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Romy

Bewertungen

Insgesamt 55 Bewertungen
Bewertung vom 06.08.2021
Mit dir leuchtet der Ozean
Coplin, Lea

Mit dir leuchtet der Ozean


weniger gut

Penny hat gerade ihr Psychologie-Studium abgebrochen und ist auf dem Weg nach Fuerteventura, um dort für einen Weile in einem All-inclusive-Club als Animateurin zu arbeiten. Allerdings musste sie ihre beste Freundin Nathalie in München zurück lassen, was deutlich schlimmer ist als es klingt, da diese ganze Idee eigentlich nicht auf Pennys Mist gewachsen ist, sondern auf dem von Nathalie – und die sitzt jetzt mit einem gebrochenen Bein zuhause und kann nur am Handy mitverfolgen, welche Liebesabenteuer Penny erleben wird. Denn Liebesabenteuer wird es unter der Sonne Spaniens geben, da ist sich Nathalie ganz sicher. Und kaum ist Penny angekommen, hat sie auch schon etwas zu berichten: Unter den Animateuren sind nicht nur neue und strahlende Gesichter, sondern auch ein junger Mann, den Penny aus ihrer Schulzeit kennt: Milo. Er war nur für kurze Zeit in Pennys Parallelklasse, und hat die Schule dann aus unbekannten Gründen verlassen – doch Gerüchte gab es mehr als genug. Es wäre allerdings falsch zu behaupten, Penny und Milo wären sich damals nicht näher gekommen, schließlich weiß man vorher nie, mit wem man bei „7 Minuten im Himmel“ tatsächlich das Vergnügen hat. Eigentlich hätte Penny gegen einen kleinen Urlaubsflirt mit Milo nichts einzuwenden, wäre da nicht die schöne Helena: Hilfsbereit, beliebt, Pennys Patin und Zimmernachbarin – und Milo’s Freundin.
Wie der Plot bereits durchblicken lässt hat Lea Coplin mit „Mit dir leuchtet der Ozean“ das Genre nicht gerade neu erfunden, sondern der Young Adult-Welt einen weiteren Liebesroman geschenkt, in dem sich zwei junge Menschen vom ersten Moment anschmachten, hin und her gerissen sind, sich unwiderstehlich finden, und am Ende natürlich nicht widerstehen können. Eine zerrüttete Familie bei Penny und eine „dunkle“ Vergangenheit bei Milo können der Geschichte leider nur einen Hauch von Tiefe verleihen, den man glatt übersehen könnte, da er sich gegen Ende der Geschichte in pures Wohlgefallen auflöst. Die Geschichte ist von der ersten Begegnung zwischen Milo und Penny unglaublich vorhersehbar, der Schreibstil teilweise recht plump, die handelnden Charaktere leider häufig eindimensional. Ein weiterer Hauptcharakter, der das Geschehen maßgeblich beeinflusst oder eine dritte Erzählperspektive hätten hier sicher einen deutlichen Mehrwert liefern können.
Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass „Mit dir leuchtet der Ozean“ viele Leser begeistern wird – besonders weil hier in meiner Wahrnehmung gar nichts leuchtet, um sich von der Vielzahl an ausdrucksstarken und emotionalen Werken in diesem Genre abzugrenzen. Denn dies ist möglich, hier nur eben nicht gelungen.

Bewertung vom 04.08.2021
Unter dem Sturm / Die Halland-Krimis Bd.1
Carlsson, Christoffer

Unter dem Sturm / Die Halland-Krimis Bd.1


sehr gut

Isak wächst behütet in einem kleinen Dorf in Schweden auf. Seine Eltern sind kümmern sich gut um ihn, und wenn sie einmal eine Auszeit brauchen, darf Isak Zeit mit seinem Onkel Edvard verbringen. Diese Tage sind die Schönsten für Isak, denn er vergöttert seinen Onkel, der ihm Liebe und Aufmerksamkeit schenkt. Entsprechend ist für Isak nichts mehr so wie es vorher war, als sein Onkel plötzlich verschwindet, und man in der Schule hinter vorgehaltener Hand über ihn tuschelt - angeblich hat Edvard seine Freundin getötet und danach ihr Haus in Brand gesteckt, um seine Tat zu vertuschen. Das Dorf ist in Aufruhr, doch nachdem Edvard verhaftet und verurteilt wird, wächst Gras über die Sache und Ruhe kehrt ein in Marbäck. Für die meisten Dorfbewohner ist der Tod von Lovisa damit nicht mehr mehr als eine dunkle Episode. Doch nicht für Isak, der dabei seinen besten Freund verloren hat, und sich nun auch selbst anders fühlt als zuvor. Steckt das, was Edvard zum Monster gemacht hat, nicht auch ihn ihm?
Christoffer Carlsson erzählt düster und geheimnisvoll, wie es das Cover verspricht. Die dunkle und schwermütige Stimmung, die der Leser von einem Schwedenkrimi erwartet ist allgegenwärtig. Dabei drückt sie jedoch nicht den natürlich Verlauf der Handlung, sondern fügt sich passgenau in das Spannungsgefüge ein. Die Erzählung fließt insgesamt wie ein eisiger Gebirgsbach: Scheinbar vorhersehbar, eiskalt und doch gefährlicher, als es auf den ersten Blick scheint. So kommt es, dass man als Leser ein gewisses Durchhaltevermögen, eine naturgegebene Neugier braucht, um seinen Weg durch die Irrungen und Wirrungen des kleinen Marbäcks zu finden. Damit erinnert mich "Unter dem Sturm" ein wenig an "Miracle Creek" von Angie Kim, obwohl es mich nicht so vollständig in seinen Bann gezogen hat, wie es Kim gelungen ist. Den beiden Romanen ist gemein, dass im Zentrum eine Dorfgemeinschaft steht, die auf den ersten Blick wirkt wie jede andere - und es vielleicht tatsächlich ist - und doch ein Netz aus Geheimnissen, Ungesagtem und Emotionen verbirgt, das die Basis für die sich entwickelnden Geschehnisse bildet.
Insgesamt hat mir "Unter dem Sturm" von Christoffer Carlsson gut gefallen, die Mischung aus Spannung und Tiefe, die der Autor präsentiert wirkt harmonisch und natürlich. Die Spannungskurve war mir persönlich teilweise zu flach, aber Fans des Genres oder des Autors werden hier ganz sicher auf ihre Kosten kommen!

Bewertung vom 07.07.2021
Ausweglos
Faber, Henri

Ausweglos


ausgezeichnet

Noah ist spät abends noch einmal auf dem Dachboden, um die Wäsche aufzuhängen - plötzlich hat er ein Messer an der Kehle und ein Unbekannter zwingt ihn dazu, diesen zu seiner Frau zu führen, die seelenruhig in der gemeinsamen Wohnung schläft. Noah ist verzweifelt, doch erinnert sich daran, dass das Paar von gegenüber, die Falks, verreist sind, er hat sogar ihren Schlüssel dabei um die Blumen zu gießen. Kann er so vielleicht Zeit gewinnen, doch eine Lösung finden?
Am nächsten Morgen ist Emma Falk tot, Noah ist schwer verletzt und seine Frau hat nichts von alldem mitbekommen. Noah erzählt auch der Polizei, was passiert ist, doch nach und nach kommen Ungereimtheiten auf, die die Ermittler an Noahs Version der Geschichte zweifeln lassen...
Die Gestaltung des Covers gefällt mir, auch wenn Fingerabdrücke für die Handlung eigentlich keine besondere Rolle spielen. Die Aufmachung wirkt edel und aufgeräumt, nicht unnötig düster und bedrohlich, wie das bei Thrillern häufig der Fall ist. Die dadurch geweckten Erwartungen werden auch durch den Schreibstil und die Atmosphäre des Romans erfüllt. Trotz der bedrohlichen Handlung ist die Stimmung insgesamt angenehm aufregend, nur zeitweise angespannt oder bedrohlich.
Faber erzählt aus insgesamt drei Perspektiven, die passend gewählt sind und sich sinnvoll ergänzen. Dadurch liegen nicht von Anfang an alle Karten offen vor dem Leser auf dem Tisch, und trotzdem hat er hin und wieder einen Wissensvorsprung im Vergleich zu den Ermittlern, was die Erzählweise interessanter macht. Der Autor greift eine Vielzahl von Themen auf, jeder Charakter hadert mit anderen Schwierigkeiten, sodass man als Leser nie so recht weiß, wohin die Reise inhaltlich geht. Dadurch ist die Handlung etwas weniger vorhersehbar, auch wenn es einem als Leser dann doch recht früh gelingen kann, die richtigen Verbindungen herszustellen und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.
Insgesamt hat mir "Ausweglos" von Henri Faber wirklich sehr gut gefallen, endlich mal wieder ein Buch, das man kaum aus der Hand legen mag. Nicht zu brutal, trotzdem mit Liebe zum Detail und einem robusten Spannungsbogen, vielschichtig und trotzdem nicht unnötig komplex. Klare Leseempfehlung von meiner Seite!

Bewertung vom 21.06.2021
Wenn Haie leuchten
Schnetzer, Julia

Wenn Haie leuchten


sehr gut

Das Buch "Wenn Haie leuchten" von Julia Schnetzer ist wie ein kleiner Schatz: Schon die Gestaltung des Covers wirkt hochwertig, der Titel ist geheimnisvoll. Das Format des Buches ist handlich, sodass man es auch wunderbar unterwegs lesen kann, und selbst bei einem Picknick im Park in die kühlen, dunklen Weiten der Weltmeere abtauchen kann. Die einzelnen Kapitel sind einerseits kompakt, aber doch ausführlich genug, dass die verschiedenen Themen nicht nur oberflächlich gestreift, sondern tiefgehend analysiert und beleuchtet werden. Die Autorin versteht es dabei, den richtigen Ton zu treffen und doch einen wissenschaftlichen Mehrwert zu bieten. Man fühlt sich wie beim Kaffee trinken mit einer Freundin, die wirklich Ahnung hat und für ihre Themen brennt - meiner Meinung nach die ideale Kombination. Durch diese Balance ist es Julia Schnetzer gelungen, ein interessantes Sachbuch zu schreiben, das ohne den klassischen Spannungsbogen von Romanen oder Thrillern auskommt. Allein die Geheimnisse der Meere, seien es masturbierende Delfine oder Fische, die auf optische Täuschungen herein fallen, lassen den Leser duch die Kapitel fliegen.
Beim Lesen fand ich es teilweise schade, dass zwar oft auf wissenschaftliche Veröffentlichungen hingewiesen wird, im Text selbst aber Hinweise zu Autor, Titel etc. fehlen, sodass man tatsächlich den Primärtext zu Rate ziehen kann. Am Ende habe ich dann entdeckt, dass die Autorin im Anhand alle referenzierten Texte aufgeführt hat - ein großes Lob dafür! So hat jeder Leser, der neugierig geworden ist, die Möglichkeit die einzelnen Themen selbst zu vertiefen.
Alles in allem hat mir das Buch wirklich gut gefallen. Ein Kritkpunkt, den ich noch anbringen muss, ist die streckenweise Langatmigkeit des Textes. Durch die zahlreichen wissenschaftlichen Bezeichnungen und Beschreibungen ist es stellenweise anstrengend, den einzelnen Ausführungen zu folgen - das ist aber sicher auch Geschmackssache und hat mein persönliches Leservergnügen nur minimal geschmälert!

Bewertung vom 15.06.2021
Letzte Ehre
Ani, Friedrich

Letzte Ehre


gut

Oberkommissarin Fariza Nasri muss sich in "Letzte Ehre" nicht nur einem brutalen Mordfall, sondern auch ihren eigenen Dämonen stellen. In erster Linie ist sie mit dem Verschwinden von Finja Madsen, einer 17-jährigen Schülerin betraut. Schon bald wird klar, dass Finja nicht mehr am Leben ist, doch Fariza beschäftigt sich bereits mit dem nächsten Fall, der persönlicher ist, als sie je vermutet hätte: Ihre beste Freundin wird in ihrer eigenen Wohnung überfallen, geschlagen, missbraucht. Als Täter kommt nur jemand aus ihrem persönlichen Umfeld in Frage - doch warum hat sie nie von ihrer geheimen Liebschaft erzählt? Fariza zweifelt nicht nur an ihren eigenen Fähigkeiten, sondern auch an dem Vertrauensverhältnis zu ihrer Freundin. Wie konnte sie ihr so etwas verschweigen? Zu allem Überfluss muss sie sich auch noch mit einer Zeugin aus einem anderen Fall auseinander setzen, die ihre traumatische Vergangenheit niemand anderem als Fariza anvertrauen will - als hätte sie nicht schon genug zu bewältigen.
"Letzte Ehre" ist ein eher untypischer Kriminalroman, der nicht dem klassischen Spannungsbogen folgt. Stattdessen ist das Buch in verschiedene Abschnitte unterteilt, die beinahe in sich abgeschlossen wirken. Entsprechend entsteht beim Lesen keine wirkliche Sogwirkung, stattdessen wirkt die Erzählung fragmentiert, nur lose zusammenhängend. Sicher trägt auch der Schreibstil des Autors dazu bei, der wenig fließend, sondern wie durch ein Brennglas erzählt. Für Kenner von Ani Friedrich ist dieser Roman sicher eine willkommene Fortsetzung der Geschichte um Fariza Nasri, wer sie bisher noch nicht kennt, der wird sich mit dem Roman vielleicht etwas schwer tun. Auch die Schilderungen schwersten sexuellen Missbrauchs sind sicher nicht für jedes Publikum geeignet. Insgesamt ein eher düsterer Roman, den ich nicht uneingeschränkt weiter empfehlen kann.

Bewertung vom 10.05.2021
So wie du mich kennst
Landsteiner, Anika

So wie du mich kennst


ausgezeichnet

Karla und ihre Schwester Marie sind beide in der Provinz aufgewachsen, wohlbehütet in einem Haus mit blau gestrichenem Zaun. Ihre Jugend war geprägt von hausgemachtem Apfelkuchen, Parties in der Mehrzweckhalle der Gemeinde und Ausflügen in den Wald zum Pilze sammeln. Während Karla in ihrer Heimat immer tiefere Wurzeln schlägt, zieht es Marie in die weite Welt. Auf Umwegen landet sie schließlich in New York, wo sie als Fotografin arbeitet und erste Erfolge feiert. Doch das Leben der Familie erfährt einen jähen Abbruch, als Marie bei ihrer morgendlichen Jogging-Runde von einem Auto erfasst wird und ums Leben kommt. Ihre Eltern sind am Boden zerstört und verzweifelt, durch die Entfernung wird ihre Hilflosigkeit noch verstärkt. Also macht Karla sich auf den Weg in die Vereinigten Staaten: Zunächst um die Asche ihrer Schwester nach Hause zu holen, und schließlich noch einmal, um ihre Wohnung auszuräumen und aufzulösen. Während Karla sich bemüht, nicht in ihrer Trauer zu versinken, verbringt sie die Tage in der Wohnung ihrer Schwester, sortiert deren Kleidung und sichtet ihre Besitztümer. Es entsteht ein Sog, durch den Karla sich auf einmal in den metaphorischen Schuhen ihrer Schwester wiederfindet, deren Freuden und Probleme durchlebt. Sie kann sich nicht länger auf die Position der Beobachterin beschränken, und ist gezwungen, das Bild ihrer Schwester, das sie bisher hatte, zu hinterfragen.

Anika Landsteiner hat mit "So wie du mich kennst" einen unglaublich unaufgeregten, und gleichzeitig schmerzhaften Roman geschrieben. Als Leserin haben mich das Cover und die Schilderungen aus der Heimat der Schwestern in eine Welt enführt, die man nur als "Zuhause" beschreiben kann. Stets durchzogen von Verlust und einer gewissen Abwesenheit, war es doch eine Welt, in der ich mich wohl gefühlt habe. Dabei hat die Autorin unangenehme Themen nicht vermieden, sondern eingebettet und integriert. Entstanden ist eine wirklich schöne und gefühlvolle Geschichte, die ich gerne gelesen habe. Einziger Wehrmutstropfen für mich war die Unstimmigkeit zwischen dem Klappentext des Buches und dem tatsächlichen Verlauf, beziehungsweise die Effekthascherei im Klappentext, die das Buch eigentlich nicht nötig hat.
Ein wirklich schöner Roman mit starken weiblichen Charakteren.

Bewertung vom 27.04.2021
Gefangen und frei
Sheff, David

Gefangen und frei


gut

Jarvis ist schon früh auf die schiefe Bahn geraten: Seine Mutter war kein gutes Vorbild, sein Vater war abwesend und seine Freunde dealten mit Drogen oder zettelten Schlägereien an. Entsprechend war es auch für Jarvis bald Alltag, Tankstellen zu überfallen oder Autos für eine Spritztour "auszuleihen". Schon mit 19 musste er zum ersten Mal eine Gefägnisstrafe ableisten. Auch in der Haft gerät er immer wieder in Schwierigkeiten. Als einer der Wärter erstochen wird, wird Jarvis für die Herstellung der Tatwaffe zum Tode verurteilt. Anfänglich ist er trostlos und aggressiv, ohne Hoffnung und Zuversicht. Doch durch eine Bekannte findet er Zugang zur buddhistischen Praxis, beginnt zu meditieren und mehr über sich selbst und das Leben zu lernen. Obwohl die Bemühungen seiner Unterstützer, Jarvis' Gerichtsverfahren neu aufrollen zu lassen, nicht von Erfolg gekrönt sind, findet die Freiheit schon bald einen anderen Weg zu ihm. Jarvis durchläuft eine unglaubliche Metamorphose, in der sich seine über Jahre hinweg angestaute Wut in Hoffnung und Güte verwandelt.
David Sheff erzählt die Geschichte von Jarvis auf eine persönliche Art und Weise, ohne dabei viel zu werten oder zu beurteilen. Der Leser erfährt viel über seine Kindheit und Jugend, aber auch über seinen Alltag im Gefängnis. Eine zentrale Rolle spielen natürlich auch Jarvis Ausübung des Buddhismus, und die Freundschaften zu verschiedenen Unterstützern, die über die Jahrzehnte entstehen. Die Sprache des Autors wirkt teilweise leider etwas steif und unnatürlich, ich vermute allerdings dass dies an der Übersetzung aus dem Englischen liegt. Die Schilderungen von Jarvis' Vergangenheit sind sehr wertfrei, manchmal etwas zu wertfrei für meinen Geschmack - auch wer seine Vergehen bereut trägt eine gewisse Verantwortung für das, was er getan hat. Insgesamt ist die Geschichte, die David Sheff erzählt, interessant, stellenweise jedoch auch recht langatmig. Natürlich begrenzt die Tatsache, dass das Buch eine wahre Geschichte erzählt, die Möglichkeit eines Spannungsbogens, trotzdem hätte ich mir eine etwas packendere Gestaltung der Erzählung gewünscht.
Auch wenn mich die Geschichte von Jarvis berührt und auf eine gewisse Art und Weise mit Dankbarkeit erfüllt hat, so bin ich nach der Lektüre doch etwas ratlos zurück geblieben. Der Autor findet keinen rechten Abschluss für das Buch, insgesamt fehlt es der Perspektive des Autor an einem berechernden Element, das sein Buch von einer reinen Nacherzählung abhebt. Unter anderem erwähnt er, dass Jarvis Masters auch selbst ein Buch über seinen Weg zum Buddhismus geschrieben hat - mir ist nicht ganz klar, was nun wirklich der Mehrwert von David Sheff's Buch ist.

Bewertung vom 17.04.2021
Die dritte Frau
Fleischhauer, Wolfram

Die dritte Frau


sehr gut

Zwei Frauen sitzen nackt in einer Badewanne und schauen ungerührt zum Betrachter. Dabei greift die eine Frau der anderen an die Brustwarze. Soweit zum Motiv des berühmten Gemälde im Louvre - doch das Bild ist um einiges geheimnisvoller als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Dieser Meinung ist auch der Autor, der einst die Hintergründe des Gemäldes recherchiert und in einem historischen Roman verarbeitet hat. Doch die finale Auflösung entzieht sich bis zum Schluss seiner Kenntnis, sodass das Ende seiner Geschichte offen bleibt. Jahre später erhält er einen Brief, dessen Absender behauptet, ein Nachfahre einer der Frauen auf dem Gemälde zu sein. Doch nicht nur das: Er habe historische Dokumente, die alle offenen Fragen des Autors - und natürlich seiner Leser - beantworten würden. Als sich der Autor schließlich dazu durchringt, dem Absender des Briefes einen Besuch abzustatten, ist dieser inzwischen verstorben, und sein gesamtes Privatarchiv soll versteigert werden. Dem Autor bleibt nichts anderes übrig, als sich mit dessen Nichte auseinander zu setzen, die den Nachlass verwaltet. Schon bald interessiert er sich nicht mehr nur für die alten Briefe und Depeschen, sondern auch für die schöne Unbekannte selbst: Auch sie ist eine Nachfahrin einer der Frauen auf dem Gemälde. Zwischen ihr und dem Autor entsteht während seiner erneuten Recherche eine unheimliche Anziehung, die Zeit und Raum überwindet - und bedrohlicher ist, als die beiden zunächst erkennen.
Wolfram Fleischhauer hat mit "Die Dritte Frau" ein Buch der etwas anderen Art geschrieben. Auf elegante Art und Weise verbindet er Vergangenheit und Zukunft, Historie und Fiktion, und bricht - im übertragenen Sinne - die vierte Wand zwischen Leser und Autor. Diese zusätzliche Meta-Ebene der Geschichte macht das Buch zu etwas Besonderem, das einen beim Lesen mehr beschäftigt, als man zunächst erwartet. Wolfram Fleischhauer hat einen sehr angenehmen Schreibstil, der auch historische Inhalte zugänglich macht. Dabei ist der Handlungsverlauf auf natürliche Weise unvorhersehbar, ohne gezwungen zu wirken. Ein wirklich interessantes Buch, das sicher einem breiten Publikum gefallen wird!

Bewertung vom 27.03.2021
Was wir scheinen
Keller, Hildegard E.

Was wir scheinen


gut

Hildegard E. Keller erzählt in ihrem Roman über Hannah Arendt aus deren Leben. Während die inzwischen betagte Dame ihren Sommer in einem Gasthof im Tessin verbringt, sich mit Honigbroten und Vogelgezwitscher die Tage versüßen lässt, reisen ihre Gedanken durch Zeit und Raum. Einerseits nach New York, wo sie nach ihrer Flucht aus Deutschland gelebt und gearbeitet hat, andererseits nach Israel, wo sie als Prozess-Beobachterin dem Eichmann-Prozess beiwohnte. Auch viele andere Orte und Personen besucht Hannah in diesem Sommer im Geiste. Dabei lässt sie ihre eigenen Gedanken Revue passieren, aber auch Erlebnisse und neue Bekanntschaften spielen eine Rolle.

Der Aufbau des Buches mit zwei Zeitschienen ist nicht ungewöhnlich: Immer abwechseln erzählen die Kapitel entweder aus der Gegenwart, in der Hannah hochbetagt einen Sommer im Tessin verbringt, oder aus einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben, sei es in New York, Israel oder anderswo. Allerdings bedient sich die Autorin einem Collagen-Stil, bei dem sie Erinnerungen, Briefe, Dialoge und weitere Elemente miteinander kombiniert, ohne dass die einzelnen Passagen aufeinander aufbauen oder gar miteinander in Verbindung stehen; teilweise sind die verschiedenen Abschnitte nur lose miteinander verbunden. Dadurch kommt man nicht wirklich in einen Lesefluss, bei dem man einem roten Faden, einer Handlung folgen kann, sondern man muss sich als Leser treiben lassen, und die Entwicklung jedes neuen Kapitels annehmen, ohne zu wissen was einen erwartet. Das ist einerseits einem Spannungsaufbau abträglich, andererseits wird es dadurch schwierig, einen Kontext entstehen zu lassen, in den sich die folgenden Abschnitte einbetten lassen. Trotzdem machen die verschiedenen Kapitel Freude, da die Autorin einen sehr poetischen und ausdrucksstarken Schreibstil verwendet, der beim Lesen überrascht und gleichzeitig wirkungsvolle Bilder im Kopf des Lesers entstehen lässt. Dadurch entsteht eine gewisse Ehrfurcht beim Lesen, aber leider weder Spannung noch Begeisterung.
Was mir darüber hinaus schwer fiel, war die Einordnung des Buches: Zwar wird aus dem Leben Hannah Arendts erzählt, an deren historischer Biographie sich die Autorin orientiert, allerdings wird auch ausdrücklich darauf hingewisen, dass es sich bei dem Roman um ein fiktives Werk handelt. Entsprechend sind nicht alle Figuren, Begegnungen und Entwicklungen hisorisch fundiert - dadurch bin ich mir als Leserin unsicher, inwiefern ich nach der Lektüre davon ausgehen kann, nun mehr über das Leben der tatsächlich existierenden Hannah Arendt zu wissen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Leser, die sich bereits ausführlich mit der Person Hannah Arendt, ihrem Werk oder ihrer Zeit beschäftigt haben, diesen Roman als interessante Ergänzung ihres eigenen Wissens sehen können. Für die große Mehrheit der Leser wird dies allerdings nicht zutreffen, sie werden das Buch stattdessen, wie ich, als zäh und etwas überladen wahrnehmen. Trotzdem bleibt mir "Was wir scheinen" als ungewöhnliches Buch in Erinnerung, dessen Lektüre sich lohnt - auch wenn sie dem Leser einiges an Durchhaltevermögen abverlangt.

Bewertung vom 13.03.2021
Genug
Dalsgaard, Louise Juhl

Genug


sehr gut

Eine junge Frau macht ihren Schulabschluss, hat große Pläne und den Willen, das Leben ohne Einschränkungen zu Erleben. Doch dann taucht auf einmal die Sehnsucht auf, weniger zu werden, weniger zu sein. Das Essen wird zu einer unangenehmen Pflicht, der sie sich immer häufiger entzieht. Ihr Bewegungsdrang wird beinah unstillbar, und sie verlangt ihrem Körper ab was er schafft - manchmal auch mehr. Ihre Eltern, ihr Bruder, Partner, Ärzte, Sozialarbeiter und Pfleger können nur hilflos zusehen, wie die leere Kammer in ihrer Seele ihren Lebenswillen zunichte macht. Ein Spurensuche auf ihrem Lebensweg liefert Anhaltspunkte, aber keine Erklärungen. Die Protokolle in ihrer Krankenakte bieten Fakten, aber keine Hintergründe. Sonst sind da nur Fragen an das Leben, Bruchstücke eines Daseins, Gedanken ohne Kontext. Wir begleiten die junge Frau durch dunkle Tage und helle Zeiten, und wissen doch nie, wohin der Weg führt.
Louise Juhl Dalsgaard erzählt die Geschichte einer jungen Frau auf der Ich-Perspektive, wodurch sich der Leser direkt inmitten ihrer Gefühle und Gedanken wiederfindet. Der gesamte Text ist in kurzen Abschnitten verfasst, die teilweise wenig bis gar keinen Bezug aufeinander nehmen, wodurch die Erzählung manchmal mehr an ein abstraktes Gedicht als an einem erzählenden Roman erinnert. Diese Art zu schreiben mag auf manche Leser eigenwillig wirken, doch sie vermittelt sehr gut das Denken und Erleben einer psychischen Krankheit, welches nicht immer linear oder wohl strukturiert ist.
"Genug" ist ein besonderes Buch, das ich ganz anders erlebt habe, als ich es mir vorgestellt habe, und das ich auch mit keiner anderen Lektüre vergleichen kann. Teilweise nimmt die Autorin kein Blatt vor den Mund, zugleich gelingt es ihr, die Dominanz der Krankheit zu vermitteln, ohne dass ihr Text darum kreist. Eine außergewöhnliche Lektüre.