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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
TontoM
Wohnort: 
Wolsfeld
Über mich: 
Ich lese gern anspruchsvolle Literatur und Sachbücher.

Bewertungen

Insgesamt 38 Bewertungen
Bewertung vom 09.02.2021
Was geht, Österreich? (eBook, ePUB)
Reisinger, Eva

Was geht, Österreich? (eBook, ePUB)


gut

Austria Light für Piefkes oder Austria schwächelt

Eva Reisinger (*1992), Journalistin aus Oberösterreich, lebt in Berlin und möchte Piefkes Österreich erklären. Wer ein Piefke ist, wird schnell klar. (Ich jedenfalls nicht!) Leider erklärt Reisinger nicht, dass der Name vom preußischen Militärmusiker Johann Gottlieb Piefke (1915-1884) abgeleitet ist. So bleibt sie leider auch weitere Erklärungen schuldig, warum Sebastian Kurz 2017 mit 31 Jahren österreichischer Bundeskanzler wurde. Ihr Hinweis auf den Einfluss der Jungen Volkspartei (JVP eigentlich Junge ÖVP) auf dem Land und dass Kurz Obmann der ÖVPwar, erscheint mir zu kurz gegriffen.
Ist die Landjugend so gar nicht aufmüpfig, sodass die politischen Ansichten der Eltern so unhinterfragt übernommen werden?
Geschickt finde ich Reisingers Gliederung, die dem Alphabet folgt. Unter K gibt es u.a. Keller, dem wichtigsten Raum im Haus. Sie macht Andeutungen, erwähnt aber in diesem Kontext weder Natascha Kampusch noch Fritzl, der jahrelang seine Tochter dort inzestuös festgehalten hat.
Die Autoren erzählt von ihrer eher langweiligen Jugend auf dem Land und welche Werte dort zählen. Gefallen haben mir das Kapitel übers Duzen, das Granteln oder die U6. Eine wirkliche Bereicherung ist das Kapitel zum Eh, mit dem „ein hohes Maß an gleichgültiger Selbstverständlichkeit ausgedrückt“ wird und sein „richtiger Gebrauch die höchste Kunst der Österreichischen Rhethorik“(S.55ff.) darstellt. Nützlich sind auch die Kapitel zu Speisen oder Institutionen wie Einfahrt, Skifahren oder Wandern.
Das Buch liest sich am Ende besser, denn die Erläuterungen werden ausführlicher und damit plausibler.
Im Kapitel Follow listet Reisinger die Namen österreichischer Autoren und Autorinnen auf, nennt Foren, die zur weitere Recherche einladen. Die Informationen dieses Abschnitts hätte ich mir an anderer Stelle etwas exponierter gewünscht, denn diese machen neugierig auf mehr Österreich.
Abschließend tut es mir leid, aber an Thomas Bernhards Österreich Kritik kommt man einfach nicht vorbei!

Bewertung vom 31.01.2021
Brainstorming
Schmutz, Barbara

Brainstorming


ausgezeichnet

Wer blickt durch?

Die Journalistin Barbara Schmutz hat 17 führenden Neurowissenschaftlern 300 Fragen zum Gehirn und dessen Erforschung gestellt. In dem schönen und übersichtlichen Band wird der derzeitige Forschungsstand dokumentiert, der erst ein kleines Fenster öffnet, wie das ehrgeizige Human Brain Project zeigt. Jedes Kapitel schließen eine Kurzbiographie, Hinweise zum Forschungsschwerpunkt und weiterführende Links ab. Nach der Lektüre steht der Leser vor eine Reihe weiterer spannender Fragen.
Neue Nervenzellen werden am effizientesten durch Ausdauersport verbunden mit dem Erlernen neuer Sachverhalte im Hippocampus gebildet. Die Plastizität unseres Gehirnes, das unzuverlässige und zufällige Reagieren unserer Nervenzellen, aber auch das Vergessen ermöglichen Flexibilität und Kreativität unseres Handelns. Georg Hasler beschreibt die enge Darm-Hirn-Connection, denn das Hirn sei aus Darmzellen entstanden. Der Darm sorgt für die Energie, während das Gehirn über die Sinnesorgane Reize aufnimmt. Silvia Arber erklärt die Diagonalität unserer Bewegungen und die Unmöglichkeit, gleichzeitig mit der rechten Hand Außenkreise und mit dem rechten Fuß Innenkreise zu zeigen. Multitasking ist ein Trugschluss und Wunschdenken.
Der Gedächtnisweltmeister Boris Nikolai Konrad erklärt wie Augenzeugenberichte funktionieren und die Rolle semantischen und episodischen Gedächtnisses. Wahrscheinlich besteht unser Gehirn aus zwei Hälften, damit wir tiefer denken können, denn auch Sinnesorgane gibt es doppelt zur intensiveren Wahrnehmung. Felix Hasler erklärt die Unterschiede zwischen neurologischen, durch bildgebende Verfahren sichtbare Krankheiten und psychischen Krankheiten, die nicht durch diese Verfahren abgebildet werden können. Wie wirken Psychopharmaka, wie kommt es zu Drogenabhängigkeiten? Was passiert im Schlaf, wenn wir träumen, oder wir einer Gehirnwäsche unterzogen werden? Geistesblitze sind spontane Lernerfahrung ohne sensorischen Input.
Jürg Kesselring berichtet über eine Begegnung mit dem Dalai Lama und einem damit verbundenen Gespräch über gemeinhin als übersinnlich Bezeichnetes. Wie existiert Bewusstsein? Wo ist unsere Seele?
Das Alter von Gehirnen kann bestimmt werden, jedoch nicht Gedächtnis verortet werden. Pascal Kaufmann stellt sich Fragen der KI und virtueller Realität.
Als Fazit der Lektüre zitiere ich Schopenhauer: „Man kann nicht wollen, was man will!“
Es gibt noch viel zu ergründen

Bewertung vom 10.01.2021
Konsum. Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen (eBook, ePUB)
Tillessen, Carl

Konsum. Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ich shoppe, also bin ich
Der Trendforscher und Inhaber der Modemarke „Firma“ Carl Tillessen analysiert, wie wir dank Globalisierung und Digitalisierung jederzeit immer ungehemmter noch billigere Klamotten kaufen können.
Eine Demokratisierung des Luxus dank sinkender Preise lässt uns an der gesellschaftlich wichtigsten Teilhabe partizipieren – der Teilhabe am Konsum. Unser chronischer Überkonsum ist konsequent amoralisch. Empathie empfinden wir selektiv, d.h. weniger mit den Textilarbeiterinnen in Fernost als mit dem Einzelhändler vor Ort. Anhand der Flagshipstore wird der Wandel des lokalen Handels im Zusammenhang mit Online- Aktivitäten und E-Commerce beschrieben. Die Verfallszeit eines Kleidungsstücks oder Accessoires wird immer kürzer - entsprechend der Haltbarkeit eines Posts auf Instagram.
Mieten statt kaufen, wäre sinnvoll, bedeutet aber keinen Lustgewinn. Etwas besitzen, heißt das Zauberwort. Die künstliche Verknappung dank Limited Editions heizt unsere Begierde umso mehr an.
Der Niedergang unserer Innenstädte, als Treffpunkt für Konsum und Kultur, hat auch Konsequenzen für unser Kommunikationskultur. Das Tracking unserer Daten füttert die Vielzahl an Algorithmen, die scheinbar unser Konsumverhalten anregen sollen, aber nichts wirklich Neues schaffen. „Kuratieren“ ist das neue Zauberwort – eine Auswahl aus bereits Vorhandenem treffen, die zu einem Einheitsgeschmack führt.
Konsum verschafft uns Lust und setzt Dopamin frei. Unsere Konsumkompetenz wird zum Maßstab unseres sozialen Status.
Tillessen zeigt Auswege aus der Konsumfalle, denn unser Geld und unsere Likes können Veränderungen bewirken. Ein Shitstorm im Netz wird zur vierten Macht und kann Unternehmen zum Umdenken bringen.
Dank seiner plausiblen Argumente bin ich als Leser nach der Lektüre beschämt, denn auch ich ermögliche mit meinen Kaufentscheidungen dieses unfaire System. Die umfangreichen Anmerkungen belegen Tillessens sorgfältige Recherche und Analyse.

Bewertung vom 26.12.2020
Die gestresste Seele
Dobos, Gustav

Die gestresste Seele


ausgezeichnet

Prof. Gustav Dobos hat an der Universität Duisburg-Essen die einzige Professur für Naturheilkunde in Deutschland und ist Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin Essen-Mitte. Nach zahlreichen Publikationen zu Selbstheilungskräften, Schmerzfreiheit oder gestresstem Herz beschreibt er in seinem neuesten Buch, wie wir mit positiven Gedanken und Gefühlen unser Wohlbefinden fördern können.
In 10 sehr gut lesbaren Kapiteln beschreibt er das Netz der Körpererinnerung, die Pole unseres Lebens: Furcht und Freude, die Kraft der Berührung, den Einfluss von Stress auf unsere Psyche und Körperabwehr. Neben der Beziehung zwischen Kopf-und Bauchhirn gibt Dobos praktische Tipps zur Ernährung, um unser Mikrobiom im Darm zu stärken, aber auch zur Gefühlsregulierung und kognitiven Umstrukturierung, damit Heilungsprozesse angeregt werden. Wie entwickelt sich die Resilienz und wie kann diese verbessert werden? Dobos nennt in diesem Buch Strategien, wie wir die derzeitige Corona-Pandemie bewältigen können und stützt sich auf aktuelle internationale Studien, die im Literaturverzeichnis dokumentiert sind. Für die nächste Auflage des Buches wünsche ich mir ein Personenregister, das dem interessierten Leser die weitere Recherche vereinfacht.
In Kapitel 11, dem Herzstück des Buches, stellt Dobos ein 8-Wochen-Programm für bessere seelische Gesundheit und Glücksgefühle auf. Neben Bewegungsübungen und Ernährungstipps, regt Dobos zu Visualisierungen, Metta-Meditation und Achtsamkeitstraining an, die innerhalb von 8 Wochen neue Gewohnheiten unterstützen.
Das Buch ist für mich ein unverzichtbarer Begleiter, denn nach Viktor Frankl (1905-1997), gebe es keine einzige Lebenssituationen, die man nicht in eine sinnhafte Situation umwandeln könne.(Viktor Frankl)

8 von 8 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.11.2020
Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens
Barbash, Tom

Mein Vater, John Lennon und das beste Jahr unseres Lebens


sehr gut

Das beste Jahr im Leben
Das beste Jahr erlebt man, wenn man etwas beendet und das Neue noch nicht richtig begonnen hat. Unbeschwert lernt man neue Leute und Orte kennen und taucht ein ins pure Leben.
Anton kehrt nach einem Malariaanfall während seines Einsatzes für das Friedenscorps in Afrika zu seiner Familie nach NY zurück. Diese wohnt in prominenter Nachbarschaft zu John Lennon im Dakota-Hochhaus am Central Park.
Anton unterstützt seinen Vater Buddy Winter, einen erfolgreichen Talkmaster nach einem Burnout eine neue Talkshow zu starten. John Lennon kann sich vorstellen gemeinsam mit Paul McCartney und den anderen Beatles darin als Gast aufzutreten.
Anton erzählt mit einer Leichtigkeit vom Leben in NY 1979/80, seinen Begegnungen mit Managern von Talkshows, seinem Aushilfsjob im Restaurant und Segeltörns mit John Lennon, der zu dieser Zeit das Segeln für sich entdeckt. Dieses hilft ihm, seine Schreibblockade zu überwinden.
Anton führt ein privilegiertes Leben, er fährt mit der Familie zur Winterolympiade nach Lake Placid, seine Mutter ist aktiv für Ted Kennedy bei den Vorwahlen für die Präsidentschaftswahlen. Weitere Ereignisse wie die iranische Revolution und die damit verbundene Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft oder der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan prägen den Zeitgeist.
Anton schwankt auf der Suche nach seinem Platz als Assistent und engster Vertrauter des Vaters und eigenen ehrgeizigen Plänen.
Die Ermordung John Lennons verändert schlagartig das Leben unzähliger Personen. Ein Ausblick skizziert die Lebenswege der Hauptpersonen.
Der Roman zeichnet ein lebendiges Bild von New York im Wahljahr für den US-Präsidenten, das Parallelen zu 2020 zeigt. Carter kann nicht mehr viel bewirken, und die bedeutungsvolle Reagan-Ära bricht an.

Bewertung vom 16.10.2020
Warum wir Bücher lieben
Bott, Friedel

Warum wir Bücher lieben


ausgezeichnet

Buch, Bücher, noch mehr Bücher-Lies, um zu leben! (Flaubert)

Der Journalist und Autor Friedel Bott und der Fotograf Steven Haberland trafen 17 prominente Bücherliebhaber vor deren eindrucksvollen Bibliotheken. In dem schönen Edel-Buch erzählen Schauspieler, Schriftsteller, Journalisten und Verleger über ihre Lieblingsbücher, Privates und berufliche Projekte.
Das Buch liest sich nicht nur wie ein Spaziergang durch die Weltliteratur, sondern gewährt spannende Lektüreempfehlungen, zu denen am Rande jeder Seite bibliografische Angaben und Hörbuchtipps zu finden sind, die Lust auf noch mehr Bücher machen. Bott ist eine lebendige Literaturgeschichte gelungen.
Am häufigsten wird Kafka genannt, der voller Welt-und Lebensfreude aus seinen Werken vorlas. Prägend ist auch Thomas Manns „Zauberberg“. Als einprägsame Jugendbuchautoren erscheinen Enid Blyton und Otfried Preußler. Immer wieder ist die Lyrik Leuchtturm im Alltag, wenn Bettina Tietjen mit ihrem dementen Vater Gedichte von Christian Morgenstern liest. Goethe wird als Lyriker geschätzt. Der frühere Leiter des Carl Hanser Verlags Michael Krüger beginnt seinen Tag mit einem Gedicht. Norbert Blüm hat je nach Wochentag unterschiedliche Lieblingsbücher. Die Schriftstellerin Karen Duve lässt sich mit Pferd, ihrer anderen großen Leidenschaft, vor ihrer Bücherwand fotografieren und kauft Bücher gern doppelt. Das Arbeitsbuch ist meist sehr zerlesen. Mechthild Großmann ist „Biografienfresserin“, gern die von Stefan Zweig. Nina Petri mag erotische Literatur. Jürgen von der Lippe hat ein Faible für Autoren mit K.
Der Leser erfährt von der Freundschaft Wolfgang Niedeckens mit Heinrich Böll und seiner Verbundenheit mit dem 1.FC Köln. Beeindruckend ist noch immer die Bibliothek Georg Stefan Trollers, der in den siebziger Jahren mit Fernsehdokumentationen aus Frankreich berichtete, denn er besaß früher wertvolle Erstausgaben von Shakespeare oder Goethes „Werther“. Der irakische Autor Najem Wali erweitert die Lektüre auf den arabischen Raum, denn viele der im Buch genannten Autoren sind aus Europa oder Nordamerika.
Das Buch ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an Hamburg, denn viele der Prominenten leben oder lebten dort, und es gibt zahlreiche Bezüge zur Stadt.

Bewertung vom 17.09.2020
Der Fremde aus Paris
Hammad, Isabella

Der Fremde aus Paris


ausgezeichnet

Spannend bis zum Schluss wird die Geschichte Midhat Kamals erzählt. Es geht um Fremdsein in der Fremde und in der Heimat, die große Liebe, die Rolle der Familie und die Geschichte des Nahen Ostens zwischen 1914 und 1936. Vor diesem Hintergrund wird der jüdisch-palästinensische Konflikt plausibel.

Bewertung vom 20.08.2020
Unser Vater
Gysi, Gabriele;Gysi, Gregor

Unser Vater


ausgezeichnet

Das Buch ist empfehlenswert als äußerst lesenswertes Zeitzeugnis der letzten 70 Jahre- witzig, klug und von hohem Unterhaltungswert.
Der Journalist Hans-Dieter Schütt, der bereits 2017 mit Gregor Gysi dessen Autobiografie geschrieben hat, schrieb die Einführung zum Buch und moderiert geschickt und facettenreich das Gespräch über Klaus Gysi.