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Benutzername: 
Desiree
Wohnort: 
Wanne-Eickel

Bewertungen

Insgesamt 117 Bewertungen
Bewertung vom 04.02.2024
Notizen zu einer Hinrichtung
Kukafka, Danya

Notizen zu einer Hinrichtung


ausgezeichnet

Ansel Packer ist ein Serienmörder, der auf seine Hinrichtung wartet.
Aber in „Notizen zu einer Hinrichtung“ von Danya Kukafka gibt er nur den Rahmen vor. Seine Taten und seine Geschichte sind das Bindemittel der drei Protagonistinnen. Da ist Ansels Mutter Leander, die vor seinem gewalttätige Vater floh, ihn und seinen Bruder zurückließ und mit der Schuld darüber leben musste. Da ist Saffy, die Ansel als Kind im System kennenlernte und damals schon die Dunkelheit in ihm sah; die Ermittlerin wurde und ihn jagte, weil sie früh wusste, dass er für die Morde verantwortlich war. Und da ist Hazel, die Zwillingsschwester von Jenny, die nicht nur Ansels letztes Opfer wurde, sondern ihn auch mal geliebt hat.
Zwar steht Ansel im Mittelpunkt des Buches, aber die Aufmerksamkeit liegt klar bei den Mädchen und Frauen, deren Leben er auf unterschiedlichste Weise, jedoch immer schmerzhaft, verändert hat. Nicht er spielt die zentrale Rolle, weil die Täter stets im Fokus stehen, sondern die Opfer, die meist nur Namen sind, wenn überhaupt. Das hat mir gut gefallen. Ich bin TrueCrime-Fan, ich kenne die Faszination, die das Böse in einem auslöst und die Frage, warum Menschen so grausam sein können. Die Antwort darauf finden wir nicht bei den Opfern, denn sie tragen niemals und in keinster Weise irgendeine Schuld.
Danya Kukafka reproduziert ein altes Narrativ: der Mann mit schlechter Kindheit, der sich von Frauen unverstanden, beschämt fühlt und dann mit Gewalt reagiert. Das ist nicht neu, allerdings nicht nur Fiktion. Aber durch die Perspektiven der Frauen, die alle eine Wandlung im Hinblick auf Ansel durchmachen, wird dieser Roman besonders. Ich war sofort fasziniert und fiel hinein in die Geschichte. Doch dann wurde es etwas zäh. Der Stil, der mich anfangs so gefangen nahm, wurde zusehends anstrengend, viele Adjektive, sich wiederholende Einzelheiten. Das Ende wiederum hat mich versöhnt, abgeholt und zum Nachdenken gebracht.

Bewertung vom 23.01.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


sehr gut

Lev lebt in einem Dorf in Rumänien, ist deutsch, rumänisch, ungarisch, österreichisch. Fühlt sich nirgendwo zugehörig, auch nicht in seine Familie, in die er als Nachzügler geboren wurde. Nur in Kato hat er eine Art Heimat gefunden, doch sie ist weg und tingelt durch die Welt. Nach Jahren besucht er sie, aber da ist diese Distanz, die schon länger vorherrschte.
In „Lichtungen“ von Iris Wolff geht es weniger um die Freundschaft zwischen Kato und Lev als ich erwartet habe, sondern eher um die prägnanten Punkte in Levs Leben und zwar rückwärts. Kato spielt dabei eine wichtige Rolle, allerdings eher durch ihre Abwesenheit.
Die Geschichte an sich, Levs Geschichte, ist wie viele anderen, doch er selbst ist bemerkenswert. Er ist feinfühlig und sensibel in einer Welt und Zeit, die hart ist. Er hatte es nicht leicht. Mit jedem weiteren Kapitel erfährt man mehr davon, aber nicht das macht diesen Roman besonders, sondern die Leerstellen die Iris Wolff in ihren gut gewählten Worten lässt.
Leider hatte ich etwas anderes erwartet. Der Fokus liegt allein auf Lev, was nicht unbedingt schlecht ist, aber doch eintönig wird, zumal schon am Anfang bestimmte Geschehnisse eingestreut werden, die durch das Rückwärtserzählen zwar konkretisiert werden, jedoch nicht überraschen. Die Familiendynamik ist interessant, aber auch nichts neues. Manchmal war ich unsicher, warum etwas erzählt wurde und vielleicht hätte mir die Geschichte chronologisch besser gefallen. Dennoch hat mich das Buch so gefesselt, dass ich es nicht abgebrochen habe.
Der Blick nach Rumänien war für mich neu und das Gefühl nicht dazuzugehören, hat mich abgeholt. Ebenso hat die Sprache vieles wett gemacht. Sie ist zart und mitfühlend. Sie hat etwas leichtes, obwohl der Inhalt es nicht ist.
Auch wenn „Lichtungen“ mich nicht umgehauen hat, werde ich auf jeden Fall einen Blick in Iris Wolffs hochgelobten Roman „Die Unschärfen der Welt“ werfen, denn sie hat mich mit ihrem Schreiben berührt.

Bewertung vom 15.01.2024
Wellness
Hill, Nathan

Wellness


ausgezeichnet

Elizabeths und Jacks Anfangsgeschichte ist romantisch, beinahe kitschig und sie werden das perfekte Paar - zwei selbstgewählte Waisen, die sich gefunden haben. Doch zwanzig Jahre später, mit Sohn, Jobs, Verpflichtungen und einer vermeintlichen Traumwohnung im Entstehen, droht ihre besondere Beziehung zu zerbrechen. Erst als sich beide ihrer Vergangenheit stellen und zu sich selbst finden, erkennen sie, was sie am anderen haben.
„Wellness“ von Nathan Hill wird eindrücklich beworben und ich wurde nicht enttäuscht. Beide Protagonisten sind ebenbürtig, beiden räumt Nathan Hill gleichviel Raum ein. Er taucht ab in die jeweilige Vergangenheit, beleuchtet mal Elizabeth, mal Jack, was manchmal etwas ausufert, aber spannend bleibt, nicht nur weil beide so unterschiedlich sind, sondern weil Hill als Erzähler kein Blatt vor den Mund nimmt.
Doch „Wellness“ reduziert sich nicht nur auf Elizabeth und Jack. Natürlich spielt auch Sohn Toby eine zentrale Rolle und Elizabeth und Jacks Vorfahren, die ihnen ein Bündel mitgegeben haben, was nicht leicht zu schultern ist und das sie stets allein getragen haben, auch während der Partnerschaft. Sie spüren, dass ihre Ehe in Gefahr ist und suchen nach Lösungen. Sie versuchen Selbstoptimierung, neuen Wohnträume, die Öffnung der Beziehung, doch brauchen lange bis sie zum Kern des Problems vordringen, ganze 730 Seiten.
Ebenfalls interessant fand ich die Exkurse zum Placeboeffekt, zur Kunstgeschichte und Psychologie, die Nathan Hill in die Geschichte eingeflochten hat. Sprachlich ist es weniger poetisch, aber durchaus gekonnt. Hin und wieder musste ich an David Foster Wallace denken. Und manchmal hat mich die schiere Informationsflut schnaufen lassen.
„Wellness“ ist nicht nur ein Roman, es ist eine Studie über die Liebe in modernen Zeiten, über die Ansprüche, die wir heute an sie haben und wie eine Beziehung mit seinen überhöhten Erwartungen bestehen kann. Es ist eine nicht kitschige in romanform gegossene Liebesgeschichte, die mir sehr gefallen hat.

Bewertung vom 31.12.2023
Die Gebärmutter
Keyi, Sheng

Die Gebärmutter


sehr gut

„Die Gebärmutter“ von Sheng Keyi zusammenzufassen, ist gar nicht so leicht. Im Zentrum des Romans steht eine Familie. Großmutter Qi Nianci hat noch traditionell die Füße gebunden bekommen und ist das Oberhaupt der Familie, wozu Schwiegertochter Chu Anyun und ihren fünf Töchtern und ihr Sohn gehören. Anhand dieser Frauen entfaltet sich ein komplexes Bild über die Rolle der Frau in China und welchen Wandel es innerhalb der Generationen durchlaufen hat.
Fast alle haben geheiratet, glückliche und weniger glückliche Ehen geführt. Sie haben studiert und Geschäfte aufgebaut, den Haushalt geführt und natürlich Kinder bekommen, was fast immer von der Regierung reglementiert wurde. Sie sind alle unterschiedlich und kämpfen doch mit ähnlichen Problemen.
Genauso schwer wie den Inhalt von „Die Gebärmutter“ zusammenzufassen, ist es, das Buch zu bewerten. Ich fand es einerseits sehr interessant; diesen fokussierten Blick auf die Frau, gerade im ländlichen China, was ich so noch nicht gelesen habe. Allein die Anzahl und Komplexität der verschiedenen Lebensentwürfe ist beeindruckend. Andererseits war es verwirrend, weil die Namen der Figuren sich ähneln und für mich schwer auseinanderzuhalten waren. Auch die vielen nicht gleich erkennbaren Perspektivwechsel haben mich manchmal orientierungslos gemacht. Hinzu kommt, dass es stellenweise etwas langatmig ist und manches mehrfach erzählt wird.
Sprachlich war es grandios, die Metaphern waren messerscharf und gleichzeitig poetisch. Allerdings muss man am Ball bleiben, die durchaus schmerzhaften Themen ertragen und auch so manche Durststrecke. Wahrscheinlich ist es kein Buch für Jeden, trotzdem hat es mir gefallen und ich hoffe, dass noch weitere Bücher von Sheng Keyi übersetzt werden. Sie hat mir mal wieder verdeutlicht, dass ich öfter zu japanischen Autorinnen greifen sollte. Nur eine Frage bleibt: wieso musste ein Mann es übersetzen, auch wenn er einen guten Job gemacht hat?

Bewertung vom 04.12.2023
Wilde Minze
LaCour, Nina

Wilde Minze


gut

Emilie weiß noch nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Also studiert sie erstmal weiter und arbeitet für eine Floristin. Sie arrangiert Blumen in Restaurants, so auch im „Yerba Buena“, wozu ihre Familie eine besondere Beziehung hat. Dort trifft sie auf Sara, die schon in jungen Jahren viel erlebt hat und endlich eine Heimat gefunden zu haben scheint. Sie fühlen sich sofort zueinander hingezogen, dennoch trennt sie immer wieder etwas.
Es ist schwierig, den Kern von „Wilde Minze“ von Nina Lacour festzuhalten. Da sind diese zwei Frauen, die jeweils ihr Päckchen zu tragen haben. Die sehr verschieden sind, doch oft dasselbe fühlen. Die spüren, dass ihre Verbindung besonders ist, doch immer wieder Entscheidungen treffen, die sie auseinanderbringen.
Richtig begeistert hat mich der Roman nicht und warm wurde ich mit keiner der Protagonistinnen. Auch die Erzählweise hat mich etwas irritiert. Es wurde aus beider Leben berichtet, zum Teil sprunghaft, manchmal szenisch, manchmal erzählend, aber richtig in die Tiefe ging es dabei nicht.
Ich bin mir nicht sicher, worauf das Augenmerk lag. Auf der Liebesgeschichte, die erst spät eine Rolle spielt? Oder doch eher auf den Protagonistinnen und deren Entwicklung? Beide machen eine durch, aber das Resultat empfinde ich nicht wirklich als befriedigend, genauso wie das Ende. Es scheint, als sollen sich die beide Geschichten unbedingt verbinden, sie es aber nicht schaffen. Vielleicht ist das der Kern: dass zwei Liebende nicht zueinanderfinden.
Sprachlich ist es ok, hat mich aber nicht umgehauen, wie so manch anderes Buch in letzter Zeit. Dennoch hat mich irgendwas dranbleiben lassen, auch wenn ich nicht benennen kann was.
Ich hatte allerdings mehr erwartet, denn Nina Lacour hat schon viel schriftstellerische Erfahrung. Vielleicht war sie auch selbst zu sehr mit der Geschichte verwoben, wie sie in der Danksagung erwähnt. Im Auge werde ich sie trotzdem behalten.

Bewertung vom 27.11.2023
All dies könnte anders sein
Thankam Mathews, Sarah

All dies könnte anders sein


ausgezeichnet

Sneha beginnt schon zum zweiten Mal neu. Als Teenagerin ist sie für ein besseres Leben mit ihren Eltern aus Indien in die USA gezogen. Inzwischen ist sie Anfang zwanzig, ihre Eltern zurück in der alten Heimat und sie tritt ihren ersten Job in einer fremden Stadt an. Sie ist mutig und unerschrocken, stürzt sich hinein, ins Dating, in die Arbeit, in Freundschaften und wird immer wieder auf die Probe gestellt. Sie lernt Marina kennen und verliebt sich, ohne die Gefühle wirklich zulassen zu können. Aber viel wichtiger und beständiger als die romantische, ist die Liebe zu ihrer Freund*innen.
„All dies könnte anders sein“ von Sarah Thankam Mathews ist ein klassischer Roman mit vielen bemerkenswerten Aspekten. Snehas Entwicklung ist typisch und auf eine Art auch vorhersehbar, aber die Welt in der sie lebt, wird oft vernachlässigt; eine Welt lesbischer Frauen, mit Menschen, die das Pronomen they wählen; eine Welt, wo PoCs immer noch anders behandelt werden; wo junge Menschen, trotz guter Ausbildung, keinen Job finden und wenn doch, müssen sie sich ohne Krankenversicherung von einem Gehaltsscheck zum nächsten hangeln. Hier begegnet Sneha Menschen, die zu Freund*innen werden und zu denen sie Verbindungen aufbaut, wie sie sich wohl jede*r wünscht. Die eigentlichen Nebenfiguren haben genauso viel Fleisch am Leib und so viel Tiefe wie die Protagonistin selbst und sind eigenen Individuen. Sie werden zu Snehas Familie, die nicht perfekt ist, aber füreinander einsteht. Die Liebesgeschichte, die der Kern des Romans ist, rückt dabei in den Hintergrund.
Sprachlich ist es ebenfalls beeindruckend, was wohl auch an der gelungenen Übersetzung liegt. Sarah Thankam Mathews beschreibt eindrücklich, roh und ungekünstelt. Spricht aus, was ist und kleidet es in Bilder mit scharfen Kanten, die so noch einprägsamer werden.
Kein Wunder, dass dieser Roman ausgezeichnet und hochgelobt wurde.

Bewertung vom 23.11.2023
Y.
Thör, Jacqueline

Y.


ausgezeichnet

„Y.“ soll ein „vielschichtiges Porträt der Generation Y“ sein, aber ich würde es nicht darauf reduzieren. Dieses kleine Buch, das Novelle, Drama und Erzählung enthält, befasst sich mit Elementarem. Es erzählt von drei Frauen: Sarah verlässt ihr altes Leben und wird zu Anna, Y. hadert mit sich selbst und ihrem Dasein und die namenlose Erzählerin am Schluss beschäftigt sich mit dem Tod. Zusammen ergeben sie ein Gesamtbild des Seins, das viele Aspekte beinhaltet, die man einem so schlanken Büchlein, von gerade mal 87 Seiten, gar nicht zutraut.
Jacqueline Thör versteht, die Essenz herauszuziehen und in Worte zu gießen. Sie erschafft Stimmungen, ohne viel sagen zu müssen. Ich gehöre der Generation Y an, aber ich bin mir sicher, dass sie auch alle anderen Generationen anspricht, denn sie schildert Grundlegendes.
Jeder Abschnitt könnte für sich selbst stehen, doch gemeinsam ergeben sie ein rundes Bild und beschreiben (Neu-)Anfang, das Werden (mit all sein Zweifeln) und am Ende den Tod. Dabei greift Jacqueline Thör auf ihren philosophischen Background zurück, ohne hochtrabend zu sein, und lässt auch popkulturelle Bezüge einfließen, was eine sehr gelungene Kombination ergibt.
„Nenn mich einfach Igel“ hat mich vor einem Jahr schon sehr begeistert und „Y.“ hat das nochmal unterstrichen. Ich hoffe sehr, dass Jacqueline Thör immer weiter schreibt. Sie ist eine Stimme in der Literatur, die man im Auge behalten sollte. Sie schreibt nicht nur wunderbare Romane, was sie mit diesem Exkurs gezeigt hat.
Und bald kommt schon ein neues Buch, worauf ich mich sehr freue!

Bewertung vom 22.11.2023
Lieder aller Lebenslagen
Pilgaard, Stine

Lieder aller Lebenslagen


ausgezeichnet

Die Ich-Erzählerin, eine Horoskop- und Gelegenheitsliederschreiberin zieht mit Partner*in in ein Genossenschaftshaus, wo sie sofort in die Gemeinschaft aufgenommen wird. Sie soll für sie Lieder schreiben und hört ihre Geschichten, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Von Oma, die mit Ruth zusammenlebt, und die ihre Liebe in der Jugend verstecken mussten; von Sagaexpertin Lisa, die mehr in den Sagas lebt als in der Realität; von Aktivistin Lotte, die sich in Grieche Agis verliebt und viele mehr.
„Lieder aller Lebenslagen“ von Stine Pilgaard ist kein klassischer Roman. Es gibt keinen festen Erzählstrang, sondern nur den Kern, nämlich die Bewohner*innen des Hauses. Darauf muss man sich einlassen. Tut man es, wird man mit einer Bilderflut und Sprachintensität belohnt, die ich selten gelesen habe.
Die Geschichten sind ok, aber auch austauschbar und die schiere Masse an Figuren macht es manchmal schwer zu folgen, doch darauf lag nicht mein Hauptaugenmerk und hat mich deswegen nicht gestört. Stine Pilgaards Umgang mit Worten lässt mich neidisch werden und schon allein die Quantität der Metaphern ist beeindruckend. Für manche mag das Überladen wirken, aber zur Ich-Erzählerin, die ja Dichterin ist, passt das und wirkt nicht kitschig oder abgedroschen.
Und dann ist noch die böse Zunge der Erzählerin. Denn manchmal haut sie Sachen raus, die so wahr und treffend, wie bitterböse sind, ob es ihre heiratende Schwester, ihre langjährigen Beziehung oder Menschen betrifft, die sie aufs Kinderkriegen ansprechen. Damit brachte sie mich oft zum Schmunzeln.
Mit „Meine Mutter sagt“ hatte mich Stine Pilgaard bereits als Leserin gewonnen, mit „Lieder aller Lebenslagen“ hat sie meine Begeisterung noch verstärkt.

Bewertung vom 17.11.2023
Das Gemälde
Brooks, Geraldine

Das Gemälde


sehr gut

Lexington ist das bedeutendste Rennpferd der USA. Als Zuchthengst hat er viele erfolgreiche Nachkommen gezeugt und ist 150 Jahre nach seinem Tod nicht vergessen, auch wenn sein Skelett im Smithsonian verstaubt und ein Gemälde von ihm auf dem Sperrmüll landet. Wissenschaftlerin Jess und Kunsthistoriker Theo fasziniert Lexingtons Geschichte und führt sie zusammen. Außerdem ist da noch Jarret, der Lexington sein ganzes Leben lang begleitet und eine ganz besondere Verbindung zu ihm hat, doch als Schwarzer Sklave weniger Wert zu sein scheint als das Pferd. Sie erleben viel, nicht nur im Rennsport, sondern auch die Unruhen und Kämpfe zwischen Norden und Süden und geben sich gegenseitig Halt.
Das sind nicht alle Erzählstränge von „Das Gemälde“ von Geraldine Brooks, aber für mich die Zentralsten. Es gibt noch Maler Scott und Kunsthändlerin Martha, die das Bild komplettieren. Es ist ein sehr komplexer Roman, der sich nicht nur mit dem Rennsport befasst, sondern vor allem mit der Sklaverei in den USA, die zu Lexingtons Lebzeiten Normalität war und mit dem allgegenwärtigen Rassismus in der Gegenwart. Jarret und Theo sind PoC und geben jeweils Einblicke in ihre Lebensrealität, was ich sehr gelungen finde, aber mit einem gewissen Beigeschmack, denn muss eine Weiße Frau darüber schreiben, auch wenn das im Kontext des Buches sehr stimmig ist?
Sehr verständlich fand ich Jess’ Unbedarftheit in Bezug auf Mikroaggressionen und verstecktem Rassismus. Und ich mochte die Liebe zum Pferd, die Verbindung zwischen Mensch und Tier und die Leidenschaften der Figuren, die einen Gegenpol zu der Grausamkeit des Rassismus schaffen, diese aber gleichzeitig unterstreichen.
Geraldine Brooks Arbeit, die sie in den Roman und in die Recherche gesteckt hat, ist bei jeder Seite spürbar und Pferdemenschen und kunsthistorisch Interessierte werden ihre Freude haben. Vor allem stellt es aber die Lebensrealität von PoC in den Vordergrund, zwar von einer Weißen, aber trotzdem unglaublich wichtig.

Bewertung vom 05.11.2023
Im Prinzip ist alles okay
Polat, Yasmin

Im Prinzip ist alles okay


sehr gut

Miryam hatte es nie leicht. In ihrem Elternhaus herrschte Gewalt, der Vater schlug und die Mutter steckte ein, alles angeblich zum Wohl der Kinder. Auch später wurde es nicht besser, Gewalt, ob psychisch oder physisch bestimmte ihr Leben. Nun ist sie selbst Mutter und will alles besser machen, muss aber erkennen, dass die Vergangenheit tiefe Narben aus Traumata, Depression, Zweifel und Angst, hinterlassen hat.
„Im Prinzip ist alles okay“ von Yasmin Polat ist kräftezehrend. Die Gewalt, die Miryam erlebt ist so sehr mit ihrem Leben verankert, dass sie nicht davon loskommt und immer wieder in alte Muster rutscht, zum Schluss sogar selbst so handelt, wie sie nie handeln wollte. Der Roman zeigt wie weit generationsübergreifende Traumata gehen können und wie sehr sie das Leben prägen, auch wenn man alles dafür tut, um auszusteigen. Denn das versucht Miryam, doch trotz Therapie, Kontaktabbrüchen und besseren Beziehungen kommt sie von der Vergangenheit nicht los und das beeinflusst die für sie wichtigste Beziehung, die zu ihrem Kind.
Ich fand Miryam wirklich anstrengend. Anfangs tat sie mir Leid, sie ist ein Opfer, kann absolut nichts für ihre Traumata und nach einer absolvierten Therapie sollte sie besser mit der Depression, die sehr gut geschildert ist, klar kommen. Leider funktionieren psychische Erkrankungen so nicht, schon klar. Aber ich will auch nicht lesen, wie sie sich über Seiten und Seiten in Selbsthass, Zweifeln und Paranoia suhlt. Und auch das Ende gefällt mir nicht. Für so viel Gejammer und Einführung kommt das Ende, das zwar stimmig ist, zu hopplahopp und auch das es offen ist, wirkt irgendwie gewollt, so als hätte man einfach den letzten Absatz weggelassen, um es zu erschaffen.
Sprachlich ist es ok, haut mich aber nicht vom Hocker. Manche Charaktere hätte ich nicht gebraucht, ebenso wie die gewollt achronologische Erzählung zum Schluss. Trotzdem sehe ich Potenzial, nicht zuletzt wegen der wichtigen Themen, die Yasmin Polat anspricht.