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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

Bewertungen

Insgesamt 35 Bewertungen
Bewertung vom 23.11.2024
Übertretung
Kennedy, Louise

Übertretung


sehr gut

Gerechtigkeit?

Nordirland in den End-70ern. Eine absolut interessante, aber auch brandgefährliche Zeit. Und auch hier wieder eine Liebe, die nicht sein darf. Aber hier stimmig und wunderschön gelungen. Und dabei das Drumherum gut eingebaut, so dass ich mich gut unterhalten fühle. Eine schöne Geschichte. Schön im Aufbau, schön im Klang. Hier ist alles gut.

Die katholische Grundschullehrerin Cushla Lavery kümmert sich um ihre alkoholkranke Mutter, um ihre Grundschüler und hilft in dem Pub ihres Bruders aus. Die katholischen Laverys leben aber inmitten von Protestanten und das ist in dieser Zeit nicht ungefährlich in Belfast. Ebenso wie es nicht ungefährlich ist sich in einen deutlich älteren und verheirateten protestantischen Mann zu verlieben, der auch noch Prozessanwalt ist. Was Cushla Lavery mit Michael Agnew passiert. Doch die beiden passen halt auch gut zusammen, beide verzweifeln irgendwie an dieser grassierenden Gewalt, agieren dementsprechend, der eine zweifelt die Gewalt an, die in staatlichen protestantischen Einrichtungen an katholischen Insassen passiert und untersucht sie und die andere lehnt sich in der Schule gegen die Gewalt auf, die protestantische Schüler ihren katholischen Mitschülern antun und hilft auch noch der katholischen Familie ihres Schülers. Dies wird natürlich beobachtet und bleibt nicht ohne Reaktion.

Louise Kennedy schreibt hier nicht gefühlsüberfrachtet, sie schildert das Geschehen nüchtern und klar, man ist mittendrin im Geschehen, man staunt und hat gleichzeitig Angst. Denn der Mut der beiden Protagonisten wird Folgen haben, dies spürt man. Und so liest man und wartet auf das Unausweichliche. Vielleicht entsteht auch durch diesen Prozess des Wartens und des innerlichen Wappnens kein großes Gefühlschaos in mir, vielleicht werde ich deswegen nicht vollkommen angeknipst. Denn diese Geschichte hat alles, was es braucht um mich vollständig zu Entzünden. Dies passiert halt nur nicht.

Deswegen bewerte ich dieses Buch mit 4 Sternen, obwohl definitiv in der Geschichte alles vorhanden ist für 5 Sterne, aber meine Distanz bei der Lektüre bedingt diese Bewertung.

Bewertung vom 23.11.2024
La Louisiane
Malye, Julia

La Louisiane


ausgezeichnet

Frauen in einer vergangenen Zeit

Ein richtig gut gelungenes Buch, welches ich sehr gern gelesen habe. Frauenschicksale in der Kolonie Louisiana. Frankreich hatte aus der berühmtberüchtigten Salpêtrière Frauen mehr oder weniger freiwillig in seine Kolonie Louisiana verschifft. Die hier zentral stehenden Charaktere sind 4 Frauen, die dieses Schicksal teilen. Charlotte, ein junges Mädchen, welches unbedingt ihrer etwas älteren Freundin Étiennette folgen will. Étiennette hatte sich freiwillig gemeldet, sie sucht nach einer anderen Frau, die mit einem früheren Schiff nach Louisiana aufgebrochen war. Die Adelige Pétronille flieht vor einflussreichen Personen in Frankreich, die sie sich mit ihrer sprunghaften Art zu Feinden gemacht hat. Die Vierte ist Geneviève, eine Engelmacherin, die aus diesem Grund in Frankreich nicht mehr bleiben kann und ihr Glück in der Neuen Welt sucht. Und so folgt die Schiffsreise, auf der schon so einiges passiert. Erst auf dem Schiff kommen sich die Frauen näher und sie verbinden sich, freunden sich an. In Louisiana ist dann das erklärte Ziel die schnelle Verheiratung der Frauen. Eine vergangene Zeit. Ein Glück, eine vergangene Zeit. Durch die Ehemänner trennen sich die Schicksale der Frauen, denn die Ehemänner leben in verschiedenen Teilen der damals sehr großen Kolonie Louisiana. Aber über diese verschiedenen Örtlichkeiten bekommt man bessere Einblicke in das damalige Leben an den verschiedenen Orten. Nicht nur die vier bisher genannten Charaktere stehen dann zentral. Es werden aber auch Blicke auf andere Frauen ermöglicht.

Besonders gefallen hat mir hier der Blick auf die indigenen Natchez, wobei ich etwas traurig war, dass dieser Blick doch relativ kurz war. Aber die Zeit der Natchez mit den Franzosen war ja leider auch recht kurz. Dennoch ermöglicht die Autorin in diesem kurzen Blick eine recht große Fülle an Informationen über eine der Volksgruppen im sogenannten „Südosten“ von Nordamerika, der genauen Bezeichnung des Kulturareals. Denn einige dieser Völker konnten einen großen Teil des Erbes aus der Moundkultur, aus der Mississippi-Kultur erhalten, zeigten eine Gliederung der Bevölkerung in soziale Schichten, zeigten eine hoch entwickelte Kultur, die deutlich nach Mittelamerika zeigt. Aus der am höchsten gestellten Schicht, aus den Sonnen, wurde die Führung der Natchez erwählt, Die Große Sonne, der König der Natchez. Es gab Tempel, es gab Priester, die ebenfalls zur Elite, zur Führung des Volkes zählten. Die Tempel und die Häuser der Führung standen auf den sogenannten Mounds, künstlich gestaltete Erdhügel, die um die Plaza standen, den Hauptplatz der palisadenbewährten Siedlung.

Es werden aber auch Blicke auf die Sklaven geworfen, ihr Schicksal wird verdeutlicht. Und es sind wieder empathische Blicke, was mir sehr gefallen hat.

„La Louisiane“ ist ein insgesamt vielschichtiges und sehr gut recherchiertes Werk der Autorin Julia Malye. Mit einem Blick auf die Rollen der Frauen. Berührend und informativ. Es zeigt das Damals, aber es zeigt auch das Heute, welches man mit etwas gutem Willen durch die Zeilen durchschimmern sieht.

Bewertung vom 23.11.2024
Love Letters
Woolf, Virginia;Sackville-West, Vita

Love Letters


ausgezeichnet

Virginia Woolf und Vita Sackville West

Nach der Lektüre des vorherigen Buches ist der Griff zu „Love Letters“ von Alison Bechdel einfach folgerichtig. Wurde ich im vorherigen Buch neugierig gemacht auf diese so mutigen Frauen, erscheint hier in den Briefen und Tagebucheinträgen ein deutlich tieferer und intimer Blick auf Virginia Woolf und Vita Sackville West.

Beide waren verheiratet mit ihren jeweiligen Männern, begegneten sich und berührten sich. In den Briefen und Tagebucheinträgen kommt dies deutlich zum Tragen. Ich bin richtig neugierig auf diese beiden Frauen.

Ich bin neugierig, wann ich es wohl schaffen werde „Mrs. Dalloway“ und „Orlando“ zu lesen. Denn dass ich diese beiden Bücher lesen will, lesen muss, nach dieser eindringlichen Lektüre hier, ist ja wohl klar.

Es sind nicht nur die Einblicke in das persönliche Leben der beiden Frauen, die mich hier immens bewegen.

Vor allem bewegt mich hier diese poetische Sprache, diese Intensität in den Worten, diese Tiefe, dieses Miteinander, manchmal das Geplänkel, dann das Lachen, dieser innige Humor, diese immense Sehnsucht, die in den Worten liegt, dann wieder ein Wandel in eine gewisse Distanz, dann wieder mehr Nähe, dann eine Eifersucht, dann wieder mehr Entfernung zwischen Ihnen. Hin und Her und her und hin. Bis zum erschreckenden Ende.

Wichtig ist in diesen Love Letters auch das Dazwischen, dass, was zwischen den Einträgen und Briefen passiert, die Vermutungen, die man hierzu hat, die Bilder, die hier kommen.

Was wäre aus den beiden Frauen in der heutigen Zeit geworden, mit den Möglichkeiten von heute? Nicht nur in der Liebe, sondern auch in der psychiatrischen Medizin, in den psychologischen Möglichkeiten. Eine Frage, die nichts bringt, ich weiß. Aber vielleicht wäre der Freitod von Virginia Woolf dann nicht passiert. Vielleicht. Ich weiß!

Dieses Buch ist ein wunderschöner Tanz umeinander, mal aus und in der Nähe, mal weiter weg, aber immer ist diese Sehnsucht spürbar, ja fast greifbar, einfach wunderschööön! Und die Sprache. Zucker!

Unbedingt Lesen!

Bewertung vom 23.11.2024
Wir waren Sappho
Schwartz, Selby Wynn

Wir waren Sappho


sehr gut

Feministisches Leben Anfang des 20. Jahrhunderts

Selby Wynn Schwartz wirft hier einen gut recherchierten Blick auf das queere und feministische Leben Anfang des 20. Jahrhunderts. Hauptaugenmerk des Buches sind die sogenannten Sapphistinnen, eine alte Bezeichnung für Frauen, die Frauen lieben. Namensgeberin ist hier griechische Dichterin Sappho, die auf Lesbos eine Schule für Mädchen gründete und diese in musischem Wissen ausbildete und wahrscheinlich nicht nur durch dieses Handeln in der damaligen griechischen patriarchalen Zeit auffiel. Aber ebenso viele treten auch nur für ihre feministischen Ziele ein, waren schon damals laut, traten gegen das allmächtige Patriarchat auf, bis ein kommender Mief vieles erstickte.

Selby Wynn Schwartz erwähnt hier wahnsinnig viele Frauen, einige waren mir bekannt, andere entdeckte ich neu für mich. Ein beeindruckender Reigen an Namen. Lina Poletti, Colette, Sarah Bernhard, Virginia Woolf, Vita Sackville West und auch Sibilla Aleramo tauchen hier auf und machen mich neugierig. Aber dies sind nur einige Namen, im Buch gibt es viele mehr zu entdecken. Von Sibilla Aleramo hatte ich vor kurzer Zeit das Buch „Eine Frau“ gelesen und war schwer beeindruckt. Andere Frauen in dem Buch kannte ich in Zusammenhang mit gelesenen Büchern über Frida Kahlo und auch im Werk von Ursel Braun „Unangepasst“ tauchen manche Namen auf und in den Blicken auf Lee Miller gibt es ebenso Überschneidungen. Der Anfang des 20. Jahrhunderts bietet anscheinend viel Interessantes zum Thema weibliches Aufbegehren.

Selby Wynn Schwartz liefert hier in ihrem Buch „Wir waren Sappho“ einen richtig gut recherchierten und einen absolut interessanten Blick auf die unangepassten und aufbegehrenden Stimmen der damaligen Zeit. Wenn es diese Stimmen damals schon gab, warum sind wir dann heute so ruhig, wo diese patriarchal und gestrig denkenden Kräfte wieder laut werden? Eine gute Frage, ich weiß.

Lesen! Und nachdenken! Und reagieren, heißt die Devise!

Bewertung vom 23.11.2024
Krummes Holz
Linhof, Julja

Krummes Holz


ausgezeichnet

Flirrendes Erwachen

„Krummes Holz“ ist eine intensive und wunderschöne Familiengeschichte, die einen immensen Sog besitzt. Der 19-jährige Jirka kehrt auf den Hof seiner Eltern zurück, den er sehr lange nicht mehr besucht hat. Alte Zwistigkeiten und Unausgesprochenes spielten bei seiner Flucht von zuhause eine Rolle. Nun ist er wieder da und die Vergangenheit ist es natürlich auch. Seine Schwester Malene empfängt ihn eher unterkühlt. Früher hatten Malene und Jirka gegen den gewalttätigen Vater gemeinsam bestanden, hatten sich gegenseitig gestützt. Doch davon ist jetzt wenig zu spüren. Malene hatte Jirka mehrfach gebeten zurückzukommen und ihr zu helfen. Doch die Spannungen der vergangenen Zeit ließen Jirka zögern. Beide hatten die Mutter verloren, standen allein gegen den despotischen Vater und die gefühlskalte Großmutter.

Auch der Mutter ging es mit ihrem Mann und der Schwiegermutter nicht gut, sie wurde depressiv und schließlich hatte auch die Mutter ihren eigenen Fluchtpunkt, erst in sich selbst, dann in die psychiatrische Klinik und dann ins Nirgendwo.

Jetzt ist vom Vater nichts zu sehen, die Schwester gibt sich verschlossen und wütend und die einst machtvolle Großmutter ist ein Schatten ihrer Selbst, sie ist dement geworden. Nur einer kommt auf Jirka etwas zu, Leander, der Sohn des letzten Verwalters. Doch auch mit Leander gibt es Reibepunkte, den auch zwischen ihnen gab und gibt es Ungesagtes und Verletzungen.

In einem flirrenden und schwülen Sommer ist die Handlung im Jetzt verortet, unter dieser schwirrenden Hitze finden die Anwesenden auf dem Gutshof wieder langsam zueinander, brechen alte Verletzungen auf und finden schließlich zu etwas Neuem.

Von Julja Linhof ist diese Familiengeschichte wundervolle und empathisch erzählt, man wähnt sich beim Lesen in einem virtuosen Traum, in dem die verdunkelnden Schleier langsam auseinandergezogen werden und sich nach und nach die Geschehnisse offenbaren, ohne dass die Spannung verloren geht. Man weiß, dass hier etwas verborgen ist, einiges ahnt man vielleicht, aber die Gewissheit erwächst erst in der Lektüre. Von Julja Linhof ist diese Geschichte in einer eindringlichen Sprache geschrieben worden, die einen nicht loslässt, die einfach durch und durch geht. Wunderschön!

Ein wundervolles Buch! Unbedingt lesen!