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Benutzername: 
MrsCatastropy
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 46 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2021
Die Sprache des Lichts
Kramer, Katharina

Die Sprache des Lichts


ausgezeichnet

Katharina Kramers "Die Sprache des Lichts" ist ein wirklich außergewöhnlich akribisch recherchiertes und beeindruckendes Debut.

Quer durch das frühneuzeitliche, von Religionskriegen geplagte Europa geht es, auf der Suche nach der Sprache, mit der Gott die Schöpfung gesprochen hat ("Und Gott sprach..."). Diese Ursprache wird mit Macht assoziiert, und das interessiert nicht nur Individuen und die Gelehrtenschaft, sondern auch die verschiedenen christlichen Lager. So treffen in dem Buch Spion*innen, Alchemist*innen, Gelehrte und andere aufeinander, und alle eint das gleiche Ziel.

Die beiden Protagonist*innen sind dabei einerseits die Spionin der katholischen Liga, Margarète Labé, andererseits der sprachbegabte ehemalige Lehrer Jacob Greve, der für den britischen Hofastronom zu arbeiten beginnt und sich mit einem Alchimisten gemeinsam auf die Suche nach der Ursprache macht.

Die Charaktere sind durchdacht, auch die Nebenfiguren selten eindimensional, und der komplexe historische Kontext wird spannend und verständlich dargestellt. Das Buch bringt nicht nur eine umfassende Literaturliste mit, sondern einen ganzen Anmerkungskorpus mit Hintergründen zu fast jedem Kapitel. So wird auch klar, wo die Autorin von der Historie abgewichen ist, man kann sich zu den interessanten Themen weiter einlesen und merkt, welche Arbeit hinter dem Buch steckt.

Ich fand die Handlung sehr spannend, wollte das Buch gleichzeitig sofort zu Ende lesen und noch nicht beenden und habe mich vor allem auch über eine Protagonistin gefreut, die stark, aber nicht klischeehaft "gut" ist oder der alles gelingt. An vielen Stellen überrascht die Handlung, indem ein Nebencharakter viel mehr Tiefe und Komplexität hat, als man es gewohnt ist, und dadurch eine unvorhergesehene, aber glaubwürdige Wendung entsteht. Die Sprache bringt uns direkt in die Zeit um 1580, ich fühlte mich mitten "drin" in der Handlung und das ist nicht zuletzt den vielen kleinen Details zu verdanken, die die Zeit der Handlung sehr greifbar machen.

Wer Interesse an Sprachen, frühneuzeitlicher Geschichte und dem keineswegs antagonistischen Verhältnis von Wissenschaft und Glauben hat, wird mit diesem Buch ziemlich sicher großen Spaß haben. Außerdem habe ich es auch als eine Liebeserklärung an Bücher und die Wissenschaft verstanden. Und einige berühmte Gelehrte und Zeitgenoss*innen haben Gastauftritte!

Bewertung vom 31.05.2021
Halbmond über Heinde
Hayat, Sarina

Halbmond über Heinde


gut

EIn junges Mädchen flieht vor einem Bürgerkrieg - Jugendbuch zu einem ernsten Thema

Sarina Hayat packt mit diesem Buch ein wichtiges Thema an. Im Mittelpunkt steht die 15-jährige Aysha, die auf der Flucht vor dem IS aus Syrien nach Deutschland kommt und dort versucht, Fuß zu fassen. Sie beginnt damit, ein Tagebuch zu führen, und stößt auf ein unheimliches Geheimnis, das sich um die alte Mühe rankt, in der sie lebt.

Ich finde es gelungen, wie auf sehr wenigen Seiten viele wichtige Themen angesprochen und vergleichsweise simpel heruntergebrochen werden. So wird auch jungen Leser*innen klar, wie viele Konfliktparteien in Syrien involviert sind, oder dass es bspw. innerislamische Konflikte oder Rassismus in Deutschland gibt. Solche Themen sollten viel früher und ausführlicher auch in Schulen angesprochen werden, als es oft passiert.

Andererseits denke ich, dass dieses Thema vermutlich weniger in der Orientierungsstufe als eher in der Mittelstufe angesprochen werden könnte, und dafür wiederum fand ich das Buch teilweise dann zu oberflächlich und zu kindlich. Aysha ist als Erzählerin fast 18 Jahre alt, aber dazwischen hatte ich eher das Gefühl, das Tagebuich einer Zwölfjährigen zu lesen. Hier hätte man eventuell ihr Alter etwas verringern oder die Sprache etwas anpassen können - auch, wenn man berücksichtigt, dass sie die Sprache gerade erst gelernt hat.

Gerade, weil manche wichtige Themen nur in einem Nebensatz angesprochen werden, ist es zudem vermutlich sehr von der Vorkenntnis der Kinder abhängig, ob sie das Thema wirklich nachvollziehen können. Manche Dinge passieren denn auch sehr plötzlich, weshalb ich insgesamt denke, dass das Buch gewonnen hätte, wäre es 50 Seiten länger geworden.

Bewertung vom 30.05.2021
Die Akte Adenauer / Philipp Gerber Bd.1
Langroth, Ralf

Die Akte Adenauer / Philipp Gerber Bd.1


weniger gut

Tolle Idee, aber leider überzeugt die Umsetzung nicht

Auf das Buch hatte ich mich sehr gefreut, denn gute Politthriller mag ich gerne, und gerade die Bonner Republik ist ein interessantes Thema. Die Entscheidung, sich im Buch mit den Werwolfgruppen des Dritten Reichs und personellen Kontinuitäten auseinanderzusetzen, finde ich ebenfalls sehr spannend und wichtig, da das Thema in der Öffentlichkeit oft weniger behandelt wird. Die RAF ist uns fast allen ein Begriff, Rechtsterrorismus dagegen so gut wie gar nicht. Der Autor hat definitiv sorgfältig recherchiert und als ehemalige Bonnerin fand ich gedanklich schnell an viele der Handlungsorte. Warum also die eher negative Bewertung?

Zum Einen fand ich die Charaktere - insbesondere die weiblichen - häufig sehr flach und unglaubwürdig. In der Mitte steht der strahlende Held, der eindeutig einer der Guten ist, und entweder von jungen hübschen Frauen umgeben ist, die ihn alle sofort attraktiv finden, oder aber auf ältere Frauen (Sekretärinnen, Oberschwestern etc.) trifft, die meist nach dem gleichen Schema abweisend, hochnäsig und eindimensional sind. Auch die im Buch vorkommenden Liebesbeziehungen sind in meinen Augen unnötig und das Buch wäre problemlos auch ohne sie ausgekommen. Ich kann nicht viel mehr dazu schreiben, ohne zu spoilern, aber zumindest so viel: Eigentlich als unabhängig dargestellte Frauen wollen reihenweise beschützt werden, finden Übergriffigkeit doch irgendwie süß und innerhalb weniger Tage (wir reden hier von drei oder vier Tagen) entstehen intensivste Liebesbeziehungen. Das lässt sich auch mit dem historischen Kontext nicht rechtfertigen, denn trotz massiver Geschlechterungleichheiten in den 50ern waren Frauen nicht so eindimensional, wie es in diesem Buch bis auf sehr wenige Ausnahmen die meisten Frauen sind. Dass man Frauencharaktere auch in den 1950ern sehr viel komplexer darstellen kann, hat erst in diesem Jahr Merle Kröger mit "Die Experten" bewiesen.

Das allein wäre für mich kein Grund für eine solche Bewertung, handelte es sich dabei um Randerscheinungen. Aber zeitweise war ich versucht, das Buch wegzulegen, weil die unglaubwürdigen Liebesbeziehungen mit teilweise wirklich sehr platten Dialogen überhand nahmen und für mich in dieser Ausführlichkeit in einem historischen Politthriller einfach fehl am Platz waren. Die spannendsten Stellen waren dann auch die, an denen eher weniger Frauen vorkamen - was schade ist, denn so wurde ich auch nicht wirklich von Spannung ergriffen und wenn, dann schnell wieder rausgerissen.

Zweitens wird dann gerade im letzten Drittel doch oft in die Klischeesammlung gegriffen, um beispielsweise zwischenmenschliche Beziehungen auf Täter*innenseite darzustellen oder Teile des Falls aufzulösen. Auch hier erschien es mir teilweise sehr widersprüchlich, wie unvorbereitet und unfähig Täter*innen dargestellt wurden, die Teil terroristischer Elitetrupps sind. Gerade, da der Autor als jemand angekündigt wird, der bereits mehrere Erfolge erzielen konnte, hätte ich hier auf Originalität gehofft.

Mein sehr ernüchtertes Fazit lautet daher: Tolle Idee, sorgfältige Recherche und interessante Passagen werden an vielen Stellen von unglaubwürdigen und flachen Charakteren und unnötigen Liebesszenen unterbrochen. Wem es eher um die historischen Hintergründe geht und wen Stereotype und Klischees nicht sonderlich stören, wird hier mit Sicherheit Spaß haben und einiges lernen können. Wer sich spannende Charaktere erhofft, wird möglicherweise enttäuscht werden.
Schade, ich werde trotzdem dem Nachfolgeband, wenn er erscheind, vermutlich noch eine Chance geben, weil ich das historische Setting weiterhin spannend finde.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.05.2021
Die Frauen von Kopenhagen
Tinning, Gertrud

Die Frauen von Kopenhagen


sehr gut

Packender Historienroman mit spannenden Protagonistinnen

Nelly arbeitet in der größten Tuchfabrik Dänemarks und erlebt dort einen Unfall mit. Sie möchte sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Frauen einsetzen, doch dabei riskiert sie einiges, denn der Fabrikbesitzer lässt nicht mit sich spaßen. Anna kommt vom Land in die Stadt und ist mit Nelly über Johannes verbunden, Annas Bruder und Nellys Schwarm. Anna ist schockiert von den Arbeitsbedingungen in den Fabriken und möchte nicht nur geschehene Ungerechtigkeiten aufklären, sondern die Arbeitsbedingungen und die Situation der Arbeiterinnen verbessern.

Gertrud Tinning erschafft mit einer sehr lebhaften, direkten und nicht immer angenehmen Sprache (so werden bspw. auch blutige Situationen deutlich geschildert) einen authentischen und atmosphärischen Historienroman. Dabei beschönigt sie nicht und schildert gerade auch das Elend, die schlechten Lebensbedingungen und die Gefahr, die mit einem gewerkschaftlichen Engagement einherging. Auch die spezifische Unterdrückung und Unfreiheit von Frauen, die oft nur durch eine Ehe ihre Existenz sichern konnten und sich durch Frauensolidarität versuchten zu schützen, arbeitet sie deutlich heraus. Die vorgestellten Charaktere sind plastisch und nicht klischeehaft. So gefiel es mir besonders, dass beispielsweise Anna nicht als Heldin dargestellt wird, der alles sofort gelingt - auch sie ist mit Herausforderungen konfrontiert, die an ihre Existenz gehen, und ihre Entscheidungen haben nicht immer angenehme Konsequenzen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Historienromanen stehen hier keine Liebesgeschichten im Vordergrund, was mir gut gefiel. Stattdessen fließen teilweise Elemente eines Kriminalromans ein, wo die Frauen versuchen, vergangenes Unrecht aufzuklären.

Mir persönlich kam aber die angekündigte Geschichte der Frauenbewegung etwas zu kurz. Ich hätte gern noch mehr über die Frauenorganisationen in Dänemark, ihre Akteurinnen und ihre Taktiken erfahren. Vielleicht hwäre es sinnvoller gewesen, das Buch in zwei Bände aufzuteilen und sich im zweiten noch ausführlicher mit der Arbeiterinnenbewegung zu befassen.

Bewertung vom 11.05.2021
Tradition Mord
Kessler, Sarah

Tradition Mord


sehr gut

Generationenübergreifender Kriminalroman über die Willkür des Ehrenmordbegriffs

Die Staatsanwältin Frida, Feministin und Kritikerin der noch oft verbreiteten Unterscheidung von "Ehrenmord" durch migrantisierte Männer und "Beziehnungsdramen", als die die Femizide durch deutsch gelesene Männer oft verharmlost werden, ermittelt. Es geht um Aliye, die eines Tages niedergestochen wird und ins Koma fällt. Während der Ermittlungen wird deutlich, dass Aliyes Familie ein größeres Geheimnis hütet, das eine Generation zurückreicht und ebenfalls eng mit misogyner Gewalt verbunden ist.

Schon zu Beginn des Buchs wird deutlich, dass wir es hier nicht mit einem einfachen Kriminalroman zu tun haben, sondern dass wir Leser*innen auch unser Wissen erweitern sollen. Anhand zweier Frauen aus zwei unterschiedlichen Generationen einer Familie wird deutlich, dass misogyne und patriarchale Gewalt noch immer verbreitet ist. Dabei werden die Leser*innen durch die Verortung dieser Fälle in einer sogenannten Gastarbeiter*innenfamilie aus der Türkei dazu provoziert, ihre eigenen Vorannahmen zu reflektieren. Denn Begriffe wie "Ehrenmord" sind eben keineswegs so klar, wie es die mediale Berichterstattung oft suggeriert, die Bezeichnung ist nicht nur potentiell rassistisch, sondern ignoriert die Gemeinsamkeiten verschiedener Gewaltverbrechen an Frauen: Die Idee, dass die weibliche Sexualität beherrscht gehört.

In diesem Sinn haben wir es mit einem feministischen Kriminalroman zu tun, und das gefiel mir sehr gut. Die Staatsanwältin, Frida, ist mir zwar streckenweise etwas unsympathisch, aber das macht sie gleichzeitig auch authentisch. Das einzige, was ich schade fand, war, dass der Angriff auf Aliye im Buch weniger Raum erhält, als ich dachte. Ich glaube, hier wäre ein weiteres Kapitel nicht schlecht gewesen, um das Buch insgesamt etwas abzurunden. Insgesamt bleibt es aber ein sehr lesenswertes Buch zu einem sehr wichtigen Thema.

Bewertung vom 28.04.2021
Die Beichte einer Nacht
Philips, Marianne

Die Beichte einer Nacht


ausgezeichnet

Eine eindrückliche Beschäftigung mit Geschlechterrollen und Moralvorstellungen um 1930


"Die Beichte einer Nacht" ist ein Roman der niederländischen Autorin, Politikerin und Frauenrechtlerin Marianne Philips. Ende des 19. Jahrhunderts geboren, saß die Sozialdemokratin als eine der ersten Frauen der Niederlande im Parlament. Der Roman erschien schon 1930.

Geschrieben ist der Roman als Monolog der Patientin Heleen, die in einer psychiatrischen Klinik untergebracht ist. Eines Nachts schildert Heleen einer Nachtschwester ihre Lebensgeschichte, die von gesellschaftlichen Aufstiegen aus der Arbeiterschicht, Abstiegen, ihrem komplizierten Verhältnis zu ihrer jüngsten Schwester und einigen Unglücken geprägt ist.

Anfangs hatte ich wegen der Monologform etwas Sorge, dass das Buch anstrengend werden könnte. Das ist aber nicht der Fall, es entfaltet einen unglaublichen Sog und ich hatte als Leserin oft das Gefühl, selbst die angesprochene Nachtschwester zu sein und erlebte ein ziemliches Wechselbad der Emotionen Heleen gegenüber. Es geht nicht darum, Heleen als Person zu mögen oder zu hassen - dafür ist der Charakter viel zu komplex - sondern darum, nachzuvollziehen, warum ihr Weg sie in die Nervenheilanstalt gebracht hat. Denn, so macht Heleen deutlich, meist stehen hinter psychischen Erkrankungen bestimmte Gründe.

Das Buch ist eine spannende Charakterstudie, die ihrer Zeit definitiv voraus war. Offen spricht Heleen über Sexualität, die Beziehung zu Männern, ihre Berufstätigkeit, Träume und psychische Konflikte und dabei scheinen eindrücklich die damaligen Rollenerwartungen durch, gegen die Heleen aufbegehrt. Allerdings kann sie sich aber nicht völlig gegen die verinnerlichten Erwartungen an sie als Frau wehren und verzweifelt immer wieder darüber, dass sie diese Erwartungen nicht gänzlich erfüllen kann - insbesondere die, die sie selbst an sich hat. Auch die differenzierte Auseinandersetzung mit psychischen Erkrankungen ist gelungen und gleichzeitig für diese Zeit sicher eher selten. Dabei wertet der Roman nicht, sondern lässt Heleen den Raum, zu erzählen.

Ich finde es großartig, dass der Diogenes Verlag entschieden hat, dieses Buch aufzulegen, denn es ist ein spannendes historisches Dokument, das viele Kritikpunkte der damaligen Frauenbewegung aufgreift. Themen wie die Zugehörigkeit zu einer niedrigen Schicht, der Wunsch nach Aufstieg, Geschlechterrollen und das Nichterfüllen von Erwartungen werden bar jedes Klischees verhandelt und sorgen für eine hohe Authentizität. Daher empfehle ich das Buch definitiv allen weiter, aber vor allem denen, die einen Einblick in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, die damalige niederländische Gesellschaft und vor allem die Stellung von Frauen in dieser erhalten möchten.

Bewertung vom 22.04.2021
Mado
Franßen, Wolfgang

Mado


weniger gut

Versuch einer Milieustudie, der jedoch zu klischeehaft und repetitiv umgesetzt ist

Mado lebt in Paris und hat eine Affäre mit einem Boxer. Als dieser sie aus Eifersucht einsperrt, schlägt sie ihn nieder und flieht zurück aufs Dorf, zu ihrer Mutter (Kmeipenbesitzerin und Prostituierte) und Schwester (noch sehr jung, aber bereits in den Ffalschen verliebt), deren Leben sie nie führen wollte, und denen sie nun durch diese Tat doch sehr nah gekommen ist. Das Buch versucht sich als Milieustudie, ich empfand es dabei aber leider nicht als sehr glaubhaft. Von Kapitel zu Kapitel steigt Mado die gesellschaftliche Leiter immer weiter hinunter, ihr Leben ist geprägt von Kriminalität, Drogen, Sexualität und Gewalt. SIe versucht, sich zu lösen, und scheitert immer wieder.

Den Blick auf Mado und auch andere Frauen empfand ich teilweise als voyeuristisch, war als Leserin distanziert, betrachtete sie von außen und konnte durch die Sprache und den Aufbau nicht wirklich eine Bindung zu ihr oder anderen Charakteren aufbauen. Dadurch blieb das Gefühl, auf Mado hinabzublicken, gerade, weil sie teilweise sehr klischeehaft dargestellt wird. Eine Chatakterentwicklung konnte ich kaum bemerken, wo sie sich andeutete, war sie dann teilweise sehr plötzlich und für mich nicht ganz nachvollziehbar, woher der gedankliche Umschwung nun kam. Viele ihrer Gedanken, Handlungen und Ausbruchsversuche wiederholen sich immer wieder, was ein stilistisches Mittel sein mag, um die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation aufzuzeigen. Für mich wurde das Buch dadurch sehr langatmig.

Dazu trägt auch die Sprache ihren Teil bei, denn ich empfand die vielen kurzen Kapitel mit plötzlichen Sprüngen zwischen den Personen als zunehmend konfus und es fiel mir schwer, alle Fäden zu behalten. Auch hier werden Klischees bedient, wenn beispielsweise die Männer überwiegend sehr abfällig über Frauen denken (eine badende Frau wird als fette Kuh gelabelt, auch sonst fallen öfter mal misogyne Schimpfworte). Diese Sprache wird aber nicht eingeordnet, weshalb ich nicht verstanden habe, ob sie einfach provozieren oder dem "Milieu" Glaubwürdigkeit verleihen soll. Falls letzteres, ist es mir wieder zu stereotyp, um glaubhaft zu sein. Falls es eine Provokation ist, wird sie irgendwann auch ermüdend.

Dieses Buch hat mich wegen seines Klappentexts angesprochen, aber leider empfinde ich ihn nach Beendigung des Buchs nicht nur als relativ unpassend, sondern verstehe gerade den ersten Satz nicht. Das Buch hat weder etwas mit Metoo zu tun, noch ist es diesbezüglich unkorrekt. Auch den Begriff der Cancel Culture verstehe ich nicht wirklich, weshalb ein bisschen der Geschmack zurückbleibt, die beiden Begriffe seien entweder aus Vermarktungsgründen genutzt worden - das fände ich problematisch - oder um ein mögliches "Cancelling" im Vorfeld heraufzubeschwören,


Insgesamt finde ich es schade, dass der Roman mich nicht mitreißen konnte und mir die Figuren zu plakativ waren, denn die Idee hat durchaus Potential. Gerade die thematische Kombination von Geschlecht und Schicht würde es verdienen, ohne Klischees aufgearbeitet zu werden, und deshalb soll diese Rezension auch nicht als eine Kritik am Thema des Romans verstanden werden. Familiäre Dynamiken, heterosexuelle Gewaltbeziehungen, die Vererbung von Schichtzugehörigkeit, die Schwierigkeit gesellschaftlicher Aufstiege und die scheinbare Unmöglichkeit, von "ganz unten" jemals wieder nach oben zu kommen, sind wichtige unt interessante Themen. Nur leider konnte mich die Umsetzung nicht begeistern und lässt mich etwas ratlos zurück.

Bewertung vom 15.04.2021
Drei Kameradinnen
Bazyar, Shida

Drei Kameradinnen


ausgezeichnet

Schwesternschaft als Ressource in einer rassistischen Gesellschaft

Kasih, Saya und Hani - das sind drei Freundinnen, drei Kameradinnen seit frühester Kindheit. Geprägt hat sie in ihrem Aufwachsen nicht nur, dass sie im gleichen Viertel aufgewachsen sind, sondern vor allem, dass sie von kleinauf die Erfahrung gemacht haben, nie ganz dazuzugehören - jede auf ihre Art, aber alle wegen einer Herkunft, die die sogenannte Mehrheitsgesellschaft überall verortet, nur nicht in Deutschland. Erzählt wird die Geschichte von Kasih, die auf die vergangenen Tage zurückblickt, nachdem Saya als Tatverdächtige eines Brandanschlags verhaftet wurde.

Radikal und klar konstruiert Shida Bazyar Situationen, um diese direkt wieder einzureißen, (inbesondere uns weißen) Leser*innen zu verunsichern, uns dabei schonungslos vorzuführen, wie tief unsere Vorurteile sitzen, wenn wir gerade denken, eine Situation erfasst zu haben, um dann festzustellen, dass Kasih unsere "reflektierten" Gedanken schon lange vor uns erfasst hat. Das alles erledigt sie aber eher nebenbei, da unsere Befindlichkeiten nicht im Zentrum dieses Romans stehen. Dieser Platz ist dem Umgang mit Rechtsterrorismus in diesem Land vorbehalten, der Perspektive dreier Freundinnen, die die vielen rechtsterroristischen Angriffe nicht nur aus einer besorgten Perspektive, sondern realen Bedrohungssituation heraus verfolgen, für die nicht die angebliche, so oft beschworene Sprachbarriere das Hauptproblem darstellt, sondern eine Vertrauensbarriere. Die nicht vertrauen können und wollen auf einen Sicherheitsapparat, der sie zuallererst als Täter*innen sieht. Gleichzeitig gibt es kein einfaches "Nebenher", denn genauso klar zeigt der Roman, dass der Drang, angeblich "fremde" Menschen zu klassifizieren und diesen Apparat aufrechtzuerhalten, keinesfalls nur in rechten Kreisen existiert, sondern auch von uns Leser*innen geteilt wird, die wir erwarten, mit diesem Buch unsere Perspektive zu erweitern und ein weiteres Stück "Migrationsliteratur" zu konsumieren. um uns danach auf der richtigen Seite zu wähnen.

Definitiv erweitert dieser Roman diese Perspektive, aber gerade, weil er uns die Dinge zeigt, die wir über uns selbst ungern wahrhaben wollen und diese problematischen und verinnerlichten Denkweisen mit ihren realen Auswirkungen, nämlich der bestehenden Ausgrenzung und Bedrohungssituation, verknüpft. Deutlich wird auch, dass jede rassifizierte Person anders mit ihren Erfahrungen umgeht und dadurch nie für alle sprechen kann, dass aber viele rassifizierte Menschen sehr ähnliche Diskriminierungserfahrungen teilen, die weiße Menschen meist gar nicht als solche wahrnehmen oder sogar für einen Ausdruck von Wertschätzung halten. Gleichzeitig beschreibt das Buch eine Kameradinnenschaft, die nicht nur besteht, weil die drei Freundinnen Diskriminierungserfahrungen teilen, sondern weil sie aus der gemeinsamen Freundschaft Kraft schöpfen und jede eine andere Facette dazu beitragen.

Ein eindringliches Buch, das schonungslos das aufzeigt, was uns allen eigentlich schon lange klar sein müsste, nämlich dass die Bekämpfung von Rechtsterrorismus nicht nur eine gesamtgesellschaftliche, sondern eine sehr dringende Angelegenheit ist und damit verbunden werden muss, gesamtgesellschaftliche Strukturen und individuelle Denkmuster über angeblich fremde Menschen zu verändern. Deutlich wird aber auch: Freund*innenschaften und ehrliche Solidarität sind für diesen Kampf bitter nötig und gleichzeitig empowernd.

Bewertung vom 28.03.2021
Teufelsberg / Kommissar Wolf Heller Bd.2
Kellerhoff, Lutz W.;Kellerhoff, Lutz Wilhelm

Teufelsberg / Kommissar Wolf Heller Bd.2


gut

Zeitgeschichtlich interessant, aber eine etwas dünne Story

Die jüdische Frau eines Berliner Richters wird ermordet, nicht einmal 25 Jahre nach dem Ende der Shoah. Politik und Ermittlungsbehörden sind alarmiert, im Jahr 1969 ein mögliches antisemitisches Motiv in Deutschland?!
Die amerikanische Nichte des Mordopfers geht nicht davon aus, dass die deutsche Polizei- bedingt durch ihre Geschichte und die Religion des Opfers- den Täter so leicht finden wird, zumal ihr Onkel auch einiges zu verheimlichen hat. Sie beschließt daher, sich selbst auf die Suche nach dem Täter zu machen. Währenddessen verfolgt ein Spion des KGB das Ziel, durch einen Terroranschlag Unsicherheit in Westdeutschland zu verbreiten - und der Kommissar, der in dieser Situation ermitteln soll, hat privat mehr als genug Probleme.

Das Autorenteam entwirft diesen Plot vor dem Hintergrund eines bewegten Jahrs in Deutschland, 1969, ein Jahr nach den Student*innenrevolten, inmitten des Kalten Kriegs, einem Land, in dem Antisemitismus die Gesellschaft nicht in links und rechts trennt, sondern gerade auch in linken Kreisen um sich greift. In bürgerlichen Kreisen, auch das zeigt dieses Buch, war er ebenfalls noch nicht weg.
Diese historische Dimension des Buchs hat mir gefallen. Als Leser*innen erhalten wir einen lebhaften Einblick in eine Zeit, die zwar gerade mal 50 Jahre zurückliegt, für mich als "Millenial" aber nicht mehr erinnerbar ist. Dabei zeigen die Autoren auch, dass die politischen Debatten an vielen Stellen komplexer waren, als wir uns heute erinnern (wollen), bspw. linke Debatten um den Nahostkonflikt oder die Frage, welche Form der Gewalt in welchen Fällen legitim ist - und ob überhaupt.
Der Plot konnte mich aber leider nicht richtig mitreißen. Natürlich ist es gewollt, dass man während des Lesens auch die Perspektive des Täters bereits kennenlernt, das hätte man aber dann in meinen Augen spannender gestalten müssen. So verfolgte ich eher einen etwas "hinterherlaufenden" Kommissar beim Versuch, einen Fall zu lösen, den ich bereits absehen konnte.
Deshalb gibt es von mir 3/5 Sternen, denn wer Interesse an der jüngeren deutschen Geschichte hat, kommt hier definitiv trotzdem auf seine Kosten.

Bewertung vom 10.03.2021
Das Flüstern der Bienen
Segovia, Sofía

Das Flüstern der Bienen


gut

Die märchenhafte Erzählung über eine Familie im Mexiko der 1920er

Eines Morgens findet die alte Amme Nana Reja ein Baby, das nach Meinung des Arztes durch eine Gesichtsfehlbildung gar nicht lebensfähig wäre. Doch der kleine Junge, der inmitten eines Bienenschwarms gefunden wird, lebt und wächst fortan mit seinem Bienenschwarm bei der reichen, landbesitzenden Familie Morales auf. Die Handlung spielt in der mexikanischen Stadt Linares, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Es ist die Zeit umfassender Umstürze, Enteignungen, die Zeit der Landreform und zudem findet die Spanische Grippe ihren Weg ins Dorf.

Die Autorin entwirft rund um den Bienenjunge Simonopio, der zwar nicht sprechen kann, dafür aber mit den Bienen kommuniziert und weiß, wann es regnen wird und wann Gefahr droht, eine Familie, die sich in den politischen Wirren als Großgrundbesitzer neu orientieren muss.

Erzählt wird die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, insbesondere aber durch Francisco, der als jüngstes Kind der Familie von Simonopio großgezogen wurde und sich nun als alter Mann an diese Kindheit erinnert.

Die Vermischung realistischer und phantastischer Elemente hat mich etwas an Murakami erinnert, denn es ist gerade so phantastisch gehalten, dass man den Bienenjungen noch für zumindest teilweise real halten kann. Die Grenzen zwischen Realität, Erinnerung und Magie verschwimmen an vielen Stellen. Dabei ist das Buch auch eine Liebeserklärung an die Natur. Es ist ein schöner Roman, der Sehnsucht nach Sommer macht und die Leser*innen auf eine Reise in eine den meisten von uns wohl eher weniger bekannte Gegend schickt. Die kurzen Kapitel, in denen die gleiche Situation aus verschiedenen Perspektiven nacherlebt werden, passen zu der Art des Buchs, das die Ereignisse im Leben der Familie Morales schlaglichtartig beleuchtet.

Ich würde das Buch nicht unbedingt lesen, um ein tieferes Verständnis für die mexikanische Gesellschaft zu entwickeln, denn die Autorin betont selbst, dass sie einige historische Ereignisse verschoben hat und natürlich wird mit dem Fokus auf die Großgrundbesitzer Morales auch nur eine Seite der Auseinandersetzungen zu dieser Zeit betont. Man erhält durchaus einen Einblick in das Leben in einem mexikanischen Dörfchen vor 100 Jahren, denn die Autorin hat definitiv gründlich recherchiert. Gerade wegen der Vermischung von Phantastik und Realismus sollte man das aber nicht alles für bare Münze nehmen - so viel sagt sie aber auch selbst und das ist auch nicht das Ziel des Buchs.

Der Roman schärft den Blick für die Notwendigkeit, die Natur zu verstehen und wertzuschätzen, für familiäre Dynamiken und für Ausgrenzung und will zeigen, dass Menschen, die aufgrund ihrer Behinderungen besondere Diskriminierung erfahren, eine nicht weniger wertvolle Erfahrungswelt haben und die Bewertung, welche Art der Lebensführung die "bessere" ist, nicht so leicht ist. Kritisieren kann man aber, dass Simonopio sehr animalisch dargestellt wird - das kann man natürlich auf seine enge Bindung zu den Bienen zurückführen, aber es spielt auch in die häufige Darstellung behinderter Menschen als nicht ganz menschlich hinein. Simonopio bleibt außerdem teilweise Projektionsfläche und ist vor allem da, um anderen Menschen zu helfen, was man durchaus kritisch betrachten kann (Stichwort Inspiration porn). Der alte Francisco muss selbst gestehen, dass er Simonopio als Kind vor allem egoistisch als für ihn und seine Bedürfnisse verantwortlich wahrgenommen hat.

Die Bewertung des Romans hängt deshalb, glaube ich, davon ab was man erwartet. Ich habe das Buch gern gelesen und kann es definitiv denen empfehlen, die nach einer kleinen Flucht aus dem Alltag suchen. Man sollte aber nicht zu viel umfassende politische Reflexion oder tiefgehende Botschaft erwarten und ein kritisches Auge für manche Charaktere haben.