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Favourite trash - favourite treasure

Bewertungen

Insgesamt 75 Bewertungen
Bewertung vom 02.05.2022
Tatort der Kuscheltiere / Florentine Blix Bd.1
Pantermüller, Alice

Tatort der Kuscheltiere / Florentine Blix Bd.1


sehr gut

Eine besondere Identifikationsfigur

Florentine Blix ist eine etwas eigene und deswegen besonders liebenswerte Protagonistin. Sie ist 13, geht in die 8. Klasse, liebt die Farbe grün, begeistert sich für Naturwissenschaften und Kriminalfälle, hat aber Probleme mit dem Zwischenmenschlichen. Dabei ist sie nicht schüchtern, sondern hat einfach Verständnisprobleme, was soziale Konventionen angeht. Ich denke, es ist nicht nötig, sie auf dem breiten Spektrum psychischer Auffälligkeiten explizit zu verorten, weil das keine Rolle spielen sollte. Alle Kinder und Menschen haben Eigenheiten, manche mehr als andere. Ich bin ganz sicher, dass viele dankbar für so eine Identifikationsfigur sein werden. Hier hat schon ihre Lieblingsfarbe Begeisterungsstürme ausgelöst, weil das selten zu sein scheint.

Auch die intensive Gestaltung des Buches kann man nicht unerwähnt lassen. Das Ganze ist als Notizbuch angelegt mit vielen Bildern, Listen, Kritzeleien und auch Karten. Der lustige Illustrationsstil von Daniela Kohl harmoniert fantastisch mit Alice Pantermüllers humorvoller Erzählweise. Die beiden haben immerhin auch schon bei "Mein Lotta-Leben" zusammengearbeitet und sind ein eingespieltes Team.

Ich finde es bemerkenswert, dass man bei diesem Buch bis zum Ende nicht so richtig versteht, in welche Richtung es geht: Handelt es sich um einen normalen Krimi, d.h. wird alles Mysteriöse am Ende aufgeklärt? Oder sieht Florentine tatsächlich Geister? Haben wir es eigentlich mit Urban Fantasy für Kinder zu tun? Diese Ambiguität kann spannend sein, in diesem Ausmaß finde ich sie aber ein wenig riskant, da es bestimmt Kinder gibt, die das eine mögen und das andere gar nicht. Spätestens nach dem ersten Band (auf den sicher viele folgen werden) weiß man dann aber, wo man steht und ob die Folgebände etwas für einen sind. Wenn man prinzipiell etwas über eine Protagonistin wie Florentine lesen möchte, finde ich, kann man dem Buch so oder so eine Chance geben.

Bewertung vom 02.11.2021
Was man bei Licht nicht sehen kann / Vergissmeinnicht Bd.1
Gier, Kerstin

Was man bei Licht nicht sehen kann / Vergissmeinnicht Bd.1


ausgezeichnet

Wunderschön in jeder Hinsicht

Wenn man die Blume Vergissmeinnicht und bunte Cover so sehr liebt wie ich, ist es fast unmöglich, an diesem Buch vorbeizugehen. Leider sind schöne Cover keineswegs ein Garant für schönen Inhalt, manchmal sogar eher eine gemeine Falle. Noch dazu war es mein erstes Buch von Kerstin Gier und so war ich wirklich gespannt, ob ihre Bücher die Begeisterung, die ich über sie so mitbekomme, verdient haben.

Obwohl das Buch beginnt wie das übelste Klischee, überwindet es diesen unschönen Einstieg sehr schnell und entwickelt sich in rasendem Tempo zu etwas ganz Besonderem. Ich habe Quinn seine Charakterentwicklung absolut abgekauft und Matilda habe ich von Anfang an ins Herz geschlossen. Sie sind beide zwei ungewöhnliche Hauptfiguren - er, da er (wenn auch wohl nur temporär) im Rollstuhl sitzt und sie, da sie zwar zweifellos "ganz anders" ist als alle anderen Mädchen, aber auf eine ganz andere Weise als es sonst in solchen Liebesgeschichten umgesetzt wird. Sie ist eine liebenswerte Scheinmisanthropin, die sich aber in Wirklichkeit für jede Kleinigkeit schuldig fühlt und eigentlich überaus rücksichtsvoll ist. Sie haben zwar Facetten an sich, die man schon kennt, aber doch wirken sie wie sehr lebendige und neue Figuren.
Dementsprechend ist auch die Liebesbeziehung erfrischend neu und ich habe zum ersten Mal seit langem wieder bei so einer Story mitgefühlt. Der Humor darf auch nicht unerwähnt bleiben, Kerstin Gier schreibt einfach in einem fantastischen, leichten Stil, der mich an einigen Stellen dazu gebracht hat, laut loszulachen, an anderen Stellen habe ich die Kunstfertigkeit bewundert, mit der sie die Geschichte erzählt. Ich verstehe jetzt, warum sie eine der bekannteren Autorinnen in Deutschland ist.

Ich habe teilweise gelesen, dass einige die Geschichte eher passend für 12-Jährige finden. Das kann ich nicht wirklich bestätigen. Die Protagonisten sind weitaus älter, schon in der Oberstufe, und ich hatte große Freude an dem Buch, obwohl ich nochmal ein Stück älter bin. Was mir aufgefallen ist, ist, dass in diesem Buch die prickelnd heißen Szenen fehlen, die kaum eine Autorin von Romantasy umsetzen kann, ohne dass man mit den Augen rollen muss, weil es einfach so kitschig, unglaubwürdig und - ja, ich muss das Wort wieder verwenden - klischeehaft ist. Das ist also in meinen Augen gerade die Stärke des Buches und ich finde nicht, dass die Beziehung zwischen Quinn und Matilda dadurch zwangsläufig kindlicher wird. Ich konnte sie dadurch leichter ernst nehmen.

Insgesamt eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle, Kinder ab 12, Jugendliche und auch Erwachsene, die bei Romantasy mal eine erfrischend neue Geschichte in jeder Hinsicht suchen. Ich kann es kaum erwarten, 2022 in diese Welt zurückzukehren und mehr über die komplexen politischen Zusammenhänge im Saum und natürlich über Matilda und Quinn zu lernen.

Bewertung vom 15.10.2021
Arkas Reise / Die Stadt ohne Wind Band Bd.1
Devillepoix, Éléonore

Arkas Reise / Die Stadt ohne Wind Band Bd.1


ausgezeichnet

Endlich wieder originelle, tolle Fantasy

In vielen festen Genres habe ich heute das Gefühl, dass viel von demselben rausgeballert wird, einfach, weil es sich immer verkauft. Da sticht ein Buch wie dieses raus. Das beginnt schon beim Cover, wobei ich da zunächst etwas Orientalisches erwartet habe, die Berge deuten aber bereits an, in welcher Gegend die Handlung spielt. Aber auch der Klappentext verspricht eine einzigartige Leseerfahrung.

Ich habe nur wenige Sätze gebraucht, um in die Handlung hineinzufinden und das Buch hat mich bis zum Ende auch nicht verloren. Hier erwarten einen spannende Intrigen, ein mysteriöser Mordfall, sympathische Figuren und auch ein subtiler Humor, besonders in Bezug auf die komplexen Strukturen der Gesellschaft von Hyperborea. Einige haben den komplexen Wortschatz des Buches kritisiert und auch die unzugänglichen Namen der Protagonisten wie Lastyanax. Für mich ist genau das ein Pluspunkt. Ich habe es sehr genossen, in diese fremde Welt einzutauchen. Da ich mich mit alten Sprachen wie Latein und Griechisch auskenne, habe ich mit großer Begeisterung entsprechende Wörter wie "Basileus" oder "Eleven" entdeckt. Schon der Handlungsort "Hyperborea" ist ja ein aus antiken Quellen bekannter Ortsname. Das alles macht für mich einen großen Teil des Charmes des Buches aus.

Ich freue mich außerdem immer, wenn ich Fantasyromane lesen kann, die nicht aus dem Englischen übersetzt wurden oder deutsche Originale sind. Das bringt frischen Wind ins Genre, wenn man schon Unmengen von Büchern hinter sich hat und von wiederkehrenden Mustern genervt ist. Ich habe mich über die junge Autorin informiert und habe sie konstant als Erzählerin vor mir gesehen. Zwar heißt es am Anfang, dass die Ähnlichkeiten der Figuren mit realen Beamten des Europäischen Parlaments, wo Eléonore Devillepoix arbeitet, nur zufällig sind, aber bestimmte Aspekte moderner Bürokratie hat sie schon verdammt gut eingefangen.

Insgesamt gebe ich fünf Sterne in dem vollen Bewusstsein, dass das Buch bei weitem nicht für alle etwas ist. Aber mir hat es so gut gefallen, dass ich mir den Folgeband sofort auf Französisch besorgen werde.

Bewertung vom 14.10.2021
Die Rückkehr der Zwerge 1 / Die Zwerge Bd.6
Heitz, Markus

Die Rückkehr der Zwerge 1 / Die Zwerge Bd.6


sehr gut

Schulischer Schreibstil

Der neue Zwerge-Band von Markus Heitz liest sich wie ein Relikt aus alten Tagen und dürfte viele Fans von damals glücklich machen. Jüngere Leser, die diese Art von Büchern jetzt erst entdecken, werden begeistert sein von der Fülle an weiteren Büchern, die auf sie warten. Als ehemaliger Fan, der aber das Interesse an den Büchern im Verlauf der Jahre verloren hat, weil mir der Schreibstil nicht mehr gefiel, war ich sehr gespannt, ob ich mit dem neuen Band ein Revival dieser Art von Fantasy in meinem Leben erleben würde. Das war aber leider nicht der Fall.

Die Geschichte ist absolut solide und spannend erzählt, die Charaktere sind interessant und doch… hat das Sprachliche mir das Buch ein bisschen verdorben. Markus Heitz hat leider seinen Schreibstil überhaupt nicht weiterentwickelt und hat immer noch die Angewohnheiten, die viele Autoren für besonders hohen Stil halten, die aber in der Tat genau das Gegenteil darstellen. Ich meine so etwas wie auf S. 30 „Dem jungen Banneroffizianten“ zu schreiben, weil man Angst hat, den Namen einer Person zu oft zu verwenden oder so vermeintlich besonders elegant weitere Informationen über sie einstreuen will. In der Tat gilt das mittlerweile aber als schlechter Stil und ich teile diese Einschätzung. Maximale Variation und Furcht vor Wiederholungen sind Schreibtipps, die einem in der Schule eingebläut werden, die man aber schnell hinter sich lassen sollte, wenn man wirklich gute Bücher schreiben möchte. Ich dachte am Anfang, dass ich über diese Art von Eigenheiten hinweglesen kann, aber es hat mich bis zum Ende doch zu sehr gestört. Dazu kommt natürlich die Liebe von Fantasy-Autoren für komplizierte Namen ohne jegliches System, dafür mit allerlei Sonderzeichen – ich nenne als Beispiel mal Mòndarcai. Irgendwie ist das aber auch Teil des Charmes dieser Bücher. Weiterer Kritikpunkt: Die Karte ist schön und grob hilfreich, aber nicht sehr detailliert. Manchmal hatte ich Schwierigkeiten, die Handlung zu verorten, was schade ist, wenn man schon eine Karte zur Verfügung hat.

Trotz allem ist der neue Band noch ein überdurchschnittlich gutes Buch und ist besonders für Genre-Fans uneingeschränkt empfehlenswert.

Bewertung vom 05.09.2021
Waldeskälte
Krüger, Martin

Waldeskälte


weniger gut

Enttäuschender Twist

Beschreibung und Leseprobe versprechen einen eiskalten, richtig atmosphärischen Krimi in einem abgelegenen Dorf in den Bergen mit Ritualmord. Zunächst scheint es auch so, als ob man genau das bekommt. Einige Stellen sind so eindringlich und einfach GUT beschrieben, dass man selbst das Gefühl hat, man steht da mitten im Wald und wird von jemandem oder etwas beobachtet und gejagt. Für die Stimmung allein verdient der Thriller unglaubliche 5 Sterne.

Es ist auch klar, dass irgendwann eine Auflösung kommen MUSS und das Mysteriöse dann rational erklärt wird - schließlich ist das hier kein Fantasyroman. In diesem Fall war aber die Auflösung für mich so banal und weltlich, dass sie mich sehr enttäuscht hat. Sie rückt die Geschichte in eine komplett andere Handlungssphäre, was problematisch ist, denn Krimis und Thriller sind Genres, bei denen es wenig Originelles zu holen gibt und ich denke, viele lesen eben gerne immer wieder dasselbe. Wenn man also in ein Buch hineingeht mit der Erwartung, dass es die eine Art von Thrillersubgenre bedient, die Handlung dann aber in ein ganz anderes springt, das man vielleicht kein bisschen interessant findet - das ist eine ziemlich blöde Wendung, die für mich in diesem Fall leider gar nicht funktioniert hat.

Das allein reicht eigentlich schon als Kritik, aber zusätzlich hatte ich auch Schwierigkeiten mit Valeria als Ermittlerin warm zu werden. Ihre Überheblichkeit war absolut fehl am Platz, selbst wenn sie sich bei der Ermittlung dann nicht noch blöde Schnitzer erlaubt hätte - was sie aber leider auch getan hat. Neben blöden Schnitzer macht sie außerdem kaum nachvollziehbare gedankliche Sprünge, was sie unnahbar und für mich völlig uninteressant macht.

Ich habe das Buch nur fertiggelesen, um zu erfahren, wie der Fall ausgeht, obwohl ich ab einem gewissen Punkt schon wusste, dass es mich nur würde enttäuschen können. Den Weg dahin konnte ich maximal bis zur Hälfte genießen. Was bedeutet das also für die Gesamtbewertung? So cool ich auch die Idee und die Atmosphäre finde, kann ich kaum ein Buch weiterempfehlen, von dem ich erwarte, dass es die Leser enttäuschen wird. Schade.

Bewertung vom 25.07.2021
Unbarmherziges Land
Offutt, Chris

Unbarmherziges Land


ausgezeichnet

Mehr Kentucky als Krimi

"Unbarmherziges Land" ist mehr Kentucky als Krimi, eher eine Charakterstudie einer Region und ihrer Bevölkerung als tatsächlich eine spannende Ermittlung.
Das wird schon dadurch deutlich, dass die eigentliche Ermittlerin, Linda Hardin, im Klappentext angepriesen als "erster weiblicher Sheriff des Countys", den Fall niemals ohne ihren Bruder Mick hätte lösen können und die ganze Zeit nur darauf warten muss, dass dieser ihr Ermittlungshäppchen vor die Füße schmeißt, damit sie dann jemanden offiziell vernehmen oder verhaften kann. Ich habe es von Anfang an befürchtet und die Befürchtung hat sich sehr schnell bestätigt.

Linda wendet sich überhaupt erst an ihren Bruder, weil sie als erster weiblicher Sheriff sowohl bei den Vorgesetzten als auch bei der alteingesessenen Bevölkerung aneckt - das, obwohl sie selbst in der Region geboren und aufgewachsen ist. Ihr Bruder hat dagegen vom Militär her Erfahrung in der Ermittlungsarbeit und als Mann einen anderen Draht zu den Menschen, also kann er ein bisschen aushelfen. Insofern erwartet man aber von dem Buch, dass Linda eine mindestens genauso wichtige Rolle spielt wie Mick und dass sie sich am Ende gegen alle Feinde durchsetzt, den Fall löst und mehr respektiert wird. Es wird jedoch schnell klar, dass der eigentliche Protagonist des Buches Mick ist. Mick und seine Fast-Alkoholsucht, Mick und seine kaputte Ehe, Mick und sein Fortbleiben vom Militärdienst. Mick und seine wahnsinnig coolen Survival- und Kampf-Skills, mit denen sich niemand messen kann. Zum Ende des Buches hin gerät sogar der Mord, um den es eigentlich geht, gänzlich in den Hintergrund. Die Auflösung hat mich absolut unbefriedigt zurückgelassen und auch die Auflösung des Ehekonfliktes schien mir einfach nur seltsam. Aber kann eine Ermittlung überhaupt noch spannend sein, wenn der Held nach der Hälfte des ohnehin nicht sehr langen Buches und ohne jegliche Möglichkeit für die Leser, bei dem Fall mitzurätseln, verkündet: "Ist okay, ich weiß wer's war"?

Dazu muss ich aber sagen, dass das Buch eine fantastische Cover-Gestaltung hat, wenn man von dem üblichen Unding des Tropen-Verlags absieht, den Strichcode auch vorne auf das Buch zu drucken. Es fängt genau die Atmosphäre der Geschichte ein, das wilde Kentucky, dunkler Wald, strahlender Nachthimmel. Alle Naturbeschreibungen habe ich sehr genossen. Die Einblicke in das Leben in Kentucky waren auch gelungen und spannend. Mir hat die Ausgestaltung der Figuren gefallen, sowohl ihre Beschreibung als auch die wörtliche Rede. An dem Schreibstil des Autors kann ich nichts aussetzen, technisch liest sich das Buch hervorragend. Ein kleines Extra waren hin und wieder eingestreute Einblicke in das Innere der Figuren, nachdem Mick, aus dessen Sicht überwiegend erzählt wird, bereits nicht mehr (oder noch nicht) mit ihnen interagiert hat. Sie haben das Porträt der Region abgerundet. Aber was sagt es über den Respekt des Autors für seine zweite Hauptfigur (Linda) aus, dass sie nicht nur zur Nebenfigur degradiert wurde, sondern auch noch die uninteressanteste von allen ist? Ich habe sogar das rückwärts gehende Huhn, das mittendrin einen charmanten Gastauftritt hat, wärmer und präsenter in Erinnerung als die angebliche Ermittlerin in diesem Mordfall.

Ich wollte eigentlich vier Sterne geben, weil die Lektüre Spaß gemacht hat, auch wenn das Buch nicht so war, wie ich es erwartet hatte. Das Ende hat mir die Geschichte aber noch einmal richtig versaut. Ich habe das Gefühl, dass man eine Fortsetzung erwarten kann, aber ich glaube nicht, dass ich die lesen möchte. Empfehlenswert ist "Unbarmherziges Land" aber irgendwie dennoch, für die Einblicke in eine Ecke der USA, die sonst nicht so viel in der Literatur vorkommt und für mal eine andere Art von Nostalgie.

Bewertung vom 19.07.2021
Unter dem Sturm / Die Halland-Krimis Bd.1
Carlsson, Christoffer

Unter dem Sturm / Die Halland-Krimis Bd.1


weniger gut

Möchte anspruchsvoll sein, aber ödet ziemlich an

Wie fasse ich meine Meinung zu diesem Krimi zusammen, ohne ihm das Attribut "unerträglich schwedisch" zu geben? Das basiert nur auf meiner persönlichen Erfahrung und würde einer Studie wohl kaum standhalten, aber seltsamerweise sind es unter den Krimis, die ich lese, meist die schwedischen, die so verkniffen versuchen anspruchsvoll und gesellschaftskritisch zu sein, dass man sich nur so durch die Seiten quälen muss. Es passiert so unerträglich wenig und überall springt einem der traurige Alltag entgegen - Alltagsrassismus, jeder verdächtigt bei allem zuerst Flüchtlinge, Osteuropäer verdienen ihren Lebensunterhalt mit ausgedehnten Diebszügen. Die nervige Nachbarschaft in einem kleinen abgelegenen Ort, die meint, sie weiß alles über einen, nur weil man sich regelmäßig auf der Straße sieht und mit Namen kennt. Selbst wenn diese Klischees auf der Realität basieren - ich bin sie SO leid.

Im Prinzip spricht das Buch eine berechtigte Frage an: Woher kommt das gewalttätige Wesen eines Menschen? Die Ansicht, dass so etwas vererbt sein könnte, ist selbst in der Wissenschaft noch immer nicht vom Tisch - kein Wunder also, dass der kleine Isak glaubt, er hat bei einem gewalttätigen Großvater und einem Onkel, der im Gefängnis sitzt, weil er seine Freundin ermordet haben soll, keine Chance im Leben, bevor dieses überhaupt erst angefangen hat. Leider bietet das Buch in dieser immer noch aktuellen Frage keine neuen Einsichten und keine interessante Perspektive.

Weiteres Problem: Ich fand es schwer, die Ermittlungen ernst zu nehmen. Zeugenbefragungen bringen solche Perlen hervor wie:

"Ist er auch gewalttätig?"
- "Bestimmt." (S. 45)

Aha. Hervorragende Ermittlungsarbeit. Es wäre ja unproblematisch, wenn Isaks Onkel nicht auf Basis solcher Meinungen tatsächlich verurteilt worden wäre. Manchmal ist es bei einer Ermittlung definitiv eher schädlich als hilfreich, wenn jeder jeden kennt. Leute kennen einen vielleicht nicht wirklich, aber erlauben sich dann trotzdem eine Meinung über einen. Eine Meinung, die Leben zerstören kann. Natürlich soll diese Ermittlungsarbeit "schlecht" sein und Ungerechtigkeit aufzeigen, dadurch wird die Lektüre nur leider für mich nicht erträglicher. Das ist auch nicht das Einzige, was mich daran stört. Vidar ist völlig verbissen in den Fall, aber denkt sich irgendeinen Unsinn aus, anstatt die Arbeit von Anfang an gründlich und gewissenhaft zu machen. Die großen Zeitsprünge im Buch bremsen die Handlung zusätzlich aus. Diese haben z.B. verhindert, dass ich mit Isak mitfühlen konnte, was dem Buch definitiv geholfen hätte. Und dann sind da natürlich die obligatorischen erotischen Szenen... Meiner Meinung nach hier unnötig prominent. Vidar wird dadurch auch nicht zugänglicher als Charakter. Unglücklicherweise finde ich es auch relativ durchsichtig, wie der Fall ausgeht, und konnte deshalb die gestreuten falschen Fährten nicht wirklich schätzen.

Alles in allem: Düster und öde. Ich wünschte, ich hätte das Buch nicht gelesen. Ich hätte nichts verloren.

Bewertung vom 19.07.2021
Der Brand
Krien, Daniela

Der Brand


sehr gut

Eine Herausforderung

Man kann nicht sagen, dass Rahel und Peters Ehe in Scherben liegt. Aber irgendetwas ist passiert, dass zwischen ihnen nichts geblieben ist als gegenseitiger Respekt und ansonsten ganz viel Schweigen bei unterdrücktem Ärger und Enttäuschung. Ein Paar, das sich einfach auseinandergelebt hat? In der Hinsicht hat mich das Buch überrascht. Gewissermaßen räumt es sogar mit dem Klischee des Auseinanderlebens auf, denn dieses passiert nicht einfach so, sondern basiert auf vielen Situationen der misslungenen Kommunikation, bei denen man sich unverstanden oder im Stich gelassen fühlt.

Das Cover ist, leider typisch für viele Diogenes-Bücher, ohne wirklichen Bezug zum Text und nichtssagend. Wenn man aber einmal auf das Buch aufmerksam geworden ist, wirkt der Einstieg so, als könnte man in jedem Alter von der Lektüre profitieren. Mittendrin war ich mir dessen aber plötzlich nicht mehr so sicher, denn Rahel wurde mir so unsympathisch, ihre Probleme mir so unzugänglich, dass ich mich nur fragte: "Was will diese Frau eigentlich von der Welt und wieso meckert sie nur an anderen herum, wo alle Probleme von ihr auszugehen scheinen?" Eine Ansammlung unangenehmer Personen, die ich nicht mal aus Interesse an der menschlichen Psyche kennenlernen wollte - das war lange Zeit mein Fazit für dieses Buch. Aber eins muss ich zugeben: Die Figuren sind verdammt authentisch, erwachen vor meinem Auge geradezu zum Leben. Ich muss sie nicht mögen, um diese Leistung der Autorin würdigen zu können. Und wenn man bis zum Ende durchhält, wird man sogar mit Charakterentwicklung und wahrem Wachstum belohnt. Ein gutes Ende, das zu dem Buch passt.

Eine der versteckten Stärken des Buches ist zudem sein differenzierter und unkonventioneller Blick auf Fragen und Phänomene, die die Gesellschaft heute bewegen: Gender, Ziele und Fähigkeiten junger Menschen, insbesondere an der Universität, der Sinn von Psychotherapie, Shitstorms und deren Folgen für den Einzelnen. Bei all diesen Themen hat das Buch meine Perspektive erweitert, insofern hat sich die Lektüre trotz des Ärgers und der langweiligen Passagen hier und da definitiv gelohnt.

Bewertung vom 24.05.2021
Der Countdown-Killer - Nur du kannst ihn finden
Suiter Clarke, Amy

Der Countdown-Killer - Nur du kannst ihn finden


sehr gut

Packender Podcast-Thriller

True Crime boomt gerade, egal ob auf Youtube, Blogs oder in Form von Podcasts. Auch die Protagonistin dieses Buches, Elle Castillo, hat einen True-Crime-Podcast. In der neuesten Folge versucht sie, den Fall des sogenannten Countdown-Killers neu aufzurollen, der nach einem besonderen Muster vorging und nie gefasst werden konnte. Und dann verschwindet erneut ein Mädchen - ist der Killer zurück und führt seinen grausigen Countdown fort?

Das Besondere an diesem Buch ist: Es gibt einen dazugehörigen Podcast, der z.B. über die Verlagswebseite aufrufbar ist. Darin kann man sich parallel zur Lektüre Elles Podcast-Folgen anhören. Ich persönlich bin kein Riesenfan von Podcasts, finde aber, dass hier der Ton gut getroffen wurde und dies dazu beiträgt, die Spannung weiter anzufeuern.

Bei dem Fall selbst hat mir dagegen leider das Besondere gefehlt, auch wenn ich die Ermittlung mit Spannung verfolgt habe. Elles private Interaktionen haben mich aber, wie das oft bei Krimis und Thrillern der Fall ist, eher genervt und von der eigentlichen Handlung abgelenkt. Dazu finde ich, dass die Einblicke, die man in das Innenleben des Täters bekam, zu früh einsetzten und dafür zu wenig erklärten. Es wirkte so, als solle hier ein komplexes psychologisches Profil entworfen werden, das erklärt, warum ein eigentlich ganz armer Mensch ganz böse Dinge tut. Meine Empathie und Verständnis halten sich aber bei diesem armen Würstchen in Grenzen.

Ein multimedialer Thriller - vielleicht ein Zukunftsformat? Wäre interessant!

Bewertung vom 24.05.2021
Girl A
Dean, Abigail

Girl A


sehr gut

Bedrückend

Alexandra ist Girl A. Mit 15 gelang ihr die Flucht aus ihrem Zuhause, wo sie von ihren Eltern ans Bett gefesselt und vernachlässigt wurde. In Folge ihrer Flucht konnten auch ihre Geschwister aus dem Haus gerettet werden. Nun ist Alexandra erwachsen und eine erfolgreiche Anwältin in den USA, die zu ihren Geschwistern wenig Kontakt hat. Doch dann stirbt ihre Mutter im Gefängnis und Alexandra muss nach England zurückkehren, um den Nachlass zu regeln. Ist sie ihrer persönlichen Hölle jemals ganz entflohen?

Das Buch beginnt mit Alexandra, widmet aber jedem ihrer Geschwister einen eigenen Abschnitt, in dem Alexandra sie wiedersieht und man erfährt, was diese seit der Rettung erlebt haben. Jeder von ihnen wurde adoptiert, ist aber auf die eine oder andere Weise durch die Vergangenheit tief gezeichnet. Lediglich einer ist durch ganz spezielle Umstände in der Lage, ein normales Leben zu führen. Durch die Auseinandersetzung mit den Geschwistern setzt sich auch das Leben der Kinder unter ihren schon immer strengen, aber nicht von Anfang an psychotischen Eltern aus vielen Puzzlesteinchen letztlich zu einem fast vollständigen Bild zusammen. Einige kleine Fragen bleiben offen. Der mysteriöse „ungewöhnliche“ Ansatz, mit dem Alexandra von ihrer Psychologin behandelt wurde, dient einer großen Offenbarung am Ende des Buches, die Motivation der Psychologin blieb für mich aber undurchsichtig und das Ganze daher nicht so glaubwürdig.

Es tut einem Buch nicht gut, wenn es im Vorfeld zu sehr gelobt wird. Das weckt überirdische unspezifische Erwartungen, die vermutlich die wenigsten Werke tatsächlich erfüllen können. Dieses Buch ist kein „moderner Klassiker“ und auch nicht „Der wichtigste Thriller seit Gone Girl“, wie es auf der Rückseite beworben wird. Es ist ein überdurchschnittlich gut geschriebener, aber ansonsten nicht herausragender Roman. Ein bedrückendes Buch, nach dessen Lektüre ich persönlich nicht davon ausgehen würde, dass man den schlimmen Dingen entfliehen kann, die man erlebt. Aber vielleicht bietet „Girl A“ für andere hier mehr Interpretationsspielraum.

Wer eine solide Lektüre sucht, die nicht nur die grundlegenden Erwartungen an Spannung erfüllt, sondern auch lebendige Protagonisten und ein paar Überraschungen zu bieten hat, trifft mit „Girl A“ eine sehr gute Wahl.