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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Anne
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 42 Bewertungen
Bewertung vom 10.08.2020
Paradise City
Beck, Zoë

Paradise City


ausgezeichnet

Zoë Beck erzählt beinahe filmisch – die Geschichte fließt so leicht, dass man unversehens hineingezogen wird. Der Thriller baut geschickt Spannung auf, ohne blutrünstig zu sein. Zu Beginn steigt der Spannungsbogen subtil an, als die Rechercheurin Liina, die undercover für eine der letzten nicht-staatlichen Nachrichtenagenturen arbeitet, für eine scheinbar sinnlose Recherche in die Uckermark geschickt wird. Natürlich hängt am Ende alles zusammen – der Recherchetrip, Liinas Erinnerungen an ihre Jugend, der dramatische Fall, an dem ihr Chef und Liebhaber dran ist. Die Autorin verwebt die einzelnen Handlungsstränge geschickt zu einem komplexen Bild einer erschreckenden Zukunft.

Dafür hat sie eine dystopische Welt erschaffen, die den perfekten Background für diesen Thriller abgibt. Nach mehreren Pandemien (ja, irgendwie hat man schnell das Gefühl, dass die Handlung nicht komplett unrealistisch ist...) ist FFM zur 10-Millionen-Metropole und deutschen Hauptstadt angewachsen. Der Meeresspiegel steigt. Außerhalb der großen Städte, im Hinterland, leben die "Parallelen": Menschen mit Depressionen oder Behinderungen zum Beispiel – alle, die nicht in eine scheinbar perfekte Gesellschaft passen. Wer bestimmt, wer gut genug für das Stadtleben ist? Es ist ein grusliges Szenario, dessen ganzer Schrecken sich erst nach und nach offenbart.

Die modernen Errungenschaften der Zukunft, die das Leben verbessern sollen, scheinen den Menschen zunächst hauptsächlich Vorteile zu bringen (Schließlich ist nichts perfekt, stimmt's?), aber mit der Zeit zeigt sich, wie gefährlich und grausam Technik gegen den Menschen verwendet werden kann. Das krasseste Beispiel ist hier das Gesundheitssystem KOS, das die Menschen kontrolliert, bei Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes sofort Tipps gibt (Ruhepause einlegen) oder an die Einnahme von Medikamenten erinnert. Doch es hat nicht nur Vorteile. Es überwacht die Menschen komplett. Wie anfällig das System für Manipulation ist, kann man sich zwar denken, es wirkt jedoch extrem erschreckend, wie sich diese Gefahr in der Geschichte entfaltet.

Die Charaktere sind sehr unterschiedlich und ergänzen sich dadurch sehr gut. Allen voran hat mich die Protagonistin Liina fasziniert, die gerne vor ihren Problemen wegläuft und schon mal das Land verlässt, aber für die (wenigen) Menschen, die ihr wichtig sind, kein Risiko scheut.

"Paradies City" ist ein mitreißender und erschreckender Thriller.

Bewertung vom 18.05.2020
Milchmann
Burns, Anna

Milchmann


sehr gut

„Milchmann“ ist ein anregendes und aufregendes Werk! Man spürt beim Lesen förmlich die Gedanken im Kopf der 18-jährigen Ich-Erzählerin hin- und herspringen, fühlt ihre Ängste, Zweifel, ihre Zerrissenheit und ihre Sorgen. Das erreicht Anna Burns durch den Gedankenstrom und ihre fast atemlose Erzählweise, bei der ein Gedanke wie selbstverständlich in den anderen übergeht – so als würden wir wirklich den ungefiltert festgehaltenen Gedanken der Protagonistin folgen.
Eine weitere Besonderheit: Keine der handelnden Personen wird bei ihrem Namen genannt. Alle werden nur mit ihrem Job bzw. ihrem Familienverhältnis zur Protagonistin bezeichnet. Das ist am Anfang etwas verwirrend, z.B. bei den drei Schwagern, entpuppt sich jedoch als eindrucksvolles Stilmittel. Dadurch macht die Autorin auf clevere Weise deutlich, wie starr die Rollenverteilung gerade in dieser ländlichen, nordirischen Gegend ist, wie die Menschen nur durch ihre Arbeit und ihre Rolle in der Familie charakterisiert werden, wie diese Rollen die Erwartungen formen, wie daraus Gerüchte entstehen und wie die Menschen dadurch in ihren Rollen gefangen sind. Das Ergebnis ist ein herausragendes Buch, das streckenweise herausfordernd zu lesen ist, bei dem es sich aber lohnt durchzuhalten.

Bewertung vom 23.04.2020
Marianengraben
Schreiber, Jasmin

Marianengraben


ausgezeichnet

In einer ausdrucksstarken, bildreichen Sprache erzählt Jasmin Schreiber die Geschichte von Paula, deren Leben zwei Jahre nach dem tragischen Unfalltod ihres Bruders immer noch stillsteht. Durch eine verrückte Zufallsbegegnung nachts auf dem Friedhof trifft sie den kauzigen Herbert und unternimmt schließlich mit ihm und diversen Haustieren einen Roadtrip, bei dem sie sich ihren Gefühlen stellen muss.
Das Buch zeichnet sich durch seinen sensiblen Umgang mit Depressionen, Trauer und Schuld aus, ohne dabei selbstmitleidig-kitschig zu werden. Neben den traurigen, bewegenden Szenen gibt es immer wieder skurrile Schmunzelmomente, sodass die Geschichte eine wirkliche Achterbahn der Gefühle auslöst. Sehr berührend und überraschend lebensbejahend!

Bewertung vom 03.02.2020
Die Zeit des Lichts
Scharer, Whitney

Die Zeit des Lichts


weniger gut

Der Roman hat viel versprochen, aber für meinen Geschmack leider wenig davon gehalten. Lee Miller, US-amerikanisches Ex-Modell, will im Paris der 1930er Jahre Fotografin werden und gerät als Kriegsreporterin in die Wirren des 2. Weltkriegs, wo sie u.a. die Befreiung von zwei Konzentrationslagern dokumentierte. Was für ein Schicksal!
Statt einen fesselnden Roman über eine ungewöhnliche Frau vorzulegen, fokussiert sich die Autorin in großen Teilen auf die Beziehung zwischen Lee und dem Fotografen Man Ray, der in Paris ihr Mentor und Liebhaber wird. Trotz der relativ vielen Liebes- und Sex-Szenen bleibt die Beziehung für mich merkwürdig unemotional. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier in erster Linie keinen Liebesroman erwartet habe. Die Beziehung ist für mich so ziemlich der uninteressanteste Teil ihres Lebens. Die schockierenden und faszinierenden Episoden als Kriegsreporterin, die Millers Leben so außergewöhnlich machen, kommen im Vergleich dazu viel zu kurz. Teilweise sind sie nur ganz kurze Zwischeneinblendungen zwischen irgendwelchen banalen Beziehungsszenen. Streckenweise wird mir auch einfach zu viel berichtet und zusammengefasst, z.B. wie Lee überhaupt Kriegsreporterin wird. Da fehlt mir das künstlerisch Erzählende, schließlich handelt es sich hier um einen Roman und keine nüchterne Biografie. Ich hätte einen Fokus auf diese Szenen bevorzugt. Durch die langgezogenen Liebesszenen hat sich das Buch für mich streckenweise leider sehr zäh gelesen.

Bewertung vom 29.12.2019
Wann wird diese Hölle enden?
Berg, Mary

Wann wird diese Hölle enden?


ausgezeichnet

Neuaufgelegt hat der Orell Füssli Verlag das Tagebuch von Mary Berg - eigentlich Miriam Wattenberg; ihre Erlebnisse erschienen nach ihrer erfolgreichen Flucht in die USA unter Pseudonym, um noch in Polen lebende Verwandte zu schützen. Nun hat man schon so viel über den Holocaust gelesen und gehört, trotzdem sind die Details immer wieder schockierend und unvorstellbar. Mary Berg berichtet teils emotional, aber oft erschreckend knapp und beinahe distanziert über ihre grausamen Erlebnisse von der Flucht aus ihrer Heimatstadt Łódź und dem Leben im Warschauer Ghetto. Nur die amerikanische Staatsbürgerschaft von Marys Mutter rettet die Familie letztendlich vor dem Tansport nach Treblinka. Sie können nach einer langen Haft nin die USA ausreisen, trotzdem lassen sie die schrecklichen Jahre im Ghetto - verständlicherweise - nicht los.
Im Laufe des Tagebuchs berichtet Mary auch immer wieder darüber, welche Gerüchte über die Vernichtung der Juden im Umlauf sind. Hier wird schnell klar, dass es kein Geheimnis war, was in den Konzentrationslagern vorging. Zwar ist allen das tatsächliche grausame Ausmaß des Holocausts nicht bewusst gewesen, aber dass Juden im großen Stil ermordet worden sind, war der Bevölkerung bereits während des Zweiten Weltkriegs bekannt. Unabsichtlich legt Mary hier dar, dass all die Deutschen, die hinterher angeblich von nichts gewusst haben wollten, nicht die Wahrheit sagen können.

Es ist mittlerweile leider eine Floskel, aber dieses Buch ist so wichtig und aktuell. Wahrscheinlich werden es die, die es am dringendsten lesen sollten, nicht zur Hand nehmen. Trotzdem ist es gut, dass Mary Bergs Tagebuch neuaufgelegt wurde und uns mahnt.

Ein Vorwort sowie ein Quellenverzeichnis runden das Buch ab. Ich hätte mir nur gewünscht, dass die Anmerkungen in Fußnoten direkt auf der entsprechenden Seite gestanden hätten statt gesammelt am Ende des Buchs. Ansonsten ist das Tagebuch uneingeschränkt zu empfehlen!

Bewertung vom 29.12.2019
WW - Genial saisonal!
WW

WW - Genial saisonal!


sehr gut

Mit saisonal wachsende Zutaten zu kochen, zählt zu den wichtigsten aktuellen Trends in einer nachhaltig geprägten Küche, daher passt das Buch gut zum Zeitgeist. Unterteilt in die vier Jahrszeiten, werden hier die verschiedensten Gerichte von Salaten und Suppen bis Hauptspeisen und Deserts präsentiert. Bis auf wenige Ausnahmen werden außerdem bei allen Rezepten gängige Zutaten verwendet, die man in jedem Supermarkt bekommt. Auch wenn mich nicht alles anspricht, habe ich doch einige Rezepte gefunden, die ich noch ausprobieren möchte. Zwei Rezepte habe ich bereits ausprobiert - die Anweisungen waren leicht verständlich und ließen sich gut folgen.
Das Kochbuch ist mit seinem übersichtlichen Design und den großen, ansprechenden Fotos auch optisch schön. Ich folge dem WW-Programm nicht, deswegen sind die Infos zu den verschiedenen Programmen und Punkten für mich nicht relevant. Die Rezepte kann man natürlich trotzdem problemlos nachkochen.

Bewertung vom 19.11.2019
Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse
Skybäck, Frida

Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse


gut

Eine wirklich charmante Geschichte über einen privaten und beruflichen Neuanfang. Die Autorin erzählt leicht und mit Herz. Das Ende ist relativ leicht absehbar, aber hier ist eher der Weg das Ziel und das Ende der Geschichte für mein Empfinden nicht so wichtig wie die persönliche Entwicklung von Charlotte. Lediglich der letzte Konflikt zwischen Charlotte und William erscheint mir stark konstruiert und irgendwie übertrieben seifenopernmäßig, um noch ein bisschen Drama und eine Wendung vor Ende einzubinden. Generell hätte das Buch von mir aus ~100 Seiten kürzer sein können, denn einige Stellen waren etwas langatmig und gerade Charlottes Zweifel wiederholten sich immer wieder, ohne wirklich jedes Mal etwas Neues zur Geschichte hinzuzufügen und die Handlung voranzutreiben. Im Großen und Ganzen aber eine schöne Geschichte mit Wohlfühl-Charme.

Bewertung vom 02.11.2019
Ein anderer Takt
Kelley, William Melvin

Ein anderer Takt


sehr gut

Zu Beginn habe ich die Sprache dieses ursprünglich 1962 erschienen Romans als etwas altbacken empfunden und habe eine Weile gebraucht, um mich einzulesen. Dann hat „Ein anderer Takt“ aber eine ziemliche Sogkraft entwickelt. Der schwarze Autor William Melvin Kelley wagt ein spannendes Gedankenexperiment: Wie reagieren die Weißen, wenn plötzlich alle Schwarzen einen fiktiven Bundesstaat im Süden der USA Richtung Norden verlassen? Dabei treten die Abgründe der Rassentrennung und des Rassismus anschaulich hervor, denn Kelley schreibt hauptsächlich aus der Perspektive der Weißen – sie beobachten den plötzlichen Aufbruch und versuchen ihn einzuordnen. Beeindruckend, dass es sich hier um Kelleys Debutroman handelt. Er hat trotz seines Alters leider nichts an Aktualität eingebüßt.
Ein Vorwort einer Buchkritikerin und ein Nachwort der Tochter des Autors ordnen den relativ kurzen Roman sowie Kelleys gesamtes schriftstellerisches Schaffen ein.

Bewertung vom 03.10.2019
Nenne drei Streichinstrumente: Geige, Bratsche, Limoncello
Greiner, Lena;Padtberg-Kruse, Carola

Nenne drei Streichinstrumente: Geige, Bratsche, Limoncello


sehr gut

Kurzweilig und unterhaltsam, wenn auch nicht tiefschürfend. Ich habe das Buch hauptsächlich früh in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit gelesen, als ich noch nicht vollkommen wach war, und da hat es mich gut unterhalten. Die beiden Autorinnen haben hier zum dritten Mal skurrile und lustige Antworten von Schülern zusammengetragen, die ihre Lehrer an Spiegel Online geschickt hatten. Sie sind thematisch nach Fächern sortiert, wobei die Autorinnen zwischen den einzelnen – stets sehr kurzen – Schülerantworten kurze Verbindungstexte geschrieben haben. Die haben meistens für einen guten Lesefluss gesorgt und manchmal ein bisschen Wissen vermittelt, waren manchmal aber auch etwas inhaltsleer. Eine reine Aneinanderreihung der Zitate wäre allerdings ermüdend gewesen. Angereichert wird das Buch zudem mit kleinen Karikaturen sowie am Ende mit der Revanche der Schüler, denn hier wurde bizarres Lehrerverhalten gesammelt. Für mich kein Buch, das ich am Stück durchlesen würde, aber super für zwischendurch.

Bewertung vom 02.10.2019
ATME!
Merchant, Judith

ATME!


gut

Der Titel verspricht ein bisschen viel, denn so richtig atemlos hat mich die Geschichte nicht zurückgelassen. Sie ist jedoch zum Großteil durchaus spannend geschrieben und besitzt einige überraschende und einige weniger überraschende Wendungen.
Nile beschreibt ihre Beziehung mit Ben als hollywoodreifes Glück, das vor Kitsch nur so trieft. Dass ihre Darstellung nicht so ganz stimmen kann, wird schnell klar. Das Paar ist von Freunden und Familie komplett isoliert; Nile redet ihre Ausbrüche klein, sieht sich immer in der Opferperspektive und hasst es, die Kontrolle über eine Situation zu verlieren. Dieser Widerspruch aus Selbst- und Fremdwahrnehmung sorgt für eine fesselnde Protagonistin, bei der man nicht immer weiß, was real ist und was nicht. Die Autorin zeichnet vor allem Niles irre Gedankenwelt sehr plastisch und zeigt, wie sich die Ich-Erzählerin immer wieder selbst davon überzeugt, dass sie im Recht ist. Leider etwas chaotisches und für mich enttäuschendes Ende.