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easymarkt3
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Insgesamt 850 Bewertungen
Bewertung vom 18.02.2025
Russische Spezialitäten
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


gut

Ein interessantes Zeitzeugnis – Ukraine als Kriegsgebiet
Das in zwei Teile gegliederte Buch beschreibt zunächst das Leben einer ukrainischen Familie aus Kyjiw , die seit ca. 1994 in Leipzig als »jüdische Kontingentflüchtlinge« leben und ein russisches Spezialitätengeschäft betreiben, mit dem Autor von Kindesbeinen an als helfende Hand. Er karikiert ihr Familienleben und die teils skurrilen Momente im Geschäftsalltag. Besonders die Mutter unterliegt seit dem russischen Überfall auf die Ukraine dem Einfluss politischer Nachrichten in russischen Medien, während der Sohn solche Propaganda der Russen hinterfragt. Mit dem Schlaganfall des Vaters und Corona verschlechtert sich die finanzielle Situation bis zur Schließung des Geschäfts nach mehr als 20 Jahren.
Im zweiten Teil geht es mit Dmitrij zunächst nach Kyjiw, seiner Heimat in die Ukraine. Mittels Kontakt zu seinem Sandkastenfreund und zu dortigen Verwandten erfährt er hautnah Grenzkontrollen, Luftangriffe, Abkehr von der russischen Sprache im Kriegsgebiet und sieht bauliche Zerstörungsgewalt und frische Soldatenfriedhöfe. Dieser Romanteil endet mit Hakenkreuz und zerbrochener Fensterscheibe in Leipzig, polizeilich behandelt als Ordnungswidrigkeit. Während der Anfang den Spagat in Leipzig zwischen neuer und alter Heimat teils humorvoll, teils komisch, versetzt mit russischen Begriffen, menschlich nah präsentiert, regt der folgende Teil sehr zum Nachdenken an zwischen den verschiedenen politischen Ideologien. Sein Festhalten an der russischen Sprache und an Kyjiw als alte Heimat verhilft ihm zur Festigung der Familienbande und zur eindeutigen Identitätsfindung.
Eine interessante Lektüre.

Bewertung vom 18.02.2025
bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann
Lovrenski, Oliver

bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann


gut

Ein wahres, brutales Buch
Das Szenarium spielt in Oslo. Der Autor, * 2003, hier Ivor genannt, Marco, Jonas und Arjan treiben sich auf den Straßen herum, haben viel Kontakt mit Drogen, Dealern, Polizei, Jugendamt. Der Ich-Erzähler thematisiert die eigene Jugendkriminalität als Gang, die zusammen aufeinander aufpassen. Die im anhängenden Glossar übersetzten Begriffe aus Somalia, aus dem Arabischen erschweren durchgehend den Lesefluss. Der gesamte Text ist durchwachsen von Straßenslang, Schimpfworten, Begriffen in Englisch und Spanisch. Ohne Groß-/Kleinschreibung und unkorrektem Satzbau erweist sich der Text als kreativ. Unter Verwendung von Begriffen wie Vipps (norwegischer Mobile-Payment-Service), Gammel Dansk, Helen Adams Keller, Voldemort oder Hanne Krogh (norwegische Sängerin), 17. Mai Nationalfeiertag offenbart der Autor zarte Bande zur ihn umgebenden Kultur trotz brutaler Gewalt. In drei Abschnitten spitzt sich die kriminelle Lage der Gang mit zunehmendem Alter zu bis zum allmählichen, schmerzhaften Zerfall.
Der Schreibstil und die Wortwahl sind anfangs sehr gewöhnungsbedürftig. Emotional überzeugend!

Bewertung vom 18.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


sehr gut

Geld ist nicht alles!
Das Cover und der Buchtitel Achtzehnter Stock verdeutlichen gut, dass man hoch oben in der Platte in Berlin lebend auch Träume und Ziele wie Sonnenscheinwolken gepaart mit viel Hoffnung haben kann. Wie man mit viel Glück Chancen im ansonsten tristen Leben mit vielen bisher unerfüllten Träumen nutzen soll, davon erzählt die Ich-Erzählerin Wanda. Sie erzählt in direktem, klaren Sprachstil von ihrem mühsamen, aber erfolgreichen Weg zur Selbstverwirklichung als Filmschauspielerin. Sie vergisst dabei nicht das Wohlergehen ihrer 5-jährigen Tochter Karlie und beschreibt den schönen Zusammenhalt in der Berliner Platte. Die gut karikierten, alleinerziehenden Frauen dort bieten einander Halt und ein verständnisvolles Zuhause in ihrem multikulturellen Mix. Thematisiert werden auch Kindeswohlgefährdung, Mittelohr – und Hirnhautentzündung, Geldprobleme, Armut und Wohnraumkündigung neben der Arbeit am Set. Die Mut machende Botschaft echter Menschen mit Träumen kommt an, auch wenn man alleinerziehend und ohne Abschluss ist wie Wanda. Was für ein Leben zwischen Platte und Glamour am Filmset! Geld ist nicht alles!

Bewertung vom 18.02.2025
Mickey und Arlo
Dick, Morgan

Mickey und Arlo


gut

Schwierige Themen wie verdrängte Emotionen und Alkoholismus.
Das Cover zeigt zwei äußerlich gegensätzlich aussehende, junge Frauen, die beidseits einer weißen Tür frontal zur Wand stehen – vielleicht bereit für ihre Therapiestunde? Das in drei gleich große Bereiche unterteilte Cover ist farblich in frühlinghafter Farbgebung stimmig gehalten. Auf zwei Erzählebenen geht es um Michelle aka Mickey Kowalski, 33, Morris mit dem Mädchennamen ihrer Mutter. Sie ist Vorschullehrerin, Alkoholikerin wie ihr Vater. Die zweite Hauptfigur ist ihre ihr anfangs unbekannte Halbschwester Charlotte aka Arlo, Psychologin, bei der Mickey Therapiesitzungen absolviert, wie es im Nachlass ihres Vaters vorgegeben wird. Thematisiert werden Alkoholismus in der Familie, Traumata durch frühen Verlust eines Elternteils in der Kindheit, beruflicher Ethos der Psychologen und im Schulbetrieb, gegenseitige Hilfestellung und Aussöhnung, Trauerbewältigung. Beide problembehaftete Frauen zeigen eine gewisse Persönlichkeitsentwicklung auf, der Schreibstil jedoch überzeugt nicht vollständig. Die Nebenfiguren und Szenerien wirken realistisch skizziert außer der Darstellung von Tom Samson, Rechtsanwalt der Kanzlei Samson, Baker & Chen, von seinem besonderen Lebens- und Arbeitsstil im Zusammenhang mit diesen zwei Schwestern.

Bewertung vom 18.02.2025
Der große Riss
Henríquez, Cristina

Der große Riss


ausgezeichnet

Der Panamakanal - Ein Großprojekt der Amerikaner – interessant

Im Cover entdeckt man auf der Landkarte neben dem großen Riss durch Panama links unten französische Kanalbauten, die Panama-Bahn, den Catun-See etc. – wie im Roman erwähnt. Im mittig platzierten, kreisrunden Button bewundern Zuschauer im Jahr 1913 die Durchfahrt des ersten Schleppers durch den Panama-Kanal bei Inbetriebnahme. Viele historische Fakten über den Bau des Panamakanals, der bis heute den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, sind über mehrere Erzählstränge hier zusammengetragen. Die gesamte atmosphärische Stimmung mit harschen Arbeitsbedingungen, unwirtlichem Klima, der gesundheitlichen Bedrohung durch Malaria über mehr als sechs Jahre bis zur Fertigstellung im Jahre 1913 wird heraufbeschworen, mit Arbeitskräften verschiedenster Nationalität, Charaktere und Gesellschaftsschicht. Neben der bestimmenden, übermächtigen Rolle der Amerikaner finden auch die erfolglosen Aktionen der Einwohner von Gatún nebst Anhänger Beachtung, die gegen ihre Umsiedlung kämpfen. Nicht nur hierbei wird die Rolle der Frauen beleuchtet.
Die Landkarte und die Gesuch der ISTHMISCHEN KANALKOMMISSION aus 1907 zu Anfang des Romans bilden eine sinnvolle Einführung in dieses historische Großprojekt.

Bewertung vom 15.02.2025
Ginsterburg
Frank, Arno

Ginsterburg


sehr gut

Detaillierte deutsche Geschichte der Jahre 1935 bis 1945 gepaart mit fiktionalem Kleinstadtleben
Wie sich nicht nur der berufliche Alltag der Einwohner mit Machtübernahme der NSDAP ab 1935 allmählich durch Erlasse, Zeitungsartikel, Zulassungsbestimmungen etc. verändert, wird überzeugend beschrieben. Auf mehreren Erzählebenen geht es zunächst um die Hitlerjugend, den Nürburgring mit den Silberpfeilen, um den Nachweis »arischer Abstammung bis zum Jahre 1800, um Listen für schädliches und unerwünschtes Schrifttum, um Gesinnungsnachweise, um den Aufbau der deutschen Luftwaffe etc. zwischen den persönlichen Verstrickungen in Familie, Ehe, politischer Karriere. Durch das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre sind Juden nicht nur durch Arbeitslosigkeit bedroht. Angst, Verrat, KZ lassen so manche Freundschaft ersticken. Viel Mitmenschlichkeit tritt z.B. zwischen Uta, Architektin, und Otto Gürckel, Kreisleiter und Bürgermeister von Ginsterburg, einem alten Kameraden von Eugen von Wieland, Redakteur, hervor. Mit Ritterkreuzen, Ballastexistenzen, Flattermann, Lebensmittelkarten, Par. 175 - Widernatürliche Unzucht, Himmelbett-Verfahren und Führer-Sofortprogrammen wird das Kriegsgeschehen anschaulich beschrieben. Mehr über den ersten Testflug der Natter am 1. März 1945 mit dem Piloten Lothar Sieber ist historisch auf Wikipedia zu lesen. Auch Alfred »Alfie« Wellbeck, 18 Jahre, Heckschütze aus Wales, bindet sich auf seinem fünfundzwanzigsten Feindflug über Ginsterburg bis zum Romanende mit ein. Insgesamt erschrecken die negativ eingestellten Charaktere und die staatlichen Machenschaften, erinnern grob an Restriktionen während der Corona-Pandemie.

Bewertung vom 15.02.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt (MP3-Download)
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt (MP3-Download)


ausgezeichnet

Sciencefiction und Krimi – eine interessante Kombination

Auf 464 Seiten geht es in diesem Sciencefiction-Apokalypse-Roman um die sehr differenzierte Aufklärung eines Mordes durch Emory und ihre Tochter Clara, die mit gesamt nur 122 Inselbewohnern ein stark strukturiertes, friedliches Zusammenleben führen. Drei Wissenschaftler wie Niema Mandripilias, 173 Jahre alt und ihr Sohn Hephaistos neben Thea Sinclair, 110 Jahr alt, überwachen nicht nur die Landwirtschaft, die Einhaltung von Regeln wie die Sperrstunde, sondern auch die Gedanken der willenlosen, manipulierten Dorfbewohner. Die Erschaffung einer Welt ohne Selbstsucht, Gier und Gewalt schwebt Niema vor mit dem Ziel der Gleichheit der Menschheit. Mit der Möglichkeit, Zugang zu den Gedanken jedes Einzelnen in dieser Gemeinschaft zu haben durch ABI - artifizielle biologische Intelligenz, werden auch Experimente hinsichtlich einer Welt ohne Leid versucht. Ein giftiger Nebel in sichtbarer Entfernung beginnt diese bewohnte Insel zu bedrohen und zum Aussterben der Menschheit zu führen, sollte nach einem Mord der Mörder nicht in 107 Stunden überführt sein. In sieben Kapiteln werden unter diesem Zeitdruck Geheimnisse, Erinnerungslücken und ausgeklügelte Spannungsmomente beschrieben, die die kritische Ermittlerin Emory mit Clara zu sinnvollen Puzzlestücken zusammenführen will. Die bedrohliche Atmosphäre und die verschiedenen Charaktere der Wissenschaftler, Familie und wichtigen Dorfbewohner sind gut skizziert. Diese Sciencefiction-Welt rund um das Labor des Blackheath Instituts mit Wachstumshülsen z.B., aber auch Weltuntergangsszenarien in einem ruinierten Inseldorf wird mit vielen kreativen Gedanken zu Kontrolle, Macht, Manipulation, Egozentrik stimmungsvoll bereichert.

Bewertung vom 15.02.2025
Campion. Tödliches Erbe
Allingham, Margery

Campion. Tödliches Erbe


gut

Ein Krimi des goldenen Zeitalters
Das Cover zeigt im kunstvoll ziselierten, verschnörkelten Rahmen einen englischen Familiensitz in Suffolk, der unter die Lupe genommen werden soll. Bei diesem Auftrag für Albert Campion, einem der cleversten Detektive der Krimiliteratur, geht es um die Verhinderung des Diebstahls eines legendären Gold-Kelches aus vornormannischer Zeit der adeligen Familie Gyrth. Die 1966 verstorbene englische Autorin beschreibt diese Hauptfigur als einen unter vielen Decknamen getarnten Mann mit einem Gesichtsausdruck liebenswürdiger Beschränktheit. In seinen Dialogen zeigt er britischen Humor mit understatements, stets höflich und kreativ in etwas antiquierter Wortwahl. Der Beginn des Krimis mit Percival, kurz Val genannt, wirkt mit seiner Beschreibung als heruntergekommener Mann Mitte zwanzig, mit einem an ihn adressierten, aufgerissenen Briefumschlag und seiner seltsamen Entführung etwas unrealistisch, zu sehr konstruiert. Einige Wendungen z. B. zusammen mit Scotland Yard, dem amerikanischen Experten Professor Cairey und der Agentin der Société Anonyme Mrs. Shannon beleben die Vorgänge rund um die sagenumrankten Geheimnisse der Gyrths. Thematisiert werden auch Hexerei und mittelalterliche Relikte.
Insgesamt ein Lesespaß mit Vintage-Charakter.

Bewertung vom 12.02.2025
Von hier aus weiter
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Trauerbewältigung, Überwindung von Leere und erneute Sinnfindung
Das Cover verdeutlicht bildlich den Buchtitel. In der unteren Coverhälfte hat sich der Bildausschnitt in der Rundumsicht leicht weiterbewegt im Vergleich zum oberen Landschaftsausschnitt – passend zur Aussage des Romans. Wie schafft man mit neuen Perspektiven nach langjähriger Ehe das Dasein als Witwe im Rentenalter? Wie überwindet die Hauptperson Marlene die große Leere? Der Suizid ihres Mannes sorgt zunächst für Wut statt für Trauerbewältigung. Sehr realistisch und mit berührender Tiefe versuchen alle sympathischen Charaktere im respektvollen Umgang miteinander besonders im Gespräch erste Schritte aus dem seelischen Tief von Marlene zu finden. Dieses ernste Thema wird mit einer Leichtigkeit im Schreibstil glaubhaft ummantelt und entbehrt mit seinen Überraschungen auch nicht einer gewissen Spannung. Die Erfahrung von Verlust, gepaart mit der Entwicklung von Wut zu Trauer findet ein wohltuendes Romanende.

Bewertung vom 12.02.2025
Die Allee
Anders, Florentine

Die Allee


sehr gut

Das Porträt einer interessanten Familie
Das Cover zeigt die drei Hauptfiguren des Romans im Porträt mit Bauten des Chefarchitekten der DDR. Über den Zeitraum von 1931 bis 1995 wird das berufliche und private Leben von Helmut Henselmann, seiner Frau Isi und seiner Tochter Isa beleuchtet. Sein kreatives Arbeitsleben unter staatlicher Bevormundung und voller Kompromisse als Architekt zunächst in der Nazizeit, dann in der DDR wird abwechselnd verzahnt mit Kapiteln über zwei starke Frauen in dessen Leben. Viele Gedanken zur Baukunst an sich, über das Leben in typischen, normierten Plattenbauten, zu verschiedenen Bauweisen wie z.B. Tunnelschalbauweise, Kletterbauweise oder Gleitbauweise werden ausgeführt neben den vielen familiären Stationen besonders zwischen diesen drei Familienmitgliedern. Zunächst erfährt der Leser viel über die Kriegsjahre des zweiten Weltkriegs, dann auch Interessantes über das privilegierte Alltagsleben in der DDR unter Stasibeobachtung, über die krasse Wohnungsnot und die politischen Entwicklungen im sozialistischen Ausland bis nach dem Mauerfall. Die Kapitel sind zeitlich chronologisch jeweils alternierend aus der Perspektive von Hermann, Isi oder Isa verfasst. Der angenehme Schreibstil lässt ein lebendiges Miteinander erstehen.