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Benutzername: 
Pitty318
Wohnort: 
Lahn-Dill

Bewertungen

Insgesamt 55 Bewertungen
Bewertung vom 15.09.2021
Fanzi
Schmidauer, Elisabeth

Fanzi


ausgezeichnet

Beeindruckende Bilder und eine große emotionale Tiefe
Der Roman „Fanzi“ wird in zwei Erzählsträngen erzählt. Einmal aus der Sicht von Fanzi und zum anderen aus der Sicht seiner Enkelin Astrid. Fanzi wird Anfang der 1930er Jahre geboren und wächst in einem kleinen Ort auf einem Hof in Österreich auf. Er ist als jüngster Sohn nach zwei Brüdern derjenige, der für eine Ausbildung als Tischler vorgesehen ist. Der Zweite Weltkrieg zerstört diese Pläne und er übernimmt nach Kriegsende sehr früh den Hof seiner Eltern.

Fanzi hat als kleiner Junge eine wunderschöne Art, Fragen über seine Mitmenschen und seine Umgebung zu stellen. Er wirkt sehr kindlich und ist mit einem klaren Blick für das Gute und das Böse ausgestattet. Ich konnte mich sehr gut in ihn mit seiner sensiblen Art hineinversetzen. Fanzi, der sehr viel Leid gesehen und erfahren hat, ist mir sehr ans Herz gewachsen. Vor allem sein Verhältnis zu seiner kleinen Schwester Elfi ist so herzerweichend und gleichzeitig in der weiteren Folge des Buches so herzzerreißend. Ich dachte manchmal Elfi wie Elfchen, auch das ist eine große Fähigkeit der Autorin, innere Bilder im Lesenden zum Klingen zu bringen.
Immer wieder habe ich mich während des Lesens gefragt, was Astrid mit ihrer Art das Leben zu sehen mit Fanzis Erlebnissen zu tun hat? Wie passt es zusammen? Was hat sich die Autorin gedacht, gerade diese Interessensgebiete für Astrid zu wählen? Astrid hat Biologie studiert, kann Lebensformen beschreiben, Fanzi kann Leben im Kriegszustand beschreiben. Astrid kann sagen, welche Lebensformen wie lange schon auf der Erde leben, Fanzi kann sagen, wie schnell das Leben für ein Individuum zu Ende sein kann. Astrid hat das Wissen über scheinbar unendliche Zeiträume und Fanzi das über die Endlichkeit. Und auch die Erwähnung von Shakespeares Hamlet macht im Rahmen dieses Romas nachdenklich und legt nahe: Sein oder Nichtsein, ist das hier die Frage?
Auch, wenn ich die Konstruktion des Romans und die Bedeutung der Bilder nicht ganz verstanden habe, so hat mich dieser Roman mit seiner Feinfühligkeit und seiner emotionalen Tiefe so begeistert, dass das Thema mich über Wochen in Gedanken gefangen genommen hat. Vielleicht auch, weil mein Vater und meine Mutter im gleichen Alter und ebenso wie Fanzi Kinder „harter“ Väter waren und gleichzeitig zu den „unschuldigen“ Kriegskinder gehörten.

Elisabeth Schmidauer schafft es, dass ich als Leserin zum Ende des Buches eine Zufriedenheit spüre, obwohl es insgesamt ein tragischer Roman ist und viel Leid geschieht. Vielleicht liegt es daran, dass zum Ende so viel Bewegung und Entwicklung in die Figuren kommt. Und es ist diese Liebe, die man in Fanzi spürt, und die Versöhnlichkeit, die das Buch für mich abgerundet und zu einem Lesehighlight gemacht haben.

Es ist alles so geschehen und uns Nachfolgenden bleibt nur, die Erinnerung zu wahren.

Bewertung vom 15.09.2021
Die Frauen von New York - Glanz der Freiheit / Töchter Amerikas Bd.1
Carey, Ella

Die Frauen von New York - Glanz der Freiheit / Töchter Amerikas Bd.1


sehr gut

Die Chance, die in den USA der Krieg den Frauen bot
Die Frauen von New York - Glanz der Freiheit - spielt von der Zeit des Kriegseintritts Amerikas in den 2. Weltkrieg bis einige Jahre nach dem Ende des Krieges.
Es wird die Geschichte von Lily erzählt, die zu der reichen New Yorker Oberschicht gehört und nun im Krieg als Köchin arbeiten darf. Sie verliebt sich dort in einen Arbeitskollegen und bangt um ihn als er wie viele Männer nach Europa zum Kriegsdienst eingezogen wird.
Der Roman handelt davon, dass Lily gegen alle Widerstände um ihre Liebe kämpfen muss und auch darum, dass sie ihren Beruf als Köchin ausüben darf.
Der Schreibstil ist flüssig und leicht lesbar. Lily zu begleiten hat Spaß bereitet. obwohl das Buch im ersten Drittel, nachdem alle Personen eingeführt sind, etwas langatmig wurde. Ich musste mich an der Stelle tatsächlich überwinden, weiterzulesen. Im weiteren Verlauf wurde aber wieder Spannung aufgebaut, die bis zum Ende hielt.
Interessant war die Sicht der Amerikaner auf den Krieg in Europa. Neu war für mich das Standesbewusstsein von bestimmten Gesellschaftsschichten, die trotz des Kriegseintritts sehr traditionell daran festhielten.
Ein großes Plus dieses Romanes ist die liebevolle Ausgestaltung der Nebenfiguren. Lilys Großmutter Josie habe ich besonders ins Herz geschlossen, da sie so unkonventionell ist. Aber auch Toms Mutter empfand ich als sehr liebevoll, lebendig und authentisch.
Im letzten Drittel des Romas gibt es eine Wendung, die mir vor Augen führte, welche große Bedeutung der Krieg für die Frauenemanzipation in Amerika hatte. Dadurch wird die Geschichte in einen größeren, übergeordneten Zusammenhang gestellt, was sie sehr aufwertet und die Schwächen im ersten Drittel ausgleicht. Für Leser:innen, die mehr über Schwierigkeiten in Ländern, in denen keine direkten Kriegshandlungen stattfanden, die aber am Krieg teilgenommen haben, erfahren möchten, ist der Roman sehr lesenswert.

Bewertung vom 15.08.2021
Audrey Hepburn und der Glanz der Sterne / Ikonen ihrer Zeit Bd.2
Weinberg, Juliana

Audrey Hepburn und der Glanz der Sterne / Ikonen ihrer Zeit Bd.2


sehr gut

Auf der Suche nach dem kleinen Glück
Das Buch handelt von Lebensstationen der bekannten Schauspielerin Audrey Hepburn und offenbarte für mich einige neue Seiten, die mir bisher gänzlich unbekannt waren. Die Geschichte beginnt als Audrey sechs Jahre alt ist und ihr Vater die Familie verlässt. Sie wird ihn für eine lange Zeit nicht mehr wiedersehen. Später gibt es eine schwere Zeit für die Familie, die nun bei den Großeltern in den Niederlanden lebt, da die deutsche Besetzung der Niederlanden und die Kriegssituation unter anderem zu Nahrungsmittelkknappheit und Hungerzeiten führt. Audrey unterstützt ihren älteren Bruder, obwohl es auch für sie gefährlich ist. Nach dem Krieg ist sie als Modell tätig. Durch ihre zugewandte Art lernt sie eine französische Schriftstellerin kennen und dies wird der Grundstein zu ihrer internationalen Karriere. Ihre Beliebtheit ist legendär. Sie ist eine junge, lebendige Frau, die mit sehr viel Herzblut ihre Rollen spielt, sehr große Erfolge feiert und trotzdem jahrelang an sich zweifelt und ihre Leistungen als ungenügend empfindet.
Das Buch startet mit einem sehr fesselnden Einstieg mit ihrem Aufenthalt in den Niederlanden und ich war begeistert, sowohl von dem Schreibstil als auch vom Inhalt. Die Zeit in Hollywood drehte sich privat sehr oft um ihr Verhältnis zu Mel Ferrer. Ich empfand die Beziehung als Hin und Her und Vor und Zurück und Audrey war immer bedacht darauf, Rücksicht auf ihren Mann Mel zu nehmen. Das war anstrengend zu lesen, entsprach vermutlich aber der Realität.
Mir wurde klar, dass Audrey Hepburn weit entfernt war, der Mensch zu sein, den alle auf der Leinwand bewunderten.
Ihren Wunsch nach dem Kümmern um Familie und Rückzug aus dem Star-Ruhm hat sie immer wieder verschoben und ist zwischen beiden Polen gependelt. Manchmal hatte das Buch Längen und ich hatte den Eindruck, es wiederholen sich Ereignisse. Es könnte aber auch sein, dass sich diese Wiederholungen aufgrund der Biografie so ergaben. Leider fehlte mir eine Erwähnung ihres Engagements für Unicef und andere Organisationen, die Kinder in Kriegsgebieten unterstützen.
Für alle Fans von Audrey Hepburn und diejenigen, die die private Seite kennenlernen wollen, ist es ganz sicher ein sehr lesenswerter Roman.

Bewertung vom 15.08.2021
Wildtriebe
Mank, Ute

Wildtriebe


sehr gut

Hinterließ ein beklemmendes Gefühl, ist aber dennoch ein lesenswerter Roman

Das Buch Wildtriebe erzählt die Geschichte von Elisabeth, der Besitzerin eines Großbauernhofes und Marlies ihrer Schwiegertochter, die in einem kleinen Dorf in Hessen zusammen auf einem Hof wohnen. Die Arbeit auf dem Hof ist sehr anstrengend, aber noch nervenaufreibender sind die kleinen unausgesprochenen Kämpfe zwischen den beiden Frauen. Das Dorfleben ist geprägt von Dorftratsch und Konventionen. Das Leben einer Frau ist noch vorgezeichnet für ein Dasein am Herd, auf dem Hof und für die Kinder. Marlies jedoch verteidigt zäh ihre Unabhängigkeit, das Arbeiten im Kaufhaus, da sie die ausschließliche Bindung an den Hof vermeiden möchte. Streng gehütete Familiengeheimnisse spielen ebenfalls eine Rolle. Das Leben auf dem Hof bekommt durch die Geburt der Tochter von Marlies und ihrem Mann Konrad frischen Wind. Wird die kleine Joanna eine herzlichere Verbindung zwischen Elisabeth und Marlies herstellen können?

Der Schreibstil und die Sprache des Romans haben mir sehr gut gefallen und daher habe ich das Buch sehr schnell gelesen. Der Inhalt hat allerdings sehr ambivalente Gefühle bei mir hinterlassen. Insgesamt habe ich die Geschichte als sehr bedrückend und belastend empfunden, ganz besonders das erste Drittel des Buches. Es zieht sich eine Sprachlosigkeit durch das ganze Buch, die das Leben auf dem Hof in einen zähen Schleim einhüllt. Die alten Gepflogenheiten und eine strenge „Hofhierarchie“ verleiden Marlies das Leben auf dem Hof und lassen den Hof kaum zu einer Heimat für sie werden. Es ist Marlies nicht zu verdenken, dass sie als „Zugeheiratete“ außerhalb des Hofes ihre Selbstbestätigung sucht und erhält, da die Anerkennung und sogar nur die Akzeptanz von der Hoferbin und alten Bäuerin Elisabeth ausbleibt. Elisabeth ist stark in ihrer eigenen Zeit und in ihrem Standesdünkel gefangen.
Für mich sind nicht nur die Figuren brüchig, die ganze Erzählung weist so starke Ungereimtheiten auf, dass ich die Geschichte an vielen Stellen unglaubhaft finde. Allein, dass Konrads Geheimnis so lange, in einem Dorf mit regem Dorfklatsch, ihm nicht zugetragen wurde, ist verwunderlich. Auch die Entwicklung von Elisabeth im späteren Verlauf erscheint mir mehr als nur fraglich. Das Verhalten von Joanna zum Ende des Romans gegenüber ihrer Mutter wirkte so schroff und grob, auch das empfinde ich als nicht hineinpassend.

Trotz dieser Ungereimtheiten hat Ute Mank dennoch einen sehr gut gezeichneten Roman über das Funktionieren in einer Dorfgemeinschaft der 70er und 80er Jahre geschrieben. Außerdem wird sehr treffend die Entwicklung der Landwirtschaft ab den 1970er Jahren an Hand der Familiengeschichte verdeutlicht. Die bedrückende zwischenmenschliche Atmosphäre auf dem Hof ist ebenso gekonnt und sehr plastisch eingefangen worden.

Das Cover passt perfekt zum Buch. Auf der einen Seite wunderschön anzusehen und wenn man das Buch näher betrachtet und in die Hand nimmt, ist es rau und die Schrift wirkt kaputt. So ambivalent geht es mir mit dem ganzen Roman, daher fällt mir die Bewertung sehr schwer. Ich vergebe 3,5 Punkte, die ich aufrunde, da die Symbolik, die Ute Mank statt Worten in der Geschichte verwendet, wirklich einfallsreich ist (z. B. Seidentuch). Zudem finde ich das Nichtzugehörigkeitsgefühl und die Nichtverbundenheit zur Gemeinschaft und deren Auswirkungen außerordentlich gut verpackt und das sind immer wieder auch brandaktuelle Themen.

Bewertung vom 09.08.2021
Ich hatte nicht immer, was ich wollte, aber alles, was ich brauchte
Lindeblad, Björn Natthiko;Bankler, Caroline;Modiri, Navid

Ich hatte nicht immer, was ich wollte, aber alles, was ich brauchte


ausgezeichnet

Sehr menschlich und sehr beeindruckend

Björn Natthiko Lindeblad hat nach einem - herkömmlich betrachtet - sehr guten Start ins Berufsleben die Verbindung zu sich selbst gesucht. Nachdem er verschiedene Reisen unternommen hatte, entschied er sich in ein Waldkloster im Norden Thailands einzutreten. Insgesamt lebte er 17 Jahre nach der Tradition eines Waldmönchs. Nachdem er in das normale Leben zurückgekehrt war, musste er sich praktisch neu erfinden. Das war mit einer sehr starken psychischen Verunsicherung und einem tiefen Absturz verbunden. Dies ist nicht die letzte Schwierigkeit, die er in seinem Leben zu meistern hatte. Eine schwere Erkrankung ist die nächste Hürde, die das Leben ihm stellt.

Ich bin hautnah mitgenommen worden zu den verschiedenen räumlichen Stationen des Klosterlebens von Natthiko in Thailand, England und der Schweiz. Aber auch zu den inneren Erkenntnissen, besonders zu denen, die erfahren werden, wenn es mal nicht so läuft. Aus allem, was dem Autor an Schwierigkeiten begegnet ist, ist ein kurzer prägnanter Satz erwachsen, der viel über die innere Haltung eine Waldmönchs verrät. Diese Haltung ist aber nichts, was schon da ist, wenn man Waldmönch ist, diese Haltung entsteht, jeden Tag neu. Es ist die innere Arbeit, die getan wird und die in diesem Buch so deutlich wird und mich beeindruckt hat.

Es nicht so ist, dass bei ihm keine Ängste, keine Zweifel, keine Bedenken da sind, sondern die Art und Weise des Umgangs mit diesen wird erzählt und die Erfahrung ist sehr realistisch miterlebbar. Das macht das Buch so besonders. Manchmal ist die Erfahrung in einem prägnanten Satz mit viel Weisheit zusammengefasst, der dann kursiv gedruckt ist.

Mir hat das Buch außerordentlich gut gefallen, da ich die prägnanten Sätze oft - erst unbewusst - in den Alltag mitgenommen habe und dadurch meine Sichtweise von Situationen geändert wurde. Das hat dazu geführt, dass ich gelassener regieren konnte und plötzlich einen inneren Abstand zu den sonst emotionalen Situationen hatte. Das Buch ist eines der wenigen Bücher, die mich nachdrücklich beeinflusst haben. Es ist sehr empfehlenswert für Menschen, die Gelassenheit suchen und eine Verbindung zu sich selbst finden möchten.

Bewertung vom 02.08.2021
Wir für uns
Kunrath, Barbara

Wir für uns


ausgezeichnet

... und plötzlich vergibt das Schicksal die Chance, sich zu entwickeln
„Wir für uns“ ist ein ruhig erzählter Roman über die Annäherung zweier Frauen unterschiedlichen Alters und in gänzlich unterschiedlichen Lebenssituationen. Es ist eine Geschichte von Angstbewältigung, Mutigsein, Rückschau und Vorwärtsgehen. Josie ist Anfang Vierzig und wünscht sich sehr ein Kind, nun ist sie ungewollt schwanger und völlig außer sich, da ihr verheirateter Freund Bengt ganz sicher keine Kinder mehr haben will. Es geht nicht nur um die Frage, dass sie das Kind abtreiben möchte/soll, sondern auch um die Fragen, ob sie jemals wieder schwanger werden könnte und welche Untersuchungen sie jetzt noch machen lässt.
Für Katharina ist eine Welt zusammengebrochen. Ihr über alles geliebter Mann ist plötzlich nach fast 50-jähriger Ehe verstorben. Sie versucht, ihr neues Leben auszuloten und muss feststellen, dass einige Dinge in ihrem Leben anders waren als sie jahrzehntelang glaubte.
In beiden Familien gibt es Geheimnisse, die so schwerwiegend sind, dass der Schleicher des Vergessens darüber ausgebreitet wurde. Aber auch diese werden im Verlauf der Geschichte mit Vehemenz und Hartleibigkeit ans Licht gezogen oder drängen selbst darauf, ans Licht zu kommen.
Ich habe Josie und Kathi gerne begleitet. Die Charaktere und Ihre Erlebnisse wirkten sehr realistisch auf mich. Es ist keine Geschichte, die von Aktionen lebt. Die Geschichte schreitet voran, indem kleine Entscheidungen gefällt werden, die große Konsequenzen haben können. Genauso wie man auch im richtigen Leben immer vorwärts geht, mit Rückblicken zwar, manchmal auch, indem durch Rückblicke das Vergangene verarbeitet wird.
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen, weil sie einschließlich der Nebencharaktere sehr glaubhaft wirkte. Gerade auch Josies Entwicklung von einer Frau, der einmal in der Woche ein zwar liebevoller, aber überwiegend innig sexueller Kontakt mit Bengt jahrelang ausreichte, hin zu einer Frau, die mit Zweifeln und zaghaften Entscheidungen Verantwortung für ihr Leben übernimmt. Eine klare Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 26.07.2021
The Comfort Book - Gedanken, die mir Hoffnung machen
Haig, Matt

The Comfort Book - Gedanken, die mir Hoffnung machen


ausgezeichnet

Liebevoll mit sich selbst umgehen
The Comfort Book soll ein Mut machendes Buch für dunkle Zeiten sein. Matt Haig hat Ideen, Sätze, Ansichten, philosophische Betrachtungen zusammengestellt, die sehr abwechslungsreich sind. Viele sprechen die Überforderung an, in der man steckt, wenn man zu viele Ansprüche auf einmal erfüllen möchte. Andere sind so einfach, wie wirkungsvoll: Gehe liebevoll mit Dir um oder Sei Du selbst. Aber wer ist man selbst, wenn man das Gefühl hat, sich verloren zu haben?
Die Texte sollen in erster Linie aufbauend sein und den Eigenwert des Menschen, der da ist, ohne eine besondere Leistung erbracht zu haben, verdeutlichen.

Ich habe drei Menschen in meiner näheren Umgebung durch Suizid verloren und ich habe daher beim Lesen des Buches überlegt, hätten diese Texte eine Entscheidungsänderung bei diesen Personen oder ein erneutes Nachdenken bewirkt. Ich kann die Frage leider nicht beantworten. Aber, wenn auch nur ein Mensch durch die Auswahl eines Textes oder auch nur durch einen Text aus dem Buch davon abgehalten werden sollte, sich das Leben zu nehmen oder befähigt werden eine depressive Phase besser zu bewältigen, dann hat sich das Buch schon gelohnt.

Falls man selbst nicht genügend positive Anregungen im Buch findet, kann man sich nach dem Schema von Matt Haig auch sein eigenes Survival-Kit-Buch mit Lieblingsfilmen, Lieblingszitaten und Situationen, in denen man sich Wert erlebt hat und vieles mehr, selbst zusammenstellen.
Für die Idee und die Umsetzung vergebe ich 5 Sterne, da ich das Buch als sehr hilfreich empfinde.

Bewertung vom 18.07.2021
Schicksal
Shalev, Zeruya

Schicksal


ausgezeichnet

Seelische Verletzungen folgen Dir durch das Leben
Der Roman handelt von der inzwischen 90-jährigen ehemaligen Widerstandskämpferin Rachel und der Tochter Atara ihres ersten Mannes Meno. Wir bekommen durch Rückblenden Ausschnitte aus den Leben der beiden Personen erzählt. Atara möchte nach dem Tod ihres Vaters seine erste Frau kennenlernen und versucht mit ihr Kontakt aufzunehmen, um eventuell ungeklärte Fragen beantwortet zu bekommen. Nach einem kurzen Besuch bei Rachel überschlagen sich die Ereignisse in ihrem eigenen Leben. Sowohl in den Rückblicken als auch im aktuellen Zeitstrang erfährt der Leser/die Leserin sehr viel über das Innere Erleben der beiden Frauen.
Mich hat die Geschichte von Atara und Rachel wie ein Sog die Seiten umblättern lassen. Der Plot ist zu Beginn so gestaltet, dass ich unbedingt wissen wollte, was hinter der so spannend eingeleiteten Geschichte verborgen ist. Teilweise wähnte ich mich mitten in einem Krimi. An anderen Stellen spürte ich durch die Gedanken die Unzufriedenheit und Unsicherheit der handelnden Person. Auch hier ist es die Sprache, die die Geschwindigkeit der Ereignisse vorgibt. Ohne, dass Gefühlsbegriffe verwendet wurden, habe ich als Leserin hautnah gespürt, wie sich die beiden Frauen in verschiedenen Situationen fühlten. Ein grandioses Meisterwerk der Sprache.
Die Erzählung bietet viel Spielraum und Ansatzpunkte zu Interpretation, sie ist vielschichtig und äußerst anregend für mich gewesen. Dabei sind sicher einige symbolträchtige Bilder oder Szenen, die mit der israelischen Geschichte und Gesellschaft verknüpft sind, vorhanden, die ich beim Lesen als solche nicht erkannt habe.
Mir hat dieser anspruchsvolle Roman sehr gefallen und für mich ist es ein Lese-Highlight gewesen. Besonders bei den wunderschönen, poetischen Metaphern habe ich manchmal die Luft angehalten, so beeindruckend fand ich die Vergleiche. Ich bin entführt worden in ein Gefühlspotpurrie aus Verlassenheit, Verantwortung, Schuld, Schuldgefühlen, Trauer, offenen Fragen an das Leben, Sinnsuche für Männer und Erlösung für Frauen….
... und bin ganz am Ende des Romans unglaublich befreit wieder herausgelassen worden. Ein interessantes Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Es ist ein Roman zum Erleben.