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Benutzername: 
Gela
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Niedersachsen
Über mich: 
Ob Krimi, Belletristik, Biografie oder Dokumentation. Ich mag Bücher und reise gerne mit ihnen in andere Welten.
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 141 Bewertungen
Bewertung vom 05.01.2022
Flüchtig
Achleitner, Hubert

Flüchtig


gut

Hubert Achleitner hat bekanntermaßen Musik im Blut und dies merkt man auch seinem Schreibstil an. Leicht lässt es sich lesen und schöne Bilder entstehen dabei. Man verzeiht die nicht allzu überraschende Handlung und die ein wenig zu klischeehaften Figuren. Manchmal verliert der Autor kurz den Handlungsfaden, schweift ab. Dann gibt es wieder Momente, da möchte man am liebsten nach Griechenland aufbrechen, um genau so einen Moment zu erleben.

Marias Geschichte wird von Ehemann Herwig und Reisebegleiterin Lisa erzählt. Die unterschiedliche Sicht der Geschlechter ist interessant.

Heutzutage scheitern viele Ehen. Man lebt sich auseinander, interessiert sich nicht für die Belange des anderen. Der Alltag wird zur Tretmühle. Maria und Herwig stehen für viele Paare, die vielleicht zu spät aufwachen und vor dem Alltagstrott flüchten. Passend dazu bleibt auch im Roman das Ende offen.

Wer einfach gut unterhalten werden möchte, sich nach Griechenland träumt und keine Paartherapie erwartet, liegt bei diesem Roman richtig.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.01.2022
Wolkenkuckucksland
Doerr, Anthony

Wolkenkuckucksland


ausgezeichnet

Wenn die Welt um einen herum wankt und man keinen Halt findet, geben Geschichten, die zu Träumen werden, neue Zuversicht. So ergeht es Anna und Omeir 1453 während der Belagerung Konstantinopels, Zeno und Seymour 2020 in Idaho und Konstance in der Zukunft im Raumschiff "Argos". Ein antikes Manuskript mit einer Geschichte über ein magisches Land in den Wolken überdauert Zeit und Raum und wird zum Begleiter all dieser unterschiedlichen Menschen.

Anthony Doerrs Roman ist eine Liebeserklärung an alle Geschichten, die uns so fesseln, faszinieren und in ihren Bann ziehen. Das Papier, auf den diese Schätze geschrieben stehen, ist nicht von Dauer. Doch geliebte Geschichten werden immer weiter erzählt, neu aufgeschrieben und im Herzen getragen. Genau dies passiert mit der utopischen Geschichte des Wolkenkuckuckslandes.

"Blättere eine Seite um, folge dem Gang der Sätze: Der Sänger tritt hervor und bläst den Atem einer Welt voller Farben und Geräusche in deinen Kopf"

Was anfänglich beim Lesen verwirrt, sind die zeitlichen und örtlichen Sprünge. Von der Zukunft in das Jahr 1453 und zurück in eine Passage der geheimnisvollen Suche Aethons nach dem Land in den Wolken. Doch je länger man liest, desto mehr nimmt einen die Magie des Romans gefangen. Man möchte gar nicht mehr aufhören zu lesen und gleichzeitig hofft man, nicht zu schnell dem Ende nah zu sein. Die unterschiedlichen Handlungsstränge finden über die gemeinsame Verbindung der historischen Geschichte immer wieder zusammen, sodass man leicht in die unterschiedlichen Zeiten eintauchen kann.

Der Roman bietet viel Platz zum Nachdenken und Innehalten. Die Zerstörung der Natur und des Lebens durch den Menschen findet genauso einen Platz wie die Gabe, sich durch Geschichten in andere Welten zu träumen und dadurch neue Kraft zu finden. Ein Hauch griechische Lyrik und Mythologie zeigt, wie überdauernd und aktuell Erzählungen sein können.

Durchzogen von spannenden Momenten, liebevollen Gesten und überraschenden Erkenntnissen werden erst nach und nach immer mehr Zusammenhänge sichtbar, die einfach pure 525 Seiten Lesefreude garantieren.

Mich hat dieser Roman durch die wundervolle Sprache, die Leidenschaft und die Lebendigkeit der Protagonisten begeistert und daran erinnert, warum ich so gerne lese und die Geschichten ins Herz schließe.

Bewertung vom 23.11.2021
Sturmvögel
Golz, Manuela

Sturmvögel


gut

Eine starke Frau in schweren Zeiten

Emmys Welt besteht aus einer kleinen Insel in der Nordsee. Hier wächst sie in einfachen Verhältnissen, aber mit liebevollen Eltern auf, bis Krankheit und Krieg ihr die Eltern rauben. In den 20er-Jahren kommt sie als junges Mädchen nach Berlin, um als Dienstmagd zu arbeiten. Im Alter von 86 Jahren blickt Emmy zurück und denkt an die schwere Zeit während des Zweiten Weltkrieges, an Ehepflicht und heimliche Liebe. Aber auch daran, dass ihre Tage gezählt sind und sie ihr Erbe weitergeben möchte. Allerdings anders als ihre Kinder sich es heimlich erhofft haben.

Manuela Golz hat sich von ihrer Oma zu diesem Familienroman inspirieren lassen. Auf verschiedenen Zeitebenen der Vergangenheit und Gegenwart wird Emmys Geschichte erzählt. Trotz all der Schicksalsschläge, die schon die kleine Emmy erleiden muss, findet sie immer einen Weg, um nach vorne zu schauen. Als alte 86-jährige Frau ist sie immer noch aufgeräumt, vorausschauend und liebevoll, aber durchaus mit Ecken und Kanten, die besonders ihrer ältesten Tochter zu schaffen machen.

Der Schreibstil ist kurzweilig und unterhaltsam, bleibt dadurch aber auch zu sehr an der Oberfläche. Viele Szenen werden zu schnell wieder verlassen. Immer wenn es etwas in die Tiefe ging, sprang die Handlung an einen anderen Ort. Emmys Liebe zu einem Sohn aus reichem Haus ist solange reizvoll, bis sie schwanger wird. Hier hätte ich gern mehr über die Gefühle der Protagonistin gelesen. Besonders die schweren Jahre während des Krieges, in dem Emmy mit drei kleinen Kindern ums Überleben kämpft, gehen einem nahe. Man meint die Nähe der Autorin zur Romanfigur zu spüren.

Die Gegenwart der alten Dame ist vorwiegend durch Handlungen ihrer erwachsenen Kinder geprägt. Hilde und Otto sind darauf erpicht zu erfahren, was ihre Mutter ihnen als Erbe vermachen wird. Diese unverhohlene Gier nach Geld und der Neid auf die aufgenommene Ziehtochter Anni der jüngsten Schwester waren für mich nur schwer nachvollziehbar und wirkten zu sehr am Reißbrett entworfen. Die Treffen der Geschwister, deren Dialoge und die anschließende Auflösung des ominösen Kellerfundes haben mich wenig in ihren Bann gezogen.

Für mich ist die Mischung aus Vergangenheits- und Gegenwartsroman nicht aufgegangen. Die wundervoll schwunghafte und lebensfrohe Emmy hätte ich gern vertieft kennengelernt. So blieb sie am Ende doch ein wenig blass und nicht lange in Erinnerung.

Für Lesefreunde leichter Kost ist dieser Familienroman aber sicherlich eine gelungene Herbstlektüre.

Bewertung vom 14.11.2021
Die Telefonzelle am Ende der Welt
Imai Messina, Laura

Die Telefonzelle am Ende der Welt


sehr gut

Dem Wind lauschen – und den Stimmen der Vergangenheit nahe sein

Sich von geliebten Menschen vor dem Tod verabschieden zu können, ist den Hinterbliebenen der Tsunami-Katastrophe 2011 in Japan nicht vergönnt gewesen. Viele wurden förmlich aus dem Leben gerissen und hinterlassen eine ungeheuer große und schmerzliche Lücke. Eine Telefonzelle in einem Garten am Meer scheint der Ausweg für viele Trauernde zu sein. Hier an diesem besonderen Ort trägt der Wind ihre Gedanken und Worte zu den Verstorbenen. Auch der Arzt Takeshi Fujita und die Radiomoderation Yui Hasegawa suchen Trost in Bell Gardia. Gemeinsam kehren sie immer wieder in den Garten zurück und nähern sich langsam und voller Ängste einander an.

Laura Imai Messina hat einen sehr bewegenden Roman geschrieben, der die Themen Verlust, Trauerbewältigung, Hoffnung und Liebe in feiner, leiser und schmerzvoll stiller Art umsetzt. Ein Ort, den es in Japan tatsächlich gibt, dient als Rahmenhandlung. Die Telefonzelle des Windes (https://bell-gardia.jp/the-phone-of-the-wind/) wird von tausenden Menschen aufgesucht, um unausgesprochene Worte mit geliebten Menschen auszutauschen. Am Ende findet sich ein ausführliches Glossar der japanischen Begriffe und Schriftzeichen, die es uns westlich orientierten LeserInnen vereinfacht, den Inhalt besser zu verstehen.

Die Begegnung zwischen Yui und Takeshi wird sehr leise erzählt. Zwei Trauernde, die sich kennen und schätzen lernen und die gemeinsam regelmäßig die lange Fahrt von Tokio zum Garten der Telefonzelle auf sich nehmen. Ihre Geschichte wird in kleinen Abschnitten erzählt, die erst am Ende ein Gesamtbild zulassen. Besonders Yuis Trauer um ihre verstorbene Mutter und ihre kleine Tochter geht an Herz. Zu erfahren, dass die vermeintlich in Sicherheit befindenden geliebten Menschen ums Leben gekommen sind, muss einem schier den Verstand rauben. Yui muss bei jeder Fahrt mit Übelkeit kämpfen, wenn sie das grausame Meer sieht.

Nach und nach kommen immer mehr Figuren zur Telefonzelle und werden ein Teil von Yuis und Takeshis Leben. Jeder hat seine eigene schreckliche Geschichte, die er zu verarbeiten sucht. Ein Vater, der nicht begreifen kann, warum sein Sohn während des Tsunamis so leichtfertig handeln konnte. Ein Sohn, der seinen Vater lieber tod als tieftraurig schweigend sieht und Takeshis Tochter Hana, die seid dem Tod ihrer Mutter nicht mehr spricht.

Trotz all der Trauer erleben Takeshi und Yui Alltägliches. Diese kurzen Abschnitte erlauben es auch den LeserInnen Abstand von den traurigen Dingen zu nehmen, die einen beschäftigen. Kleine Details wie die Auflistung einer Bento-Box oder die Zusammenfassung einer Radiomoderation Yuis rücken den Focus zurück auf das Leben.

"Wir müssen selbst Freude im Überfluss besitzen, um sie anderen schenken zu können."

Mir hat besonders das feinfühlige Herantasten an einen neuen Lebensabschnitt der beiden Protagonisten gefallen. Das Verständnis um die Trauer des anderen und dennoch die warme Zuneigung, die wie eine kleine Pflanze langsam Blüten entfaltet.

Den Gedanken, über eine dem Wind überlassene Unterhaltung Verbindung zu Verstorbenen aufzunehmen, nehme ich mit und hoffe, so schnell keine Verwendung dafür zu finden.

Bewertung vom 14.11.2021
Wenn ich wiederkomme
Balzano, Marco

Wenn ich wiederkomme


sehr gut

Die Schere zwischen arm und reich wird immer größer

Ohne vorherige Ankündigung verlässt Daniela ihre Familie in Rumänien, um als illegale Pflegekraft in Italien zu arbeiten. Sie möchte sich und ihren Kinder ein besseres Leben ermöglichen. Besonders der zwölfjährige Manuel kommt mit der neuen Situation nur schwer zurecht. Als Filip, der Vater auch noch eine Stelle als LKW-Fahrer im Ausland annimmt, sind die Geschwister auf sich allein gestellt. Angelica als große Schwester muss sich neben ihrem Studium um den jüngeren Bruder kümmern, der ihr mehr und mehr entgleitet. Erst als Manuel einen schweren Unfall erleidet, kehrt seine Mutter zurück und setzt sich mit der Situation auseinander.

Marco Balzano verbindet seinen leichten ruhigen Schreibstil mit einem brisanten Thema. Die Überalterung der Gesellschaft ist schon lange ein Thema. Die damit verbundene Pflegesituation wird aber selten so deutlich wie in diesem Roman behandelt. Ich hätte mir gewünscht, dass der Autor sein Nachwort als Vorwort verfasst hätte. Denn die realen Hintergründe zur Handlung haben mich weitaus mehr berührt, als der Roman es konnte. Es geht um rumänische Frauen, die vor der Armut im eigenen Land in die berufliche Illegalität Italiens flüchten und dort in eine belastende Situation geraten, die sie von den eigenen Familien entfremdet. Frauen, die niemals als Pflegekraft ausgebildet wurden und ganz andere berufliche Werdegänge haben, verdingen sich als billige Arbeitskräfte, um ihre Familien finanziell zu unterstützten. Dabei verlieren sie sich selbst und nicht selten enden sie im Burn-out oder Depressionen.

In mehreren Zeitebenen und dreistimmiger Ich-Perspektive schildert der Autor den Alltag einer dieser Familien. Daniela verlässt ihre Familie und kurze Zeit später ist der Vater auch im Ausland verschwunden. Manuel ist der erste Erzähler, der seinen Alltag beschreibt. Obwohl seine Mutter ihm eine gute Schule ermöglicht und ihn jeden Tag anruft, wird die Verbindung zu seiner Mutter immer schwieriger. Nur sein Großvater gibt ihm ein wenig Halt und Zuwendung. Nachdem seine Mutter bereits vier Jahre in Italien verbracht hat, verursacht Manuel einen Unfall. Ob er diesen absichtlich verursacht hat, um seine Einsamkeit zu beenden, bleibt unklar.

„Das Moped ist ins Schlingern geraten, und ich flog über die offene, baumlose Landschaft. Weit oben, schwebend wie eine Feder, ohne den Lenker loszulassen.

Die Schilderung von Daniela am Bett von im Koma liegenden Manuel bildet den Hauptstrang des Romans und hat mich am meisten berührt. Ungeschönt und eindringlich schildert sie ihrem Sohn rückblickend, was sie in Italien ertragen musste. Fast 24 Stunden kümmerte sie sich u. a. um einen alten Mann, der nur böse Worte und Abneigung für sie erübrigt hat. Besonders die wohnliche Nähe, die nie endende Bereitschaft und die erniedrigende Art, wie mit ihr gesprochen wird, haben mich getroffen. Ihre Schuldgefühle ihren Kindern gegenüber werden bei jedem kurzen, gefühllosen Telefonat mit ihnen größer und doch findet sie keinen Weg aus ihrer Situation heraus.

"Ich kann nur Fotos anschauen, auf denen ich noch eine Mutter bin."

Der letzte Abschnitt wird aus Angelicas Sicht erzählt. Die ältere Tochter wirkt trotz all ihrer Aktivitäten eher blass und zurückgenommen. Auch sie will zusammen mit ihrem Ehemann direkt nach der Hochzeit das Land verlassen. Auf der Hochzeitsfeier keimt ein kurzer Hoffnungsschimmer für die Familie auf. Es bleibt aber doch der Eindruck, dass Flucht die einzige Möglichkeit in diesem Land ist.

Mich hat dieser Roman noch lange begleitet und auch für das Thema Pflegearbeit sensibilisiert. Bisher habe ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, wie das Leben ausländischer Pflegekräfte aussehen mag. Orte, die von allen verlassen werden und nur von Kindern und Alten bewohnt werden, bieten keine Chance zur Rückkehr.

Bewertung vom 04.11.2021
Der Donnerstagsmordclub / Die Mordclub-Serie Bd.1 (2 MP3-CDs)
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub / Die Mordclub-Serie Bd.1 (2 MP3-CDs)


sehr gut

Britische Seniorengang auf Verbrecherjagd

Die achtzigjährige Joyce hätte wohl nicht gedacht, dass ihr Einzug in die edle Seniorenresidenz in der Grafschaft Kent so viel Abwechslung und Spannung bieten würde. In Coopers Chase gibt es durchaus die klischeehaften Senioren, die mit Bastelrunden und Puzzleabenden ihre Freizeit gestalten. Nicht aber der Donnerstagsclub, der verdeckt unter einem neutralen Namen ungelöste Kriminalfälle aufzuklären versucht. Als dann tatsächlich ein Mord in unmittelbarer Nähe geschieht, sind Elizabeth, Ron, Ibrahim und Joyce, nicht immer zur Freude der örtlichen Polizei, in ihrem Element.

Richard Osman hat mit seinem Debüt einen unterhaltsamen leichten Krimi mit einer wundervoll schrägen, charmanten "very britischen" Seniorengang geschaffen. Dies ist mein erstes Hörbuch, deren Hauptakteure alle weit über 70 Jahre alt sind und sich vor lauter Tatendrang als Mordermittler versuchen. Der Donnerstagsmordclub besteht aber auch aus Mitgliedern, die im Berufsleben als Gewerkschaftsführer, Geheimagentin, Psychiater und Krankenschwester tätig waren. Beste Voraussetzungen, um ehemalige Verbindungen zu nutzen und der Polizei immer einen Schritt voraus zu sein. Besonders Chief Inspector Hudson muss sich erst an die ungewöhnliche Unterstützung der älteren Herrschaften gewöhnen. Seine junge Kollegin Donna de Freitas wurde augenscheinlich von ihnen als Ehrenmitglied erkoren und fühlt sich sichtlich wohl im Seniorenkreis.

Durch die beiden Sprecher Johannes Steck und Beate Himmelstoß wirkt die Handlung, die in mehreren Zeitebenen und wechselnden Perspektiven spielt, sehr lebendig und kurzweilig. Johannes Steck versteht es, die unterschiedlichen Charaktere herauszuarbeiten. Ron, der ehemalige Gewerkschaftsführer, hat mir sehr gefallen.

Trotz all der Schmunzelmomente in denen die Senioren ihr Können unter Beweis stellen, wird nicht vergessen, dass es sich hier um alte Menschen handelt. Sie leben in einer Welt voller Krankheiten, Einsamkeit und natürlicher Tode, und auch wenn sie sich allen Herausforderungen stellen, geraten sie selbst an ihre physischen und emotionalen Grenzen. Es gibt sehr bewegende Momente, die man selten in einem Krimi findet und die ans Herz gehen.

Die Handlung steigert sich langsam von einem Roman in einen Krimi hinein und beinhaltet so manche überraschende Wendung. Es tauchen Boxkämpfer, Drogendealer, Immobilienspekulanten, Nonnen und griechische Kriminelle auf, die allerlei mögliche Motive vorzuweisen haben. Weniger wäre hier aber mehr gewesen, denn so verliert sich die Handlung in zu viele Hinweise und Spekulationen und das Nachvollziehen dieser einzelnen Fäden fällt schwer.

Überraschend gut und gelungen unerwartet kommt dann das Ende daher. Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt und hatte Spaß, diese ungewöhnlichen Ermittler in Aktion zu erleben. Ob die Protagonisten tatsächlich Potenzial für eine ganze Serie haben, bleibt abzuwarten.

Bewertung vom 22.10.2021
Der Mauersegler
Schreiber, Jasmin

Der Mauersegler


sehr gut

Fatale Entscheidung

Der beste Freund bleibt immer an deiner Seite. Doch das Leben spielt nach anderen Regeln. Prometheus, Arzt und Krebsforscher, wird damit konfrontiert, dass sein Freund Jakob an Krebs erkrankt und daran stirbt. Auf der Flucht vor seinen Gefühlen und dem, was er getan hat, landet er nach einer ziellosen Flucht in Dänemark. Ein älteres Damenpaar findet in hilflos am Strand und nimmt ihn kurzerhand bei sich auf. Hier findet er die Zuflucht, die er für seine Trauer benötigt. Doch die Schatten der Schuld lasten schwer auf ihm.

Jasmin Schreiber hat einen einfühlsamen Roman über Freundschaft, Schuldgefühle, Hilflosigkeit und Erwartungsdruck geschrieben, der nachhallt und nachdenklich stimmt. Ihr Schreibstil lässt Worte wie Gefühlswellen über einen hinweg rollen. Mit dem Tod setzt man sich immer nur dann auseinander, wenn es sein muss.

"Die Farben des Herbstes mag ich mehr als die des Sommers, der Sommer ist mir einfach zu laut in den Augen."

Zwei gegenläufige Geschichten werden erzählt. Zum einen die Gegenwart, in der Prometheus auf der Flucht vor sich und allen anderen in Dänemark strandet und die Geschichte einer wundervollen Freundschaft, die in der Kindheit von Prometheus und Jakob begann und bis über den Tod von Jakob bestehen bleibt. Je mehr Rückblicke Prometheus einem gewährt, desto mehr kann man seine Trauer verstehen.

Marvin Prometheus und Jakob waren seit Kindheit an befreundet. Sie teilten Gedanken, Wünsche, Erlebnisse. Der ungelenke Prometheus und der wundervolle Jakob, der die Natur liebte und seinem Freund näher brachte. Besonders die Mauersegler tauchen immer wieder im Roman auf und stehen sinnbildlich für Prometheus Höhenflug und Fall. Ich habe viel über diese faszinierenden Tiere dazu gelernt.

Besonders ans Herz gegangen sind mir die Protagonistinnen Aslaug und Helle. Die beiden dänischen Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein und dennoch bilden sie als Paar eine kraftausstrahlende Einheit. Helle strahlt eine Freundlichkeit aus, die nicht nur Prometheus guttut. Naturverbunden und alten Riten folgend scheint sie zu spüren, wie es um ihre Mitmenschen steht. Aslaug dagegen wirkt unnahbar und tatkräftig. Dass sie ein unglaublich hartes Leben hinter sich hat, kann man erahnen, ist dann aber doch über dessen Ausmaß sprachlos. Ich könnte mir gut vorstellen, bei ihnen auf dem Ferienhof eine Auszeit zu nehmen, so heimelig wurde dieser Ort beschrieben.

Es ist gar nicht so einfach, Prometheus Schuld zuzusprechen oder eben auch nicht. Außerhalb der Rechtsprechung gibt es noch die Gefühlsebene, die nicht so einfach auszuwerten ist. Mir hat dieser gefühlvolle, traurige und dennoch voller warmer Emotionen gefüllte Roman sehr gefallen. Wenn auch die häufigen Gefühlsausbrüche des Protagonisten teilweise doch etwas überzogen wirkten und nicht notwendig gewesen wären.

Bewertung vom 19.08.2021
Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
Zhang, C Pam

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold


sehr gut

Was bleibt, wenn man keine Wurzeln schlagen kann

Als Waisen ziehen die Schwestern Sam und Lucy mit einem gestohlenen Pferd und der Leiche ihres Vaters zu Zeiten des Goldrausches durch die Einöde der Prärie. Einziger Begleiter ist der Wind, der ihnen Erinnerungen zuflüstert und ihnen den Weg weist, um eine geeignete Stelle für das Grab des Vaters zu finden. Als Kinder chinesischer Einwanderer sind sie unerwünscht und wurzellos. Ihre Suche nach einem Zuhause, einer Identität bestimmt ihr Leben.

C Pam Zhang hat mit diesem Debütroman eine unglaublich intensive, schonungslose Geschichte erzählt, die nur durch die wundervoll poetische Sprachmelodie der Autorin erträglich bleibt. Es gab einige Stellen, an denen ich eine Pause einlegen musste, um mich zu sammeln und weiterlesen zu können. Das Schicksal der chinesischen Arbeitsmigranten wird so lebendig beschrieben, dass es einem die Sprache verschlägt.

"Aus der Entfernung sehen die Hügel ihrer Kindheit hell und sauber aus. Sie hat genügend Regenzeiten erlebt, und immer versank alles im Schlamm. Dünne Erde verwandelte sich in Suppe, jeder Tag durchtränkt und aufgesaugt von den Gezeiten des Lebens. Aus der Entfernung erkennt man nicht, wie gefährlich der Westen ist, wie dreckig."

Der amerikanische Traum versprach Reichtum und ein Zuhause, doch für die chinesischen Eltern der elfjährigen Sam und der zwölfjährigen Lucy wird es ein unerreichbarer Traum bleiben. Statt des erhofften Goldes müssen sie Kohle abbauen, um zu überlegen. Sie werden ausgebeutet und verachtet. Viel zu schnell verlieren die beiden Mädchen ihre Eltern und ihren Halt. Sie klammern sich an das überlieferte Ritual, wie Tote zu begraben sind und transportieren den verwesenden Leichnam des Vaters Tag um Tag weiter, um ihn an einer vorherbestimmten Stelle zu beerdigen, damit er Ruhe findet.

Diese Story allein ist schon romanfüllend, doch es finden sich noch mehr Themen, die ineinander verschlungen werden. Die Zerstörung und Ausbeutung der Natur durch Modernisierung und Wachstum wird eindringlich beschrieben. Ureinwohner, Tiere und Landschaften gehen verloren. Der bisher gefeierte Wilde Westen wird Stück für Stück demontiert.

Die Grundstimmung ist geprägt von Verlust, Trauer und Hoffnungslosigkeit. Es ist keine leichte Kost, die die Autorin dem Leser vorsetzt und teilweise fühlte ich mich überfordert, so viel an negativen Ereignissen aufzunehmen. Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen? Bis zum letzten Abschnitt war ich gefangen und bewegt von der Handlung. Dann fiel es mir doch schwer, den abrupten Wechsel der Geschichte zu akzeptieren. Zu sprunghaft und unglaubwürdig wechselten die Themen, die auf ein offenes Ende zuliefen.

Mich hat dieser Roman noch lange beschäftigt und auf die wieder einmal nur mangelhaft offene Berichterstattung geschichtlicher Daten aufmerksam gemacht. Ein interessanter Roman, der es verdient, weiterempfohlen zu werden.

Bewertung vom 19.08.2021
Bergland
Kubsova, Jarka

Bergland


ausgezeichnet

---- Südtirol ist mein heimlicher Sehnsuchtsflecken. Ich liebe die Natur, die Berge, die Menschen und wenn ich könnte, wäre ich oft dort oben, um abzuschalten und zu genießen. Deshalb musste ich diesen Roman unbedingt lesen und wurde nicht enttäuscht. ----

Generationsübergreifender Überlebenskampf auf einem Bergbauernhof

Die "Innerleit-Rosa" bewirtschaftet in den Vierzigerjahren auf 1670 m Höhe allein einen Bergbauernhof. Ihre Familie wird durch den Krieg zerstört und aus ihrer Ehe bleibt nur ihr Sohn. Hart und einsam ist der Kampf mit der Natur, den Rosa auf sich nimmt. Traditionen sind ihr wichtig und der viel gerühmte Fortschritt, den ihr Sohn Sepp so gern durchsetzen möchte, ist ihr ein Dorn im Auge. Jahre später hat der Tourismus auf dem Hof Einzug gehalten und Rosas Enkel Hannes und dessen Frau müssen sich anderen, aber genauso harten Herausforderungen stellen.

Jarka Kubsova, bekannt durch Sachbücher und Reportagen hat ihren ersten Roman veröffentlicht. Deutlich spürbar ist, wie intensiv sie sich auf dieses Bergabenteuer vorbereitet hat. Man fühlt sich sofort mitten im Geschehen und sieht die Natur und die darin hart arbeitende Rosa vor sich. Besonders die Naturbeschreibungen die ans Herz gehen und nachspürbar sind, haben mir besonders gefallen.

"Mit zunehmender Kälte stellten die kleinen Pflanzen das Wachstum ein, zitterten in dem heulenden Wind, der jetzt wieder über die Kämme strich und vor dem sich aes Schwache beugen musste. In Rosa stieg die Furcht vor dem nahenden Winter auf, weil im Winter das Hofherz langsamer schlug."

Drei Generationen werden im Wechselspiel der Perspektiven dargestellt. Rosa ist ein sehr starker Charakter, der sich trotz aller Widrigkeiten durch Krieg, Tod und Unerfahrenheit nicht davon abhalten lässt, den Bergbauernhof durchzubringen. Zwei Generationen später kämpft Franziska auf dem "Innerleit-Hof" darum, den Standard als Ferien-Bauernhof aufrecht zu halten. Wie hart es ist, die pure Landlust für Feriengäste vorzuspielen, wird hier schonungslos und offen wiedergegeben. Die vermeintliche Idylle entpuppt sich als fast unmöglich umzusetzende Vorgabe des Bauernverbands.

Frauen stehen in diesem Roman im Vordergrund. Mal als hart arbeitende Bäuerin, mal als Familien- und Vermietungs-Managerin, die auf die eine oder andere Weise an ihre Grenzen gelangen. Man spürt, wie zerrissen die Frauen sind und wie viel ihnen abverlangt wird.

Besonders die aktuelle Zeitschiene, die den Ferienbauernhof betrachtet, stimmt sehr nachdenklich. Der Einblick hinter die Kulissen der vermeintlichen Landidylle zeigt, welche hohen Kriterien an einen touristisch genutzten Bauernhof gestellt werden. Die Verbindung zur Großmutter mit ihrer naturbelassenen Acker- und Gemüsebewirtschaftung zeigt einen neuen Weg auf, der Hoffnung auf ein neues Zeitalter gibt. Sanfter Tourismus, der teilnimmt und nicht zerstört.

Für mich ein Lesehighlight.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.08.2021
Das Buch des Totengräbers / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.1
Pötzsch, Oliver

Das Buch des Totengräbers / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.1


sehr gut

Noch bevor Leopold von Herzfeldt seinen ersten Tag bei der Wiener Polizei antritt, begibt er sich sehr zum Ärger seiner neuen Kollegen an einen grausigen Tatort. Eine junge Frau wurde im Prater ermordet und gepfählt, eine Tötungsform, die der Aberglaube für Untote vorgesehen hat. Durch seinen forschen Auftritt mit ungewöhnlichen Tatortsichtungen verscherzt es Leopold sich gleich und landet bei einem scheinbar harmlosen Fall. Lediglich die Verbindung mit der Familie Strauß erfordert ein gewisses Maß an Zurückhaltung bei der Ermittlung. Hätte der kauzige Totengräber des Wiener Zentralfriedhofs Leopold nicht auf Ungereimtheiten hingewiesen, wäre der Fall sicherlich schnell ad acta gelegt worden. Die neu gewonnenen Erkenntnisse decken einen ungeahnten Skandal in höchsten Kreisen auf und Leopold gerät, allein auf sich gestellt, in höchste Gefahr.

Oliver Pötzsch ist mit dem Start dieser neuen Serie ein höchst unterhaltsamer, spannender und skurriler Krimiauftakt gelungen. Meine Skepsis ins Jahr 1893 zu springen und einen spannenden Krimi zu lesen, habe ich schnell verworfen. Man fühlt sich sofort ins Wien der Jahrhundertwende versetzt. Mit viel Charme und gut recherchiertem Hintergrundwissen werden die Protagonisten lebendig und auf ihre Art liebenswert skizziert. Mir hat vor allem die junge Telefonistin Julia Wolf gefallen. Die junge Frau kämpft sich mit einer enormen Willensstärke durchs Leben. Sie verbirgt ein Geheimnis, dass ihr die Stelle und damit ihre finanzielle Unabhängigkeit kosten würde.

Im Hörbuch glänzt der Sprecher Hans Jürgen Stockerl mit seinem ganz besonderen Wiener Schmäh. Die häufigen Dialektdialoge hätte ich als bekennende Norddeutsche nie im Leben richtig ausgesprochen. Hier war das Lesen und gleichzeitig Hören ein absolutes Highlight.

Zitat: "Mein Blut ist so lüftig und leicht wia der Wind, i bin halt an echt's Weanerkind ..."

Nicht nur die Handlung mit überraschenden Wendungen und grausigen Vorfällen hat mich in den Bann gezogen. Ganz nebenbei erfährt man viel über die Anfänge der Kriminalistik. Der Einsatz von Hilfsmitteln, um einen Tatort zu sichern und zu dokumentieren, steckt noch in den Kinderschuhen. Erst zögerlich werden Spuren gesichtet und Fotografien erstellt. Interessant ist auch der Almanach für Totengräber, der immer wieder zitiert wird. Augustin Rothmayer, der aus einer Wiener Totengräber-Dynastie stammt, ist der heimliche Held dieses Krimis. Hilft er doch immer wieder mit kleinen Details aus dem Reich der Toten, den Fall nach und nach aufzuklären.

Befangen haben mich die Schilderungen über das ärmliche Leben der Menschen gemacht. Wie selbstverständlich ist uns ein Dach über dem Kopf, ein Gehalt, das monatlich gezahlt wird. Die Industrialisierung führte zum Massenansturm auf Städte, denen auch Wien nicht gewachsen war. Wohnraum war knapp und selbst ein Grab konnte selten bezahlt werden. Das kleine Mädchen, das auf dem Friedhof nicht vom Grab ihrer Mutter weicht, ist sehr bewegend beschrieben worden.

Für mich ein überraschendes historisches Krimihighlight, das Lust auf Fortsetzung macht.