast allen Werken von Shafak, dass man neue Dinge lernt, neue Regionen und Kulturen kennen lernt und direkt ins Recherchieren verfällt.
Zwei Dinge sind mir eher negativ aufgefallen: Zum einen hat das Buch (und ich kann es wie gesagt leider wirklich nicht begründen oder verstehen) in mir nicht so viel ausgelöst, wie manch andere Bücher der Autorin. Die beschriebenen Schicksale sind bewegend und teilweise furchtbar, aber der Funke wollte einfach nicht überspringen. Dabei sind die Figuren nicht unsympathisch, aber ich konnte leider keine Verbindung aufbauen und bin eher unberührt geblieben. Da ich weiß, dass das bei Shafaks Werken auch anders sein kann, war ich in dem Bezug also eher enttäuscht.
Die Schicksale der Figuren sind neutral betrachtet sehr brutal und ihre Leben nehmen schlimme und schöne Wendungen. Das wäre also tolle Potential für Emotionen beim Lesen gewesen. Hat jedoch einfach nicht funktioniert.
Dazu kommt das Thema Wasser, bei dem es oft um ein Wassergedächtnis geht. Zwar ein schönes Symbol, mir aber zu esoterisch / mystisch.
Während ein sehr großer Teil des Buches die drei Personen getrennt hält, finden sie am Ende auf eher ungewöhnliche Art zusammen. Das mag vielleicht eine mögliche Erklärung sein, war mir aber zu gewollt, zu schicksalshaft und irgendwie auch zu unglaubwürdig. Wenn das Buch sich vorher so Zeit lässt, muss die Handlung nicht auf die letzten Meter schnell abgewickelt werden.
Auch wenn mir dieses konkrete Werk nicht besonders gut gefallen hat, werde ich sehr gerne weiter Bücher der Autorin lesen. Zeitgleich freue ich mich, dass die Meinungen hier so vielfältig sind und es sicher viele begeisterte Leser*innen gibt.

Bewertung vom 17.07.2024
Mitternachtsschwimmer
Maguire, Roisin

Mitternachtsschwimmer


gut

habe einige Kritik

Worum geht es?
Evan flieht vor Job und Situation in der Familie an die irische Küste, kurz darauf kommt der Lockdown. Zwischen Kinderbetreuung und merkwürdigen Dorfbewohner*innen versucht er, seinen Verlust zu verarbeiten.

Worum geht es wirklich?
Schuld, Selbstbestimmung und Freiheit.

Lesenswert?
Nein, hat mir tatsächlich aus mehreren Gründen nicht gefallen. Positiv ist definitiv das tolle Cover und auch das Setting an der irischen Küste. Das Dorf Ballybrady wird ein wenig schrullig und liebenswert beschrieben, genau so wie die Menschen, die dort leben. Grace, die alleinstehend lebt und sich nach niemandem richtet, kommt mit Familienvater Evan in Kontakt, auf dessen Schultern viel Schuld und schwere Entscheidungen ruhen und der seinen Lebenswillen verloren hat.
Grace hat mir als Figur ganz gut gefallen, ich mochte ihre schroffe aber liebenswerte Art und ihre Standfestigkeit.
Leider war mir Evan absolut nicht sympathisch, merkwürdig lethargisch lässt er sich von einer Umwelt herumschubsen und scheint in seinem Leid verharren zu wollen.
Dann kommen aber immer wieder Bewertungen der Frauenkörper um ihn herum (die Ehefrau seines Arbeitskollegen, Grace, die anderen Frauen im Dorf) und mir scheint, es gibt nur drei Typen von Frauen: Heiß, jung und nervig, älter und wie eine Art Mutter. Es war mir einfach viel zu viel, dazu kommt dann noch Fatshaming bei dickeren Menschen. Wird einmal das Gewicht erwähnt, geht es ab dann immer um die weichen Körperteile, die dicken Körperteile, die Masse.
Da es in dieser Richtung keine positive Entwicklung gab und nonstop das Äußere bewertet wurde, ist mir Evan zunehmend unsympathisch geworden.
Evans Sohn, der zunehmend in den Mittelpunkt gerät, ist ein tauber Junge, der sich mit seinem Vater in Gebärdensprache unterhält. Es ist mir negativ aufgestoßen, dass Evan dringend eine OP für sein Kind haben will, um ihn quasi zu heilen und die Mutter einfach nur als Übermutti dargestellt wird, die ihrem Kind die OP verwehrt. Meiner Meinung nach wird hier nicht sensibel mit dem Thema umgegangen, auch wenn ich es toll finde, dass eine taube Person eine so große Rolle in dem Buch spielt.
Die Rauheit der Natur und auch die Sprache gefielen mir gut, aber irgendwie scheint es immer um romantische Interaktion zwischen Mann und Frau zu gehen, wirkliche Freundschaft wird eher wenig gezeigt.
Allgemein hat mir das Buch leider weniger gut gefallen als erhofft.

Bewertung vom 17.07.2024
Georgine - Der lange Weg zu mir selbst
Kellermann , Georgine

Georgine - Der lange Weg zu mir selbst


sehr gut

Worum geht es?
Georgine, erzogen worden als Junge, erzählt von ihrer Identitätsfindung, den Menschen um sich herum und ihrer langjährigen Arbeit beim WDR.

Worum geht es wirklich?
Freude, Selbstfindung und dass es nie zu spät ist.

Lesenswert?
Ja, ein wirklich interessantes Buch. Bisher wusste ich wenig über Frau Kellermann, kannte sie nur vom Namen und ihre Geschichte nur ganz grob. Das späte Outing, die Offenbarung, erregte dabei vermutlich recht viel Aufmerksamkeit, vor allem im Zusammenspiel mit dem Job als Studioleitung beim WDR.
Sehr offen und gefühlvoll berichtet die Autorin davon, dass sie selbst sich schon viel länger ihrer Identität bewusst ist und auch nicht wenige Menschen eingeweiht waren. Trotzdem spielt die lange Jahre Georg, den Reporter, weil sie ihren Beruf nicht gefährden möchte und in dieser Rolle auch eine tolle Karriere hinlegte.
Zum einen ist es berührend zu sehen, wie lange Georgine sich schon gefunden hat, mit welchen Punkten sie hadert und zeitgleich natürlich auch traurig, dass sie nicht früher der Welt verkünden konnte, wer sie ist. Hierbei zeigt sie sich recht verletzlich und offenbart sehr viel von sich, was sie unglaublich sympathisch in ihrer ganzen Art macht.
Gerade älteren Menschen unterstellen wir ja vielleicht, dass sie nicht plötzlich eine andere Identität / Sexualität / … (das betrifft ja viele Bereiche) haben können oder ihre Entscheidung im Alter lächerlich sei. Dabei übersehen wir als Gesellschaft wohl leider oft, dass wir diese Menschen Jahrzehnte zu Lügen nötigen, weil wir sie nicht akzeptieren würden.
Man erfährt viel über die Reportagen und den beruflichen Werdegang, was ich aus geschichtlichen Gründen super interessant fand. Gerade Ereignisse in den letzten zwanzig Jahren werden einem beim Lesen nochmal sehr präsent.
Der Schreibstil ist angenehm und gut lesbar. Man merkt, dass der Aufbau der Geschichte gut durchdacht ist.
An ein paar Sollen hätte ich mir vielleicht ein kritischeres Bild gewünscht oder die Erkenntnis, dass andere Personen durchaus an Hürden stoßen, die Georgine so nicht kennt. (Beispielsweise schildert sie sehr wohlwollen und positiv die Kommunikation mit der Polizei, was vermutlich vielen trans Menschen nicht so geht und für Menschen of Colour erst recht nicht gilt.)
Wohlwollend und berührend sind all die positiven Szenen, die Georgine im Laufe ihres Lebens erlebt, die sympathischen Mitmenschen und wie sehr man ihre Freude spürt, dass sie nun endlich der Welt verkünden konnte, wer sie wirklich ist.
Das Buch ist vermutlich nicht die richtige Wahl, wenn man viel über Transidentität erfahren möchte, aber eine super Lektüre, wenn man sich mit dem Leben von älteren queeren Menschen befassen möchte.

Bewertung vom 22.06.2024
Eine kurze Geschichte queerer Frauen
Loehr, Kirsty

Eine kurze Geschichte queerer Frauen


gut

Worum geht es?
Um viele queere Frauen in der Geschichte, die unsichtbar gemacht werden oder deren Queerness unter den Tisch fällt.

Worum geht es wirklich?
Sichtbarkeit, Vielfältigkeit und Patriarchat

Lesenswert?
Jein. Ich finde das Thema des Buches großartig und sehr wichtig, daher hat mich der Titel direkt angesprochen.
Das Buch ist anekdotenhaft aufgebaut, man lernt sehr viele Namen und Persönlichkeiten kennen. Viele Namen sind einem vielleicht ein Begriff, aber man kennt die sexuelle Vielfalt dahinter nicht.
Da generell schon Frauen in der Geschichte weniger sichtbar sind, gilt dies für queere Frauen noch viel mehr. Umso schöner, wenn man in der heutigen Zeit weiß, dass es diese Frauen natürlich schon vor hunderten von Jahren gab - auch wenn sie dort anders bezeichnet wurden oder es kein Wort für sie gab.
Positiv ist mir die Vielfalt aufgefallen, dass es auch um trans Frauen und Frauen of Color geht. Historische Begebenheiten werden immer wieder angeschnitten und zum Verständnis hinzugefügt.
Die Aufmachung des ganzen Buches wirkt recht seriös und klassisch. Sprachlich erwartet einen dann aber sehr viel Umgangssprache, lustig gemeinte Floskeln und Sprüche, die wie Comedy wirken. Das hat mich tatsächlich eher verwirrt als erheitert und negativ überrascht.
Eventuell könnte die Zielgruppe des ganzen aber auch junge Erwachsene sein und vielleicht ist der Schreibstil dann passender.
Natürlich kann man das Thema aufgelockert betrachten, aber es war eben nicht das, was ich erwartet habe. Bemühter Humor ist stets ein wenig anstrengend und nicht einfach zu ertragen. Die eher derben Begriffe und sexuelle Schwerpunktsetzung machen das ganze nicht unbedingt ernsthafter.
Alles in allem inhaltlich lohnenswert und interessant, sprachlich aber nicht für jede Person ein guter Treffer. Ich würde daher eine Leseprobe vor dem Kauf empfehlen.

Bewertung vom 22.06.2024
Wie wir uns Rassismus beibringen
Sahebi, Gilda

Wie wir uns Rassismus beibringen


ausgezeichnet

Worum geht es?
Um den erlernten Rassismus in den Köpfen der Menschen, um unsere Sozialisation und die Folgen von rassistischem Denken.

Worum geht es wirklich?
Gesellschaft, Politik und Eigenverantwortung

Lesenswert?
Ja, sehr bereichernd. Keine leichte Lektüre, aber ich denke den Anspruch darf man bei einem solchen Thema auch nicht haben.
Umfassen und ausführlich recherchiert (mit Quellenangaben im Anhang) zeigt die Autorin auf, wie Rassismus in unserer Gesellschaft verankert ist, welche Abwehrhaltung es bereits gegen diese Benennung gibt und wie er dennoch den Umgang mit unseren Mitmenschen bestimmt. Es geht dabei nicht nur um unsere aktuelle Situation in Deutschland, sondern auch unsere Geschichte und den Umgang mit geflüchteten Menschen vor mehreren Jahrzehnten. Schnell zeigt sich, dass wir wiederkehrende Debatten führen und die Politik oftmals keinen neuen Input liefert und sich Dinge immer wieder wiederholen. Hier war vieles für mich neu und ich fand dieses ganze Wissen sehr bereichernd und lehrreich.
Zeitgleich geht es auch um die Benennung von rassistischen Aussagen und unsere Weigerung, Rassismus als solchen auch zu benennen und anzuerkennen. Sahebi führt viele Beispiele aus den Medien an und verdeutlicht den unterschiedlichen Umgang einzelner Medien und Journalist*innen mit der identischen Situation. Auch das war sehr eindrücklich und hat nochmal gezeigt, warum es für jede einzelne Person eine entscheidende Rolle spielt, welche Medien man konsumiert.
Immer wieder gibt es auch Erläuterungen zur politischen Situation und Zitate einzelner Politiker*innen, die eingeordnet werden und an Hand derer man auch sieht, wie sich Themen im Laufe der Zeit verändert haben oder immer noch gleich bleibend sind.
Das Buch ist einerseits wirklich gut verständlich und andererseits sehr lehrreich (ohne belehrend zu sein). Man kann viel für seine eignen Handlungen mitnehmen, obwohl es natürlich eher um das gesellschaftliche Problem geht.
Dennoch wird aufgezeigt, warum klare Werte und Menschenwürde, Widerspruch gegen Hass und Hetze, eine große Rolle spielen können und gerade eine schweigende Mehrheit auch ein Problem darstellt. Es kann uns passieren, dass wir rassistisch handeln und denken. Das kann man auch benennen und ansprechen. Man kann Fehler machen und daraus lernen.
Trotzdem kann jeder von uns entscheiden, ob wir gerne in einer Gesellschaft leben wollen, die die Menschenwürde respektiert und Menschen inkludiert statt ausgrenzt.

Bewertung vom 22.06.2024
Der Profi
Isaka, Kotaro

Der Profi


gut

Worum geht es?
Ein Profikiller gerät zunehmend in Schwierigkeiten, seinen geheimen Job, seinen richtigen Job und sein Familienleben mit Frau und Sohn unter einen Hut zu bekommen. Aber ein Ausstieg scheint nicht möglich zu sein.

Worum geht es wirklich?
Flucht, Verrat und Familie

Lesenswert?
Ja, war unterhaltsam. Aber ganz anders als erwartet. Das Buch stammt von dem identischen Autor wie das Werk „Bullet Train“, welches auch verfilmt wurde. Ab und an findet man in dem aktuellen Buch verweise auf das andere Buch, aber man muss es definitiv nicht vorher gelesen haben.
Sprachlich ganz angenehm, aber distanziert und sachlich, sodass man immer eine außenstehende Person bleibt und den Figuren nicht näher kommen kann. Daher kann man den Protagonisten auch oft nicht einordnen. Gerade seine Beziehung zu seiner Frau fand ich höchst anstrengend und die Ehefrau sehr klischeehaft überzeichnet als meckernde Frau. Diese Szenen waren teilweise eher störend, weil beide Figuren sehr unsympathisch dabei waren und überspitzt dargestellt wurden.
Ich habe allgemein wesentlich mehr Spannung erwartet und einen Thriller, stattdessen ist die Handlung humorvoll und oft auch unrealistisch, Dinge werden öfters wiederholt und wirken dadurch lustig. Die unrealistischen Szenen kann man trotzdem ganz gut akzeptieren und sie stören die Handlung nicht.
Der Handlungsaufbau ist eher ungewöhnlich, zumindest im Vergleich mit europäischen Werken, und an einigen Stellen mit überraschendem Cliffhanger. Generell wusste ich auch während des Lesens gar nicht, was mich erwartet und wurde mehrfach überrascht und auch auf falsche Fährten geführt.
Das Buch könnte gut geeignet sein, wenn man ein bisschen Spannung ohne den klassischen Thriller-Aspekt haben möchte oder auch, wenn man sich auf andere Erzählformen einlassen möchte. Auf jeden Fall eine her ungewöhnliche Leseerfahrung, die ich jedoch empfehlen kann.