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Moe

Bewertungen

Insgesamt 42 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2017
Palast der Finsternis
Bachmann, Stefan

Palast der Finsternis


sehr gut

„Palast der Finsternis“ ist ein Spannungsroman mit fantastischen Elementen des deutsch-amerikanischen Autors Stefan Bachmann. Es handelt sich um das zweite Werk dieses Künstlers. Mit „Die Seltsamen“ landete Bachmann bereits einen Hit.

Worum geht es in „Palast der Finsternis“?

Die Geschichte entblättert sich in zwei Handlungssträngen. Ein Handlungsstrang spielt zur französischen Revolution, der andere in der Gegenwart.
Wir begleiten die Kunststudentin Anouk und eine Gruppe anderer scheinbar zufällig ausgewählter Jugendliche bei einer Expedition nach Frankreich. Dort soll ein Adelhaus einen unterirdischen Palast gebaut haben, in dem sich die Familie vor Revolutionären und somit ihrem sicheren Tod schützte. Die Jugendlichen erhalten das Privileg diesen Palast zu erforschen, doch aus diesem Privileg entwickelt sich mit der Zeit ein Himmelfahrtskommando. Denn nicht nur die Betreiber der Expedition verhalten sich sehr fadenscheinig, auch im Inneren lauert etwas auf die Jugendlichen…

Ich nahm das Buch zur Hand, einfach um mal reinzuschnuppern. Garnicht mit der Absicht, es sofort zu beginnen, denn es wartete noch ein anderes Buch darauf von mir beendet zu werden.
Doch als ich auf den ersten Seiten Amélie (die der Gegenpart zu unserer Protagonistin Anouk ist) bei ihrer Flucht vor dem Tod in den unterirdischen Palast begleitete, gelang es mir nicht mehr, das Buch bei Seite zu legen. Als ich ein kurzes Päuschen einlegte, war ich, wie durch ein Wunder, auf Seite 100 angelangt. Ohne es zu merken, hatte ich bereits ein Viertel der Geschichte inhaliert.
Der Autor schreibt ziemlich rasant, aber keinesfalls plump. Er schafft eine mystische und dunkle Atmosphäre, die der perfekte Begleiter für einen stürmischen Herbstabend ist!

Zudem empfand ich unsere Protagonistin als sehr spannend und erfrischend. Sie ist, wie sie selbst sagt, „sozial inkompatibel“. Und zwar auf die zynisch-sarkastische Art und Weise, die für sehr viele Schmunzelmomente sorgt. Gleichzeitig ist Anouk aber eine tragische Figur, ihr pessimistischer Charakter enthüllt mit der Zeit eine zutiefst gekränkte junge Frau, die sich nach denselben Dingen sehnt, wie vermutlich jeder Mensch. Sie ist ein liebenswerter Kotzbrocken mit Entwicklungspotential.
Insgesamt kann ich sagen, dass mich das Buch wahnsinnig gut unterhalten konnte und in mir genau diese gruselig mystische Stimmung hervorrief, die ich an verregneten Abenden liebe.
Die Auflösung jedoch war, gemessen am gesamten Roman, für mich ziemlich schwach und unglaubwürdig. Doch da mir der Weg dorthin so viel Freude bereitete, werde ich das Buch in guter Erinnerung behalten und empfehle es gerne weiter.

Bewertung vom 10.09.2017
Underground Railroad
Whitehead, Colson

Underground Railroad


gut

„Geraubte Körper bearbeiteten geraubtes Land. Es war eine Maschine, die niemals stillstand, ihr gieriger Kessel wurde mit Blut beschickt.” (S. 138)

„Underground Railroad“ ist eines dieser Bücher, das im Vorfeld bereits stark beworben wurde, das es einem fast unmöglich macht, es zu übersehen. Und manchmal drängen sich diese Bücher derart auf, dass man es nicht schafft, sie weiterhin zu ignorieren. Wenn dann die Thematik sowieso dazu auserkoren ist, gelesen zu werden, ist es meist um mich geschehen. Genau so war es hier. Die Themen Rassismus, Sklaverei, Unterdrückung, Befreiung waren schon immer für mich ein Grund, zu Büchern zu greifen, die diese behandeln.
Herzensangelegenheiten irgendwie.
Und da ich über die Underground Railroad nicht viel wusste, war das Buch für mich Pflichtlektüre
Warum mich trotz allem das hier besprochene Werk nicht so stark berührte, wie erhofft, werde ich versuchen darzulegen.

Worum geht’s überhaupt?

Dies ist die Geschichte von Cora, einer von der Mutter verlassenen Sklavin, die sich nicht mit ihren Umständen arrangieren möchte. Gemeinsam mit einem anderen Gefangenen begibt sie sich auf die Flucht. Ein Akt der nur funktionieren kann, wenn mehrere Instanzen zusammen arbeiten, wenn Menschen ihr Leben riskieren, um dieser Unmenschlichkeit die Stirn zu bieten.
Eine dieser Instanzen ist die Underground Railroad, eine unterirdische Eisenbahn, die Sklaven aus den Südstaaten in den Norden schmuggelt. Auf ihrer Reise muss Cora lernen, dass Freiheit ein sehr teuer erkauftes Gut ist zu einer Zeit, in der Menschen wie Objekte herumgereicht werden.

Zuallererst einmal; das Buch ist nicht schlecht. Der Autor hat weder einen plumpen oder zu verschachtelten Sprachstil, er beschreibt teilweise sehr bedeutsame Szenen und bot mir teilweise neue Erkenntnisse.
Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Szene, in der ein dunkelhäutiger Junge, der vor dem Gesetz als frei gilt und freiwillig für einen Sklavenfänger arbeitet, sich vor dem Schlafen selbst an die Kutsche fesselt. „Er sagt, nur so kann er schlafen.“ (S. 233)
Eine Szene, die sehr viel Aussagekraft hat und mich erschaudern ließ.
Trotzdem, für mich ist es einfach nicht DAS Buch, für das es gehalten wird. Ich habe mich oft sehr intensiv mit Romanen beschäftigt, die um diese Schreckenszeit der amerikanischen Geschichte kreisen. Und Underground Railroad gehört für mich persönlich nicht zu den bedeutsamsten.

Das Buch ließ mich im Großen und Ganzen tatsächlich seltsam unberührt. Einzelne Szenen hatten zwar das Potential, mir die Schuhe auszuziehen, aber das kann ich nicht von dem Gesamtpaket behaupten. Über längere Stecken empfand ich die Geschichte als zäh und dröge, und das bei einer Seitenzahl von ca. 350 Seiten.
Zudem erschien mir die Protagonistin seltsam fern, tatsächlich wusste ich einen Tag nach Beenden des Buches nicht einmal mehr ihren Namen. Was ich von der Handlung insgesamt auch sagen kann. Im Gedächtnis bleiben wird sie mir nicht.
Die Underground Railroad war außerdem nicht Hauptgegenstand des Romans. Durch externe Recherchen bekam ich dann das Wissen, das die Geschichte leider nicht vermitteln konnte.
Abschließend muss ich sagen, dass der Autor es nicht geschafft hat, mich zu fesseln, zu unterhalten oder gar mich zu berühren (wie gesagt, bis auf einzelne Szenen). Das wäre möglicherweise anders, wenn das Buch für mich der Einstieg in die Thematik gewesen wäre, aber das kann ich natürlich nicht beurteilen.

Bewertung vom 24.08.2017
Töte mich
Nothomb, Amélie

Töte mich


sehr gut

Spitzzüngig, schwarzhumorig, bitterböse, düster, spannungsgeladen, tiefgründig, klug, metaphorisch – das sind alles Eigenschaften, die einen Nothomb für mich beschreiben und mit denen die Autorin sich in die Riga meiner Lieblingsautoren längst eingereiht hat.
Genau deshalb war „Töte mich“ (erschienen 2017) für mich selbst auferlegte Pflichtlektüre.

Worum geht es?

Eine Inhaltsangabe wäre bei einem knapp über 100 Seiten starken Buch wahrscheinlich zu viel des Guten und ich denke sowieso, dass man Amélie Nothomb relativ unvoreingenommen lesen sollte. Es geht um sich selbst erfüllende Prophezeiungen, um den Adel, dessen einziges Bestreben darin zu liegen scheint, eine gesellschaftlich auferlegte Etikette zu wahren und sich damit selbst zu Grunde richtet und es geht um Emotionen, allerdings vermutlich in einem anderen Sinne, als man es sich bei dieser Beschreibung vorstellen würde.

Es ist wieder mit messerscharfen Dialogen zu rechnen, mit makabren Wendungen und Charakteren, die, da überspitzt dargestellt, die Thematik sehr „besonders“ machen.

Kurzum: Ein Nothomb hat mich nie enttäuscht. Manche gefielen mir besser als andere, aber im Grunde wurde meine Zeit immer bereichert. Genau das ist auch von „Töte mich“ zu erwarten, das hoffentlich einigen Lesern auf die Füße tritt.

Bewertung vom 30.07.2017
Heimkehren
Gyasi, Yaa

Heimkehren


ausgezeichnet

„Das Bedürfnis, etwas „gut“ oder „schlecht“ zu nennen, das eine „weiß“ und das andere „schwarz“, war ein Impuls, den Effia nicht verstand. In ihrem Dorf war alles alles. Alles trug das Gewicht von allem anderen.“ (S. 37)

„Heimkehren“ ist das Debüt der amerikanisch-ghanaischen Autorin Yaa Gyasi, das 2017 im Dumont Verlag erschien. Zu einer Zeit, in der der Rassismus wieder salonfähig wird (falls er es denn mal nicht war), erhebt die Autorin ihre Stimme und erzählt eine wundervoll komponierte Geschichte mehrerer Generationen afrikanischer Immigranten, die sich in einer Welt voller Vorurteile und Diskriminierungen behaupten müssen.

Die Geschichte hat einen sehr interessanten Aufbau. Es gibt zwei Hauptstränge, die im 18. Jahrhundert wurzeln. Diese beiden Stränge werden abwechselnd erzählt, überspringen dann aber jeweils eine Generation, sodass es den Anschein von zahlreichen aneinandergereihten Kurzgeschichten hat (was nicht der Fall ist, denn die Geschichtchen bauen aufeinander auf). Was für mich wirklich erfrischend neu und innovativ war, forderte allerdings auch meine ganze Aufmerksamkeit. Deswegen ist zu empfehlen, das Buch in einem möglichst kurzen Zeitraum zu lesen, um nicht den Bezug zu sämtlichen Namen und Figuren zu verlieren, wie es mir in einer zweitägigen Pause leider passierte.

Wie bereits beschrieben, setzt die Geschichte im 18. Jahrhundert in Ghana an, dem Herkunftsland der Autorin. Sie erzählt die Geschichte wunderbar malerisch, zugleich aber auch schonungslos ehrlich. Besonders schön fand ich, wie die Figuren einander beschrieben, zum Beispiel „baumrindenbraune Frau“, „ein Mann von der Farbe milchigen Tees“ oder „mahagonifarbene Frau“, was nur drei Beispiele von vielen sind.
Wir erleben, wie Afrikaner andere Afrikaner versklaven, ihre Brüder und Schwestern bekämpfen, um sie an die Briten zu verkaufen. Und wie all das als natürlich angesehen wird; die Grausamkeit der Natur. Als endlich eine Figur diese Machenschaften hinterfragte und kritisierte, gab mir das Hoffnung, die aber ständig wieder im Keim erstickt wurde.

Dann begleiten wir Figuren nach Amerika, auf Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben hoffend, was sie jedoch in die Sklaverei treibt, in der sie misshandelt und ihrer ganzen Würde beraubt werden.

„Sie würden nur eine Art von Fesseln gegen eine andere austauschen, physische Fesseln, die um Handgelenke und Knöchel gelegt wurden, gegen unsichtbare, die die Gedanken binden.“ (S. 134)

Die Autorin schreibt generationsübergreifend eine Geschichte der Angst, der Unterwürfigkeit, der Grausamkeit und der Entmachtung. Zu Beginn schildert sie in einem Interview von dem Aufatmen einer ganzen Bevölkerung, als ein dunkelhäutiger Mann Präsident der Vereinigten Staaten wurde, und den darauffolgenden Schlag ins Gesicht, als dieser von der Menschenfeindlichkeit und der Geldgier abgelöst wurde.

Mich hat das Buch zutiefst erschüttert, mich zu Tränen gerührt, mir aber gleichzeitig eine so facettenreiche ghanaische Kultur nähergebracht und mir noch mal verdeutlicht, wie wichtig es ist, gegen die Idiotie des Rassismus anzugehen. Es war wahnsinnig sprachgewaltig, klug und auf den Punkt erzählt, für mich bislang DAS Highlight 2017!

Bewertung vom 12.07.2017
Swing Time
Smith, Zadie

Swing Time


sehr gut

„Hier war Schwäche von Macht ausgebeutet worden: jede Art von Schwäche von jeder Art von Macht – Ortsmacht, Rassenmacht, Stammesmacht, königliche Macht, die vor nichts anhielt, nicht einmal vor dem kleinsten Mädchen. Aber das tut Macht ja überall. Die ganze Welt ist von Blut durchtränkt.“ (S. 435)

„Swing Time“ ist das aktuelle Werk (Stand 2017) der englischen Schriftstellerin Zadie Smith.
In ihrem Roman lässt sie ihre Heldin mit ihrer Identität ringen und eine Kindheit durchleben, die Ähnlichkeiten zu der der Autorin aufweist. Als „Mischling“ (Bezeichnung aus dem Roman), das heißt Tochter einer dunklen Mutter und eines weißen Vaters, erzählt sie uns durch die Augen ihrer Heldin, von einem Gefühl der inneren Zerrissenheit und einem permanenten Zugehörigkeitsproblem.

Worum geht es genau?

Eine Geschichte von zwei tanzbegeisterten Dunkelhäutigen im weißhäutig dominierten England. Zwei Mädchen, die vieles gemeinsam haben und doch einiges trennt. Denn unsere Erzählerin steht immer im Schatten, erst in dem ihrer Mutter, dann in dem ihrer Freundin Tracy und später in dem des Popstars Aimee, für den sie als persönliche Assistentin arbeitet. Doch wenn dieser Schatten verschwindet, muss man sich selbst der Sonne stellen.

Dieser Roman legte für mich einen fulminanten Start hin. Bis etwa zur Hälfte fühlte ich mich wahnsinnig wohl mit der Geschichte, ich hatte ein Gefühl für die Protagonistin und ihre Probleme und irgendwann verlor sich dieses Gefühl, genau wie die Geschichte selbst. Sie fühlte sich für mich nicht gut weitererzählt an, als hätte die Autorin selbst die Entwicklung aus den Augen verloren und das nahm mir leider mit der Zeit die Freude und das Identifikationspotenzial mit der Protagonistin.

Doch bleiben wir beim Anfang, beim Grundgerüst. Wir haben zwei Freundinnen, eine davon hat ein ausgesprochen großes Tanztalent, die andere würde gern auch so tanzen können, verblasst aber neben ihrer Freundin, die diese Tatsache für sich zu nutzen weiß. Das Schattenmädchen lebt mit einem hellheutigen Vater und einer dunklen Mutter zusammen, er ist liebenswürdig und fast schon zu freundschaftlich, die Mutter ist eine politische Aktivistin, starrköpfig und dominant. Sie lebt ihrer Tochter vor, wie man sich zu verhalten hat und wie wichtig es ist, das „schwarz-sein“ zu verteidigen und bewusst zu leben, sich nicht unterdrücken zu lassen. Zwei wichtige weibliche Figuren in dem Leben des Mädchens, die an ihrer Stelle leuchten. Frauen sind übrigens auch die Hauptfiguren in diesem Roman, Männer sind meistens eher blasse Randerscheinungen.

Die Musik spielt eine Rolle, sie verleiht der Geschichte Rhythmus und entlockt ihr einige wundervoll beschriebene Szenen, doch auch sie ist nur Mittel zum Zweck.
Viel eher geht es doch um das Identitätsproblem von einem Mädchen, einer späteren Frau, die nie die Hauptrolle spielt und sogar als Protagonistin im Roman irgendwann leider verblasst.

Ihr späteres Leben als Assistentin des Popstars treibt dies auf die Spitze. Sie muss nach Westafrika fliegen, da Aimee, ihre Arbeitgeberin, beschlossen hat, dort eine Schule für Mädchen zu errichten. Und auch hier ist unsere Protagonistin zerrüttet, zerrüttet von dem Gefühl weder schwarz noch weiß zu sein. Für die Engländerin bzw. Amerikaner ist sie die Dunkelhäutige, für die Afrikaner jedoch nur die Amerikanerin. Ein Leben als ewig Zweite.

Die Autorin beschreibt eben diese Problematiken wunderbar und sie hat zudem eine sehr bildhafte Sprache, eine teilweise melodische Sprache.
Hätte sie die Strippen der Handlung nicht über einen längeren Zeitraum aus den Händen verloren, wäre dies ein fantastischer Roman geworden. So hat er mir zwar gefallen, mich aber eher angespornt, weitere, möglicherweise doch grandiose, Werke der Autorin zu lesen.

Bewertung vom 21.05.2017
Als wir unbesiegbar waren
Adams, Alice

Als wir unbesiegbar waren


gut

„Als wir unbesiegbar waren“ ist das literarische Debüt der englischen Autorin Alice Adams, die unter anderem umfassende Kenntnisse in Mathematik, Wirtschaft und Philosophie hat. Themen, die sich in ihrem Erstlingswerk oft niederschlagen. Anhand von vier sich dem erwachsen sein nähernden Protagonisten stellt sie die Frage, was im Leben wirklich zählt.

Worum geht es genau?

Vier Freunde, die sich nach der Uni trennen müssen und ihren jeweiligen eigenen Weg gehen. Vier Einzelschicksale, die sich unterschiedlich entwickeln.
Und vier Möglichkeiten, das Leben zu bestreiten.
Eva, um die sich die Geschichte hauptsächlich windet, widmet sich der Karriere und steigt schon bald in höhere Ränge auf, während die beiden Geschwister Lucien und Sylvie in den Tag leben und darauf vertrauen, dass irgendwann alles gut wird. Der vierte im Bunde, Benedict, investiert seine Zeit in Bildung, um später als Doktor der Physik tätig sein zu können. Diese unterschiedlichen Lebensvorstellungen sind nicht unbedingt hilfreich, um eine Freundschaft aufrecht zu erhalten. Zudem wird die Freundschaft noch von tieferen Gefühlen überschattet …

Das Buch beginnt mit einer Szene, in der die vier Freunde kurz vor ihrer Trennung gemeinsam am Strand sitzen und über das Leben philosophieren. Schaut man sich das Cover an, so bekommt man einen ziemlich guten Eindruck von der Szenerie. Zudem ist eben diese eine Schlüsselszene, von der sich die ganze Geschichte weiterspinnt, die außerdem den zentralen Ausgangspunkt bildet, vor allem für das Ende. Ab dann begleiten wir vornehmlich Eva, die sich sehr gut in einem Wirtschaftsunternehmen integriert und sich zu einer, wie oft durch andere Charaktere klargestellt wird, fiesen Kapitalistin entwickelt, die den Blick für das Wesentliche im Leben verliert. Hier glänzt die Autorin mit ihrem Wissen über Wirtschaft. Oder mit anderen Worten, hier gab es für mich ein paar Seiten, die ich nur überflog, da sie mich nicht interessierten.

Lucien und Sylvie, das Geschwisterpaar, haben ganz andere Ambitionen. Die eine versucht die Welt davon zu überzeugen, dass sie eine bedeutende Künstlerin ist, der andere hält sich für einen bedeutenden Promoter in der Partyszene und endet, wie seine Schwester, die meiste Zeit zugekokst in den Armen eines One Night Stands.
Gerade in der Anfangsszene erfahren wir, dass die Geschwister ein hartes Los hatten. Sie wuchsen ohne Vater auf und mit einer alkoholkranken Mutter, die ihre Impulse nicht im Griff hatte. Dafür, dass diese Tatsache so wichtig für die Geschichte und die Entwicklung der Charaktere war, hat die Autorin es erstaunlich wenig geschafft, einen Zusammenhang zwischen ihrer Vergangenheit und der Gegenwart herzustellen. Genau das hatte ich mir eigentlich erhofft.

Leider war mir auch die erste Hälfte des Buches viel zu belanglos. Wahrscheinlich wollte die Autorin uns hiermit vier heranwachsende Charaktere präsentieren, die blauäugig in ihre Zukunft stolpern und demnach nicht viel „von Belang“ von sich geben. Denn gerade zu Ende hin, an einem Zeitpunkt zu dem die Charaktere beinahe 40 sind, nimmt die Geschichte leicht philosophische oder erkenntnisreiche Züge an.

Ansonsten glaube ich nicht, dass mir die Geschichte lange im Gedächtnis bleiben wird. Technisch war sie nicht schlecht und auch wenn der größere Zusammenhang fehlte, so fand ich den Werdegang der einzelnen Charaktere wirklich glaubwürdig und mehr oder weniger interessant. Die Umsetzung war jedoch recht dünn und dieses zwanghafte Bestreben, auf ein Happy End zuzusteuern, nahm dieser dramatischen Entwicklungsstudie dann doch ihren Reiz.
Alles in Allem war es für mich ein Roman, der sich in die Kategorie „solide“ einteilen lässt.

Bewertung vom 29.04.2017
Der Freund der Toten
Kidd, Jess

Der Freund der Toten


sehr gut

„Der Freund der Toten“ ist ein 2017 herausgegebener Spannungsroman aus dem Dumont Verlag, der eine poetische Schreibweise, fantastische Elemente und Krimiaspekte vereint. Mittlerweile hat sich der Dumont Verlag zu einem meiner Favoriten gemausert, weil er erfahrungsgemäß ein Händchen für besondere Literatur hat. Nachdem mich die Leseprobe bereits unglaublich begeisterte, fieberte ich auf dieses Buch hin. Und auch wenn es kleine Schwächen aufweist, hat es mich insgesamt überhaupt nicht enttäuscht.

Da dieses übrigens der Debut Roman der englischen Autorin ist (und sie derzeit an einem weiteren Werk arbeitet), erwarte ich Großes!

Aber worum geht es überhaupt?
Mahony, ein 26-jähriger, sehr charmanter Waisen“junge“ muss erfahren, dass seine Vergangenheit, von der er selbst kaum etwas weiß, von Dramatik geprägt war. Anscheinend hat seine Mutter ihn doch nicht einfach abgeschoben, sondern ein dramatisches Ende genommen. Und das verschlafene irische Nest, Mahonys Geburtsort Mulderrig, scheint sich schützend vor eine grausame Wahrheit zu stellen und den in eigener Sache ermittelnden Jungen dringend loswerden zu wollen. Doch die Toten sprechen ihre eigene Sprache und scheinen ihrerseits Pläne zu schmieden…

Obwohl Mahony den Großteil des Dorfes mit seinem Charme umgarnen kann, muss er sich ständig neuen Anforderungen und Anschlägen stellen, was die Geschichte permanent spannend macht. Zumal man natürlich auch nicht weiß, wem überhaupt zu trauen ist.
Das Konstrukt ist ja kein neues, weder in der Literatur, noch in Filmen; Ermittler oder anderer Protagonist kommt in ein Dorf, um Fall xy zu lösen, wird von der Dorfgemeinschaft im besten Fall abgelehnt und muss in ein Morast des Schweigens abtauchen. Abgesehen davon, dass ich dieses Konstrukt wahnsinnig gerne mag (man lese nur bspw. den überaus gelungenen Kriminalroman „Broadchurch“!), ist die Geschichte von Jess Kidd aber zudem noch originell und von einem permanenten Mystiknebel eingehüllt.

Ich möchte noch mal ganz besonders auf den wunderschönen, poetischen und märchenhaften Schreibstil der Autorin hinweisen, der den Roman allein zu etwas sehr besonderem macht.
Es gibt aber noch weitere Besonderheiten, wie zum Beispiel die Tatsache, dass Mahony ständig von Toten umgeben ist und mit ihnen interagieren kann.
Teilweise fand ich das Zwischenspiel von Protagonist und den Toten etwas löchrig (auf ihre Plausibilität bezogen), aber darüber habe ich versucht hinwegzusehen ( Debut!)

Eine weitere Besonderheit ist die liebenswerte, aber doch ziemlich verschrobene Mrs Cauley, die Mahony in seinem Anliegen, die Wahrheit aufzudecken, unterstützt. Die alte Dame ist nicht gerade jemand, den man als umgänglich bezeichnen würde und hat zudem ziemlich eigene Ermittlungsmethoden. Sie hat der Geschichte sehr viel Witz und noch mehr Charme verliehen, irgendwie hatte sie doch auch Grundzüge von einer sehr bissigen Miss Marple.

Alles in Allem habe ich das Debut der Autorin unglaublich genossen, mich auf der ersten Seite in ihren Schreibstil verliebt und beschlossen, dass ihr nächstes Buch sofort bei mir einziehen wird. Leseempfehlung!

Bewertung vom 12.02.2017
Sein blutiges Projekt
Burnet, Graeme Macrae

Sein blutiges Projekt


ausgezeichnet

„Sein blutiges Projekt“ ist ein Roman aus dem Europa Verlag, der 2017 in Deutschland erschien. Der Autor verwebt hier historische Fakten, die auf seinen eigenen Familienstammbaum zurückgehen und spinnt einen Roman, der von der ersten Seite absolut fesselnd ist!

Worum geht es überhaupt?

Schottland 1869. Dies ist die Geschichte von Roderick Macrae, einem ärmlichen, schottischen Bauernjungen, der für ein vordergründig betrachtet abscheuliches Verbrechen im Gefängnis sitzt. Er soll 3 Menschen auf brutalste Weise ermordet haben. Im Gefängnis führt der 17-Jährige Aufzeichnungen darüber, wie es zu dem Vorfall kommen konnte. Sehr wortgewandt enthüllt Roderick Macrae seine Ansicht der Dinge und präsentiert sich somit als intelligenten und reflektierten jungen Mann, was nie so recht zu seinem damaligen Status als ungebildeter Bauernjunge passen möchte. Sämtliche Aufzeichnungen sind übrigens noch heute in gutem Zustand einsichtbar.
Zusätzlich zu Rodericks eigener Schilderung, die im Übrigen 2/3 des gesamten Buches ausmacht, erhält der Leser externe Eindrücke durch Nachbarn und andere mehr oder weniger wichtige Instanzen des schottischen Dorfes. Letztendlich ist dann noch eine Mitschrift der Gerichtsverhandlung abgedruckt, bei der, so meine ich, der Autor sich jedoch großzügig auf seine schriftstellerische Freiheit berufen hat.

Roderick Macrae wirkt, wie bereits gesagt, anhand seiner Aufzeichnungen wie ein überdurchschnittlich intelligenter und sehr sprachbegabter junger Mann, der dafür emotional eher instabil ist. Die von ihm geschilderten Begebenheiten, die oftmals in böswillige Schikane abdriften, lassen den Leser Verständnis für sein pubertäres Gefühlschaos und vielleicht sogar Sympathie für den Protagonisten, entwickeln. Sobald die Aufzeichnungen enden, geht man sehr befangen an den Fall heran.
Bemerkenswert ist vor allem, wie sehr es dem Jungen gelungen ist, das trostlose, kalte und perspektivlose Leben eines Crafter, eines Bauernjungen, zu schildern. Die erschaffene Atmosphäre war wirklich grandios! Es herrschte permanent eine sehr düstere Grundstimmung und während des Lesens fühlte ich eine aufdringliche Beklemmung.

Während der Gerichtsverhandlungen waren Rodericks Aufzeichnungen nicht zulässig, zudem gab der Angeklagte nur eine kurze Stellungnahme von sich, in der er auf nicht schuldig plädierte, ansonsten saß er teilnahmslos da.
Aufgrund der Tatsache, dass der Leser schon einen sehr subjektiven Eindruck von Roderick gewinnen konnte, der im Übrigens teilweise stark mit den externen Eindrücke der Nachbarn kollidierte, gelang es mir persönlich nicht, ein eindeutiges Fazit zu bilden.
Der Roman spielt auch stark mit den Moralvorstellungen des Lesers, mit denen er regelmäßig konfrontiert wird.

Letztendlich kann ich sagen, dass „Sein blutiges Projekt“ mich stark bewegt hat und zwar in sämtlichen emotionalen Ausprägungen. Ein absolut empfehlenswerter, schockierender und nachhaltig prägender Bericht, der den Leser sehr geschickt zu manipulieren weiß.

Bewertung vom 24.10.2016
Die Feder eines Greifs / Drachenreiter Bd.2
Funke, Cornelia

Die Feder eines Greifs / Drachenreiter Bd.2


ausgezeichnet

Fast 20 Jahre, nachdem der „Drachenreiter“ die deutschen Bücherfreunde verzauberte, geht die Geschichte rund um Ben und seine fantastischen Freunde weiter.
Mit „Die Feder eines Greifs“ gelingt der renommierten Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke eine Fortsetzung, die mich rundum glücklich zurückließ!

Worum geht es?

Zwei Jahre nach ihrem Sieg über Nesselbrand erwartet Ben, Barnabas und Fliegenbein ein neues Abenteuer: Der Nachwuchs des letzten Pegasus ist bedroht! Nur die Sonnenfeder eines Greifs kann ihre Art noch retten. Gemeinsam mit einer fliegenden Ratte, einem Fjordtroll und einer nervösen Papageiin reisen die Gefährten nach Indonesien. Auf der Suche nach dem gefährlichsten aller Fabelwesen merken sie schnell: sie brauchen die Hilfe eines Drachens und seines Kobolds

Alles das, was den „Drachenreiter“ ausmachte, ist auch in der Fortsetzung zu finden (was nicht heißen soll, dass die Geschichte sich nicht weiterentwickelt oder gar wiederholt):
Wunderbare Illustrationen der Autorin, ganz liebevoll ausgearbeitete und sehr eigene Charaktere, eine Naturverliebtheit, die Cornelia Funke übrigens in vielen ihrer Bücher auslebt und eine spannende und herzliche Geschichte. Kurzum: Funke gelingt es trotz aller Skepsis eine Welt wiederzubeleben, die viel zu lange ins Vergessene geraten war.
Eine große Leseempfehlung an all jene, die den ersten Band liebten, alle Funke Fans, alle Fantasyverliebten und einfach alle, die sich von einem kleinen Jungen mit auf abenteuerliche Reisen nehmen lassen und dabei über unsere eigene Welt sinnieren wollen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.