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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 1971 Bewertungen
Bewertung vom 25.09.2024
Trauer ist das Glück, geliebt zu haben
Adichie, Chimamanda Ngozi

Trauer ist das Glück, geliebt zu haben


sehr gut

Notizen zur Trauer

Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie ist eine äußerst interessante Autorin, die auf hohen Niveau schreibt. Berühmt ihr Roman Americanah.
In diesem 80 Seiten umfassenden Essay schreibt sie vom Tod ihres Vaters in Nigeria, während sie in den USA lebt. Und da es die Zeit des Lockdowns ist, kann sie nicht zu ihm.
In 30 kurzen Kapiteln erzählt sich auch das Leben ihres Vaters. Ein bemerkenswerter Mann.
So gesehen ist wohl dieser Text ihre Art des Abschiednehmens.

Bewertung vom 22.09.2024
Nur nachts ist es hell
Taschler, Judith W.

Nur nachts ist es hell


ausgezeichnet

konzentrierter Text, leicht überfrachtet

Die Österreichische Schriftstellerin Judith W.Taschler hat mit Nur Nachts ist es hell ein sehr konzentriertes Buch geschrieben. 1973 erzählt eine Frau ihr Leben. Überwiegend spielt es in Wien. Elizabeth wächst in Mühlviertel auf, heiratet dann Georg, der im ersten Weltkrieg einen Arm verlor und wurde nachdem sie zunächst Krankenschwester war Ärztin.
Nach fühlt sie sich ihren Bruder Eugen, der in die USA ausgewandert war, dann aber zurückkehrte.
Elizabeths Erzählung springt gelegentlich. Es gibt jedenfalls viele Fakten und Details, die man als Leser erst einmal verarbeiten muss. Ehrlich gesagt, halte ich das Buch für überfrachtet. Doch man ist durch Taschlers Erzählart auch so tief in die Handlung reingezogen, dass sich allmählich ein Gesamtbild ergibt.
Da Elizabeth alleinige Erzählerin ist, bleibt man nah an ihr dran.
Einzige Ausnahme sind die geschickt von der Autorin eingebundenen Briefe von Eugen, in der er seine Zeit in Boston berichtet.

Bewertung vom 21.09.2024
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


sehr gut

Glühend heißer Boden

Juli, August, September heißt der neue Roman der Schriftstellerin Olga Grjasnowa , die durch „Der Russe ist einer der Birken liebt“ so bekannt wurde. Das neue Buch hat vergleichbare sprachliche Qualitäten, unterscheidet sich aber durch die Protagonistin Lou, die Ende 30 ist, ein Kind hat und mit einem Konzertpianisten verheiratet ist. Sie hat russisch-Aserbaidschanische Wurzeln, definiert sich aber inzwischen als Deutsche. Auch ihre jüdische Identität beschäftigt sie. Neben der Frage der Identität ist auch eine Beschreibung des Zustands, in der sie sich im Jahr 2023 befindet. Ihre Ehe ist leicht erkaltet, ihre berufliche Situation liegt auf Eis und ihr Plan, ein Buch zu schreiben stockt ebenfalls.

Das Buch hat anfangs wenig Handlung. In der zweiten Buchhälfte wird ein historischer Kontext hinzugefügt, den ich nicht ganz so zwingend fand.
Das Buch ist aber keineswegs schwach. Dazu hat es zu viele gut Passagen.

Bewertung vom 21.09.2024
Die vorletzte Frau
Oskamp, Katja

Die vorletzte Frau


ausgezeichnet

Eine Beziehung

Katja Oskamp, die mit Marzahn, mon amour schon so sehr überzeugte, schreibt ein weiteres mal über ihr eigens Leben. Im Mittelpunkt steht die langjährige Beziehung einer Frau und einem Mann, dem Schweizer Tosch.
Obwohl die Beziehung sehr eng ist, leben sie nicht zusammen. Tosch hält auf Distanz, denn er ist ein erfolgreicher Schriftsteller und das Schreiben ist ihm das wichtigste.
Die Erzählerin ist auch Schriftstellerin, wenn auch weniger bekannt. Sie hat mit Paula eine Tochter.
Die Passagen mit den dreien zusammen sind fast anrührend.
Später bekommt Tosch Krebs, aber sie hält zu ihm, pflegt ihn. Dennoch weiß man schon früh, dass die Trennung noch folgen wird.

Die Art der Beziehung ist interessant dargestellt. Teilweise ist sie ungleich, manchmal fast toxisch, dann gibt es aber auch Momente von Zuneigung und Verbundenheit.
Es gibt viele Kapitel, manche sind kurz. Auffällig ist, dass die Autorin einen ganz eigenständigen Ton gefunden hat. Dazu gehört auch ein leicht spöttischer Humor, dem es auch nicht an Selbstironie mangelt.

Bewertung vom 18.09.2024
Die Schlangen werden dich holen
Malfatto, Emilienne

Die Schlangen werden dich holen


sehr gut

Erzählerische Reportage

Die Schlangen werden dich holen. - Eine literarische Reportage aus Kolumbien.
Den Untertitel kann man Ernst nehmen. Es ist kein Roman, aber mehr als Reportage, denn es ist erzählend aufgebaut.
Die Autorin recherchiert in Kolumbien über eine Frau, die Aktivistin war und ermordet wurde. Es ist die Zeit als das Paramilitär und die linksgerichtete Guerilla-Organisation FARC sich bekämpften und die Bevölkerung darunter leiden musste. 2019 wurde Maritza ermordet.
Emilienne bereist die Gegend, trifft Maritzas Familie und Täter aus beiden Lagern.
Der Text ist so erzählt, dass die Autorin die verstorbene immer wieder anspricht. Das fand ich zu penetrant, es hat mich leicht gestört. Auch war mir manche Passagen zu wenig konkret. Vielleicht hätte etwas mehr Reportage dem Buch doch gut getan. Davon abgesehen, gab es schon einiges an Informationen über ein Land, das uns deutschen Lesen überwiegend wenig bekannt sein dürfte. Man muss hoffen, dass sich die Lage für die Menschen und die Menschenrechte durch die neue Regierung langfristig verbessern wird. Aber das bleibt abzuwarten.

Bewertung vom 18.09.2024
Die Steppe
Wassjakina, Oxana

Die Steppe


sehr gut

Ein Vaterbuch

Das Buch ist so aufgebaut, dass die Icherzählerin einem ihre Geschichte erzählt, beziehungsweise auch die ihres Vaters. Ein Fernfahrer, ein rauer Typ, früher drogensüchtig und gewalttätig.
Zentral ist eine gemeinsame Fahrt der erwachsenen Tochter mit ihrem Vater in dessen LKW, begleitet von ihrer Freundin. Dazu gehören dann auch viele Erinnerungen.
Der Weg führt durch die Steppe, ein unwirtlicher, aber atmosphärischer Ort. Für den Vater war es sein Zuhause.
Auch über den Tod des aidskranken Vaters schreibt Oxana Wassjakina.
Viele Beschreibungen sind detailliert und intensiv. Oxana Wassjakina ist eine Autorin, die wirklich gut formulieren kann und über eine reiche Sprache verfügt.

Bewertung vom 18.09.2024
Das Lied eines Mörders
Calaciura, Giosuè

Das Lied eines Mörders


gut

Wir waren nichts mehr
Der in Palermo geborene Schriftsteller und Journalist Giosuè Calaciura hatte 1998 seine Debütroman geschrieben, der jetzt wieder veröffentlicht wurde.
Das Lied eines Mörders ist ein Roman, der sehr von seiner Erzählform geprägt ist. Es ist ein Monolog, der sich an einen Richter richtet. Immer wieder beginnt es mit „Wir waren nichts mehr, Signor giudice“. Mal ist auch euer Ehren angefügt. Giudice heißt auf Deutsch Richter.
Es ist eine bittere Litanei, vielleicht auch eine Beichte, aber von Reue ist nichts zu spüren.
Der Text hat bei aller Überzogenheit eine gewisse Poetik. Da die Sprache den Roman ausmacht würde ich auch nicht direkt von einem Thriller sprechen.
Im Nachwort berichtet der Autor Giosuè Calaciura von einem bedrohlichen Vorfall, der ihn zu diesem Text brachte.

Bewertung vom 18.09.2024
Herzlandschaft
Ziegler, Juliane

Herzlandschaft


sehr gut

Das Rom der Marie Louise Kaschnitz

Dieses bei Ebersbach & Simon erschienene Buch bietet gleich zwei Vorzüge. Zum einen erzählt es über Marie Louise Kaschnitz Leben, von dem ich bisher kaum etwas gelesen habe. Zum anderen zeigt es Rom!
Es sind anfangs die dreissiger Jahre. Kaschnitz war 32 Jahre alt und veröffentlichte erste Texte.
Das Buch beinhaltet Fotos, z.B. auch einen Brief von Thomas Mann an Maire Louise Kaschnitz und eins von Ingeborg Bachmann, mit der Kaschnitz bekannt und befreundet war.
Es sind dann die fünfziger Jahre die sie in Rom verbringt und literarisch produktiv ist.
1955 erhält sie den Georg Büchner-Preis.
Auch das Werk wird in Herzlandschaft erwähnt. Einiges ist von Rom beeinflusst. Vor allen aber vermittelt das Buch ein Lebensgefühl.

Bewertung vom 18.09.2024
Allianz der Heimatlosen
Strohmeyr, Armin

Allianz der Heimatlosen


sehr gut

Schweizerkind

Allianz der Heimatlosen ist ein ansprechendes, gut gemachtes Buch.
Über Erika und Klaus Mann wurde bereits sehr viel geschrieben. Deswegen ist die heute fast vergessene Annemarie Schwarzenbach die interessante Figur des Buches. Sie war eine Schweizer Schriftstellerin.
Sie war mit Klaus und Erika befreundet und ebenso queer wie diese beiden.
In Erika war sie verliebt, nannte sie älterer Bruder.
Leider starb Annemarie Schwarzenbsch durch Unfall jung. Ihr Briefwechsel mit den Manns wurde grösstenteils verbrannt, darunter auch Briefe von Thomas Mann. Das ist sehr bedauerlich. Umso verdienstvoller vom Autor Armin Strohmeyer hier nun doch ein Bild von ihr zu schaffen.
Das Buch bildet Annemarie als sensible Person zwischen den sehr selbstbewussten "Mann-Twins" ab.

Mich hat das Buch animiert, einen Roman von Annemarie Schwarzenbach zu bestellen.

Einige eindrucksvolle schwarzweiss-Fotos ergänzen das Buch.

Bewertung vom 17.09.2024
Woher wir kamen
Schweikert, Ulrike

Woher wir kamen


ausgezeichnet

Ein packender Roman, in dem man als Leser eintauchen kann

Ulrike Schweikert ist eine Autorin, die schon lange großartige Romane schreibt und sie hat auch heute ihren Drive noch nicht verloren.
Man kommt schnell nahe an die Hauptfigur Jane heran.
Wie der Klappentext schon verrät, ist die die Tochter eines schwarzen US Marines und einer weißen Krankenschwester mit deutschen Wurzeln. Das ist wichtig zu wissen, denn es geht Jane auch um ihre Wurzeln.
Anfangs des Romans fühlt sie sich sehr verloren, da gerade ihr Vater gestorben ist. Auch ihre Mutter und ihr Bruder sind schon tot.
Neben den Schauplätzen New York und Cape Cod 2007 geht es zurück bis ins Jahr 1912, in dem die Geschichte ihrer Großeltern Emmy und Benno als Jugendliche beginnt. Deren spannende Lebensgeschichte wird erzählt.
Auch Janes eigene Geschichte eigene Geschichte wird gezeigt. Ihre Mutter starb früh, der Vater ist distanziert. Sie ging zur Navy und später als Sanitäterin sogar bis in den Irak.
Das in den Zeiten gesprungen wird, funktioniert gut. Hier spürt man die Erfahrenheit der Autorin, alles greift gut ineinander.
Bemerkenswert auch, dass alle Handlungsstränge auf ungefähr gleichen, hohen Niveau ist. Kein Teil fällt gegenüber den anderen ab.

Es sind 3 prall gefüllte Leben und dadurch wird auch der Roman erfreulich abwechslungsreich!
Als Leser ist man kontinuierlich vom packenden Text gefangen.