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Sophie

Bewertungen

Insgesamt 156 Bewertungen
Bewertung vom 24.01.2023
Fern vom Licht des Himmels
Thompson, Tade

Fern vom Licht des Himmels


ausgezeichnet

Ein fabelhafter wilder Ritt im All

Schon das Cover von „Fern vom Licht des Himmels“, das der Golkonda-Verlag gezaubert hat, strahlt etwas ganz Besonderes aus: die mysteriöse Ruhe des Alls, verbunden mit einem kleinen Störgefühl. Dieses Versprechen löst Autor Tade Thompson in diesem Science-Fiction-Krimi vollumfänglich ein. Es geht spannend zu, aber auch humorvoll, philosophisch und gesellschaftskritisch. Ein wunderbarer Roman!

Shell, ein vielversprechendes junges Talent, frisch aus der Ausbildung, begleitet ihren ersten interstellaren Flug, der tausend Passagiere in ein anderes System transportieren soll. Eigentlich eine einfache Aufgabe – abgesehen von den zehn Lebensjahren, die sie dadurch verschläft –, denn die KI des Schiffes Ragtime soll eigentlich alles vollautomatisch erledigen. Nur dass die KI kurz nach Shells Erwachen kaum mehr ansprechbar und auf ihre Grundfunktionen heruntergefahren ist. Und damit nicht genug: Die Roboter des Schiffes laufen Amok, ein synthetischer Wolf streift durch die Gänge, und dreißig Passagiere wurden in ihren Schlafkapseln zerstückelt. Das wiederum ruft Ermittler Fin und seinen Androidenkollegen Salvo auf den Plan, die in der Abgeschlossenheit des Raumschiffs nach Verdächtigen suchen. Beim verzweifelten Versuch, das Schiff zugleich unter Kontrolle zu bringen und die übrigen Passagiere zu retten, stolpern Shell und Fin von einer dramatischen Situation in die nächste und begreifen erst nach und nach, womit sie es eigentlich zu tun haben.

„Fern vom Licht des Himmels“ ist zugleich eine spannende und gut durchdachte Zukunftsvision, die Themen wie Kolonialismus, Kapitalismus und Ausbeutung aufgreift, und ein klassisches Locked-room-Mystery. Nur dass beim Ermitteln niemand pfeiferauchend im Sessel sitzen kann, sondern alle Verdächtigen und Ermittelnden auf einem außer Kontrolle geratenen Raumschiff dem sicheren Tod entgegentrudeln. Die lockere und von einem subtilen Humor geprägte Erzählweise konterkariert die dramatische Situation, die immer wieder ethische Entscheidungen von ihren Figuren einfordert, und verleiht dem Roman einen angenehmen Lesefluss. Sämtliche Figuren wachsen einem schnell ans Herz, und vieles ist nicht so schwarz-weiß, wie es zunächst scheint.

Ein zugleich rasantes und nachdenkliches Abenteuer zwischen den Sternen, das wahnsinnig unterhaltsam, manchmal poetisch und immer hochspannend ist. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 24.01.2023
Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1
Mackintosh, Clare

Die letzte Party / Ffion Morgan Bd.1


sehr gut

Ein kniffliges Verbrechen und persönliche Verstrickungen

„Die letzte Party“ von Clare Mackintosh ist ein echtes Krimivergnügen: falsche Fährten, viele Verdächtige mit starken Motiven, zwielichtige Charaktere und dubiose Machenschaften … Wer gerne mitermittelt, sich auch mal aufs Glatteis führen lässt und Spaß an überraschenden Wendungen hat, wird diesen Roman lieben. Der einzige Wermutstropfen: die leider oft holprige deutsche Übersetzung.

In einem ruhigen kleinen Dorf an der walisisch-englischen Grenze wird ein Lokal-Promi auf einer Silvesterparty ermordet. Rhys Lloyd, so stellt sich bald heraus, wurde von niemandem so recht gemocht. Beinahe jeder im Dorf hätte einen Grund gehabt, ihn zu ermorden, ebenso wie seine direkten Nachbarn in der Ferienhaussiedlung The Shore auf der englischen Seite, die wiederum den walisischen Dorfbewohnern ein Dorn im Auge ist. Rhys ist im Dorf aufgewachsen und hatte ausreichend Zeit, sich überall Feinde zu machen. Die örtliche Polizistin Ffion muss mit ihrem englischen Amtskollegen Leo, mit dem sie unpassenderweise kurz zuvor einen One Night Stand verbracht hat, das Verbrechen aufklären und dabei auch ihre engsten Freunde und Verwandten genau unter die Lupe nehmen. Und am Ende ist doch nicht alles so, wie es scheint …

„Die letzte Party“ wartet an jeder Ecke mit einer neuen Wendung auf, aber nicht auf effekthascherische Weise, sondern indem das Buch geschickt erst nach und nach Informationen enthüllt, neue Perspektiven auftreten lässt oder kleine Teile der Vergangenheit preisgibt. Das Hin und Her der Zeitebenen wird dabei geschickt eingesetzt, um häppchenweise die zur Lösung des Rätsels notwendigen Informationen zu vermitteln, ohne dass diese Erzählweise ernsthafte Verwirrung stiften würde. So wird den Lesenden ausreichend Gelegenheit gegeben, eigene Theorien zu entwickeln, wieder zu verwerfen oder anzupassen. Quasi ein Krimi, wie er im Buche steht! Umso ärgerlicher ist da, dass die deutsche Übersetzung qualitativ nicht zu überzeugen weiß. Dafür gibt es in der Bewertung einen Stern Abzug, denn so manches Mal ist die Wortwahl regelrecht irreführend oder bringt den Lesefluss ins Stocken (erwähnt sei hier nur die Übersetzung des englischen „pathetic“ als „pathetisch“ …).

Ein absolut lohnenswerter Krimi mit leider schwacher deutscher Übersetzung, den man daher wohl besser im Original genießen sollte.

Bewertung vom 24.01.2023
Schwerer als das Licht
Raich, Tanja

Schwerer als das Licht


weniger gut

Sehr langsam und eher repetitiv erzählt

Wer nach einem Buch sucht, das Atmosphäre aufbauen kann, wird Tanja Raichs „Schwerer als das Licht“ sicher mögen. Wer allerdings auch einige Fragen beantwortet haben möchte und Wert auf Handlung und Spannungsbogen legt, ist vielleicht bei diesem schmalen und nicht ganz einfachen Büchlein nicht an der richtigen Adresse.

Die Grundidee dieses Romans, der sich als dystopisches Nature Writing ausgibt, ist eigentlich in sich extrem spannend: Eine namenlose Frau strandet ohne Angabe von Gründen auf einer einsamen Insel und gerät bald in Konflikt mit der örtlichen Bevölkerung. Ihr Kampf ums Überleben wird in einem sprunghaften Hin und Her der Zeitebenen erzählt, wobei die umgebende Natur eine prominente Rolle spielt, die im Sterben begriffen zu sein scheint. Eigentlich hochinteressant – nur, dass diese Mysterien nicht einmal im Ansatz aufgeklärt werden.

Tanja Raichs Roman krankt vor allem an einem Zuviel an sich oft wiederholenden Beschreibungen der Natur und des Verhältnisses ihrer Protagonistin dazu und einem Zuwenig an Handlung und Aufklärung. Das zunächst reizvolle enigmatische Moment der Erzählung (Woher kommt die Frau? Wer ist sie? Warum ist sie gestrandet? Was wollen die Einheimischen? Was ist mit der Natur los?) wird schnell ermüdend, weil keine dieser Fragen auch nur ansatzweise beantwortet wird. Das lässt die Erzählung schnell statisch wirken und – trotz der Kürze des nicht mal 200 Seiten starken Büchleins – leider auch ein wenig langweilig.

„Schwerer als das Licht“ bleibt geradezu schmerzhaft interpretationsoffen, was leider weniger gut funktioniert, da zu wenige mögliche Interpretationen überhaupt angeboten werden. Dadurch wirken die an sich oft ästhetischen sprachlichen Bilder irgendwann beliebig und vom Narrativ losgekoppelt. Ein Buch, das leider schnell wieder vergessen sein wird und trotz Potenzial keine große Wirkmacht entfalten kann.

Bewertung vom 24.01.2023
A.R.T. - Coup zwischen den Sternen
Brynn, Kris

A.R.T. - Coup zwischen den Sternen


gut

Kunst trifft auf Science Fiction

Kunst ist im Science-Fiction-Genre meist wenig mehr als eine Randerscheinung. Kaum jemand scheint sich Gedanken darüber zu machen, wie Kunst und Kunstmarkt in der Zukunft funktionieren. Diese Lücke füllt jetzt „A.R.T. – Coup zwischen den Sternen“ von Kris Brynn. Mit vielen interessanten Ideen, aber leider keiner ganz überzeugenden Handlung entführt die Autorin uns in den Weltraum, wo ein brisantes Kunstwerk versteigert werden soll – aber so einige Parteien haben es darauf abgesehen …

Ein Security-Team rund um die toughe, aber in ihrer Rolle noch unsichere Savoy Midthunder soll das ganz besondere Kunstwerk „Noli me tangere“ vor Raub und Zerstörung beschützen. Dafür reist die Truppe auf ein Luxus-Raumschiff, auf dem das Objekt der Begierde für eine Menge Geld versteigert werden soll. Schon bald wird klar, dass es sich um ein Werk mit beträchtlichen politischen, religiösen und nicht zuletzt finanziellen Implikationen handelt und nicht nur die stinkreichen Bietenden vor Ort ein Auge darauf geworfen haben. Savoy und ihr Team stolpern von einer gefährlichen Situation in die nächste, während der Countdown bis zur Versteigerung unablässig läuft und unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Interessen ihre Schachzüge planen.

Während die Grundidee von „A.R.T.“ fraglos spannend ist und die Autorin schriftstellerisch einiges auf dem Kasten hat, was sich vor allem in der oft subtil humorvollen Ausdrucksweise niederschlägt, krankt der Roman ein wenig an seinen vielen Schauplätzen. Den vielen an „Noli me tangere“ interessierten Figuren und Parteien wird jeweils recht viel Raum gegeben, während Savoy gleichzeitig als Hauptfigur mit persönlicher Hintergrundgeschichte aufgezogen wird. Dazu kommen noch eine ganze Reihe von nur mäßig mit der Handlung zusammenhängenden Dialogen zu Grundsatzfragen rund um das Thema Kunst, was zwar philosophisch interessant ist und den Hintergrund der Autorin in der Kunstgeschichte zum Ausdruck bringt, aber eben noch zusätzlich um die Aufmerksamkeit der Lesenden buhlt. Kurzum: Es ist zu viel, um sich auf jeden Handlungsstrang und jede Figur wirklich einzulassen, sodass dem Roman ein wenig die klare Linie fehlt.

Trotz dieser Schwächen ist „A.R.T.“ ein durchaus lohnenswertes Buch, das mal ein neues Thema ins Science-Fiction-Genre bringt und anregt, über die Zukunft der Kunst nachzudenken.

Bewertung vom 31.12.2022
Die dunklen Sommer
Beverly-Whittemore, Miranda

Die dunklen Sommer


gut

Hochinteressantes Setting, jedoch eher schleppend erzählt

„Die dunklen Sommer“ von Miranda Beverly-Whittemore als psychologischen Thriller zu bezeichnen, ist nicht ganz passend, denn das Buch bedient sich einer eher langsamen Erzählweise ohne starken Spannungsaufbau. Die Thematik bietet allerdings durchaus Zündstoff: eine Gruppe Kinder und Jugendlicher, die in einer scheinbar harmlosen Kommune nach und nach in eine ungute Richtung abdriften, und ein mysteriöser Sektenführer mit gefährlichen Ideen.

Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen: Zum einen erfahren wir, wie die junge Saskia zusammen mit Ziehvater und -bruder in der Kommune ‚Zuhause‘ landet und sich vom charismatischen Anführer Abraham sofort in seinen Bann ziehen lässt. Zum anderen nimmt der Roman vorweg, dass es mit ‚Zuhause‘ kein gutes Ende nahm, denn Jahre später, als Erwachsene, lebt Saskia zurückgezogen und allein. Sie wird von ihren ehemaligen Freund*innen aus ‚Zuhause‘ aufgesucht und zur Rückkehr dorthin überredet, obwohl sich die Kommune längst aufgelöst hat. Was genau geschehen ist und warum diese Rückkehr notwendig ist, wird nach und nach im Wechsel der Zeitebenen erzählt.

Diese Erzählweise könnte durchaus Spannung aufbauen, denn die Neugier, was damals passiert ist, ist ein stetiger Begleiter während der Lektüre. Allerdings schafft Beverly-Whittemore leider nicht ganz, diese Spannung aufrechtzuerhalten, denn auf dem Weg vom Anfang zur Lösung passiert einfach zu wenig. Auf sehr langsame Weise wird geschildert, wie Saskia nach und nach in ein gefährliches Weltbild abrutscht und wie sich dieses Trauma auf ihre Gegenwart auswirkt. Gefährliche Situationen ereignen sich sowohl in der Vergangenheit als auch im Jetzt, aber ihre Signifikanz im Gesamtgeschehen wird nicht so recht deutlich. Als psychologische Charakterstudie hat der Roman durchaus beeindruckende und bedrückende Momente, als Spannungsroman bleibt er eher hinter den Erwartungen zurück.

Wer sich für die menschliche Psyche, Manipulation und Sekten als Thema interessiert, wird in „Die dunklen Sommer“ sicher auf seine Kosten kommen. Das Buch bietet überaus interessante Einblicke in solche Strukturen und kann auch seine Charaktere überzeugend gestalten. Einzig an Spannung mangelt es dem Roman, sodass sich trotz interessanter Prämisse beim Lesen nicht wirklich ein Sog einstellen will. Das Buch sei also eher Leser*innen empfohlen, die eine langsame Entwicklung schätzen.

Bewertung vom 18.12.2022
Der Mondmann - Blutiges Eis
Haskin, Fynn

Der Mondmann - Blutiges Eis


sehr gut

Eisige Spannung in ungewohntem Setting

Ein Thriller, der in Grönland spielt – das liest man nicht alle Tage! Die harsche Umgebung des ewigen Eises spielt eine tragende Rolle in Fynn Haskins Thriller „Der Mondmann – Blutiges Eis“ und bietet dadurch neben Spannung auch interessante und ungewohnte Einblicke in eine ganz andere Lebenswelt. Kleinere Schwächen kann man diesem spannenden Setting durchaus verzeihen.

Jens Lerby ist ein meist schlecht gelaunter alternder Polizist, der mit seinem Leben weder auf beruflicher noch auf professioneller Ebene so recht zufrieden ist. Dabei weiß er als Ermittler genau, was er tut. Als er vom heimischen Dänemark nach Grönland beordert wird, um einen blutigen Dreifachmord aufzuklären, ist er alles andere als begeistert. Vor Ort stellt er schnell fest, dass unter den Inuit einiges an Aberglauben kursiert und er mit seinen konventionellen Methoden und dem Kopf durch die Wand nicht weiterkommt. Er muss sich anpassen an eine Lebenswelt, in der Tradition auf Moderne prallt: Autoritäten wie der örtliche Schamane werden geschätzt, zugleich sind die Nachwirkungen des Kolonialismus in Form sozialer Probleme und Alkoholismus noch deutlich zu spüren. Lerby beginnt so etwas wie Verantwortung für sein eigenes Land zu übernehmen, als ihn die junge Pally, die ihm bei den Ermittlungen hilft, mit diesen Themen konfrontiert.

Die Aufklärung des Verbrechens erweist sich derweil als geradezu aussichtslos: Die Leichen türmen sich nur so, und die ungnädige Eiswüste rings um die Siedlung verwischt viele Spuren und macht Ausflüge zu Tatorten und das Folgen vielversprechender Hinweise zu einer Todesfalle. Lerby und Pally werden immer wieder mit der Möglichkeit konfrontiert, dass etwas Übernatürliches, ein Dämon der lokalen Legenden, seine Finger im Spiel haben könnte. Dadurch wird eine bedrohliche und teils klaustrophobische Atmosphäre erzeugt, die eine echte Stärke des Romans ist. Zugleich ist das Ermittlungsgeschehen kein echter Spannungsträger, denn es tritt hinter den ausführlichen Schilderungen der Umgebung, Gesprächen mit Einheimischen und manch gefahrvoller Situation im Schnee zurück: Es gibt kaum Verdächtige und wenig Hinweise, sodass die Auflösung zum Schluss eher mit den Schultern zucken lässt – Mitermitteln während dem Lesen ist kaum möglich.

Für Ermittlungswütige nicht ganz das richtige Buch, dafür aber ein unheimlich atmosphärischer Roman, der ordentlich Spannung mitbringt und Einblicke in eine ganz andere Welt bietet. Lesenswert, nicht nur für Winterbegeisterte.

Bewertung vom 30.11.2022
EAST. Welt ohne Seele / Jan Jordi Kazanski Bd.1
Jensen, Jens Henrik

EAST. Welt ohne Seele / Jan Jordi Kazanski Bd.1


schlecht

Leider ein sehr unausgereifter Agententhriller

Vom dänischen Bestseller-Autor Jens Henrik Jensen erwartet man sich Spannung, internationale Verschwörungen und natürlich eine gute Portion persönliches Drama. All das ist in „East – Welt ohne Seele“ zwar angelegt, jedoch wenig überzeugend ausgearbeitet. Der Thriller bleibt entsprechend sehr blass und ohne rechten Sog. Es handelt sich um den zweiten Roman des Autors, der in Dänemark bereits 1997 erschien, und trägt somit vielleicht noch Züge des Ausprobierens, die in späteren Werken verschwunden sind.

Im Zentrum von „East“ steht der CIA-Agent Jan Jordi Kazanski, der nach dem Mord an seiner Familie in ein tiefes Loch gefallen ist und nun in den Dienst zurückbeordert wird. Er soll in Krakau eine mysteriöse Informantin und Unterwelt-Chefin finden. Vor Ort stellt er bald fest, dass er nicht der Einzige ist, der nach ihr sucht – und dass er ins Fadenkreuz von gefährlichen Mächten geraten ist. Er tut sich mit der geheimnisvollen Xenia zusammen, um der Witwe und den geheimen Machenschaften in Krakau auf die Spur zu kommen.

Jan stellt leider das absolute Klischee des von seiner Vergangenheit verfolgten, alkoholabhängigen, aber trotzdem nahezu übermenschlich begabten Agenten dar, der allen anderen immer einen Schritt voraus ist. Xenia bleibt neben ihm eine blasse Figur, die wenig zur Geschichte beiträgt – außer dass sie hübsch ist. Überhaupt tauchen Frauen in „East“ fast nur als femmes fatales und besonders schöne Sexobjekte auf, die sich dem Protagonisten hemmungslos an den Hals werfen, obgleich seine wortkarge Art und sein Alkoholproblem eigentlich nicht unbedingt anziehend wirken. Auch hier werden Klischees bedient, die eigentlich ausgedient haben sollten, seit Sean Connery James Bond gespielt hat.

Neben solchen Klischees hat der Thriller noch zwei weitere Probleme: Einerseits werden Rechercheergebnisse zur politischen Situation in Osteuropa während und kurz nach dem Kalten Krieg, die für die Handlung nur mäßig relevant sind, häufiger als Infoblöcke von Figuren nacherzählt, die eher Geschichtsbuchcharakter haben, als glaubhafte Dialogelemente darstellen. Das wird bisweilen zäh! Zum anderen springt die Perspektive teilweise absatzweise (!) fröhlich hin und her, was das Lesen anstrengend und bisweilen auch verwirrend macht. Man kann sich nie richtig auf eine Perspektive einlassen, sondern muss jederzeit damit rechnen, mal kurz eine Information aus Sicht anderer Figuren eingestreut zu bekommen.

Diese stilistischen Fauxpas, kombiniert mit einer klischeebeladenen und nicht unbedingt mitreißend originellen Geschichte, machen „East“ leider zu einer zähen und unbefriedigenden Lektüre.

Bewertung vom 20.11.2022
Die Pestinsel
Hermanson, Marie

Die Pestinsel


sehr gut

Eine atmosphärische Zeitreise

Marie Hermanson lädt mit ihrem neuesten Kriminalroman auf eine spannende Zeitreise ins Schweden der 1920er-Jahre ein. Dabei gelingt ihr ein ausgesprochen atmosphärischer Roman mit viel Rätselhaftem und Spannenden, jedoch auch einigen kleinen Schwächen.

Ein bizarrer Mord mit starken Ähnlichkeiten zu den überaus erfolgreichen Kriminalromanen eines anonymen Autors setzt Kommissar Nils Gunnarsson auf die Spur von Arnold Hoffman, einem verurteilten Mörder, der seit Jahren auf der Quarantäneinsel Bronsholmen als einziger Gefangener festgehalten wird. Da Nils mit seinen Ermittlungen nicht weiterkommt, schleust sich seine Exfreundin Ellen, eine abenteuerlustige Journalistin, als Küchenhilfe auf der Insel ein und macht bald einige schockierende Entdeckungen …

Die eindrucksvollsten Passagen des Romans spielen sich auf Bronsholmen ab: Die sogenannte (fiktionale) „Pestinsel“ diente während Epidemien als Quarantänestation für Schiffe, bevor sie in den Hafen von Göteborg einlaufen durften. Das Krankenhaus und die Wohngebäude sind mittlerweile dem Verfall anheim gefallen und den Elementen ausgesetzt, und nur noch wenige, isoliert lebende Menschen arbeiten dort, um über Hoffman zu wachen. Ellens Exkursionen auf der Insel und ihren Kontakten zu den Bewohnern wohnt immer etwas Mysteriöses, Bedrohliches inne, sodass man die Passagen geradezu mit angehaltenem Atem liest. Demgegenüber sind Nils’ Ermittlungen auf dem Festland fast uninteressant und leider häufig auch von sehr informativen Passagen geprägt, die wohl die Rechercheergebnisse der Autorin zur Schau stellen sollen, etwa zur Verkehrsregelung der 1920er-Jahre. Das wahre Drama spielt sich jedoch auf Bronsholmen ab und beinhaltet letztlich auch die Lösung des Rätsels, sodass die Ausgangssituation in Gestalt von Nils’ Mordermittlungen vom Beginn des Romans zusehends ins Hintertreffen gerät. Ellen ist eindeutig der heimliche Star dieses Buchs.

Insgesamt ein atmosphärischer und spannender Kriminalroman, bei dem jedoch ein Handlungsstrang dem anderen deutlich überlegen ist.

Bewertung vom 20.11.2022
Das Verschwinden der Linnea Arvidsson
Skybäck, Frida

Das Verschwinden der Linnea Arvidsson


sehr gut

Familiendrama und Krimi in einem

Wer psychologisch tiefgründige und interessante Kriminalromane mit starkem Fokus auf dem Innenleben der Figuren mag, wird „Das Verschwinden der Linnea Arvidsson“ von Frida Skybäck sicher gerne lesen, denn das Buch verbringt mehr Zeit in den Köpfen seiner Charaktere als mit ihren Handlungen.

Lydia sorgt sich um ihren Bruder Dani, der im Zusammenhang mit dem Verschwinden einer jungen Frau, Linnea, polizeilich gesucht wird. Beim Versuch, ihren Bruder und die Wahrheit zu finden und ihn vor der Polizei zu schützen, enthüllt sie eine tragische Kindheit, während der Dani schon früh auf die schiefe Bahn geriet. Seine eigene Perspektive ergänzt die seiner Schwester – er erinnert sich an die Zeit in der Pflegefamilie, das Abdriften in Gangs und Drogenhandel und seine verzweifelten Versuche, wieder ein normales Leben aufzubauen. Über all dem schwebt stets die Frage, was wirklich zwischen ihm und Linnea passiert ist, die erst im dritten Teil aus Linneas Perspektive aufgelöst wird.

Das Besondere an diesem Roman ist die schrittweise Struktur, die zunächst den Blick einer nahe-, aber außenstehenden Person (Lydia) auf die Handlung beschreibt, dann die Perspektive des mutmaßlichen Täters (Dani) und zuletzt die des mutmaßlichen Opfers (Linnea). So dringt man nach und nach durch die Schichten von Trauma und Erinnerungen vor zum Kern der Geschichte und lernt die Figuren und ihre tragischen Lebenswege dabei hautnah und sehr intim kennen. Sehr spannend, wenn man es psychologisch und tiefgehend mag, wer eher auf Action aus ist, ist hier nicht ganz richtig. Der einzige Wermutstropfen ist das Ende, das im Kontrast zum langsamen und intensiven Aufbau des Buchs sehr hastig abgewickelt wird und nicht ganz befriedigend ist.

Trotzdem insgesamt ein sehr intensiver und psychologisch interessanter Spannungsroman, der einen hautnah an die Figuren und ihr Innenleben heranlässt.

Bewertung vom 20.11.2022
Verbrechen sind mein Job
Stahl, Karlotta

Verbrechen sind mein Job


sehr gut

Kurz und knapp, mit interessanten Einblicken

Für Krimi-Fans ist Karlotta Stahls Erfahrungsbericht „Verbrechen sind mein Job. Eine junge Staatsanwältin ermittelt“ ein gefundenes Fressen, denn hier wird authentisch und hautnah, dabei aber gut verständlich geschildert, wie Ermittlungen bei einer Straftat wirklich ablaufen – ein Geheimnis, das viele Krimis ja unter einer ordentlichen Portion Halbwissen verstecken. Das einzige Manko dieser hochinteressanten Darstellung ist die Kürze des Buchs.

Auf sehr persönliche und nahbare Weise schildert Staatsanwältin Karlotta Stahl ihren Weg in den Beruf, ihren Berufsalltag und die vielen Schwierigkeiten und Hürden, die es im Alltag zu überwinden gilt. Dabei gibt sie zugleich Einblicke in die polizeiliche Ermittlungsarbeit und den Ablauf im Justizapparat. Untermalt wird dies von ausführlich geschilderten Beispielfällen (natürlich verfremdet, aber authentisch nacherzählt) und Erläuterungen zur Rechtslage. Dabei wird der Tonfall nie dröge und die Erläuterungen nie allzu komplex, sodass man ihr gut folgen kann und am Ende wirklich das Gefühl hat, etwas gelernt zu haben.

„Verbrechen sind mein Job“ richtet sich sicher hauptsächlich an Krimi-Fans, die ihr literarisches Halbwissen überprüfen wollen. Und das schafft das Sachbuch wirklich ganz hervorragend! Auch die gewählten Fälle sind ganz gewiss aufgrund ihres Unterhaltungsfaktors ausgewählt, denn manch einer mutet geradezu absurd komisch an. Aufgrund seiner extremen Kürze (nur gut 200 Seiten bei großzügigem Druck) geht das Buch aber leider nirgends so richtig in die Tiefe. Wer also intensive Einblicke in das Berufsbild einer Staatsanwältin sucht, kommt hier nicht auf seine Kosten. Für einen unterhaltsamen kurzen Blick und die Möglichkeit, beim gemeinsamen Tatort-Gucken mit Insider-Wissen zu glänzen, eignet sich das Büchlein jedoch hervorragend.

Insgesamt ein Sachbuch, das sicher vor allem Krimi-Fans begeistern und unterhalten wird. Aufgrund seines lockeren und leichten Sprachstils mit vielen unterhaltsamen Fallbeispielen sowie der Kürze gut zum Schmökern zwischendurch geeignet.