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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Julia
Wohnort: 
Kassel

Bewertungen

Insgesamt 65 Bewertungen
Bewertung vom 24.09.2021
Die Hüterin der Drachen
Draconis, Curatoria

Die Hüterin der Drachen


ausgezeichnet

Habt ihr Kinder?
Oder seid ihr selbst im Herzen noch immer eins?

Ich habe mir das magische Denken bis heute bewahrt und meine Phantasie blüht auf, wenn ich mit meiner kleinen Tochter Bücher lese. Für sie ist die ganze Welt voller Wunder, voller Feen, Trolle, Geister.

Tomislav Tomic hat ein wunderschönes Buch illustriert. Der Text ist von Curatoria Draconis, der Hüterin der Drachen höchstpersönlich verfasst.
Die kleinen Nachwuchsdrachenhüter begeben sich mit ihr und der Besatzung der "Drachenarche" auf die Suche nach dem letzten Himmelsdrachen Tian Long, eine Expedition von ungeheurer Wichtigkeit. Auf der Reise gibt es jede Menge Wissenswertes zu erfahren über die Kontinente, das Klima, Umweltschutz, Weltwunder - und Drachen. Auf anschauliche Art werden Naturphänomene mit ihnen erklärt, auch geschichtliche Tatsachen mit der einen oder anderen Drachenart in Verbindung gebracht. Wir haben viel nebenbei gegoogelt, weil oft Tatsachen zugrundeliegen, wir haben richtig recherchiert, es ist wirklich sehr gelungen und lehrreich.
Ein so tolles, schlaues, anregendes Buch für kleine und große Drachenhüter. Da es kein reines Bilderbuch ist, sondern viel anspruchsvollen Text enthält, würde ich es ab 6 Jahren empfehlen.

Bewertung vom 19.09.2021
Reise durch ein fremdes Land
Park, David

Reise durch ein fremdes Land


gut

Der Fotograf Tom ist auf dem Weg durch den verschneiten Norden Großbritanniens, um seinen grippekranken Sohn nach Ausfall aller Flüge mit dem Auto nach Hause zu holen. Es ist kurz vor Weihnachten. Auf Luke warten die Mutter und die kleine Schwester. Schnell wird klar, es gab auch noch einen Bruder, und für Tom wird diese Reise gleichzeitig zu einer Reise in die Vergangenheit und eine Reise zu seinen eigenen Ängsten und Gewissensbissen.

Die Stimmung, die in den wenigen Dialogen mitschwingt, ist von Sorge und Unsicherheit und Toms depressiven Phasen beherrscht. Ich habe verstanden, was David Park übermitteln wollte, ich fand es nur irgendwie... eben nicht wie eine Reise, keinen stetigen Verlauf, es war mir eine zu unruhige, zusammenhanglose Geschichte. Zwar entsteht mit der Zeit eine gewisse Spannung, doch die Art des "Auf-die-Folter-spannens", das häppchenweise Enthüllen der Vergangenheit, mag ich nicht, wenn nicht klar erzählt wird sondern lediglich angedeutet. Bei mir weckt diese Taktik kein Interesse, eher das Gegenteil.
Was mir wiederum sehr gefallen hat ist die Sprache. Da sind Sätze, die man einfach zweimal lesen muss, so sehr möchte man sie verinnerlichen, so treffend beschreiben sie die emotionale Verfassung der Erzählers.

Dieses Buch hat sich für mich sehr viel länger angefühlt als 200 Seiten. Vom Stil her ist es fast ein Bericht, vieles ist total nebensächlich und bringt die Geschichte nicht voran, was dann wirklich in die Tiefe geht ist mir zu wenig auf den Punkt gebracht. Die wenige wörtliche Rede und der mir nicht sonderlich ans Herz gewachsene Ich-Erzähler haben die Geschichte für mich sehr langatmig gemacht. Alles in allem leider kein Buch, das mir lange im Kopf bleiben wird, auch wenn der Kern von großer Bedeutung ist.

Bewertung vom 07.09.2021
The Blacker the Berry
Thurman, Wallace

The Blacker the Berry


ausgezeichnet

Was passiert mit der eigenen Identität, mit dem ethnischen Zugehörigkeitsgefühl eines Menschen, wenn dieses immer wieder negativiert wird, verantwortlich gemacht wird für alles Ungemach, ja sogar von vornherein der Möglichkeit einer glücklichen Zukunft jegliche Hoffnung entzogen wird?

Emma Lou wird seit sie denken kann eingeredet, dass sie mit ihrer tiefschwarzen Haut nichts Gutes vom Leben zu erwarten hat. Jedes Unglück, jede Enttäuschung bezieht sie folglich auf diesen "Makel", fühlt sich beobachtet, hässlich, minderwertig. Sie verlässt ihre Familie um zu studieren und soziale Kontakte zu knüpfen, die ihrem Anspruch genügen und landet letztendlich nach vielen Enttäuschungen in Harlem.
Doch ist die Geschichte so einfach? Ist sie ein Opfer der Gesellschaft? Geprägt von den sich wiederholenden Vorurteilen verhält sie sich nicht besser. Hier geht es nicht allein um die Diskriminierung, die jemand seiner Hautfarbe wegen erfährt, es geht vielmehr um Diskriminierung, die aufgrund eigener Erlebnisse an andere weiter gegeben wird.

"Die Unvermeidbarkeit der Zurückweisung! Die Bestürzung über trübe Perspektiven... Der zwanghafte Bezug auf sich selbst... Die Verbreitung des Schlangengifts von der Bissstelle aus."

Ein Manifest über die Folgen von Vorverurteilung, die sich wie Gift verbreitet und das Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz unterminiert. Daraus entsteht eine Doppelmoral, denn je dunkler die Haut eines Mitmenschen, umso größer ist Emma Lous Abneigung, sie definiert schließlich zwischenmenschliche Beziehungen über Äußerlichkeiten, ungeachtet der Persönlichkeit des Anderen.

Wallace Henry Thurman war Journalist und Autor. Zur Zeit der Harlem Renaissance wendete er sich mit seinen Texten vornehmlich an "Persons of Color", er selbst war Afroamerikaner und hatte sehr dunkle Haut. Ich fühle mich von seinem großartig geschriebenen Roman jedoch absolut mitgenommen und einbezogen. Auch nach über 90 Jahren hat seine "Novel of Negro Life" - so der Untertitel - Aktualität und ist ein wertvoller Beitrag gegen Rassismus und Diskriminierung, egal von wem und gegen wen. Diskriminierung schürt eigene Vorurteile.
Thurman starb 1934 an - wie Karl Bruckmaier es im Nachwort beschreibt - "Alkoholismus, Depressionen, Tuberkulose und dem ganzen Rest". In seinem biografisch beeinflussten Werk wird sehr gut die Stimmung in der schwarzen Gesellschaft der 20er Jahre übermittelt, deren homogene Identität Thurman als Trugschluss bewertete. Hochinteressant ist die beigefügte Tabelle der verschiedenen Abstufungen der Hautfarben, die sehr eindrucksvoll zeigt, welch große Unterschiede gemacht wurden und wie fixiert man auf dieses Thema war.

1929 veröffentlicht und nun wunderbar von Heddi Feilhauer übersetzt, ist die Novelle erstmals auf deutsch bei Ebersbach und Simon erschienen. Ich spreche eine große Leseempfehlung aus!

Bewertung vom 30.08.2021
Und die Braut schloss die Tür
Matalon, Ronit

Und die Braut schloss die Tür


sehr gut

Die Braut, die sich nicht traut?

Warum schließt sich die arabische Jüdin Margi an ihrem Hochzeitstag ein und lässt, außer der Ankündigung, dass sie nicht heiraten wird, nicht mit sich sprechen? Versammelt sind in dieser katastrophalen Situation der zukünftige Ehemann, seine Eltern, die Mutter, die Großmutter und der sehr extrovertierte Cousin der Braut. Nach und nach wird den Verhältnissen der Protagonisten zueinander nachgespürt, bissig und ironisch in den Beschreibungen und den Dialogen, auch die Gedanken der Figuren werden in Klammern beigefügt. So ergänzt sich alles zu einem Bild, einer Charakterstudie zum einen, und einem Blick auf die Strukturen in der jüdischen Gesellschaft Tel Avivs auf der anderen - Mithilfe von Klischees und Übertreibungen.

Dieses schmale Buch hat mich aufgrund seines Titels magisch angezogen. Ronit Matalon hat eine Novelle im besten Sinne verfasst, kurz, eine überschaubare Anzahl von Personen, auf die an entsprechender Stelle näher eingegangen wird. Es liest sich wie ein Theaterstück, wie eine Aufführung, da auch wenige Ortswechsel enthalten sind.
Es hat sich toll lesen lassen, war spannend und kurzweilig. Ich liebe Novellen und fand das Thema erfrischend und unverbraucht dargestellt. Letztendlich fehlte mir jedoch etwas, nur ein Fünkchen. Es war mir zu wenig pointiert, war es Tragödie oder Komödie? Mir fehlte die Konsequenz, eins von beiden bis zum Schluss geradlinig auf die Spitze zu treiben.

Bewertung vom 27.08.2021
Wildtriebe
Mank, Ute

Wildtriebe


ausgezeichnet

"Wildtriebe" beginnt mit dem Abschied von Joanna, Tochter von Marlies und Enkelin von Lisbeth, die in Afrika Entwicklungshilfe leisten möchte. In Rückblenden erzählen die beiden auf dem über Generationen vererbten Bauernhof verbliebenen Frauen über ihr bisheriges Leben. Es ist aber nicht einfach irgendein Generationenroman, sondern für die geringe Anzahl an Seiten in seiner Tiefsinnigkeit und Differenziertheit auf den Punkt betont. Der Kernpunkt der Geschichte ist das Verhältnis von Lisbeth und Marlies zueinander und, warum es ist, wie es ist. Kein bisschen seicht oder gezwungen gefühlvoll, sondern schlicht menschlich und echt erscheinen ausnahmslos alle Protagonisten, man erfährt ihre Beweggründe und kann sich in sie hineinversetzen, als "Dorfkind" vielleicht sogar noch mehr.
Die Anzahl der Figuren ist leicht zu überschauen, die Zeitachse verläuft nicht geradlinig, aber ohne zu holpern. Alles wird an dem Punkt beleuchtet, an dem es dran ist, nichts wird, um Spannung zu erzeugen, zurückgehalten, so dass ich Lisbeth, Marlies und Joanna nach und nach vor meinem geistigen Auge entstehen lassen konnte. Während oft dieselbe Situation aus zwei Perspektiven dargestellt wird, reflektieren sie ihr eigenes Verhalten und ihre Gefühle, was dabei zutage tritt macht sie so sympathisch.

Es ist wirklich so toll geschrieben, authentisch, ehrlich, entwaffnend kann man sagen. Auf eine leise Art. Die Autorin Ute Mank hat ein tolles Gespür dafür, was wichtig ist und was ablenkt, so war nichts abschweifend sondern sie bleibt mitten in der Geschichte, immer auf dem Bethches-Hof, zentral in der Geschichte, zentral im Leben der 3 Frauen.

Einziger klitzekleiner subjektiver Kritikpunkt ist das Ende. Es war tatsächlich.. Nein ich sage nichts, lest es selbst.

Bewertung vom 13.08.2021
Weiße Nacht
Suah, Bae

Weiße Nacht


ausgezeichnet

Die junge Schauspielerin Ayami arbeitet in einem von einer Stiftung betriebenen Hörtheater. Aufgrund schwindender Besucherzahlen schließt das Theater und dieser letzte Tag setzt eine Reihe von Begegnungen in Gang, die chronologisch nicht auseinander zu halten sind, sie ereignen sich scheinbar parallel.
Ich kann schwer den Inhalt wiedergeben, es gibt keine homogene Handlung und sie spielt meines Erachtens nicht wirklich eine Rolle.
Es geht - kryptisch umrissen - um die reale Existenz, überhaupt um die Definition von Realität, um Gefühl und Intuition. Um den Zufall, und wie er Menschen einander begegnen lässt und sie wieder trennt, um Schicksalhaftigkeit.

Die verwendete Sprache ist schnörkellos, aber philosoohisch-metaphorisch, sehr erlebbar. Vieles dreht sich um Sinneswahrnehmungen und ihre Täuschungen, Realität und Surrealität verschwimmen, man stolpert, einem Betrunkenen gleich, durch die Geschichte, immer wieder wiederholen sich Beschreibungen mit haargenau demselben Wortlaut. Vieles wirkt verzerrt, ist nicht greifbar. Es scheint wie verschiedene Versionen einer Geschichte, verschiedene Versionen eines Lebens.

In dieser ganzen wirren Geschichte steckt ein Kern, der ganz faszinierende Denkanstöße enthüllt. Aber man bekommt sie nicht auf dem Silbertablett, wie es bei anderen Autoren der Fall ist, Bae Suah versteckt den Sinn und die Absicht hinter dem anspruchsvollen Aufbau, und ich konnte nicht alles für mich zusammenfügen und enthüllen. Am Ende des Buches blieb ich zwar ratlos zurück, aber nicht ahnungslos. Ich habe einen ganz eigenen Interpretationsansatz, auf den die Autorin auch anspielt, aber leicht erschließt sich einem nicht, worauf das ganze hinauswill. Trotzdem hat es mir verblüffend gut gefallen, es ist einzigartig und durchaus kurzweilig in seiner Abstrusität.

Wer es lesen möchte, ich empfehle, es zu zweit oder in einer Gruppe zu lesen, es erweitert sicher die Sichtweise und womöglich den Durchblick.

Bewertung vom 27.07.2021
Gullivers Reisen
Swift, Jonathan

Gullivers Reisen


ausgezeichnet

Ein großer Lesegenuss!

Eigentlich waren es 4 Teile, als Jonathan Swift vor knapp 300 Jahren die Reisen des Chirurgen Lemuel Gulliver zu merkwürdigen Orten und deren Bewohnern veröffentlichte. Mein vorliegendes Exemplar aus dem Manesse-Verlag ist handlich, trotzdem umfasst es insgesamt beachtliche 700 Seiten.
Die Komplexität dieser in sich abgeschlossenen 4 Geschichten lässt sich schwer zusammenfassen. Gulliver zieht es als Schiffsarzt, und zuletzt auch als Kapitän, immer wieder raus auf See, und immer wieder ereilt ihn ein Unglück, Schiffbruch, Meuterei und desweiteren mehr spülen ihn an die absonderlichsten Orte, zu den Lilliputanern, zu Riesen, auf schwebende Inseln und zu sprechenden Pferden. Allerorten verschiedenste Sprachen, Staats- und Gesellschaftsformen, Verhaltensregeln und Gesetze. Anhand derer zieht er Vergleiche, wie rückständig und unverbesserlich doch diese Reiche sind im Gegensatz zum Englischen Königreich.
Noch heute kommt die Bissigkeit und Treffsicherheit zur Geltung, mit der Swift die Missstände seiner Zeit aufzeigt und unverblümt satirisiert, sehr intelligent aber auch schonungslos, eine Abrechnung gradezu.
Zu seiner Zeit wurde es durch die ausgeschmückte, anschauliche Erzählweise, die sich direkt an den Leser wendet, und die total albernen Namen der Personen und Orte ein großer Kinderbucherfolg. Ich halte die Sprache, die ich wegen ihrer Weitschweifigkeit und Wortakrobatik so liebe, jedoch für eine große Hürde, wenngleich ich es begrüßen würde, würden sich mehr Kinder und Jugendliche mit solch anspruchsvoller Sprache vertraut machen.

Ein wahrer Schatz, dass diese alten Geschichten immer wieder frisch und doch originalgetreu verfügbar sind und nicht verlorengehen. Es ist eine große Lesefreude gewesen!

Bewertung vom 23.07.2021
Raumfahrer
Rietzschel, Lukas

Raumfahrer


gut

Jan ist bereits erwachsen, lebt aber noch bei seinem Vater. Die Mutter verließ die Familie, etwas war zwischen ihr und dem Vater vorgefallen. Mittlerweile ist sie verstorben. Da bekommt Jan von einem Unbekannten Informationen zugespielt, die seine Familiengeschichte zur Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs in Deutschland in ein anderes Licht rückt.

Wo fange ich an..
Dieses Buch konnte mich leider nicht so erreichen, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Grundsituation an sich ist spannend und entwickelt sich im Grunde genommen genauso so, wie ich mir das vorgestellt hatte - nur leider stilistisch nicht gut umgesetzt.
Hier sind die Geschichten zweier Familien verstrickt, doch hakelige Zeitsprünge gepaart mit einer Erzählweise, die mir manches erst bei zweiten Lesen einer ganzen Seite Sinn machte, bereiteten mir über die gesamten 280 Seiten Schwierigkeiten. Ich konnte manchmal schlicht die Namen nicht zuordnen, weil ich mich zeitlich und örtlich nicht orientieren konnte. Man erfährt in der Kürze kaum Hintergründe zu den Hauptfiguren, kaum "Drumherum". Wo ich manchmal bei Romanen denke, "ist doch total unwichtig" hat mir hier teilweise der Zusammenhang gefehlt oder wurde erst so spät häppchenweise erschlossen, dass ich mich schwer zurechtfand und mir auch manches nicht merken konnte. Oder ich bin möglicherweise auch mal in Gedanken abgeschweift.
Es lässt sich schon leicht lesen, kurze Kapitel, was an sich angenehm ist. Die fehlenden sprachlichen Raffinessen und die unaufgeregte Sprache verhinderten jedoch, einen Bezug zu den Protagonisten aufzubauen und an ihrem Schicksal Anteil zu nehmen.

Die Brüder Georg und Günther Kern gibt es wirklich, es wurden biografische Fakten für den Roman verwendet, aber fiktive Elemente hinzu genommen. So etwas schätze ich persönlich nicht besonders, da ich als Leser nicht auseinander zu halten vermag, was Effekthascherei ist und was den Tatsachen entspringt. Zudem halte ich es nach meinem subjektiven Empfinden leider insgesamt für nicht gut gelungen.

Bewertung vom 17.07.2021
Die Welt ohne Fenster
Newhall Follett, Barbara;Morris, Jackie

Die Welt ohne Fenster


ausgezeichnet

Verzaubert jung und alt!

Dieses so hübsche, feine, kleine Buch ist mir schon ein paar Mal hier auf Instagram begegnet. Die Geschichte des Mädchens, das wegläuft, um draußen zu leben, hat mich interessiert. Ein modernes Märchen.
Es ist naiv geschrieben, nicht wie bei Ronja Räubertochter, die vor Kälte und Hunger fast umkommt und sich vor allerlei bösen Geistern in acht nehmen muss, nein, die Protagonistin Eepersip freundet sich mit den Tieren an, wird Teil ihrer Umgebung, tanzt und singt. Von den Eltern wieder eingefangen, hält sie es nicht lange aus, das Drinnen-Sein. Die Lebenslust führt sie in den Wald, ans Meer und in die Berge. Rastlos erscheint sie, ohne ein Zuhause, Gefährten gehen immer nur einen Teil des Weges mit ihr. Doch sie ist glücklich, sie lebt ihre Bestimmung.
Nun hört sich das an wie eine unerträglich kitschige Erzählung, verklärt und von geringem Anspruch, in schöner, aber einfacher Sprache gehalten. Ja, so ist es im Grunde genommen auch.
Um zu verstehen, weshalb dieses Buch für mich trotzdem eine der Entdeckungen des Jahres ist, muss ich auf das Vorwort eingehen.

Veröffentlicht wurde dieses Buch 1926 von Barbara Newhall Follett, es ist ein von Jackie Morris innig geliebter und deshalb mit zauberhaften Illustrationen neuaufgelegter Klassiker. Geschrieben hat die Autorin diese Geschichte 1923 - im Alter von 9 Jahren - als Geschenk für ihre Mutter. Vermutlich aus eigener Sehnsucht und der Liebe zur Natur erfand sie Eepersip und ließ sie statt ihrer von zu Hause fortlaufen. Doch das Manuskript verbrannte kurz darauf. Barbara ließ sich dadurch nicht entmutigen, und rekonstruierte alles Wort für Wort, um es 3 Jahre später - 12-jährig - durch ihren Vater einem Verlag vorzustellen. Es wurde ein Bestseller. Heute gibt es nur noch ganz wenige Exemplare, dank Jackie Morris gerät dieses einzigartige Stück Literatur nicht in Vergessenheit.
Letztendlich wurde Barbara doch zu ihrer eigenen Hauptfigur. Mit 24 Jahren, nachdem es sie immer wieder selbst in "Welten ohne Fenster" zog, verschwand sie eines Tages spurlos.

Hier ist es die Geschichte hinter dem Buch, die alles in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Lesenswert für jung und alt, ich würde es tatsächlich von 5 bis 105 Jahre empfehlen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.06.2021
Und der Ozean war unser Himmel
Ness, Patrick

Und der Ozean war unser Himmel


ausgezeichnet

Jugendbuch mit Tiefgang

In einer möglicherweise nicht mehr ganz so fernen Zukunft sind Wale den Menschen in technischer Hinsicht ebenbürtig und haben es sich zur Bestimmung gemacht, Jagd auf Menschenschiffe zu machen, wie sie sagen hauptsächlich, um dem Gejagt-werden zuvor zu kommen. Viele Geschichten und Prophezeiungen ranken sich um die Verantwortung der Wale, in den Kampf zu ziehen, vieles wird als vorherbestimmt akzeptiert. Doch die junge Walin Bathseba hinterfragt den Sinn dieses Krieges, als sie Kontakt zu einem menschlichen Gefangenen aufnimmt. Sie erkennt, dass man Hass und Gewalt nicht mit ebendiesem begegnen kann, sondern ein Monster damit erschafft und muss sich ihrem Gewissen stellen.
Die Wale sind keineswegs Sympathieträger, sie sind grausam und unbarmherzig, sie haben die Verhältnismäßigkeit irgendwann verloren, es ist ein Aufwiegen und Rechtfertigen, der Zweck heiligt die Mittel. Es ist "verkehrte Welt". Und auch untereinander sind die verschiedenen Walschulen und Anführer voller Argwohn und Feindseligkeit, die Strukturen der Gesellschaft sind militärisch geprägt.
Nicht immer war mir in dieser Dystopie alles logisch, wie sollen Wale etwas bauen, womit? Und warum nutzen sie selbst auch Schiffe? Wieso leben sie in Städten? Das war mir zu viel des Guten, was die Nachahmung des Menschseins angeht. Einiges hätte für meinen Geschmack nebulöser aufgebaut sein dürfen.
Die Geschichte ist deutlich an "Moby Dick" angelehnt, man wird wortwörtlich darauf gestupst. Es steht jedoch für sich und Kenntnisse über Herman Melvilles Roman sind zum Verständnis nicht notwendig.

Was ich besonders hervorheben möchte ist, wie treffend diese Fabel die richtigen Fragen stellt, wie sie einem damit den Spiegel vorhält.
Wie rechtfertigt man Krieg? Und viel wichtiger, wie beendet man ihn?
Gibt es im Krieg eine Seite, die im Recht ist? Kann man seiner Bestimmung entfliehen? Hat Loyalität Grenzen? Wem ist man verpflichtet? Seinem Volk? Seinem Anführer? Seiner Vergangenheit?

Das Cover stimmt einen schon recht gut ein, dies ist kein Kinderbuch. Der Titel ist herrlich poetisch und ebenso ist es die Erzählweise. Insgesamt ein Erlebnis würde ich sagen. Die äußere Gestaltung des Buches im Stil einer Graphic Novel spricht Jugendliche sicher sehr an. Die Kapitel sind kurz und insgesamt ist das Buch mit 150 Seiten übersichtlich. Enthalten sind zahlreiche, großartige Illustrationen von Rovina Cai die sehr atmosphärisch wirken. Es kommt für ein Jugendbuch recht blutrünstig daher, was durch die schwarz-weiß-roten Bilder verstärkt wahrgenommen wird. Es wird ab 12 Jahren empfohlen, ich würde aber unter 15 Jahren nahelegen, sich mit dem Kind darüber auszutauschen, da einige Schlüsselstellen durchaus Anlass zur Diskussion bieten, außerdem ist es für Erwachsene ebenfalls lesenswert! Meiner 14-jährigen Tochter hat es sehr gut gefallen.
Patrick Ness ist euch vielleicht durch seinen Roman "Sieben Minuten nach Mitternacht" ein Begriff, ein Autor tiefgründiger Jugendliteratur mit psychologischer Komponente. Seine Bücher gehen einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf, und so wird es auch mit diesem sein.