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Aus Liebe zum Lesen
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Rannungen

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Insgesamt 199 Bewertungen
Bewertung vom 03.01.2024
Die Mütter
Györke, Stefan

Die Mütter


ausgezeichnet

Wir lebt es sich im Matriarchat? Stefan Györke nimmt uns in seinem Roman „Die Mütter“ mit ins Volk der Mosuo, einem matrilinear organisierten Volk und in eine ungewöhnliche Schweizer Familie.

Die „Mütter“ Clara, Jessy und Chloé leben mit ihrer chinesischen Nanny Atscho, die aus dem Volk der Mosuo stammt und ihren sechs Kindern in einer Zürcher Wohnung. Männer spielen in ihrem Alltag allenfalls eine untergeordnete Rolle, ganz nach dem Vorbild der Mosuo, einem chinesischen Volksstamm, der im Matriarchat lebt und dessen Mythen bis ins Leben der Familie Hofmann hineinwirken. Dass diese besondere Familienkonstellation nicht nur auf Zuspruch stößt, versteht sich von selbst und so kommt es immer wieder zu Konflikten.

Erzählt wird die Geschichte in verschiedenen Zeitebenen abwechselnd von einem auktorialen Erzähler sowie von Anton, dem ältesten Sprössling der Mütter. So entsteht eine spannende Erzählstruktur, die immer ein bisschen tiefer in die Geheimnisse der Familie blicken lässt. Die Figuren sind interessant angelegt und aufgrund ihrer Geschichte bleiben sie größtenteils unnahbar, nebulös, schwer greifbar, was mich hier aber gar nicht stört, denn alles andere würde eben nicht zur Story passen.

Man könnte Stefan Györkes Roman als modernes Märchen bezeichnen, das sich doch so herrlich in die Realität einfügt. Ein herrlicher Roman - man muss dich nur ganz darauf einlassen.

Bewertung vom 13.12.2023
Niki de Saint Phalle - Die illustrierte Geschichte
Foggia, Monica

Niki de Saint Phalle - Die illustrierte Geschichte


sehr gut

Wer kennt sie nicht, die berühmten Nanas von Niki de Saint Phalle? In ihrer gleichnamigen Graphic Novel lassen Monica Foggia und Valeria Quattrocchi das Leben der Künstlerin Revue passieren.

Schon in jungen Jahren fühlt sich Niki durch elterliche und gesellschaftliche Erwartungen eingeengt und beginnt gegen diese zu rebellieren. Durch ihre Kunst schafft sie es dann später persönliche Traumata zu überwinden und sprengt weitere Ketten. Sie schafft ideale Welten, frei von Unterdrückung, Rassismus und Armut und feiert die Weiblichkeit mit ihren Werken, die von der begehbaren weiblichen Skulptur Hon über ihren Tarot-Garten bis hin zum Strawinski-Brunnen in Paris reichen.

Monica Foggia führt nach einem Vorwort, das bereits einen Überblick über das Leben de Saint Phalles gibt, chronologisch durch ihr Leben und vor allem die wichtigsten künstlerischen Stationen und erklärt ihre Intentionen. Aufgrund des geringen Textumfangs werden natürlich nur Bruchstücke aus Nikis Leben erzählt. Deshalb hätte der Text, vor allem der Rahmenhandlung, durchaus pointierter sein können, um die Informationsdichte zu erhöhen.

Die Illustrationen von Valeria Quattrocchi greifen Niki de Saint Phalles Stil auf und versuchen ihre Lebensfreude zu transportieren, was im Großen und Ganzen gut gelingt. Für mich hätten die Zeichnungen aber gerne auch so farbenfroh ausfallen dürfen wie die vorgestellte Kunst.

Die Künstlerbiografie der beiden Italienerinnen gibt einen guten Einblick in das Leben und Werk einer Ausnahmekünstlerin.

Bewertung vom 09.12.2023
Endstation Malma
Schulman, Alex

Endstation Malma


ausgezeichnet

» Sie freut sich auch, muss sie ja wohl, denn heute ist der Tag, an dem sie ihre Schwester sehen darf, doch vor allem ist sie traurig, denn es ist, als würden im selben Moment all die Tage, an denen sie sie nicht treffen durfte, auf sie einstürzen. «

Mann, was kann Alex Schulman doch schreiben! In seinem neusten Roman „Endstation Malma“ erzählt von 3 Zugreisen nach Malma: ein Ehepaar, das an einem Wendepunkt ihrer Beziehung angekommen ist, ein Vater mit seiner Tochter und eine junge Frau mit dem geerbten Familienfotoalbum auf der Suche nach Antworten.

Erst nach und nach wird klar, wie die Personen zusammengehören. Schulman entfaltet die Geschichte einer Familie, deren Traumata von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Besonders clever ist der Wechsel der Erzählperspektiven und -zeiten, der verschiedene Blickwinkel auf die Geschehnisse ermöglicht und so fügen sich die einzelnen Puzzleteile der Geschichte zusammen und ergeben ein ganzes Bild.

Mich hat der Roman von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Absolutes Highlight!

Bewertung vom 12.11.2023
Kummer aller Art
Leky, Mariana

Kummer aller Art


sehr gut

In ihrem neuen Buch „Kummer aller Art“ sammelt Mariana Leky kleine Geschichten über das Leben.

Ihre Protagonisten müssen alle mit demselben kämpfen wie unsereins auch in der Realität – eben dem Kummer aller Art. Da gibt es die Nachbarin, die nicht entspannen kann, allen Entspannungstechniken zum Trotz; den neuen Übermieter, der sehr laut Musik hört und bei dem man nicht weiß, wie man ihm das am besten sagt. Und dann gibt es da auch noch Frau Wiese, die lange Zeit nicht schlafen kann und später mit ihrem Liebsten in eine neue Stadt umzieht und der der Abschied schwerfällt. Dazwischen geschoben sind immer kurze Anekdoten aus dem Leben der Ich-Erzählerin, die mehrere Psychologen in der Familie hatte und auch davon geprägt wurde.

Die Geschichten sind authentisch, leicht und stecken doch voller Lebensweisheiten. Mariana Lekys Schreibstil ist locker, leicht zu folgen und dabei dennoch gehaltvoll und Katharina Quast bringt das in ihrer Lesung perfekt rüber, sodass das Hörbuch die optimale Unterhaltung für zwischendurch oder vor dem Schlafengehen bildet.

Bewertung vom 05.11.2023
Regen
Schirach, Ferdinand von

Regen


gut

Wissen gibt Halt, glauben Sie. Sie täuschen sich.

Nur uns selbst können wir nicht vergeben, das ist nicht möglich. Niemand kann sich selbst seine Schuld erlassen, das kann nur der Gläubiger tun.

Draußen ist es nur von drinnen schön.

Ich liebe ja die Bücher von Ferdinand von Schirach. Auch sein neues Buch „Regen“ gefällt mir gut, wenngleich ich mir unter einer „Liebeserklärung“ an Regen etwas anderes vorgestellt hatte, denn der spielt nun wirklich eine sehr untergeordnete Rolle.

Die Geschichte des namentlich nicht erwähnten Ich-Erzählers, die von den vielfältigsten Gedankengängen Schirachs gespickt ist, funktioniert gut. Der Erzähler nimmt seinen Dienst als Schöffe zum Anlass, über seine Vergangenheit zu sinnieren, über Schuld und das Leben im Allgemeinen. Dabei produziert Schirach in gewohnter Manier eine Vielzahl an klugen Sätzen.

Soweit so gut. Der eigentliche Text umfasst allerdings mit lediglich 50 in großen Lettern bedruckten Seiten nur die Hälfte des Büchleins, der Rest besteht aus einem Interview mit dem Autor. Auch wenn dieses durchaus interessant ist, so fühle ich mich doch gelinde gesagt ein bisschen vera… Mit zunehmender Popularität des Autors werden die Bücher immer schmaler. Typischer Fall von Shrinkflation!

Bewertung vom 29.10.2023
Porträt auf grüner Wandfarbe
Sandmann, Elisabeth

Porträt auf grüner Wandfarbe


gut

Elisabeth Sandmann erzählt in ihrem Roman „Porträt auf grüner Wandfarbe“ eine Familiengeschichte über mehrere Generationen an diversen Schauplätzen.

Anfang der 90er begibt sich Gwen mit ihrer Tante und ihrer Freundin von England aus auf eine Spurensuche in der Vergangenheit nach Deutschland und Polen und versucht die Geheimnisse ihrer Familie zu ergründen. Dabei stößt sie auf alte Traumata, verlorene Schätze und interessante Familienkonstellationen.

Besonders die Tagebucheinträge zu Beginn des 20. Jahrhunderts geben ein gutes Bild der damaligen Zeit ab. Die verworrene Familiengeschichte hatte aber auch ihre Längen und die zahlreichen Nebenfiguren aus mehreren Generationen tragen nicht gerade zum besseren Verständnis bei. Die Aufdeckung der Geheimnisse zieht sich zudem sehr in die Länge, wobei sich einige Wendungen schon lange herauskristallisiert haben.

Für mich bleibt der Roman leider hinter den Erwartungen zurück.

Bewertung vom 20.10.2023
Elijas Lied
Lasker-Berlin, Amanda

Elijas Lied


gut

Drei Schwestern begeben sich auf eine Wanderung, um ihre Verbundenheit in der Kindheit wiederzufinden. Noa und Loth scheinen in ihrem Leben vom rechten Weg abgekommen zu sein. Elija, die mit Trisomie 21 geboren wurde, geht voll in der Schauspielerei auf.

Die Geschichte beginnt spannend und hat durchaus Potenzial. Amanda Lasker-Berlins Schreibstil macht das Lesen allerdings schwer. Zum einen verzichtet sie auf die Kennzeichnung direkte Rede, zum anderen finden Zeitsprünge, sowie der Wechsel der Erzählperspektive teilweise sogar mitten im Absatz statt. In Maßen eingesetzt, sind solche Spielereien mit der Sprache interessant, hier wird allerdings der Lesefluss unheimlich gestört.

Ich konnte leider keine Nähe zu den Protagonistinnen herstellen, am ehesten ist das noch zu Elija gelungen, während vor allem Noa sehr diffus bleibt. Aus meiner Sicht sind die Charaktere nicht richtig herausgearbeitet. Aber auch die Geschichte ist aus meiner Sicht nicht auserzählt und so bleibe ich mit gemischten Gefühlen zurück.

Bewertung vom 06.10.2023
Zur See
Hansen, Dörte

Zur See


ausgezeichnet

Was macht das Leben auf einer Insel aus? Dörte Hansens erzählt in ihrem Roman „Zur See“ die Geschichte der Familie Sander, die mit ihrer Insel seit jeher fest verwoben ist.

Hanne bewirtet im Sommer Feriengäste, deren Ansprüche sich im Lauf der Jahre wandeln. Tochter Eske sind die Touristen dagegen seit jeher ein Graus und Sohn Ryckmer, der traditionsgemäß zur See fuhr, verlor sein Kapitänspatent, was er durch Alkoholkonsum zu verdrängen versucht.

Dörte Hansens Roman lebt weniger durch eine besonders ereignisreiche Handlung, sondern vielmehr durch die ruhige und dennoch interessante Schilderung des Insellebens und wie sich dieses im Lauf der Jahre gewandelt hat und vor allem durch ihre Charaktere, die alle eine Entwicklung durchmachen. Ich habe selten eine so gelungene Figurenzusammenstellung gesehen. Die Charaktere sind authentisch, haben ihre Eigenheiten und zeigen das Leben auf der Insel aus verschiedenen Blickwinkeln.

Ich bin völlig begeistert von dieser ruhigen und dennoch intensiven Erzählung. Definitiv ein Herzensbuch!

Bewertung vom 28.09.2023
Kapital und Ideologie
Alet, Claire;Piketty, Thomas;Adam, Benjamin

Kapital und Ideologie


ausgezeichnet

Wie gelingt eine gerechtere Welt? Claire Alet und Benjamin Adam machen in ihrer Graphic Novel „Kapitel & Ideologie“ die Thesen des Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Piketty aus dessen gleichnamigen Werk erlebbar.

Anhand der Familiengeschichte einer reichen französischen Familie führt uns die Handlung vom ausgehenden 18 Jahrhundert bis in die heutige Zeit. Dabei werden die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen seit der französischen Revolution erklärt. Es geht um den Adel, Industrialisierung, Kolonialismus, Kriege, Steuern und Sozialleistungen. Trotz des umfangreichen und teilweise schwierigen Stoffs wird alles prägnant und verständlich erklärt.

Besonders interessant finde ich die Vorschläge Thomas Pikettys, wie eine gerechtere Verteilung des Vermögens in der Gesellschaft durch relativ einfache Maßnahmen möglich wäre.

Ich bin begeistert, wie die Autorin Claire Alet und der Comiczeichner Benjamin Adam auf so unfassbar interessante und anschauliche Weise komplexe geschichtliche, wirtschaftliche und soziologische Zusammenhänge erklären. Ich lege diese tolle Graphic Novel wirklich allen sehr ans Herz. Wer bislang nichts mit Comics anfangen konnte, wird erstaunt sein, wie hilfreich das Zusammenspiel von Text und Bild für das Verständnis ist. Große Leseempfehlung!

Bewertung vom 15.09.2023
Das krisenfeste Kind
Hasel, Verena Friederike

Das krisenfeste Kind


ausgezeichnet

Wie soll die Schule im 21. Jahrhundert aussehen? Mit dieser Frage hat sich die Psychologin Verena Friederike Hasel in ihrem neuen Buch „Das krisenfeste Kind“ beschäftigt.

Die Autorin hat sich viele Schulen in Deutschland, vor allem aber auch im Ausland, z. B. Finnland angeschaut und hat viele gute Systeme, Konzepte und Ideen mitgebracht, die wir auch in unserem Schulsystem umsetzen könnten, um unseren Kindern besseres Lernen zu ermöglichen. Ein Hauptkritikpunkt am deutschen Bildungssystem ist, dass wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Psychologie und Kognitionsforschung bis heute kaum beachtet werden, anders als in Finnland, wo neue Forschungsergebnisse regelmäßig in der Praxis umgesetzt werden.

Es ist Wahnsinn, wie viele Ideen und Verbesserungsvorschläge Verena Friederike Hasel in ihrem Buch vorstellt. Besonders gut gefällt mir, dass sie alle Behauptungen durch zahlreiche Studien und Erkenntnisse aus der Forschung untermauert. Dabei ist ihr Schreibstil locker, interessant und gut lesbar und so wird das Buch geradezu ein Page-Turner.

Alle, die mit Kindern zu tun haben, ob Eltern, Lehrer*innen oder auf sonst irgendeine Art und Weise, sollten dieses Buch lesen! Es ist wahnsinnig interessant, wie wir Menschen lernen und so kann wohl jeder etwas für sich und (seine) Kinder mitnehmen und vielleicht greifen ja endlich auch die Bildungsverantwortlichen Hasels Vorschläge auf und machen unsere Schulen zu den Lernorten, die sie eigentlich sein sollten.