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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Micki
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 12.11.2020
Die zitternde Welt
Paar, Tanja

Die zitternde Welt


ausgezeichnet

Eine ungewöhnliche Familiengeschichte
Als die Österreicherin Maria bemerkt, dass sie schwanger ist, macht sie sich auf den Weg zu ihrem Liebhaber: Wilhelm arbeitet in Anatolien für die dortige Eisenbahn, die eines Tages quer durch das osmanische Reich von Istanbul bis nach Bagdad. Doch der 1. Weltkrieg zerstört nicht nur diesen Traum, sondern auch Marias Familie zerbricht.
Das gewählte Thema – eine Familiengeschichte rund um den ersten Weltkrieg und den Bau der Bagdadbahn – ist sehr spannend und außergewöhnlich. Als Leser begleiten wir nicht nur Maria in den ersten Jahren in Anatolien, wo sie sich als westliche und eigenständige Frau gegen die sittlichen Vorstellungen zurecht finden muss, sondern auch später ihre erwachsenen Kinder. So gelingt es der Autorin, auf nicht einmal 300 Seiten ein generationenübergreifendes Portrait einer ungewöhnlichen Familie zu zeichnen.
Sehr gut beschrieben werden auch die innerlichen Konflikte der einzelnen Familienmitglieder. Maria, die immer mit ihrem Leben in Anatolien hadert, weil sie sich als Frau nicht respektiert fühlt, dennoch niemals nach Österreich zurückkehren möchte. Wilhelms Herz schlägt nicht nur für seine Frau und seine Familie, sondern auch für die Eisenbahn. Als dieser Lebenstraum aufgrund des heranbrechenden Krieges verloren zu sein schein, zerbricht auch er. Und auch die drei Kinder des Paares haben es auf ihrem Weg durch die Welt alles andere als einfach und müssen schwere Schicksalsschläge überstehen.
Insgesamt ist „Die zitternde Welt“ ein wirklich lesenswertes Buch, dass das Schicksal einer Familie mal aus einer ganz anderen Sicht beleuchtet und damit wirklich empfehlenswert.

Bewertung vom 12.11.2020
Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
Ferrante, Elena

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen


ausgezeichnet

Der Weg zum Erwachsenwerden
Als die 13-jährige Giovanna ihren Vater dabei belauscht, wie dieser sie mit der gehassten Tante Vittoria vergleicht, ist sie am Boden zerstört. Doch kurz darauf beschließt sie, dass die diese Tante, zu der ihre Familie keinen Kontakt hat, kennenlernen möchte. Doch das Kennenlernen und die spätere Beziehung entwickeln sich ganz anders als sich das Giovanna vorgestellt hat. Zwischen ihr und der Tante entsteht eine merkwürdige Freundschaft, die Giovannas Weg ins Erwachsenwerden sehr prägt und ihre wohlbehütete Welt auf den Kopf stellt.
Giovanna ist eine recht eigenwillige Person, die mir als Leserin nicht unbedingt sympathisch war. Allerdings fand ich sie mit ihren Gedanken und Gefühlsschwankungen sehr realistisch gezeichnet, sodass ich mich gut in sie hereinversetzen konnte. Was mich nicht völlig gestört hat, mit dennoch stark aufgefallen ist: Ein bisschen scheint es so, als wäre Giovanna eine gemischte Version von Lila und Elena aus der Neapolitanischen Saga. Das ist etwas schade, da mir viele Gedankenstränge dadurch bereits bekannt vorkamen und mich manchmal etwas gelangweilt haben.
Wie immer schafft es Elena Ferrante mich nach nur wenige Seiten in die Welt von Neapel einzusaugen und mir das Gefühl zu vermitteln, ich wäre dabei. Das rechne ich der Autorin sehr an und ist wahrscheinlich auch mit der Grund für ihren großen Erfolg. Die Story an sich ist nicht sonderlich spannend oder außergewöhnlich: Die Probleme eine pubertierenden Teenies, Familienprobleme, finanzielle Unterschiede – davon haben wir vermutlich alle schon oft gelesen. Doch dank der unheimlich lebensnahen Sprache und der dichten Atmosphäre habe ich das Buch sehr gerne gelesen.

Bewertung vom 12.11.2020
Was uns verbindet
Gowda, Shilpi Somaya

Was uns verbindet


ausgezeichnet

Was verbindet eine Familie?
Familie Olander ist glücklich: Sie wohnen in einem schönen Haus, haben gute Jobs, die Kinder machen sich prächtig und die Beziehung zwischen den Eltern ist gut und gefestigt. Doch dann passiert ein tragisches Unglück und die augenscheinlich so stabile Familie zerbricht völlig. Zurück bleiben vier einsame Menschen und die Frage: Was verbindet uns (noch)?
Besonders gut Gowdas Roman hat mit die Struktur gefallen: Der Leser begleitet nicht nur ein Familienmitglied, sondern alle vier: Keith, der Vater, der beruflich sehr erfolgreich ist, jedoch nur wenig Zeit für die Familie hat, Jaya, die Mutter, die dauernd zwischen ihren Kulturen Indien und Amerika schwankt, Karina, die (zunächst) brave, aber etwas eigenwillige Tochter und Prem, den liebevollen und zurückhaltenden Sohn. In kurzen Kapiteln bekommen wir einen Einblick in die aktuellen Ereignisse, aber auch in die Gefühle der jeweiligen Person. Der schnelle Szenenwechsel hat das Buch zu einem echten Pageturner gemacht und es wurde zu keiner Zeit langweilig. Dabei umfasst der Roman mehrere Jahre des gemeinsamen Lebens und später auch der Zeit der Trennungen und Verluste.
Den Roman mit vielen Worten inhaltlich zu bewerten, ist sehr schwierig, da man bereits sehr viel spoilern würde. Ohne zu viel verraten zu wollen, hat mich das Unglück als Leser doch etwas kalt erwischt. Auch wenn der Klappentext bereits darauf hindeutet und man ahnt, worum es gehen könnte, war ich doch sehr überrascht. Insgesamt habe ich den Roman sehr gerne gelesen, lediglich das abrupte Ende hat mir weniger gut gefallen. Die Autorin ist auf jeden Fall eine tolle Entdeckung und ich werde mich auch mal mit ihren weiteren Romanen beschäftigen.

Bewertung vom 31.08.2020
Jahresringe
Wagner, Andreas

Jahresringe


sehr gut

Die Verbundenheit mit dem Wald
2020 schon beinah wieder in Vergessenheit geraten, beschäftigt sich der Roman „Jahresringe“ mit der Problematik der Abholzung des letzten Teiles des Hambacher Waldes – oder wie Andreas Wagner aufklärt: dem letzten Rest des einst so gigantischen Bürgewaldes. Dabei geht er nicht nur auf die Aspekte ein, die 2018 beinahe täglich in den Nachrichten zu sehen waren, sondern verknüpft die Geschichte des Waldes mit dem Leben dreier Familienmitglieder dreier Generationen, die in irgendeiner Art und Weise in enger Beziehung zum Wald stehen.
Da wäre einmal Leonore, die kurz vor Ende des 2. Weltkrieges vom Osten nach Westen flieht und in einem kleinen Dorf (Lich-Steinstraß, welches es auch tatsächlich gegeben hat) eine neue Heimat. Doch auch wenn sie bleibt und von einem Moppenbäcker freundlich aufgenommen wird: Für die meisten Dorfbewohner bleibt sie eine Fremde und eine Außenseiterin. Trost findet Leonore im gigantischen Bürgewald, in dem sie sich sicher und geborgen fühlt. Ähnliches empfindet auch ihr Sohn Paul, mit dem sich der zweite Teil des Romans beschäftigt. Gemeinsam mit seinem Freund John erkundet er stundenlang den Wald und fühlt sich dort wohl. Doch dann passiert – auch für den Leser sehr überraschend – ein schlimmes Unglück und kurz darauf müssen die Bewohner von Lich-Steinstraß umsiedeln: Das Dorf soll abgebaggert werden.
Während der erste und der zweite Teil des Buches weit in der Vergangenheit spielen, ist der dritte und letzte Teil hochaktuell, da er sich mit den Entwicklungen der Jahre 2016 bis 2018 beschäftigt. Ohne allzu viel zur Handlung verraten zu wollen, fand ich es sehr gut, dass der Autor nicht nur die eine Seite der Medaille beleuchtet hat: Neben Aktivisten kommen auch Mitarbeiter von Rheinbraun zu Wort – schließlich darf man trotz aller Naturschutzaspekte nicht vergessen, dass die Kohle Jobs und Geld in die Köln-Aaachener-Region gebracht hat.
Auch wenn das Buch keine großen Überraschungen beinhaltet – die aktuelle Geschichte des Hambacher Waldes ist schließlich bekannt – hat mit der Roman doch recht gut gefallen und ich habe ihn gerne gelesen. Vor allem für Menschen, die hier aus der Gegend kommen, eine klare Empfehlung!

Bewertung vom 21.08.2020
Wilde Freude
Chalandon, Sorj

Wilde Freude


ausgezeichnet

Dieses Buch zu lesen, ist eine echte Freude
Jeanne ist am Boden: Nicht nur, dass sie den Verlust eines geliebten Menschen noch nicht verkraftet hat, sie erhält auch noch die Diagnose Krebs. Da ihr Mann Matt damit nicht umgehen kann und die in kleinster Weise unterstützt, fühlt sie sich unglaublich einsam und verzweifelt. Doch dann lernt sie während der Chemo die ebenfalls an Krebs erkrankte Brigitte und ihre beiden Freundinnen kennen, die nicht nur ihre engsten Freundinnen werden, sondern sie später auch noch bitten, bei einem Raubüberfall zu helfen…
Auch wenn der Roman direkt mit dem Überfall auf den Juwelier beginnt, stellt dieses Ereignis nicht die eigentliche Haupthandlung dar: Vielmehr geht es um Frauen, die eine schweres Leben haben, aber immer weiterkämpfen – gegen die Krankheit, aber auch gegen Vorurteile und die Schatten der Vergangenheit. Männer spielen hierbei eigentlich keine Rolle und werden, wenn sie doch einmal Teil der Handlung sind wie Matt, sehr negativ dargestellt. Seine Reaktion auf Jeannes Erkrankung hat seitenweise wirklich wütend gemacht: Er hält sich fern von ihr, fasst sie nicht mehr an und begleitet sie auch nicht zu Terminen. Auch wenn ich das Grundmotiv, die Angst vor einem weiteren Verlust, für sein Handeln durchaus verstehe, kann ich mir kaum vorstellen, dass das jemand seiner eignen Ehefrau, die er angeblich liebt, antun würde.
Dabei ist die Krankheit nicht das Einzige, was die vier Frauen miteinander verbindet. Alle haben schwere Verluste durchgemacht, Mann, Familie oder Kind viel zu früh verloren und sind quasi auf sich allein gestellt. Teilweise fand ich das Schicksal, welches der Autor seinen Figuren zugesprochen hat, echt extrem hart und schonungslos.
Zwar steht im Mittelpunkt des Romans die Buchhändlerin Jeanne, deren Leben und Vergangenheit dem Leser sehr genau beschrieben wird, doch auch die anderen drei an Frauen gehen dabei trotz der geringen Seitenzahl nicht unter. In kurzen Episoden bekommt der Leser einen guten Blick auf deren Vergangenheit. Das Interessante dabei ist, dass alle vier Frauen sehr unterschiedlich gezeichnet sind.
Insgesamt habe ich den Roman sehr gerne gelesen – ein wirklich tolles Buch! Die Handlung ist teilweise spannend wie ein Krimi, ohne dass literarischer Anspruch und Figurenentwicklung auf der Strecke bleiben. Als Leser fiebert man mit und leidet mit den Protagonisten, ist wütend auf die Männer und hofft, dass die vier Frauen nicht erwischt werden. Eine kleine Kritik zum Stichwort Männer: Diese sind in diesem Roman ausschließlich negativ dargestellt, sei es der Ehemann, der Großvater oder der Exfreund. Das finde ich etwas schade, schließlich wird es auch im Leben der einen oder anderen einen guten Mann gegeben haben, der sie geprägt hat. Trotz dieser kleinen Kritik und einem kleinen Logikfehler gegen Ende des Romans, kann ich das Buch aber wirklich sehr empfehlen.

Bewertung vom 21.08.2020
Das Leben ist ein wilder Garten
Buti, Roland

Das Leben ist ein wilder Garten


sehr gut

Viel Inhalt auf wenig Seiten
Carlos Weiß führt ein eher ruhiges Leben. Seine Frau hat ihn vor einiger Zeit verlassen, die Tochter ist erwachsen geworden und lebt nun in London ihr eigenes Leben. Seine Leidenschaft ist die Arbeit als Landschaftsgärtner – nur an der frischen Luft fühlt er sich wirklich wohl, in geschlossenen Räumen bekommt er schnell ein klaustrophobisches Gefühl. Auch Freunde hat er nur wenige: Einzig die intensive Freundschaft zu seinem Mitarbeiter Agon holt ihn hin und wieder aus seiner Lethargie. Doch dann passieren einige Dinge, unter anderem, dass seine Mutter aus dem Seniorenheim verschwindet.
„Das Leben ist ein wilder Garten“ ist ein unaufgeregt erzählter Roman. Die Zeitspanne, die wir Carlos begleiten ist sehr kurz und auch ist er ein eher passiver Protagonist, der mehr beobachtet, anstatt dass er handelt. Auch nach der Lektüre wurde ich aus ihm nicht so richtig schlau. Bis auf seine verflossene Ehefrau, die er sehr liebt, und seinen Mitarbeiter Agon scheint er für die meisten Menschen keine Gefühle oder Emotionen zu haben und steht ihnen eher distanziert gegenüber. Zwar macht er sich Sorgen, als seine Mutter verschwindet, jedoch unternimmt er auch nichts auf eigene Faust, um sie zu finden. Vielleicht liegt es an der Kürze des Romans, dass man als Leser kaum Einblick in Carlos Inneres bekommt.
Inhaltlich fährt der Roman mit einer Vielzahl an großen Themen unserer Zeit auf: So spielt die Einstellungen der Gesellschaft zu Flüchtlingen – Agon ist aufgrund politischer Gründe aus dem Balkan geflüchtet – eine Rolle, aber auch der Umgang mit dementen Angehörigen, die Kriegsvergangenheit der älteren Generation sowie der Raub an der Natur zu Gunsten von Großprojekten werden thematisiert. Auch wenn es dem Autor in den meisten Fällen ganz gut gelingt, diese Themen miteinander zu verknüpfen, fand ich es doch etwas zu viel hinsichtlich der Länge des Romans mit nur 170 Seiten. Das Potenzial für einen längeren, intensiven Familienroman wurde dadurch leider ungenutzt – schade.
Insgesamt hat mit der Roman jedoch ganz gut gefallen. Vor allem sprachlich konnte er mich sehr überzeugen und die Szenen mit der Mutter im Grand National waren wirklich toll. Ein ruhiger Roman, der mir allerdings nicht ewig im Gedächtnis bleiben wird.

Bewertung vom 12.08.2020
Der letzte Satz
Seethaler, Robert

Der letzte Satz


sehr gut

Ein trauriges, berührendes Buch
Gustav Mahler hat sein Leben im Scheinwerferlicht gestanden und konnte als Musiker und Dirigent unglaubliche Erfolge feiern. Nach einer Anstellung in New York ist er nun zurück auf dem Weg in die Heimat Österreich. Der Grund ist traurig: Mahler, der Zeit seines Lebens immer wieder gekränkelt hat, wird sterben. An der Reling stehend, beziehungsweise sitzend, erinnert er sich an sein Leben und denkt an die Erfolge aber auch an die Schicksalsschläge zurück.
Wie auch beim „Trafikant“ finde ich den Ansatz, eine historische Person aus einer ganz anderen Perspektive beleuchten zu lassen, literarisch sehr spannend. Die Ausgangssituation ist diesmal jedoch eine ganz andere: Der Leser befindet sich in Mahlers Kopf und blickt gemeinsam mit ihm auf sein Leben zurück. Trotz seines Erfolges ist dieses eher traurig: Die Beziehung zu seiner Frau Alma, die Mahler über alles liebt, ist so gut wie vorbei und auch über den Tod seiner älteren Tochter ist der erfolgreiche Dirigent nie hinweggekommen. Und auch, wenn Mahler sehr erfolgreich in seinem Leben war, blickt er auch auf diese Ereignisse keinesfalls positiv zurück. Über reale Schicksalsschläge zu lesen, nimmt einen als Leser immer mehr mit als wenn die Ereignisse nur fiktiv sind, sodass der Grundton dieses Buches sehr traurig ist.
Wie immer überzeugt mich Robert Seethaler mit seiner sanften, bildhaften Sprache. Er schafft er nach nur wenigen Sätzen, dass man mittendrin ist, auf dem Schiff, neben Mahler steht und ebenfalls aufs Meer blickt. Man versinkt regelrecht in der Geschichte und wenn man nach 2-3 Stunden wieder auftaucht, wundern man sich, dass das Buch schon zu Ende ist – von mir aus hätte die Geschichte noch weitergehen können.
Obwohl es Seethaler auch auf diesen wenigen Seiten gelingt, ein umfassendes Porträt von Mahler als leidenden Menschen und gleichzeitig Karrierist zu skizzieren, hätte ich mir an manchen Stellen etwas mehr Tiefe gewünscht. So wird beispielsweise die Affäre Almas nur sehr kurz und auch erst gegen Ende angeschnitten, im Roman selber begegnen wir ihr gar nicht, sondern nur durch die Erinnerungen Mahlers. Dennoch kann ich insbesondere Seethaler-Fans diese kleine, melancholische Geschichte nur ans Herz legen. Wer jedoch noch nie etwas vom Autor gelesen hat, dem würde ich eher einen anderen Roman von ihm mit mehr Tiefe empfehlen. An den Trafikant kommt dieses Buch nämlich nicht heran und ich hoffe auch, dass der nächste Seethaler wieder etwas umfassender ausfällt.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.08.2020
Ein Sonntag mit Elena
Geda, Fabio

Ein Sonntag mit Elena


sehr gut

Nettes Geschichtchen
Der pensionierte Ingenieur – der im ganzen Roman namenlos bleibt – führt ein einsames Leben. Erst vor acht Monaten starb seine Frau mit Mitte 60 völlig überraschend und nun ist er alleine in seiner großen Wohnung: Der Kontakt zu seinen drei Kindern ist recht sporadisch, sowohl aufgrund von Distanz und unausgesprochenen Differenzen. Auch wenn er sich wünscht, mehr am Leben seiner Kinder und Enkel teilzunehmen, ist die Distanz sowohl emotional als auch physisch groß. Als an einem Tag seine älteste Tochter aufgrund eines kleinen Unfalls das lang geplante Mittagessen absagt, fühlt sich „Papa“ noch einsamer als sonst. Doch dann begegnet er Elena und ihrem Sohn, die dem ältere Mann einen wunderschönen Tag schenken.
Erzählt wird das Leben des Witwers aus der Sicht seiner zweitältesten Tochter Giulia, die seit dem Tod der Mutter Marcella keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater hat. Grund dafür ist nicht ein großer Streit oder eine Auseinandersetzung, stattdessen haben beide durch den Tod die gemeinsame Verbindung verloren. Dabei verfolgt die Handlung zwei Erzählstränge: In dem einen berichtet Giulia von ihrer Jugend und Kindheit. Deutlich wird dabei, dass der Vater (nicht nur) durch seinen Beruf als weitreisender Architekt häufig abwesend war. Stattdessen war Marcella immer ihre Bezugsperson, die sie in allem unterstützt hat. Der andere Erzählstrang ist eine Nacherzählung des Sonntags mit Elena – ungewöhnlicherweise auch aus der Sicht der Tochter, die ihn einige Jahre später nacherzählt bekommt. Die Umsetzung dieser Perspektive fand ich clever gemacht, weil sie dem Erzählten nochmal eine ganz andere Bedeutung gibt. Allerdings berichtet Giulia auch von Dingen, die sie gar nicht wissen kann und die wahrscheinlich eher ihrer Fantasie als Bühnenautorin zuzuschreiben sind.
Generell hat mir die Geschichte recht gut gefallen. Der Wechsel zwischen den einzelnen Erzählsträngen belebt die Geschichte, sodass der Leser die Familie immer ein wenig besser kennenlernt und auch die Beziehungen von Vater und Kindern besser nachvollziehen kann. Die Sprache ist leicht und angenehm zu lesen, obwohl ich mich hin und wieder an einigen Formulierungen gestoßen haben, die jedoch auch der Übersetzung zuzuschreiben sind. So wird über den geistig eingeschränkten Nachbarsjungen gesagt, er „benahm sich wie fünf“, eine doch recht oberflächliche Wortwahl für eine Behinderung.
Eigentlich wollte ich dem Buch nur 3 Sterne geben, weil vieles – vermutlich auch aufgrund der Länge von nur 230 Seiten – mir zu oberflächlich wirkt. Das schöne und berührende Ende hat mich jedoch noch einmal mit dem Roman versöhnt. Ich kann Ein Sonntag mit Elena jedem empfehlen, der auf der Suche nach einer netten Geschichte ohne großen literarischen Anspruch ist, die man gemütlich in ein bis zwei Tagen durchlesen kann.

Bewertung vom 23.07.2020
Eine Reise durch Deutschland in 100 ungewöhnlichen Bildern und Geschichten
Rössig, Wolfgang

Eine Reise durch Deutschland in 100 ungewöhnlichen Bildern und Geschichten


sehr gut

Ein toller Bildband
100 beeindruckende und außergewöhnliche Bilder und Orte in Deutschland – das verspricht dieser Bildband. Den ersten Aspekt erfüllt dieser schöne Bildband auf jeden Fall, alle gezeigten Orte sind wirklich beeindrucken und machen direkt Lust, ins Auto zu steigen und loszufahren. Allerdings sind nicht alle der gezeigten Orte und Sehenswürdigkeiten außergewöhnlich – so muss beispielsweise der Kölner Dom (auch wenn im Bildband explizit das Richter Fenster vorgestellt wird) eher als klassischste Sehenswürdigkeit bezeichnet werden. Im Großen und Ganzen bin ich jedoch sehr zufrieden mit der Auswahl der Orte, weil sie nicht die bekannten Highlights in den Fokus stellen, sondern auch eher kleinere und unbekanntere thematisieren.
Auch die gesamte Gestaltung des Bildbandes ist sehr ansprechend. Die Fotos sind toll und die Farben dabei trotzdem natürlich gehalten. Man hat nicht den Eindruck, dass da etwas mit Photoshop nachgeholfen wurde, wie es leider hin und wieder bei Bildbänden der Fall ist. Auch das Layout ist übersichtlich gestaltet, trotz des recht umfangreichen Textanteiles wird man nicht mit Infos erschlagen. Stattdessen konzentriert sich der Text auf das Wesentliche und nennt auch gleich noch praktische Tipps wie Übernachtungsmöglichkeiten und Restauranttipps. Das finde ich klasse, weil „Eine Reise durch Deutschland“ dadurch kein reiner Bildband ist, sondern auch etwas von einem Reiseführer bekommt.
Auch die Aufteilung der Sehenswürdigkeiten in Nord, Ost, Süd und West finde ich sehr gut. Es macht den Bildband übersichtlich und man kann in dem Abschnitt zu seiner Region stöbern, um vielleicht ein cooles Reiseziel für einen Tagestrip zu finden.

Bewertung vom 29.06.2020
Kostbare Tage
Haruf, Kent

Kostbare Tage


sehr gut

Ein sehr trauriges Buch
Dad Lewis wird sterben. Etwa einen Monat geben ihm die Ärzte noch – doch er ist nicht allein. Seine Frau und seine Tochter kümmern sich rührend um ihn und auch die Nachbarschaft unterstützt ihn, wo sie kann. Doch seinen Sohn Frank, den er wegen seiner Homosexualität verstoßen hat und zu dem seit vielen Jahren kein Kontakt mehr besteht, wird er vermutlich nie wieder sehen.
Zwar steht Dad Lewis, seine Familie und wie alle drei mit dem nahenden Tod umgehen im Mittelpunkt der Handlung, doch Nebenstränge beleuchten das (traurige) Schicksal vieler weiterer Einwohner. Die Handlung von Kostbare Tage ist im fiktiven Örtchen Holt angesiedelt. Holt liegt weit ab vom Schuss, sehr ländlich zwischen trockenen, landwirtschaftlich betrieben Feldern. Denver als nächstliegende Großstadt ist mehr als zwei Autostunden entfernt, sodass die Bewohner Holts eine eingeschlossene Gemeinschaft bilden – teils mit sehr konservativen Ansichten. Das muss auch Pfarrer Lyle erfahren, der mit seiner Familie aufgrund eines Zwischenfalls von der Großstadt nach Holt versetzt wird. Mit seinen modernen Ansichten, auch in Bezug zu Homosexualität, eckt er bei vielen Bewohnern an. Auch das Schicksal von Mutter und Tochter Johanson und das der kleinen Alice ist bewegend.
Kurzum: Kostbare Tage ist ein unheimlich trauriges Buch und nichts für Zartbesaitete, die nach Wohlfühlunterhaltung suchen. Hoffnungsschimmer gibt es wenige, nahezu jede Person hat einen Verlust erlitten und leidet auf ihre Art und Weise. So thematisiert Kent Holt nicht nur Themen wie Krebs, Homosexualität und das Verlassenwerden, sondern auch den Verlust eines Kindes, das Scheitern von Beziehungen und Selbstmord. Die Sprache ist dabei sehr einfühlsam und passt gut zu dem Erzählten.
Generell hat mir das Buch sehr gut gefallen, es berührt einen wirklich und die Atmosphäre ist nah und lebensecht. Dennoch bleiben mir die Figuren zu oberflächlich, insbesondere wenn sie miteinander sprechen. Die Dialoge sind oft sehr simpel aufgebaut und erlauben selten Einblick in die Person selber. Abfolgen sinngemäß etwa wie: „Wie geht’s es dir?“ – „Ich komme zurecht.“ – „Sag bescheid, wenn du Hilfe brauchst.“ kommen mehrfach vor und sind mir einfach zu platt. Auch finde ich, dass der Autor seinen Figuren teilweise ein zu hartes Schicksal zugeordnet hat – ein glückliches Leben führt keine von ihnen.
Trotz dieser kleinen Kritikpunkte kann ich den Roman aber empfehlen.