Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Volker M.

Bewertungen

Insgesamt 421 Bewertungen
Bewertung vom 14.09.2024
Saucen
Wisweh, Gorm

Saucen


ausgezeichnet

Gorm Wisweh ist ein dänischer Fernsehkoch, der sich gegenüber den meisten deutschen Fernsehköchen durch einen geringen Hang zur Selbstinszenierung auszeichnet. Sein Buch „Saucen“ ist eine kompakte Einführung in die Kunst der Saucenherstellung, in dem viele Klassiker aus aller Welt vorgestellt werden, mit einfachen und leicht nachkochbaren Anleitungen. Es sind kalte wie warme Saucen, für festliche Gerichte, aber auch den ungezwungenen Grillabend. Die geschmackliche Vielfalt ist sehr breit, mit Rezepten aus ganz Europa, aber auch Mexiko, Israel und den USA. Im Anhang gibt es eine Empfehlungsliste, welche Sauce zu welchem Gericht passt und auch hier kann man erkennen, wie ausgewogen und vielseitig die Auswahl ist. Da hat sich jemand Gedanken gemacht, um für jeden Topf einen Deckel zu finden.

Die Anleitungen sind meistens textlich, es sei denn, einzelne Schritte sind kritisch und man benötigt dazu einen Bildabgleich (z. B. um Bräunungsgrad oder Konsistenz abzupassen). Alle Rezepte sind einfach nach zu kochen und brauchen keine große Erfahrung, obwohl das natürlich nie hinderlich ist, insbesondere beim Abschmecken. Teilweise bauen die Saucen auch aufeinander auf, wobei dann auf die Grundsauce referenziert und nur die Variation im Detail beschrieben wird. Gut gefallen hat mir, dass der Autor vereinzelt Hinweise gibt, wie man Saucen „retten“ kann, wenn es dann doch schiefgeht. Die Bearnaise ist so ein klassischer Risikokandidat mit Korrekturpotenzial.
Die Abbildungen sind äußerst appetitlich, aber das darf man von einem Kochbuch auch erwarten.

Auf 150 Seiten werden 65 Saucenrezepte erklärt, die man natürlich alle auch im Internet findet, aber da überwältigt mich oft die Menge an Varianten, die ich schwer einschätzen kann. Bei Wisweh findet man nur die „Originale“, wie sie auch in der Kochschule gelehrt werden. Kleine Verfeinerungen und Kombinationstipps gibt es gratis dazu.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.09.2024
Märchen und Erzählungen
Wilde, Oskar

Märchen und Erzählungen


ausgezeichnet

Was mich an Oscar Wilde immer wieder fasziniert, ist sein zeitloser Humor, der auch heute noch fast uneingeschränkt funktioniert. Gerne nimmt er menschliche Schwächen ins Visier, ist dabei aber so charmant, dass man ihm nie böse ist. Seine treffenden Charakterisierungen und Aphorismen werden die Zeiten überdauern, da bin ich sicher.

Wilde war besonders gut in der kurzen Form, weshalb gerade seine Märchen und Erzählungen seit über 100 Jahren immer wieder neu aufgelegt werden. Es gab seitdem keine fünf Jahre, in denen nicht irgendein Verlag ihn „wiederentdeckt hat“.

Die sehr preisgünstige Ausgabe aus dem Marix Verlag nutzt die Übersetzungen der Insel-Ausgabe von 1910 von Franz Blei und Felix Paul Greve, beide damals bekannte Übersetzer aus dem Englischen. Der Vorteil ist, dass ihre Übersetzungen gemeinfrei sind (und damit eine preiswerte Ausgabe erlauben) und dass sie sprachlich auch im Deutschen genau der Zeit entsprechen, in der Wildes Texte entstanden. Der Nachteil ist, dass man den manchmal etwas umständlichen Stil des Schriftdeutschen um 1900 akzeptieren muss, der nicht ganz die Leichtigkeit der englischen Originaltexte besitzt. Es kommt auch zu Bedeutungsverschiebungen, die einige Pointen „versemmeln“, vor allem, wenn sie auf sprachlichen Doppelbedeutungen basieren, die es parallel im Deutschen nicht gibt.

Sehr passend sind die Illustrationen von Heinrich Vogeler, dem bedeutendsten Buchillustrator des deutschen Jugendstil, die den Zeitgeist wunderbar einfangen. Sie werten die Ausgabe, die als Hardcover mit Schutzumschlag auch sorgfältig produziert ist, zusätzlich auf.

Eine preisgünstige, schöne Ausgabe, die es lohnt, Oscar Wilde wieder einmal vom Buchregal auf den Nachttisch zu holen.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.09.2024
LIFE. Hollywood

LIFE. Hollywood


ausgezeichnet

Das LIFE Magazine war ab 1936 das bedeutendste Fotomagazin der Welt mit einer Auflage, die bereits 1940 die Million überstieg. Spezialisiert auf großformatige Fotoreportagen, brachte die Zeitschrift jede Woche die weite Welt in US-amerikanische Haushalte, wobei man sehr auf einen gewissen Glamour-Faktor bedacht war. Hollywood stand nicht zufällig von Anfang an im Fokus, allerdings nicht im Sinn eines aufklärerischen Journalismus heutiger Prägung, sondern LIFE diente als Verstärker für das Bild, das Hollywood von sich selber in der Öffentlichkeit sehen wollte. Der konservative Herausgeber Henry Luce verbot jede Form „sündiger“ Darstellung in seinem Magazin, alles blieb brav und züchtig und wenn etwas nach Rebellion aussah, war das genau geplant und vorher mit dem Marketing der Filmstudios abgestimmt. Drogen, Sex und Ausschweifung, die Triebfedern Hollywoods, blieben außen vor. Eine sich im Badeanzug räkelnde Leinwandschönheit war das höchste der Gefühle.

Trotz (oder gerade wegen?) dieser inneren Zensur wurde das LIFE Magazine zum Schlüsselloch, durch das der Leser hinter die Kulissen Hollywoods zu blicken glaubte und gelegentlich durfte er es tatsächlich ein wenig: LIFE ist der Erfinder des „Making of“, der lancierten Hintergrundstory und war maßgeblich an der Entwicklung des Starkults im klassischen Hollywood beteiligt. Das inszenierte Glamourfoto steht geradezu exemplarisch für das Bild, das wir von dieser Zeit haben und es ist zutiefst geprägt vom Reportagestil des Life Magazine.

Die beiden TASCHEN-Bände „LIFE - Hollywood“ zeigen auf über 700 Seiten Aufnahmen zwischen 1936 und 1972, von denen einige sogar ins kollektive Gedächtnis übergegangen sind. Nach 1972 geriet nicht nur das Studiosystem in die Krise, sondern auch LIFE, das nie wieder die alte Bedeutung erlangen sollte.
Auffällig ist die Geschäftigkeit der auf den Fotos Dargestellten. Müßiggang und Hedonismus sieht man selten, Hollywood präsentierte sich vor allem als eine Traumfabrik hart arbeitender Männer und Frauen, so dass selbst ausgelassene Fröhlichkeit nur im Rahmen von Proben für einen neuen Film geschehen durfte. Jedes Foto zimmerte an einem Mythos, virtuos auf der Klaviatur der Gefühle spielend, was Hollywood bis heute perfekt beherrscht.

Die Textbeiträge fokussieren auf bedeutende Meilensteine der Kinogeschichte, Filme von Hitchcock bis Francis Ford Coppola, wie LIFE sie rezipierte und was hinter den Kulissen tatsächlich geschah. Allüren und Machtkämpfe, kühl kalkuliertes Marketing und künstlerische Höhenflüge, aber auch mächtige Strippenzieher, die Studiobosse, die ihre Stars wie Privatbesitz behandelten.

„LIFE. Hollywood“ zeigt die Filmfabrik, wie wir sie uns wünschen, als perfektes Räderwerk, in dem die Stars so heldenhaft und schön sind, wie wir sie aus den Filmen kennen. Das stimmt zwar nicht, aber irgendwie eben doch.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.09.2024
The Very Best
Christie, Agatha

The Very Best


sehr gut

Die neue Agatha-Christie-Sammelbox ergänzt die bereits erschienenen Sammelboxen mit den Hercule-Poirot- und Miss-Marple-Kurzgeschichten um die bekanntesten Romane der Autorin. Bis auf einen haben sie ebenfalls die beiden Detektiv-Ikonen als Protagonisten, aus dem Raster fällt lediglich „Die Mausefalle“, die ein zum Roman umgebautes Theaterstück ist. Allerdings kommt die „Mausefalle“ literarisch auch nicht an die anderen Texte heran. Sie wirkt fast wie ein Dialog mit eingeschobenen Regieanweisungen, die für Christie so typischen, feinen psychologischen Beobachtungen fehlen weitgehend.

Die Sprecherqualität ist sehr unterschiedlich. Da gibt es wunderbar eingesprochene Texte wie z. B. „16 Uhr 50 ab Paddington“ von Katharina Thalbach, aber auch missglückte wie „Die Mausefalle“ von Oliver Kalkhofe, bei dem leider alles nach überdrehtem Comic Trash klingt. Auch Charlie Hübner ist erkennbar unvorbereitet, macht unzählige Phrasierungsfehler, die zeigen, dass er den Text nicht verstanden hat, aber offenbar war es der Regie ebenfalls egal. Die meisten machen ihren Job dagegen von routiniert gut bis exzellent.

Übrigens sind nicht alle Stücke inhaltlich deckungsgleich mit den berühmten Miss-Marple-Filmen mit Margaret Rutherford. In den Filmen gab es teilweise erhebliche dramaturgische Änderungen. Das Original zu lesen, bietet also immer noch Überraschungen, ganz abgesehen davon, dass Agatha Christie einfach eine gute Schriftstellerin war.

(Das Hörbuch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.08.2024
Reise in ein fernes Land
Christie, Agatha

Reise in ein fernes Land


ausgezeichnet

„Reise in ein fernes Land“ ist ein für Agatha Christie sehr ungewöhnliches Werk. Es ist ein Erlebnisbericht, kein Roman und es handelt von den archäologischen Expeditionen, die sie mit ihrem Mann Max Mallowan zwischen 1935 und 1939 nach Nordsyrien unternahm. An der Grenze zum Irak war Mallowan mit Ausgrabungen der altmesopotamischen Stadtkulturen, z. B. am Tell Brak beschäftigt, an denen Agatha aktiv beteiligt war. Auch nach dem Krieg begleitete sie ihren Mann immer wieder auf Expeditionen, während denen sie viele ihrer Romane schrieb (die nicht zufällig oft im mesopotamischen Kulturraum spielen).

Der Fokus des Buches liegt auf den persönlichen Erlebnissen mit den Menschen und Kulturen vor Ort, die gewonnenen archäologischen Erkenntnisse werden dagegen nicht behandelt. Wie in den Romanen interessiert sich die Autorin besonders für das Zwischenmenschliche, das gerade bei einem Clash of Cultures unerwartete Wendungen nimmt. Christie ist von der arabischen Kultur fasziniert und begegnet ihr mit viel Verständnis, auch bei Gelegenheiten, die unseren Wertmaßstäben in keiner Weise entsprechen. Als roter Faden zieht sich die extreme Gewaltbereitschaft der angestellten Arbeiter durch das gesamte Buch, Messerangriffe sind an der Tagesordnung, es gibt zahlreiche Mordversuche und auch Morde. Betrug, Neid und Missgunst sind eine ständige Herausforderung für Max als Expeditionsleiter, der die Streitigkeiten stets mit einer offenen Brieftasche besänftigt, selbst wenn er weiß, dass er gerade betrogen wird. Bei Vergehen werden die Arbeiter zwar entlassen, am nächsten Tag aber wieder eingestellt, wodurch auch kein Unrechtsbewusstsein entsteht. Agatha Christie beschreibt das alles mit einer Nonchalance, die wohl nur dadurch zu erklären ist, dass die Opfer immer nur aus den Reihen der Arbeiter stammen, die europäischen Expeditionsteilnehmer werden damals noch als Patriarchen und Richter akzeptiert.

Das Buch hat mir erschreckend die Augen geöffnet, weil es meiner Meinung nach bis ins Detail erklärt, was gerade in unserem eigenen Land passiert. Viele der eingewanderten Araber haben ihren archaischen und blutrünstigen Wertecodex offenbar unverändert mitgebracht und leben ihn hier weiter aus, nur haben sie mittlerweile ihren Respekt vor den Europäern verloren. Max Mallowan sagt einmal „Der Tod wiegt hier leicht“, was es ziemlich auf den Punkt bringt. Der Gewalttätigkeit als Ausdruck von Überlegenheit haben wir nichts entgegenzusetzen, außer die Täter mit Wohltaten ruhigzustellen, genau das, was sich auch bei Mallowan als einziges Mittel bewährt hatte. Mit einem Unterschied: Mallowan fuhr am Ende der Grabungssaison wieder nach Hause und nahm die Probleme nicht mit.

Agatha Christie hatte einen gewissen Einblick in die arabische Gesellschaft, die sie zwar faszinierte und vor der sie sich auch kaum jemals fürchtete, aber sie war damals geschützt durch einen klug agierenden Mann und viel Geld. Außerdem sieht sie fast ausschließlich die öffentliche Männerwelt, die Welt der Frauen bleibt ihr, bis auf wenige Kontakte weitgehend verschlossen. Ich muss ihr die unkritische Haltung in gewisser Weise sogar vorwerfen, denn sie idealisiert diese Gesellschaft, indem sie die (wirklich) permanent präsente Gewalt akzeptiert. Letztlich hat auch sie dem nichts entgegenzusetzen gehabt.

Wer das Deutschland von heute verstehen will, der sollte dieses authentische Buch unbedingt lesen.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2024
Hereimspaziert
Gsella, Thomas

Hereimspaziert


weniger gut

Ich kannte Thomas Gsella bisher nur von seinen elegant geknittelten Versen aus dem „Stern“, in perfektem Versmaß und immer mit einer witzigen Pointe am Schluss. Dass er auf noch anderen Hochzeiten tanzt, habe ich zwar geahnt (von irgendwas muss man ja leben), aber dass es so viele sind, wusste ich dann doch nicht. Von der FAZ bis zur Zeitschrift des Dresdner Seenotrettungsvereins reicht sein Netzwerk und entsprechend vielseitig ist sein Oeuvre.

„Hereimspaziert“ enthält, anders als es der Untertitel suggeriert, kaum neue Gedichte, sondern solche, die bereits zwischen 2016 und 2024 irgendwo veröffentlicht wurden. Lose gruppiert in thematisch nicht ganz trennscharfen Kapiteln zeigt Gsella hier seine bemerkenswerte Sprachbeherrschung. Ich war wie gesagt durch die dichterische Kurzform im Stern geprägt, die selten mehr als 12 Zeilen hat, aber er kann auch längere Distanzen.

Unter den Gedichten sind einige, die es locker mit den zeitlosen Werken eines Eugen Roth aufnehmen können. Da wo Gsella von Menschlichem und Allzumenschlichem schreibt, da wo er unpolitisch bleibt, macht das wirklich Spaß. Leider hat er einen unverkennbaren Hang zu einem unreflektierten Steinzeitkommunismus, mit ziemlich platten Angriffen gegen jede Form von unspezifiziertem „Reichtum“ und er vertritt einen moralischen Standpunkt, der nur mit einem völlig ungezügelten Sozialstaat zu realisieren ist, dessen Verantwortlichkeit Gsella auch noch auf die gesamte Welt ausdehnt. Ich habe mir wirklich die Augen gerieben, ob das noch ernst gemeint war oder schon Satire ist. Nein, Gsella meint es wirklich ernst. Das hat mir die Lektüre tatsächlich ziemlich verhagelt, denn den moralischen Überlegenheitsgestus bei gleichzeitig staatlichem Totalversagen habe ich mittlerweile gründlich satt. Da helfen mir auch nicht die vereinzelten Perlen in dichterischer Reimkultur drüber hinweg.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2024
Archäologiepark Altmühltal - Ein Reiseführer in die Vorzeit
Rind, Michael M.; Sandner, Ruth

Archäologiepark Altmühltal - Ein Reiseführer in die Vorzeit


ausgezeichnet

Den Archäologiepark Altmühltal gibt es noch gar nicht so lange: Seit 2006 wurden bisher 15 Stationen zwischen Dietfurt und Kelheim installiert, die jeweils einen besonderen Aspekt der lokalen Frühgeschichte illustrieren. Die Funde und Befunde haben den Schwerpunkt zwischen Jungsteinzeit und den Kelten, gehen aber bis zur Römerzeit. Funde aus der Altsteinzeit sind sehr rar und kontrovers diskutiert, was auch durch den um 200 000 v. Chr. veränderten Donaulauf zu erklären ist.

Nicht alle Stationen sind auf den ersten Blick im Gelände zu erkennen, manches wird vornehmlich in lokalen Heimat- und Geschichtsmuseen gezeigt, von denen es im Altmühltal ziemlich viele gibt. Im Zusammenspiel mit dem „Reiseführer Archäologiepark“ werden Befunde in der Landschaft, frei zugängliche Rekonstruktionen und Bildmaterial von den (teilweise historischen) Ausgrabungen zusammengeführt. Die fachkundigen Artikel setzen die Informationen in einen größeren Kontext und erklären sehr anschaulich, was man aus den Daten ableiten kann und was nicht. Oft sind die eigentlichen Objekte selber vergangen und hinterlassen nur noch sekundäre Spuren, die man interpretieren muss. Michael M. Rind und Ruth Sander tun dies mit der heute üblichen Vorsicht und schießen mit ihren Überlegungen niemals über das Ziel hinaus. Ganz anders die „Kurzgeschichten“ von Ernst W. Heine, die eigentlich dazu gedacht waren, die Lebenswirklichkeit der frühgeschichtlichen Kulturen begreifbar zu machen. Das große Problem ist, dass Heine seine Geschichten mit der moralischen Überlegenheitsgeste der Gegenwart schreibt. Da liest man von durch Stammessitten (und natürlich von Männern) unterdrückten Frauen, die um ihre Rechte kämpfen, es werden Rituale erfunden oder gesellschaftliche Konventionen ausgedacht, die archäologisch nicht belegbar sind. Und immer winkt im Hintergrund der moralische Zeigefinger. Beim Lesen hatte ich ständig das Gefühl, da haben sich Menschen des 21. Jahrhunderts ein paar Tierfelle umgehängt und spielen Steinzeit. So etwas steht für mich in einem unangenehmen Kontrast zum wissenschaftlichen Ansatz, den die beiden anderen Autoren verfolgen und der mir deutlich mehr liegt.

Der kleine Band ist dennoch eine absolute Bereicherung, da er das gesammelte Wissen im Gelände direkt verfügbar macht. Wenn man die isolierten Funde im Museum bestaunt, hat das zwar auch seine Berechtigung, aber an den realen Orten bekommt der Besucher einen deutlich authentischeren Eindruck. So kann man in der Landschaft oft nachvollziehen, warum gerade hier eine Siedlung entstand und nicht anderswo.

Abgesehen von den zum Glück wirklich sehr kurzen Kurzgeschichten ein empfehlenswerter archäologischer Führer durch eine auch ökologisch sehr abwechslungsreiche Region, deswegen gebe ich trotzdem 5 Sterne.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.08.2024
Der talentierte Mr. Ripley
Highsmith, Patricia

Der talentierte Mr. Ripley


ausgezeichnet

Über das Buch muss man kaum etwas sagen. Es ist meiner Meinung nach der beste Roman von Patricia Highsmith, ein Meisterwerk psychologischer Charakterzeichnung, unglaublich raffiniert gestrickt, dramaturgisch auf den Punkt inszeniert. Von der ersten Zeile ist man gefesselt und kaum jemals fiebert man bei einem Kriminalroman dermaßen mit dem Täter. Es ist alles dabei: Exotische Kulissen, unerfüllte Liebe, intelligente Wendungen und ein grandios konstruiertes Finale. Es ist der perfekte Roman.

Ich kannte bisher nur die klassische Übersetzung von Barbara Bordtfeld aus dem Jahr 1961, die ich eigentlich immer ganz gut fand, und war auf die alternative Übersetzung von Melanie Waltz (die aber auch schon von 2002 stammt) sehr gespannt, zumal sie die inhaltlichen Korrekturen Patricia Highsmiths von 1991 mit berücksichtigt und die leichten Kürzungen der Fassung von 1961 ergänzt. Außerdem soll es die homoerotischen Motive, die den Roman als Leitfaden durchziehen, deutlicher hervorheben.
Genau vor diesem Hintergrund habe ich die Szene, die ich immer als Schlüsselszene des Romans empfunden habe, einmal Wort für Wort in beiden Übersetzungen gegeneinander gehalten: Es ist die Kleidertauschszene, in der Tom zum ersten Mal in die Rolle von Dickie Greenleaf schlüpft und von diesem dabei erwischt wird, als er dessen Kleider anzieht. Diese Szene steckt voller unterdrückter Erotik, ein typisches Stilmittel von Patricia Highsmith, die die direkte Darstellung von Sexualität verabscheute.
Die Neuübersetzung bemüht sich erkennbar, sich von Bordtfelds Fassung abzugrenzen. Es ist buchstäblich jeder Satz anders konstruiert, aber wenn ich ehrlich sein soll, wird dadurch nicht jeder Satz gleichzeitig besser. Es ist vieles dabei, das heute klarer formuliert ist als damals, aber es gibt genauso viele Passagen bei Bordtfeld, die ich treffender und vor allem sprachlich eleganter finde. Ich habe keine Vergleichsmöglichkeit zum englischen Original und möchte das auch nicht werten, sondern ich bewerte es nur aus der Sicht eines deutschen Muttersprachlers und meinem Gefühl für „das richtige Wort am richtigen Platz“. Satzmelodie und Rhythmus sind nun mal Teil meiner Sprachästhetik.

Mein Fazit ist, dass beide Übersetzungen ihre Gültigkeit haben und beide auch dem Roman gerecht werden. Perfekt wäre es aus meiner Sicht, aus diesen beiden Welten das Beste zu einem neuen Ganzen zu schmieden.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.08.2024
Stillness

Stillness


ausgezeichnet

Japanisches und skandinavisches Architekturdesign teilen sich viele Elemente. Das ist nicht zufällig so, sondern beruht auf einigen gemeinsamen Randbedingungen, die sich mit Beginn der kulturellen Kontakte im 19. Jahrhundert günstig beeinflussten. Das skandinavische Design wurde nicht „japanisch“, sondern erinnerte sich an alte Traditionen und nahm sie im Bewusstsein japanischer Ästhetik wieder auf. Gerade das ressourcen- und bevölkerungsarme Dänemark war geradezu prädestiniert, sich mit der sparsamen und reflektierten Verwendung von Materialien in Japan auseinanderzusetzen.

„Stillness“ ist der Versuch eines internationalen Expertenteams, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Es werden die Prinzipien erklärt, die japanischem Design zugrundeliegen, aber auch die Parallelen zum skandinavischen Ansatz. Kurze Aufsätze leiten jeweils ein Kapitel ein, das sich mit einem besonderen Aspekt beschäftigt. Das können allgemeine Ästhetikkonzepte sein, aber auch Materialien, die in beiden Kulturräumen eine besondere Stellung haben. Auch der Innen-/Außenbezug und die Verbindung zur Natur werden ausführlich thematisiert, wobei auffällt, dass so gut wie keine „modernen“ Baumaterialien zu sehen sind, weder in den japanischen noch den skandinavischen Projekten. Gezeigt werden vor allem die traditionelle japanische Architektur und das naturnahe, klare skandinavische Design der Gegenwart. Auch wenn es im Buch vor allem um Architekturdesign geht, sind die dahinterliegenden Prinzipien letztlich auf alle Designkategorien übertragbar.

Die Fotos von Jonas Bjerre-Poulsen fangen die Essenz der Ästhetik wunderbar ein, indem sie ein Gefühl für Raum und Atmosphäre vermitteln, im Großen wie im Detail. Der erste und umfangreichere Teil des Buches zeigt Motive aus Japan, erst im Kapitel „Projects“ werden diesen japanisch inspirierte Projekte von Keiji Ashizawa und Norm Architects entgegengestellt. Wer die theoretischen Exkurse in den vorangegangenen Kapiteln verinnerlicht hat, versteht sofort, warum die Grenze zwischen den beiden Kulturen hier so scheinbar nahtlos ineinanderfließt.

Im Anhang finden sich Kurzportraits von japanischen Kulturtheoretikern aus fünf Jahrhunderten mit ihren biografischen Daten und wichtigsten Errungenschaften. Eine (englischsprachige) weiterführende Liste mit wichtiger Literatur, bei der ich allerdings die äußerst einflussreichen Werke von Bruno Traut vermisst habe, und ein visueller Bildindex, der aber bewusst keinerlei zusätzliche Informationen zu Orten oder Objekten liefert, ergänzen den Anhang. Die Bilder sprechen wegen der fehlenden Quelleninformation einzig für sich und neben ihrem rein ästhetischen Wert werden sie erst im Kontext verständlich. Auch aus diesem Grund sind die sehr konzentriert geschriebenen Textbeiträge unerlässlich.

„Stillness“ ist nicht nur ein wunderschöner und buchtechnisch exzellent verarbeiteter Band, sondern vermittelt die Prinzipien japanischer Design- (und Wohn)kultur in einer Präzision und inhaltlichen Tiefe, wie man das selten findet.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.08.2024
Die Welt der Gegenwart
Aubry, Émilie;Tétart, Frank

Die Welt der Gegenwart


ausgezeichnet

Wer die ARTE Serie „Mit offenen Karten“ kennt, der weiß, dass die Redakteure Meister im Visualisieren von komplizierten geopolitischen Sachverhalten sind. Ihre Karten und Animationen werden immer begleitet von sehr sachkundigen und präzise formulierten Off-Kommentaren, die das Gesehene noch einmal in den richtigen Kontext setzen.

Émilie Aubry und Frank Tétart gehören zur Stammmannschaft der Redaktion und haben in ihrem Buch die aktuellen Krisen der Welt ins Visier genommen. Auf jedem Kontinent (außer der Antarktis) haben sie exemplarisch einige Länder ausgewählt, die von überregionaler Bedeutung sind und deren Entwicklung bis in die Gegenwart dargestellt. Dabei konzentrieren sie sich auf Elemente, die insbesondere für laufende oder drohende Konflikte von Bedeutung sind bzw. die in absehbarer Zeit zu inneren Umwälzungen führen werden. Wirtschaftliche Aspekte stehen, wie schon in der TV-Serie, häufig im Zentrum solcher Überlegungen. Die Autoren bemühen sich dabei um eine ausgewogene Darstellung, die auch die Sichtweise von Aggressoren berücksichtigt, wobei sie natürlich die Position für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einnehmen. Aber man erfährt auf diese Weise sehr nachvollziehbar, warum Diktaturen handeln, wie sie handeln. Alle Diktatoren sind letztlich von der Angst getrieben, dass sie mit der Macht auch ihren Kopf verlieren werden. Zu Recht.

Die Zahl der internationalen und regionalen Konflikte ist derzeit so groß wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Fast jeder kann sich unkontrolliert ausweiten, einige haben es bereits getan. Die Aktualität der Darstellung ist dabei erstaunlich aktuell und berücksichtigt selbst Entwicklungen, die erst wenige Wochen alt sind (Stand etwa Juni 2024). Das ist schon bemerkenswert für ein aufwendiges Druckerzeugnis, dessen Produktion ja einige Zeit benötigt.

Wer sich geopolitisch über den schlechten Zustand der Welt informieren will, faktenbasiert und sachkundig aufbereitet, der ist mit diesem Buch gut beraten. Gute Laune macht es leider nicht.

(Das Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.