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booktower
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Rodgau

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Insgesamt 52 Bewertungen
Bewertung vom 24.04.2023
Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
Yagisawa, Satoshi

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki


ausgezeichnet

Schon der Einband dieses Romans wird alle sofort anziehen, die Bücher lieben. Das Mädchen am Fenster mit der Katze deutet auf eine Zeit hin, in der Menschen Gesellschaft brauchen.
Diese berührende Geschichte gehört für mich zu den Büchern, die ich nach Beendigung gleich wieder nochmal von vorn lesen möchte. Zuviel Ungesagtes steht zwischen den Zeilen, das es weiter zu entdecken gilt. Die Protagonistin Takako entdeckt geschockt die betrügerische Liebe, der sie ausgeliefert war. Sie kündigt ihren Job und sucht Zuflucht bei ihrem Onkel Satoru, der ein Antiquariat führt in Jinbocho, dem größten Antiquariatsviertel der Welt in Tokio.
Takako ist bei weitem keine Buchliebhaberin und Vielleserin. Im Gegenteil. Außerdem ist sie so erschöpft von ihrer Enttäuschung, dass sie die ersten Wochen in ihrem Zimmer die ganze Zeit schläft. Es ist ein kleines Zimmer, vollgestopft mit Büchern, die sie erstmal draußen stapelt um Platz zu gewinnen. Das ist die vordergründige Handlung.
Onkel und Nichte haben sich viel zu erzählen. Tante Momoko, die Ehefrau des Onkels ist seit langem verschwunden und niemand weiß warum und wo sie ist. Als sie zurückkehrt bittet der Onkel Takako, Momokos Beweggründe herauszufinden. Später werden die beiden, Nichte und Tante, eine Reise unternehmen. Inzwischen lebt Takako sich ein und erkundet nicht nur die vielen Bücher, die sie zu lesen beginnt, sondern auch die interessante Umgebung, in der sie nun lebt. Sie entwickelt sich zu einer begeisterten Vielleserin. Auch ein Café entdeckt sie und wird nun eine regelmäßige Besucherin und Kaffeetrinkerin. Dort findet sie Bekannte und Freunde und fühlt sich mehr und mehr heimisch.
Dieser Roman berührt in so vieler Hinsicht. Die handelnden Persönlichkeiten sind liebevoll gezeichnet. Liebhaber japanischer Literatur befinden sich hier in einer Fundgrube und entdecken mit Takako viele Titel und ihre Autoren. Yagisawa schreibt eine einfache, trotzdem tiefgehende Sprache. Die Handlung lebt von den Dialogen der Personen und treibt so das Geschehen voran.
Dieses Buch ist ein Muss, wenn man Japan, seine Menschen und ihre Geschichten liebt. Alle, die etwas über Japan erfahren und in diese Welt eintauchen möchten, finden hier das, was sie dahin führen könnte.

Bewertung vom 15.08.2022
Die Passage nach Maskat
Rademacher, Cay

Die Passage nach Maskat


ausgezeichnet

Nichts ist wie es scheint

Cay Rademacher ist ein Meister der Worte, wie er uns immer wieder in all seinen Romanen zeigt. In seinem neuen Krimi entführt er uns in die Zeit nach dem 1. Weltkrieg, dem Großen Krieg, 1929. Berlin glitzert und die angesehene Kaufmannsfamilie Rosterg geht an Bord der Champillon in Marseille. Ihr Reiseziel ist das Gewürzparadies Maskat. Die Familie wird nach Maskat reisen um Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Auch der Prokurist der Firma Rosterg ist dabei, Lüttgen. Zur Familie gehören der Fotograf Theodor Jung und seine Frau Dora Rosterg, sowie seine Schwiegereltern und der nazibegeisterte Sohn Ernst. Wir werden gleich eingeführt in die Umstände der Protagonisten: Jung – vom Krieg traumatisiert. Lüttgen, der Prokurist, offensichtlich ein hater. Dora, Jungs Ehefrau, die an vielen Dingen interessiert ist – hauptsächlich an sich selbst. All dies lesen wir in einer rasanten Sprache, die die Zeitumstände, die Mode, die Atmosphäre dieser Nachkriegszeit, den Hass der Franzosen auf die Deutschen - eindringlich schildert. Eine geheimnisvolle Atmosphäre umgibt die Menschen auf dem Schiff Champillon. Dazu Rademachers Schilderungen von Landschaften, hier das Meer, die umgebenden Horizonte, die Wolkenbildung, die Inseln die passiert werden - beschwören dies Geheimnisvolle geradezu herauf. Die angelaufenen Häfen werden so geschildert, dass man sich selbst dort wähnt. Man fühlt sich auf dieses Schiff versetzt, und mischt sich unter die überaus interessanten Charaktere der vielen Passagiere, die alle miteinander korrespondieren.
Jung, ein Fotograf der Berliner Illustrirten, bekommt viele Szenen vor seinen Sucher, die mit seinem Auftrag wenig zu tun haben, aber ganz sicher noch wichtig werden. Er liebt Dora, ist aber in ihrer Familie eine Art Außenseiter, weil er kein Kaufmann ist, sondern ein Künstler.
Unbegreifliche Ereignisse nehmen in dieser Geschichte Fahrt auf, nicht zu viel soll verraten werden, aber Theodor Jung wird sich während der Reise mit dem Rätsel auseinandersetzen müssen, wohin so plötzlich seine Gattin Dora verschwunden ist.
Wir kennen Cay Rademachers Schreibstil - immer aufs Sorgfältigste recherchiert, wir lesen anspruchsvolle, bildhafte Prosa. Sicherlich hat es auch eine tiefere Bedeutung, dass der Name des Schiffes – Champollion – gleichzeitig auch der Name des Wissenschaftlers ist, Champollion, geboren 1790 - der die altägyptischen Hieroglyphen entzifferte. Die Ausstattung des Schiffes folgt ganz dem Zeitgeist – überall sehen wir ägyptische Artefakte und Dekorationen. Selbstverständlich nur in der Luxusklasse und nicht auf den Unterdecks.
Bis zum Ende bleibt es spannend, bis es sich schließlich auflöst. Die vielen Wendungen der Geschichte, die immer neuen Überraschungen auf jeder Seite, die vielschichtigen Charaktere machen diesen pageturner der Sonderklasse unvergesslich.
Die Ausstattung des Buches ist sehr geschmackvoll und der Zeit angepasst. Eine Karte der Reiseroute ist vorn und hinten auf dem Vorsatzpapier zu verfolgen. Der Schutzumschlag zeigt “The Folio Society edition of Agatha Christie’s Death on Nile“ Da ist es wohl kein Zufall, dass eine der Passagierinnen Mary Westmacott heißt, ein Pseudonym Agatha Christie’s für ihre romantischen Romane.

Bewertung vom 30.07.2022
Drei Tage im August
Stern, Anne

Drei Tage im August


ausgezeichnet

Diesen Roman möchte ich als ein Buch des Staunens und der Wunder bezeichnen. Er ist eine Erzählung, die viele tiefgründige und bewegende Geschichten enthält. Sie sind alle miteinander verkettet und verwebt und bilden einen Teppich – ja, eine wahre Tapisserie.
Vordergründig geht es um Schokolade, um die Schokoladenfabrik Sawade, die bis heute in Berlin existiert, wie wir aus dem Nachwort lernen. Wir erleben Berlin vor dem Hintergrund der Olympiade, die vom 1. bis 16. August 1936 stattfand. Die drei Tage von denen wir lesen, sind der 5. – 7. August. Es geschieht viel in dieser Zeit, dass niemand, der sie erlebt, je vergessen wird. Die Nazifahnen wehen, die Hitlerjugend belästigt andere Jungen. Ein Wind, dessen Vorboten unheimlich sind, weht in den Straßen, währenddessen elegante Berliner*innen dort flanieren und es sich in den vielen Cafés gut gehen lassen und gespannt die Spiele verfolgen. In diesen drei Tagen treffen sich Menschen, deren Schicksal ein ganz besonderes ist. Da ist der jüdische Buchhändler Franz, der vor einer schweren Entscheidung steht. Geschäftsführerin Elfie des Schokoladenladens Sawade kämpft mit ihren eigenen Dämonen. Ihre Kollegin Trude steht ihr zur Seite und erlebt die Liebe. Elfies schwer kranke Nachbarin, die Conte, erzählt von ihrem Leben, sie hat die Kaiserzeit seit 1880 erlebt. Auch dieses Leben von dem Elfie hört, hinterlässt Spuren in ihr. Abends treffen sich die Nachbarn in der Hamady-Bar von Issa El-Hamady. Elfie tanzt dort und dies verändert sie.
Selten liest man in einem Roman so viel Gustatorisches – der Duft von Schokolade, von Bonbons, von Blumen und den Linden, die die Straße säumen strömt geradezu aus den Seiten. Die Linden spielen auch eine besondere Rolle in der Erzählung. Von ihnen lernen wir viel über Berlin und seine ganz eigene Geschichte.
Sterns Sprache ist magisch. Sie schreibt und wir fühlen ins mitgenommen in die von ihr kreierte Atmosphäre. Nicht nur die Personen sprechen und hören zu, auch die Bonbons im Laden spreizen sich, um jedes Wort zu erhaschen. Als Elfie bei einem kleinen Mädchen Levkojen kauft, raunt ihr die Blütendolde zu, wie arm die Kleine ist. Während sie bei ihrer ganz besonderen Nachbarin, Madame Conte, ein Glas Portwein trinkt, spricht der Wein zu ihr „das werden wir ja sehen“, gerade als Elfie beschließt, dass dieses Glas das letzte sein wird.
Wie diese Geschichte sich entwickelt ist einmalig kunstvoll ausgedacht. Wie sie geschrieben ist, welche Sprache wir lesen ist ein Hochgenuss, gleich einer Praline, die wir uns auf der Zunge zergehen lassen und der weitere folgen müssen, so unwiderstehlich ist ihre Anziehungskraft.
Die Begegnungen dieser Menschen untereinander, von denen wir lesen, verändern in jedem etwas Anderes, etwas, das sie nie in ihrem Leben vergessen werden.

Bewertung vom 03.07.2022
Freundin bleibst du immer
Obaro, Tomi

Freundin bleibst du immer


ausgezeichnet

„Freundin bleibst du für immer“ ist der Debut Roman von Tomi Obaro, einer Redakteurin von BuzzNews. Romane, die Lebensgeschichten von Freundinnen behandeln sind sehr oft lesenswert und haben eine lange Tradition in der Literatur, angefangen von Mary McCarthys „Die Clique“ der Sechzigerjahre. In dieser modernen Geschichte geht es um Freundinnen, die zusammen erwachsen werden und ihre verschiedenen Lebensentwürfe verfolgen
Das farbenfrohe Cover zeigt wunderschöne Ohrringe und einen stilvollen Kopfputz, „headtie“ genannt, der immer zu einem eleganten Outfit in Nigeria gehört. Die Schicksale dieser drei Freundinnen nigerianischer Herkunft sind sehr unterschiedlich, auch von Tragik gezeichnet. Die Autorin schreibt eindringlich über das moderne Leben in Nigeria. Sie schreibt einfühlsam und klar, wir bekommen einen Eindruck des Lebensstils in der damaligen Hauptstadt Lagos sowie auch in Zaria und Kaduna, im Norden des Landes. Der Titel der amerikanischen Originalausgabe lautet „Dele weds Destiny“, ein Hinweis darauf, dass die Hochzeit der Grund ist, dass die Freundinnen sich wiedersehen. Wie die ganze Hochzeit zu einem „destiny“ – Schicksal – gerät, ist überaus spannend zu lesen. Zainab, eine der Freundinnen, ist Destinys Patentante und hat ein ganz besonderes Verhältnis zu ihr. Zainab studierte Englische Literatur. Die Hinweise auf die nigerianische Literatur mit ihren weltberühmten Autoren wie Chinua Achebe und Wole Soyinka und anderen sind sehr interessant und wichtig. Auch Conrads „Herz der Finsternis“, ein wichtiger Roman der Literatur über Afrika, wird erwähnt. Die Autorin erzählt ihre sehr tief gehende Geschichte mit einer faszinierenden und bewundernswerten Leichtigkeit. Wir beginnen mit der Gegenwart und tauchen dann ein in die Vergangenheit dieser drei Freundinnen. Am Ende sind wir wieder in der Gegenwart. Wir lesen eine farbige, emotionale und spannende Geschichte. Nigeria entsteht vor unserem inneren Auge – das Leben von Studentinnen und später im Youth Corps, einer einjährigen Zeit nach dem Universitätsabschluss. Für Enitan wird dies ein Schicksalsjahr. Studenten werden an vielen verschiedenen Orten Nigerias eingesetzt, um zu unterrichten oder auch auf Farmen zu arbeiten. Wir lernen die vollkommen unterschiedlichen Leben in den Familien der Freundinnen kennen. Die Herkunft der Frauen ist unterschiedlich. Zainab kommt aus einer bürgerlichen Hausa Familie, Enitan lebt mit einer alleinerziehenden Mutter und Fumni muss sich mit Stiefmüttern herumplagen. Die letzteren gehören zum Volk der Yoruba. Alle Charaktere entwickeln sich. Ihre Freundschaft hält über viele Jahre. Ein vollkommenes Spektrum Nigerias in all seiner Farbigkeit entsteht vor uns durch die Freundinnen und ihrer Kleidung, ihrem Essen, ihrem Studentenleben, ihren Vorlieben von Musik und ihre Erfahrungen mit der Liebe. Auch die schwierigen Seiten eines Lebens in Nigeria und die Probleme werden erzählt, zum Beispiel über die Studentenunruhen wegen der Verhältnisse an Universitäten in diesem Land. Hier entscheidet sich Funmis tragisches Schicksal. Enitans Tochter Remi ist in Amerika aufgewachsen, mit ihrem amerikanischen Vater. Remis kritische Anmerkungen zu ihrer neuen Erfahrung auf dieser Reise lassen uns Nigeria aus noch einem anderen Blickwinkel sehen. Der Höhepunkt dieser fulminanten Erzählung ist die minutiöse Beschreibung der traditionellen Yoruba Hochzeit zwischen Destiny und Dele mit allem Pomp, aller Eleganz und dem Glamour, der dazu gehört. Destiny trifft auf ihr Schicksal und erfährt zum ersten Mal ihre Mutter Fumni auf eine Weise, wie sie sie sich immer gewünscht hat.
Sehr hilfreich ist das Glossar am Ende des Buches für diejenigen, die nicht mit Nigeria vertraut sind.

Bewertung vom 01.07.2022
Morgen kann kommen
Kürthy, Ildikó von

Morgen kann kommen


ausgezeichnet

Geheimnis eines ganzen Lebens

Schon das Cover, auch wieder von dem genialen Peter Pichler gestaltet wie die Aquarelle auf den Innenseiten, lädt ein, dieses Buch in die Hand zu nehmen und aufzuschlagen.
„Es wird Zeit“, im Jahr 2000 erschienen, hat mich bereits so begeistert. Auf „Morgen wird kommen“ habe ich gewartet und es nun in zwei Tagen durchgelesen. Ich denke, ich fange es noch einmal von vorne an. Sofort nach den ersten Seiten wurde ich in die Geschichte gezogen. Der Schreibstil ist rasant. Diese Idee, eine Geschichte zu erzählen, die ein Foto in Ruth auslöst, das sie in einem Drogeriemarkt findet, ist einfach genial. Ruth wird bald einundfünfzig und hat so viel erlebt und unausgesprochen mit sich herumgetragen, das sie uns in ihren eigenen Worten erzählt. Alle anderen Charaktere kommen in der dritten Person zu Wort. Diese Geschichte enthält so viele Gedanken und Gefühle, die für viele immer noch undenkbar und unaussprechlich sind. Wie die Autorin mit leichter Hand schreibt , mit fantasievollen Vergleichen ernste Dinge ausspricht, Gedanken, die Millionen Frauen auf dieser Welt denken und die diese unablässig beschäftigen, ins einzigartig. Wir lesen von vier Tagen aus dem Leben von Menschen. Von Männern und Frauen. Von einigen, die sich ewig kennen, andere kommen hinzu. Alle sind schicksalsmäßig verbunden. Besonders die Frauen leiden schon seit Jahren und leben trotzdem ihr Leben, worin besonders Frauen Meisterinnen sind, schon seit Jahrhunderten. In dieser Geschichte helfen sich die Charaktere gegenseitig, um in der eigenen Tiefe zu schürfen, hervorzuholen, was eingesperrt war und herauszufinden, wie sie sich befreien können. Alle sehnen sich danach, endlich los zu lassen, was sie quält.
Wie die Autorin diesen Roman komponiert, sich die Handlung und die Charaktere ausgedacht und den Haupt- und Nebenfiguren ihre Rollen zugeteilt hat, ist einfach genial. Entdecken Sie selbst, wie die beiden Schwestern Ruth und Gloria ihr großes Geheimnis endlich ans Licht bringen können und ihr Leben auseinander nehmen und neu zusammensetzen. Dagmar, die Dogge spielt ihre eigene hilfreiche Rolle. Alle anderen Figuren, die hier wie in einem Theaterstück agieren, sind so plastisch und echt gezeichnet, dass sie lebendig werden und man den Eindruck hat, bei ihnen zu sein in dieser Geschichte.
Jede Seite ist spannend und unterhaltsam, voller wunderbarer Ideen und Satzgefügen, einfach eine Lust zu lesen. Wir haben hier ein Lese Highlight, das so außergewöhnlich ist, dass keine Beschreibung ausreicht, ihm gerecht zu werden. Wir sind zwar erst im April, aber für mich wird dies in meiner persönlichen Leseliste das Buch des Jahres sein.

Bewertung vom 17.03.2022
Caspar und die Träne des Phönix / Die vier verborgenen Reiche Bd.1
Elphinstone, Abi

Caspar und die Träne des Phönix / Die vier verborgenen Reiche Bd.1


ausgezeichnet

Caspar und die Magie
Wir treten ein in ein magisches Universum. Dort spielt ein Phoenix eine wichtige Rolle, dessen Reich nach fünfhundert Jahren sich ändern wird. Der Untertitel der Geschichte lautet „Caspar und die Träne des Phönix“. Später werden wir erfahren, was damit auf sich hat. Außerdem finden wir in diesem Universum vier Reiche, die alle unterschiedliche Aufgaben haben. Auch sind sie verbunden mit dem Weitentfernt. Im Weitentfernt lebt Caspar Tock, ein englischer Schüler. Er wartet auf das Extrem Unvorhersehbare Ereignis. Er lebt mit seinen Eltern im Turm des Internats, wo beide Lehrer sind und Caspar Schüler. Das Leben dieser Familie ist ganz anders als das der reichen SchülerInnen die dieses Internat besuchen. Caspar ist ein liebenswerter Außenseiter und hat seine eigenen Regeln, Ordnung und Kontrolllisten, die er sich ausdenkt. Seine schlimmsten Feinde sind Candida und Leopold, die ihm ständig übel mitspielen wollen. Er sprüht nur so von Ideen, um seine getakteten Pläne zu schaffen und vor allem die ungeliebten Schulkameraden Candida und Leopold auszuschalten, die ihm das Leben schwer machen. Caspar hat noch andere Probleme, mit denen sich viele Kinder und Jugendliche identifizieren können, die in diese Geschichte eintauchen werden.
Das Abenteuer beginnt, als Caspar sich in der Standuhr seiner Eltern vor Candida und Leopold verstecken muss. Hier lässt das Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein grüßen! In der Uhr erscheint ein Baum, der plötzlich auf Stein steht, als eine Tür in der Uhr sich öffnet und Caspar damit in ein völlig anderes Universum gerät und dort Wilda Undank trifft. Sie schätzt ihn völlig falsch ein und wird später, als sie die Wahrheit erfährt, seine beste Freundin. Zusammen bewältigen sie Abenteuer, die so ungewöhnlich sind, wie man sie selten liest. Sie bekommen es mit Gestalten zu tun, die mehr als unheimlich sind und versuchen, ihnen übel zuzusetzen.
Abi Elphinstones wunderbare fantastische Welt nimmt einen sofort gefangen. Sie schöpft aus einer reichen Phantasie, beschreibt im Detail die Welt Wolkenstern, ihre Bewohnern, ihre Natur und ihre Verbindung zu Weitentfernt, unserer Welt, in der wir leben. Auch die Wetterkatastrophen unserer Zeit werden thematisiert. Dabei nimmt sie Bezug auf unsere vom ausufernden Klima bedrohte Existenz und verbindet diese mit Vorgängen in Wolkenstein, die uns im Bann halten.
Wie aus zwei zuerst fremden, sogar verfeindeten Kindern Freunde werden, die zusammen Probleme lösen, die unlösbar erscheinen, ist spannend zu lesen und nimmt einen gefangen. Ein sehr zu empfehlendes Buch, das die Phantasie enorm anregt. Eine hochspannende Geschichte, gespickt mit überraschenden Wendungen, die kein Ende zu nehmen scheinen…

Bewertung vom 17.03.2022
Stimmen der Freiheit / Die Frauen vom Reichstag Bd.1
Gabriel, Micaela A.

Stimmen der Freiheit / Die Frauen vom Reichstag Bd.1


ausgezeichnet

Spannendes Geschichtspanorama unserer Welt

Die Geschichte beginnt und endet 1919. Sie ist eingebettet in die turbulenten Jahre von 1898 bis 1919. In Rückblicken treffen wir die Protagonisten und lernen sie und ihre Geschichten nach und nach kennen. Marlene von Runstedt hat einen festgelegten Lebensplan, sie will sich für aktives und passives Frauenwahlrecht einsetzen und Parlamentarierin werden. Dies verträgt sich nicht mit Plänen für eine Ehe, sie und Justus von Ostwald aber lieben sich seit ihrer Jugend und immer wieder kreuzen sich ihre Wege. Als die Geschichte beginnt ist sie bereits Doktorin der Rechtswissenschaft und arbeitet in der Kanzlei ihres Vaters, einem Juraprofessor. Als Marlene erfährt, dass über Hunderttausende von Soldaten noch in der Ukraine, im jetzigen Lviv, damals Lemberg, darauf warten, nach Deutschland zurückgeführt zu werden, entschließt sie sich, für die aus dem Krieg zurückgelassenen Etappenhelferinnen - Tausende junge Frauen, Krankenschwestern, Küchenhelferinnen, Pferdeversorgung, Sekretärinnen und Telefonistinnen – die Rückführung nach Deutschland zu organisieren. Sie wird Beauftragte des Kriegsamtes für die Rückführung der Helferinnen aus der Bug-Etappe. Marlene fährt auf abenteuerlichste Weise mit einer anderen Frau nach Warschau und beginnt dort mit ihrer Arbeit. An der Deutschen Botschaft trifft sie Justus von Ostwald, inzwischen Legationsrat. So nimmt die Geschichte dieser beiden weiter ihren Lauf.
Es gibt viele dramatische Verstrickungen in den Lebenswegen der Charaktere, die schon seit frühester Schulzeit existieren, denn auch Marlenes Schulfreundin Sonja Grawitz aus der Arbeiterklasse liebt Justus von Oswald. Sie verfolgt den Wunsch Schauspielerin zu werden und hofft sich dadurch von ihrer Herkunft zu befreien und Justus von Oswalds Liebe zu gewinnen.
Nicht nur über das Leben dieser Menschen im Roman zu lesen ist aufregend, auch darüber, welche Rolle Deutschland damals im 1. Weltkrieg die Ukraine betreffend spielte, während wir gerade die russische Invasion in der Ukraine erleben. Damals war die Ukraine ein auch von Polen umkämpftes Gebiet. Die Autorin Gabriel versteht es, gerade durch die Rückblenden die Ereignisse mit den Protagonisten zu verweben, beeindruckend entwickelt sie so die geschichtlichen Zusammenhänge. Wir erleben dadurch sehr viel spannendes Hintergrundwissen über die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland. Gabriel beschreibt Situationen, Städte, Landschaften in einer Weise, dass man selbst in die Geschichte hineingezogen wird. Sogar Fontane und Tolstoi lässt sie anklingen, als sich Marlene an deren Romane währen einer Schlittenfahrt mit Justus in Warschau erinnert. Justus von Oswalds Heimat ist das Gut Kremmen in Brandenburg, Effi Briest, Fontanes Romanfigur, wuchs auf in Hohen-Cremmen. Dieser Roman ist ein pageturner, der viele Überraschungen birgt und gleichzeitig Einblicke in die Vergangenheit der Frauenvorkämpferinnen bietet, die so nicht allgemein bekannt sind oder in Geschichtsbüchern in einem anderen Stil abgehandelt werden.
Über die Vorankündigen der weiteren Romane während dieser turbulenten Zeit in Deutschlands Geschichte und später freue ich mich und bin sehr gespannt, was wir noch alles erfahren werden.

Bewertung vom 09.03.2022
Die grüne Bibliothek
Keefer, Janice Kulyk

Die grüne Bibliothek


ausgezeichnet

Dieses Buch, erschienen 1996 in englischer und 1999 in deutscher Sprache habe ich jetzt wieder gelesen. In der Krise durch die russische Invasion in der Ukraine ist es jetzt wieder zutiefst relevant geworden. Dies ist eine wundervolle Geschichte über Menschen in Liebe und Hoffnung, Leiden und Schmerzen zwischen Kanada und Ukraine. Der Bogen wird gespannt zwischen 1941 – 1993. Es ist ein wundervolles Buch, relevant für jetzt und immer, poetisch und magisch.

Bewertung vom 07.03.2022
Die Diplomatin
Fricke, Lucy

Die Diplomatin


ausgezeichnet

Lakonisch erzählt uns „Fred“ wie ihre Freunde sie nennen von ihrem ersten Einsatz als Botschafterin, in einem fernen Land – hier Uruguay.
Lucy Fricke entführt uns in die Welt der Diplomatie, es ist Freds erster Job in ihrer Position als Botschafterin. Gleich zu Anfang ist sie alleingestellt, denn ihre Vertretung, „ihr zweiter Mann“, meldet sich krank. Langsam gewöhnt sie sich an diese deutsche Botschaft. So wie sie dies vorfindet, hat sie sich ihren neuen Arbeitsplatz offensichtlich nicht vorgestellt. Ihr Vorgänger hat sie in keiner Weise vorbereitet auf das, was sie vorfinden wird. Einmal funktioniert der Brunnen im Vorhof nicht und als erste Aufgabe soll sie das Fest für den 3. Oktober, den „Tag der Deutschen Einheit“ ausrichten. Damit wird sie gleich die Bekanntschaft Deutscher im südamerikanischen Ausland machen. Keine leichte Aufgabe, denn diese Deutschen leben mit ihrer Vergangenheit, die sie so frisiert haben, dass sie jüdischer Abstammung sind und niemand ist ein Nazi oder hat solche Vorfahren…
Dann erreicht sie noch ein Anruf einer ihr unbekannten aber wohl prominenten Mutter einer Tochter, die ein Instagram Star ist. Sie reist durch die Welt und postet immer wo sie ist. Doch diesmal nicht. Seit 24 Sunden hat die Mutter nichts gehört.
Nachdem Fred Andermann dieses Abenteuer abgeschlossen hat, findet sie sich wieder in Istanbul. Diesmal nicht als Botschafterin, sondern als Konsulin. Hier warten neue Herausforderungen auf sie, solche, die sich niemand wirklich wünscht. Sie macht Bekanntschaft mit der türkischen Gegenwart in ihren vielen geheimnisvollen und unheimlichen Facetten. Wie sie sich auf diesem komplizierten Pflaster zurechtfindet, ist bewundernswert.
All diese Vorgänge schildert die Autorin ironisch und witzig, ja rasant. Durch die Sätze blitzt das Unbehagen, das sich in der Protagonistin schleichend breit macht. Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive erzählt. Freds Gedanken und Gefühle erleben wir dadurch sehr intensiv. Es gibt viel zu erleben auf den vor uns liegenden Seiten. Die Geschichte wird in drei Teilen perfekt entwickelt. Sie beginnt und endet an einem 3. Oktober, dem deutschen Unabhängigkeitstag. Allerdings unter völlig verschiedenen Voraussetzungen. Symbolisch weht die deutsche Flagge allein am Ende, denn in Montevideo wehten zwei.

Bewertung vom 03.01.2022
Die Schule der Redner
Seeger, Johann

Die Schule der Redner


ausgezeichnet

Reise in die ferne Vergangenheit

Schon die Gestaltung des Einbands dieses Romans fasziniert und enthält bereits Anzeichen auf die Inhalte. Wir sehen eine Illustration von Hartmann von Aue aus dem Codex Manesse, wie er auf seinem Pferd sitzt mit dem Adler der die Fahne hält und weitere Adler auf der Pferdeschabracke. Es scheint, als ob das Pferd die acht roten Rosen trägt. Hartmann von Aue wird im Text erwähnt, er ist der Großvater Leons, einer der Protagonisten. Das eingeklappte Frontispiz zeigt einen Grundriss der „Schule der Redner“. Sehr schön und altertümlich gestaltet. So kann man immer wieder hinschauen, wenn die Schüler sich auf dem Areal bewegen.
Nicht zuletzt das ausführliche „Dramatis Personae“ folgt auf Seite 7. Es ist unentbehrlich für einen Roman dieser Gattung, denn wir treffen viele Charaktere der damaligen Gegenwart wie auch aus der Vergangenheit.
Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht die verzweifelte Suche und Jagd nach der Schrift des Hermes Trismegistos, die ein ganz besonderes Geheimnis enthalten soll, dass noch nie ans Licht gekommen ist. Wir erleben, wie viele Menschen dies bewegt und sie dazu bringt, in Ausnahmezustände zu geraten. Nicht nur die erfundenen Charaktere berühren uns in ihrem Tun, auch viele berühmte geschichtliche Persönlichkeiten spielen direkt oder indirekt eine wichtige Rolle in diesem Epos, das einer mediävalen Saga ähnelt. Sie führt uns ins tiefste Mittelalter mit all seinen dunklen Geheimnissen und Machenschaften. Es ist 1246, die Zeit des österreichischen Interregnums. Wir lesen hier über die Schicksale Rudolf von Habsburgs und seiner Neffen Leon und Richard. Rudolfs Vogt ist Uther, der Leon aus vielen Gründen zutiefst hasst. Seinen Tod zu erreichen, ist eine von Uthers antreibende Kraft. Ein großes Panorama von Liebe, Hass, Verrat, Machtgier und Intrigen entfaltet Seeger vor uns. Auf 755 Seiten folgen wir den Schicksalen zahlreicher Protagonisten und Nebenfiguren. Alles wird plastisch beschrieben, so dass wir uns mittendrin fühlen in all diesen Geschehnissen und Konflikten, die die Welt bewegten und es immer noch tun. Bevor die Geschichte uns zur Schule der Redner führt, sind wir mitten in den Kontroversen auf der Burg Habsburg, die zur Einkerkerung Leons führen sowie zu seiner Flucht. Die ganze Geschichte ist abenteuerlich, die Figuren zahlreich, ihre Charakterisierungen einfühlsam und eindringlich, die Landschaftsbeschreibungen atemberaubend. Die Erzählung hat von den Elementen des Krimis, des Thrillers und auch Fantasy reichlich. Es geht immer spannend zu und hört nicht auf, Seeger ist ein Meister der unerwarteten Wendungen, die die Leser zwar erwarten aber dann so reichlich belohnt werden mit den Überraschungen in ihrer Ausführung. Wir lernen sehr viel über Sprachmuster die es ermöglichen, den Willen anderer Menschen nach eigenem Gutdünken zu lenken. Alle, die sich für Rhetorik interessieren und sie studieren, erleben hier noch tieferes Eindringen in diese alte Kunst. In diesem so hochgradig spannendem und mitreißendem Narrativ lautet die immerwährende Message des Hermes Trismegistos: “Sprache erschafft Wirklichkeit“.