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Leserin

Bewertungen

Insgesamt 177 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2023
City of Dreams / City on Fire Bd.2
Winslow, Don

City of Dreams / City on Fire Bd.2


sehr gut

Typischer Mittelband


„Jimmy, ich hab das Heroin ins Meer gekippt.“
Don Winslow hat mit „City of Dreams” den zweiten Band seiner Trilogie rund um den irisch-amerikanischen Mafioso Danny Ryan vorgelegt. Um es gleich vorwegzunehmen – „City of Dreams“ ist meines Erachtens ein typischer Mittelband – nicht ganz so stark wie der Auftakt „City on Fire“ und hoffentlich schwächer als das Finale der Reihe, die sich liest wie eine Mischung aus Homers „Ilias“ und dem Scorsese – Kracher „The Departed“.
Die Exposition von „City of Dreams” fand ich gelungen, der Mittelteil zog sich leider etwas in die Länge und war gleichzeitig zu gehetzt, und es gab für mich vorhersehbare und fast klischeehafte Erzählelemente. Das Ende dieser Mafiaballade in Buchform ist aber ganz okay und es macht neugierig auf den Abschluss der Serie. Zum besseren Verständnis empfehle ich, tatsächlich auch „City on Fire“ zu lesen (obwohl der Autor den Inhalt auch in diesem Folgeband zusammenfasst).
Worum geht’s?
Die Erzählung beginnt als Roadmovie. Die Gang macht sich von Neuengland (Rhode Island) nach Kalifornien auf. Dannys Frau Terri erlag ihrem Krebsleiden, der Protagonist beschloss, dem Bandenkrieg mit den Italienern und dem Katz-und-Mausspiel mit korrupten Polizisten ein Ende zu bereiten und kippte eine große Drogenlieferung kurzerhand ins Meer. Er wollte seinem Söhnchen Ian ein besseres Leben bieten und seinem Vater einen ruhigen Lebensabend, doch das FBI lässt nicht locker. Als in Hollywood ein Streifen über sein früheres Leben gedreht werden soll, verliebt sich der moderne Odysseus Danny in eine Filmdiva, ein Neuanfang liegt in greifbarer Nähe. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht so einfach abschütteln…
Don Winslow kann mit tollen Figuren und einem potentiell interessanten plot punkten. Leider konnte er mich mit seinem „geschwätzigen“ Stil nicht unbedingt überzeugen, und damit meine ich nicht nur die Tatsache, dass die Handlung arg dialoglastig ist. „Show, don’t tell“ möchte man ihm zurufen. Oft werden handwerkliche Schwächen im Thrillergenre mit spannenden, wendungsreichen Szenen kompensiert. „City of Dreams“ hätte für meinen Geschmack fesselnder sein dürfen, aber der Roman ist eben ein zweiter Teil, in welchem nicht das ganze Pulver verschossen werden darf. Jetzt darf man auf ein fantastisches Finale der Reihe rund um Danny Ryan & Co. hoffen!

Bewertung vom 03.06.2023
So weit der Fluss uns trägt
Read, Shelley

So weit der Fluss uns trägt


sehr gut

„So weit der Fluss uns trägt“ ist das Debut der amerikanischen Schriftstellerin Shelley Read. Die Handlung beginnt in den späten 1940er Jahren in Colorado, eine Ich-Erzählerin führt durch das Geschehen (diese Erzählperspektive mag ich besonders gern); die Geschichte ist in fünf Teile gegliedert. Meines Erachtens handelt es sich hier um einen Coming – of – Age Roman; die wildromantischen Naturbeschreibungen in der Story unterstreichen dabei die Figurenentwicklung – wenn man sich ein bisschen mit Literaturgeschichte auskennt, wird man allerdings wissen, dass dieses Stilmittel nichts Neues ist - auch wenn „Der Gesang der Flusskrebse“ dafür gelobt wurde („So weit der Fluss uns trägt“ wird vom Verlag zu Werbezwecken mit Delia Owens‘ Bestseller verglichen).

Worum geht’s?
In der (mittlerweile verschwundenen) Kleinstadt Iola im US – Bundesstaat Colorado führt die siebzehnjährige Victoria (Nomen est Omen!) Nash das harte Leben einer Farmerin, nach dem Tod der Mutter muss das Mädchen früh Verantwortung übernehmen, als einzige Frau unter wortkargen Männern hat es Victoria (“Torie“) nicht leicht. Liebe und Zuneigung kennt sie nicht. Dies ändert sich, als sie dem indigenen Einwohner Wilson „Wil“ Moon begegnet. Er soll Victorias Schicksal entscheidend beeinflussen, ihr Leben wird von Verlusten und Veränderung geprägt sein. Am Ende des Romans hat die Protagonistin trotz Rückschlägen ihren Platz im Leben gefunden…
Als Leser/in sollte man etwas Geduld mitbringen - die Handlung des Romans erstreckt sich von 1948 bis 1971, Shelley Read lässt sich für den Entwurf der eigentlich interessanten Geschichte Zeit. Besonders gefesselt haben mich die wunderbaren Landschaftsbeschreibungen, sie illustrieren die tragischen & glücklichen Momente im Leben der Protagonistin. Stil und Sprache sind solide, über die deutsche Übersetzung bin ich stellenweise aber „gestolpert“, als versucht wurde, die verschiedenen (Bildungs- und) Sprachniveaus abzubilden, die Eigenheiten von verschiedenen Sprechern „Wörter so zu verstümmeln“ („Ka` ich nich sagen.“, S. 97). Daher möchte ich auch das englische Original lesen. Die Autorin arbeitet mit Tropen und sie bewegt sich stellenweise zu nahe am Klischee – ich war irritiert, als das Idealbild des „Edlen Wilden“ präsentiert wurde, ich bin kein Fan von romantisch verklärten Darstellungen und von „Indianerkitsch“, auch nicht in historischen (Liebes)Romanen.

Fazit:
„So weit der Fluss uns trägt“ lässt sich mit dem Satz ‚Eine Frau geht ihren Weg‘ zusammenfassen. Es ist ein Plädoyer gegen Rassismus und Engstirnigkeit (dabei aber keine ‚Hillbilly – Elegie‘), eine Aufforderung zu weiblicher Solidarität, ein Bildungsroman, in welchem die nordamerikanische Natur der heimliche Star ist. Die Erzählung ist unterhaltsam, insgesamt blieb Reads Debutroman aber leider hinter meinen Erwartungen zurück, daher vergebe ich dreieinhalb von insgesamt fünf möglichen Sternen für „So weit der Fluss uns trägt“.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.06.2023
Komplizin
Li, Winnie M

Komplizin


gut

Worum geht’s?
#metoo, fiktionalisiert. Tatsächlich werden Vergewaltiger wie der Produzent Harvey Weinstein und der Schauspieler Bill Cosby namentlich genannt. In „Komplizin“ werden real existierende Dinge und Personen mit fiktiven Personen und Dingen vermischt, ist es ein Schlüsselroman?
Der Beginn der Erzählung ist unheimlich packend, es geht um eine chinesischstämmige Filmschaffende mit Columbia-Abschluss, die der industry und ihrem Traum, Produzentin zu werden, den Rücken gekehrt hat und nun an einem drittklassigen College als Dozentin für screenwriting arbeitet. Als sie eine E-Mail von einem New York Times - Journalisten (Thom Gallagher aka Ronan Farrow) bekommt, muss sie entscheiden, ob sie den bekannten britischen Investor Hugo North entthronen will und ob sie sich einer unbequemen Wahrheit stellen will – Opfer und /oder (Mit)Täterin? Natürlich kann ein schlimmes Thema nicht auf lockerflockige Weise behandelt werden, der Text ist dennoch zu schwerfällig.
Ganz stark ist der Roman immer dann, wenn die Autorin aufzeigt, in welchen ‚Formen und Farben‘ sich Privilegien manifestieren; Nepotismus, Seilschaften und Günstlingswirtschaft gibt es nicht nur in der Filmindustrie, der „richtige“ familiäre Hintergrund kann auch in anderen Branchen von Vorteil sein: So hält etwa der aus der Oberschicht stammende Journalist Gallagher seine verinnerlichten Fertigkeiten für selbstverständlich, als er die Protagonistin Sarah Lai zu einem ersten Enthüllungsinterview trifft, kann er es kaum glauben, dass die Tochter von chinesischen Restaurantbesitzern die hohe Kunst des Netzwerkens nicht schon mit der Muttermilch aufgesogen hat. Den struggle von Einwandererkindern (oder auch von Bildungsaufsteigern) beschreibt Winnie M. Li glaubwürdig und authentisch:

„Wenn die eigenen Eltern nicht hier geboren sind […], lernt man das Spiel nicht. Man verfügt nicht über die familiären Kontakte, die einem am Anfang helfen. Man hat die selbstbewusste amerikanische Art nicht verinnerlicht, mit der man die eigenen Ambitionen vorantreibt, mit der man Verbindungen aufbaut, die einen ans ersehnte Ziel bringen…So etwas lernen wir von unseren Eltern nicht.“ (S.30)

Gallagher wird enthüllt, dass die Arthouse – Produktionsfirma namens „Firefly Films“, in welcher Sarah Lai zunächst als unbezahlte Praktikantin anheuerte, letztendlich von Hugo North zerschlagen und übernommen wurde. Als Leser/in erhält man Einblick in seine Untaten, und man wird erfahren, dass sexuelle Gewalt meist auf den Mechanismen von Machtmissbrauch aufbaut und in einem Klima der Angst und Abhängigkeit geschieht, machen ihre Ambitionen die Protagonistin zur Mittäterin? Der Kern von „Komplizin“ ist nichts für schwache Nerven. Nach einem fesselnden Beginn präsentiert die Autorin jedoch eine für meinen Geschmack zu deskriptive Erzählung, der Mittelteil fällt im Vergleich zum Schluß leider recht zäh aus. Nach der gelungenen Exposition von „Komplizin“ habe ich mir stilistisch mehr vom Roman versprochen, um ehrlich zu sein. Im Zeitalter von „Blind Item“ – Internetseiten können auch die Insider - Enthüllungen über das Innenleben der Hollywood-Maschinerie nicht mehr wirklich überraschen. Angeheuert werden in der Traumfabrik laut Lai nicht die Fähigsten und die Schlauesten, sondern diejenigen, die mit ihrem Aussehen und dem richtigen „Stallgeruch“ punkten können. Aber ist das in anderen Branchen wirklich anders? Laut „Komplizin“ geht es in Tinseltown letztlich um das große Geld und nicht um cineastische Höhenflüge. Geschenkt!
Auch „Nepobabies“ gab es in Hollywood schon immer. Als Autorin hätte ich die Geschichte gestrafft und vielleicht auf rein fiktive & fiktionale Elemente gesetzt, um den „doppelt gemoppelt“ – Effekt zu vermeiden (genannt wird beispielsweise Reese Witherspoon, andererseits ist Holly Randolph erfunden, die „blauen Augen“ Thoms werden oft erwähnt, klar, dass da auf Farrow Bezug genommen wird) der sich bei der Lektüre von „Komplizin“ zwangsläufig einstellt. Sehr viele Themen werden angeschnitten, mangelnde Diversität, Rassismus, das Selbstbild weißer Frauen wird mit dem von PoC verglichen. Ich wünschte, die Autorin hätte ein nuancierteres Bild von Sarah Lai zeichnen können, ich hatte das Gefühl, dass es schlicht am Handwerklichen hapert und dass eine Lektorin hätte helfen können. Winnie M Li ist es leider nicht gelungen, die Ambivalenz der Figur richtig herauszuarbeiten, dies ist der message des Romans nicht unbedingt zuträglich, Sarahs Aussagen wirken zunehmend verbittert und die Figur ist desillusioniert. Natürlich ist sie auch traumatisiert, es wird gezeigt, wie Opfer Selbstzensur betreiben und zum Schweigen gebracht werden, es wird aufgedeckt, dass Mißbrauch fast immer Mitwisser und Mittäter(innen) hervorbringt, wenn demonstrativ geschwiegen wird.
Anders als viele männliche Autoren springt Winnie M Li mit ihrer Geschichte nicht auf den #metoo – Zug auf, um einen gesellschaftlichen Missstand in bare Münze zu verwandeln. Der Own Voices – Ansatz macht „Komplizin“ so besonders wertvoll.

Bewertung vom 24.05.2023
Happy Place
Henry, Emily

Happy Place


gut

Das pinke Cover (und überhaupt die verspielte Umschlaggestaltung) von Emily Henrys “Happy Place. Urlaub mit dem Ex“ versprach gute Unterhaltung. Ich stellte mich auf eine witzige und heitere Lektüre à la Sophie Kinsella ein. Manchmal muss es eben Chicklit sein!
Worum geht’s?
Im Studium lernte die Medizinerin Harriet „Harry“ Kilpatrick ihre bffs kennen. Sie hätte nie gedacht, dass sie in einer Zweck -WG mit völlig unterschiedlichen Frauen (eine WASP – die Juristin Sabrina - trifft auf die Künstlerin Cleo, mittendrin Harriet) Freundinnen für‘s Leben finden würde. Als bekannt wird, dass die Clique aus dem Studium zum letzten Mal die Ferien in Sabrinas schickem Ferienhaus in Maine verbringen will (Sabrinas Vater will es verkaufen), ist guter Rat teuer – eigentlich haben sich Harriet und Wyn getrennt, obwohl die beiden im Freundeskreis als das Traumpaar schlechthin galten! Um den Freuden nicht den Spaß zu verderben (und weil Sabrina und ihr Verlobter Parth heiraten wollen), beschließen Harriet & ihr Exverlobter Wyn Connor, das glücklich liierte Pärchen zu mimen …
Vorsicht: Diese Erzählung ist keine temporeiche Screwball - Komödie, obwohl man den „Beziehungskisten-Roman“ mit dem Satz „Eine zweite Chance für die Liebe“ zusammenfassen kann. Es geht auch um Wahlverwandtschaften und darum, wie man sich von den Erwartungen anderer Leute befreien kann.
Emily Henrys Ton ist nicht albern, und da die Story aus meiner Lieblingsperspektive erzählt wird – es gibt eine Ich-Erzählerin – konnte mich die auf verschiedenen Zeitebenen entworfene Geschichte zunächst in ihren Bann ziehen. In vielen RomComs gibt es den Erzählansatz, rund um ein großes Missverständnis einen ganzen Film zu „stricken“. Auch in „Happy Place“ ist mangelnde Kommunikation das Hauptproblem – ich finde diesen Kniff theoretisch ganz unterhaltsam. Die Autorin entwirft anfangs einerseits ein einigermaßen idealisiertes Bild von Freundschaft und auch vom Studieren, andererseits gibt auch tragische und (melo)dramatische Abschnitte. Manche gefielen mir gut, andere nicht. Zwischen Harriet und Wyn sprühen die Funken, wie es in Liebesromanen eben so ist, aber sie liefern sich nicht unbedingt witzige Wortgefechte.
„Happy Place. Urlaub mit dem Ex“ ist also kein Tatsachenbericht und keine lockerflockige Chicklit. Zwar spielen der Sommer und ein Urlaub eine Rolle (das Hummerfestival von Maine ist ein Highlight), aber ein Schmöker zum Abschalten und Entspannen ist Emily Henrys Buch nicht. Zu diesem Roman hätte etwa ein Cover wie das von Alexi Zentners „Hummerkönige[n]“ besser gepasst, das Marketing zu Emily Henrys Roman ist nicht so gelungen, das Cover weckt beim Leser falsche Erwartungen, die eigentlich nur enttäuscht werden können, da man keine leichtfüßige, etwas hohle Urlaubslektüre bekommt; vielmehr ist „Happy Place“ ein Unterhaltungsroman mit einem Touch Tiefgang, der durchaus zum Nachdenken anregt. Ich mochte den Stil und die Sprache der Autorin zu Beginn – und wenn man sie schon in die Sparte „Frauenliteratur“ einordnen muss, ist sie näher an Mhairi Mc Farlane (Emily Henry gefällt mir stilistisch besser, obschon Mhairi auch schwere Themen in ihre Chicklit ‚packt‘) als an Sophie Kinsella oder Janet Evanovich. Ich fragte mich beim Lesen, weshalb die Übersetzerin an einer Stelle einen englischen Ausdruck mit „Gästinnen“ (Pos.1974, Kapitel 13) statt mit „Besucherinnen“ oder „weiblichen Gästen“ tradierte. So etwas lässt mich stutzen & es stört den Lesefluss.
„Happy Place“ entwickelt sich langsam, und ich war auf den Verlauf gespannt, auch wenn ich tierisch davon genervt war, wie sehr Wyns physische Schönheit und vor allem seine „widerspenstige Locke“ im Fokus stand. Die Figuren sind keine Twens mehr. Seltsam fand ich, dass sich Harry wie eine hormongesteuerte Vierzehnjährige benahm. Wenn man sich auf die Geschichte einlässt und in der richtigen Stimmung ist, könnte man an „Urlaub mit dem Ex“ durchaus Gefallen finden.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2023
Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4
Benedict, Marie

Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4


gut

Biographische Fiktion

Schon Charlotte Leonard hat mit „Die Verwegene" im Jahr 2022 eine Romanbiographie der Old Hollywood - Ikone Hedwig ‚Hedy‘ Lamarr vorgelegt. Marie Benedict hat sich auf das Genre biographische Fiktion spezialisiert und legt nun mit „Die einzige Frau im Raum“ nach.
Ihre Reihe „Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte“ geht mit „Die einzige Frau im Raum“ in die vierte Runde (Ich habe auch Band 2 der Reihe – „Lady Churchill“ – gelesen).
„Die einzige Frau im Raum“ von Marie Benedict ist also ein Stück biographische Fiktion. Eine in allen Details historisch korrekte Darstellung darf man als Leser/in daher nicht erwarten, und auch keine quellenkritische Analyse oder eine komplette Chronik. Formal besteht der Roman aus zwei Teilen, der erste Abschnitt nimmt dabei etwas mehr Raum ein als der zweite.
Worum geht’s?
Eine Ich – Erzählerin führt durch das Geschehen, diese Perspektive mag ich sehr gerne!
Der Weltstar Hedy Lamarr wird 1914 als Hedwig Eva Maria Kiesler in Europa geboren. In Wien feiert die Schauspielerin (sie hat jüdische Wurzeln) erste Erfolge, der 1933 gedrehte freizügige Film ‚Symphonie der Liebe – Ekstase‘ sorgt jedoch für einen Eklat und wird zunächst in Deutschland verboten.
Die Geschichte beginnt mit Hedys Gedanken zu diesem Skandalfilm, sie möchte ihn endlich hinter sich lassen, ein guter erster Schritt dazu ist der Erfolg, den sie am Theater hat, und es ist nicht verwunderlich, dass der Waffenfabrikant Friedrich ‚Fritz‘ Mandl Gefallen an der „unvergesslichen Sissy“ findet. Hedy heiratet einen Mann, der zum Tyrannen mutieren soll. 1937 findet sie die Kraft, den eifersüchtigen Fritz zu verlassen, um (via Paris) nach Großbritannien zu flüchten. London ist nicht ihre letzte Station, in Hollywood wird sie unter dem Künstlernamen Hedy Lamarr zum gefeierten Star der berühmten Metro-Goldwyn-Mayer Studios. Der Roman endet im Jahr 1942 mit einer Patentanmeldung zur Funkfernsteuerung von Torpedos (Hedy Lamarr starb im Jahr 2000 in Florida).
Der Geschichte liest sich flüssig, und die Intention der Autorin war es wohl, die vielen Facetten von Lamarrs Persönlichkeit ex post zu beleuchten. Leider gelingt ihr dies nur bedingt. Manche Sätze waren mir ein wenig zu platt („Es war Sabbat in Döbling, einem jüdischen Viertel in einem katholischen Land.“), Benedicts Hedy denkt teils wie eine Frau des 21. Jahrhunderts, und stellenweise gibt es melodramatische Passagen. Aber die spannende Erzählung (man muss im Hinterkopf behalten, dass hier Fakten mit Fiktion vermengt werden) ist auch ein leidenschaftliches Plädoyer gegen Sexismus, es soll gezeigt werden, dass die Aktrice mehr zu bieten hatte als ein schönes Gesicht. „Die einzige Frau im Raum“ gefiel mir insgesamt besser als „Lady Churchill“. Hier werden Berührungsängste abgebaut, da sich die Publikation nicht an eine rein akademische Leserschaft richtet, der Roman will primär unterhalten (es gibt am Ende keine Hinweise auf weiterführende Literatur, aber eine interessante Anmerkung).
Fazit:
Während Charlotte Leonard in „Die Verwegene“ einen auktorialen Erzähler auftreten lässt, ist es in Benedicts Buch eine Ich-Erzählerin, die berichtet. Das gefiel mir sehr gut; auch die Umschlaggestaltung und das Format des Buches sind klasse.
„Die einzige Frau im Raum“ bietet interessante Einblicke in das Leben einer technikaffinen Schauspielerin, die erst spät als Erfinderin Anerkennung erhielt. Ich hatte Spaß an der Lektüre, für eine erste Annäherung an Hedy Lamarr ist die Romanbiographie absolut geeignet!

Bewertung vom 24.04.2023
Wenn Worte töten / Hawthorne ermittelt Bd.3
Horowitz, Anthony

Wenn Worte töten / Hawthorne ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

„Und Kriminalromane sind nun mal das beliebteste Genre."
Die Serie rund um Hawthorne & Horowitz gehört zu meinen Lieblingskrimireihen, ich habe alle bisher erschienenen Bände regelrecht „verschlungen“. Ich liebe Intertextualität & Metafiktion!
Daher ist „Wenn Worte töten“ genau das Richtige für mich. Der Privatdetektiv (und Expolizist) Daniel Hawthorne ermittelt wieder, zum dritten Mal. Erzählt wird das Ganze (wie gehabt) vom real existierenden (Drehbuch) Autor Anthony Horowitz.

Worum geht’s?

Anthony – ‚Tony‘- Horowitz ist begeistert, als Hawthorne und er die Einladung zu einem Literaturfestival erhalten, er freut sich auf „schöne Städte“ und auf ein wenig Abwechslung im einsamen Schriftstellerdasein; als er jedoch erfährt, dass das Ganze auf dem verschlafenen Alderney stattfinden soll, ist es schnell vorbei mit der Vorfreude - Hawthorne kann es indes kaum erwarten, auf die Kanalinsel zu reisen. Auf der Gästeliste stehen auch ein Kinderbuchautor, eine französische Lyrikerin, ein Fernsehkoch, eine blinde Wahrsagerin und ein Historiker. Sind es etwa Möchtegernautoren? Die Tatsache, dass Hawthorne als eine Art „Superbulle“ angekündigt wird, liegt dem etwas eitlen Biografen des Ermittlers ebenfalls schwer im Magen. Als auch noch der Mäzen des Festivals erstochen aufgefunden wird, bleibt es nicht bei schönen Worten – das ungleiche Paar muss wohl oder übel ermitteln…
Auch die Lektüre von „Wenn Worte töten“ (der Originaltitel „A Line to Kill“ ist noch griffiger) hat mir wieder großen Spaß gemacht!
Anthony Horowitz (Autor und Romanfigur in einer Person) spielt bewusst mit den Erwartungen der Leser – Daniel Hawthorne ist ein Ex-Polizist. Holmes und Watson, Star & Sidekick, das kennt man bereits, die Protagonisten sind mitnichten best buddies, auch die Form ist altbewährt: Whodunit.
Neu ist die metatextuelle Ebene, man muss sie als Leser jedoch mögen. Meines Erachtens wird man auch als „Quereinsteiger“ Freude an diesem dritten Band einer Reihe haben, da die Ereignisse von Band eins & zwei gut verständlich in den Text integriert werden. Der Autor/Ich-Erzähler mischt kräftig mit, das Ganze ist auch eine Hommage an den guten alten englischen Krimi, ein augenzwinkernder Verweis auf die Literaturgeschichte, ein Seitenhieb gegen den Literaturbetrieb, gemixt mit etwas selbstironischer Koketterie, da der True-Crime-Autor Horowitz nicht selten im Dunkeln tappt. Das Literaturfestival wird lustigerweise von einem Onlinecasino gesponsert (der schnöde Mammon, die Kommerzialisierung von Literatur ist ein Unterthema des Romans). Ich habe mich beim Lesen köstlich über Hawthornes und Horowitz‘ Hassliebe amüsiert, wenn Hawthorne Tony etwas gönnerhaft mit „Sportsfreund“ anspricht und Tony schwer genervt von seinem Ermittlungspartner ist, bleibt kein Auge trocken: „Es war interessant zu beobachten, wie viel er reden konnte, ohne irgendwas zu verraten.“
Die Charakterisierung ist die große Stärke des Romans, die Protagonisten haben ihre Eigenheiten & Marotten. „Wenn Worte töten“ ist jedoch kein Thriller, in welchem es Schlag auf Schlag geht, einigermaßen skurrile Figuren müssen sich nicht selten in absurden Situationen beweisen. Ich musste während der Lektüre an die Werke einer Agatha Christie denken, das Setting auf einer isolierten Insel bildet den perfekten Rahmen für ein spannendes Kammerspiel, und es störte mich nicht, dass der Autor keinen blutigen „Actionkracher“ präsentiert, da es falsche Fährten und unvorhergesehene Wendungen gibt.
Fazit:
Auch der dritte Band der Krimireihe rund um einen modernen Sherlock Holmes und seinen Watson hat mich gut unterhalten, daher spreche ich gerne eine Leseempfehlung aus. „Wenn Worte töten“ ist ein clever geplotteter Roman zum Mitfiebern und -rätseln, und ich freue mich schon auf den nächsten Band!

Bewertung vom 19.04.2023
Malibu Rising
Reid, Taylor Jenkins

Malibu Rising


sehr gut

Unter der Oberfläche brodelt es ...

„Daisy Jones & The Six“ von Taylor Jenkins Reid ist einer meiner Lieblingsromane. Die Geschichte rund um eine fiktive 1970-er Rockband in Kalifornien konnte mich vor allem stilistisch begeistern – Oral History wird als Stilmittel eingesetzt. Im Rückblick erzählt die Band, die sich auf dem Höhepunkt des Erfolges trennte, mehr als zwanzig Jahre später in Interviews von den Höhen und Tiefen. “Recollections may vary“ – dieser Kommentar der britischen Krone drängt sich förmlich auf. Inspiriert war die Erzählung vom legendären Fleetwood-Mac-Drama während den Aufnahmen zu “Rumours“, Daisy Jones und Billy Dunne erinnern stark an Stevie Nicks und Lindsey Buckingham, die Streamingserienadaption ist aber einfach nur schlecht, man sollte sich lieber an die literarische Vorlage halten. Das spannende Buch hatte ich in wenigen Tagen ausgelesen, als nächstes las ich “Evidence of the Affair“ von Reid; auch diese Kurzgeschichte konnte mich begeistern.
„Die sieben Männer der Evelyn Hugo“ fand ich hingegen langweilig, der Roman besteht aus ein bisschen Old Hollywood (Liz Taylor lässt grüßen) und der zeitgeistigen story (identitätspolitische Themen werden gestreift) rund um eine junge Journalistin. Hat sich Taylor Jenkins Reid mittlerweile auf Geschichten aus der Welt der kalifornischen Schönen & Reichen spezialisiert?

In „Malibu Rising“ führt ein auktorialer Erzähler durch das Geschehen. Die Haupthandlung des neuen Romans setzt 1983 ein – ein Feuer bildet den negativen Höhepunkt der Geschichte (angekündigt wird er schon im Prolog), und überhaupt geht es um schwelende Konflikte, da „Malibu Rising“ im Kern ein Familiendrama ist. Am besten gefiel mir dabei der Erzählansatz, die Geschehnisse von vierundzwanzig Stunden im August aus verschiedenen Perspektiven zu präsentieren. Im kalifornischen Malibu schmeißen die berühmten Riva – Geschwister ihre alljährliche Sommerparty, business as usual. Bis es zur Katastrophe kommt. Die Geschichte beginnt mit der kürzlich für Carrie Soto verlassenen 25jährigen Nina Riva. Das Surf-As arbeitet auch als Mannequin für Bademoden, der Bruder Hud ist ein berühmter Fotograf, die kleine Kit ist das Nesthäkchen, der athletische Jay ist Surfweltmeister. Es gibt Rückblenden, ein Zeitsprung führt den Leser zurück in das Jahr 1956, als die Eltern der Riva – Geschwister, June & Mick, sich kennenlernten. Deren Amour fou nahm kein glückliches Ende, der unzuverlässige Sänger Mick, der als junger Mann aussah wie „Monty Clift“, verließ die Familie (anders als etwa Billy Dunne in „Daisy Jones & The Six.“), Mutter June wurde suchtkrank.
„Malibu Rising“ beschäftigt sich mit den langen Schatten der Vergangenheit. Die große Stärke des Romans liegt in den wunderbaren Landschaftsbeschreibungen, beim Lesen spürt man förmlich den Wind und die Wellen. Auch die Figurenzeichnung und - entwicklung ist gelungen, thematisch fängt Taylor Jenkins Reid jedoch an, sich zu wiederholen, die Frage nach der Orientierung ihrer Figuren wurde eigentlich schon in „Evelyn Hugo“ abgedeckt, auch die Dialoge sind nicht unbedingt mein Fall. Außerdem lässt die Autorin immer wieder (und sei es nur via Namedropping) Protagonisten aus ihren anderen Romanen auftreten. Intertextualität? Nein, ich finde es ein wenig affig, und irgendwie ist es auch die absolute Kommerzialisierung von Literatur, auf mich wirkt es eitel.

Fazit:

Der Roman rund um eine amerikanische Sippe ist ganz okay, zu hundert Prozent mitreißen konnte mich die story über Familiengeheimnisse in Kalifornien aber nicht. Ich habe die Printausgabe gelesen, potenziellen Lesern rate ich aber zum E-book, da die kleine, nicht wirklich schwarze Schrift im Taschenbuch auf Dauer anstrengend für die Augen ist. „Malibu Rising“ ist weniger langweilig als „Die sieben Männer der Evelyn Hugo“, aber nicht ganz so packend wie „Daisy Jones & The Six“.

Bewertung vom 17.04.2023
Der Paria / Der stählerne Bund Bd.1 (eBook, ePUB)
Ryan, Anthony

Der Paria / Der stählerne Bund Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Anthony Ryan gehört zu meinen Lieblingsautoren im Fantasy – Genre. Mit „Der Paria“ hat er eine Erzählung vorgelegt, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt hat. Ryan präsentiert eine mittelalterliche Welt mit wohl dosierten Fantasyelementen. Dieser Ansatz gefiel mir ausgesprochen gut, da alle „Zutaten“ perfekt miteinander kombiniert werden, insgesamt wirkt das Ganze sehr ausgereift.

Worum geht’s?

Alwyn Scribe (ein toller, sprechender Name!) ist ein Gesetzloser, der mit einer Diebesbande im Wald (hallo, Robin Hood) lebt. Als er verraten wird und in Gefangenschaft gerät, lernt er in den Erzminen Sihlda kennen, die ihn das Lesen und Schreiben lehrt. Es entsteht eine Gemeinschaft der Gefangenen, und als eine Flucht unausweichlich wird, trifft Alwyn auf die charismatische Evadine. Bald muss sich Alwyn die Frage stellen, ob er willens ist, für den König von Albermaine in die Schlacht zu ziehen…
Während der Lektüre musste ich unwillkürlich an die Romane eines Bernard Cornwell(seine historischen Romane sind sogar verfilmt worden, zuletzt „Seven Kings must die “, das Finale der Serienadaption „The Last Kingdom“) denken -
Sowohl Ryan als auch Cornwell haben ein Faible für ausufernde Schlachtszenen (obwohl sie sich stilistisch unterscheiden). Als Leser/in darf man nicht zimperlich sein, sonst wird man an „Der Paria“ keine Freude haben – kriegerische Auseinandersetzungen münden nicht selten in einem blutigen Gemetzel; da die Figurenzeichnung aber so gelungen ist, hat man nicht das Gefühl, dass es Ryan um bloße Schockeffekte geht. Er lässt sich beim Erzählen Zeit, daher sollte man schon etwas Geduld mitbringen. Wenn ich ehrlich bin, erfindet er das Rad nicht neu – Underdogs, die zu Helden werden, gibt es in der (Fantasy)Literatur wie Sand am Meer; auch Waisenkinder, die zu Höherem berufen sind (neu ist aber, dass eine Gruppe geschaffen wird, die auf den ersten Blick nichts gemein hat). Besonders gelungen ist das Worldbuilding (auch Religiosität spielt eine nicht unerhebliche Rolle) und - wie bereits angedeutet- die Ambivalenz der der nuanciert gezeichneten Figuren, zu Beginn gibt es keine Sympathieträger.

Fazit:
Anthony Ryan hat einen packenden Schmöker vorgelegt!
„Der Paria“ ist ein typischer Auftaktband. „Der Stählerne Bund“ ist eine Reihe, die zunächst nicht wie ein High-Fantasy-Epos wirkt, da übernatürliche Elemente eher sparsam eingesetzt werden (meines Erachtens ein großer Vorteil der Geschichte!). Man sollte als Leser/in über ein gewisses Sitzfleisch verfügen, da die ausführliche Exposition relativ viel Raum einnimmt; überhaupt ist „Der Paria“ trotz brutaler Szenen kein Actionkracher, der en passant gelesen werden kann, ich bin dennoch gespannt auf die Fortsetzung. Wenn man bereit ist, sich auf die Story einzulassen, wird man aber so gut unterhalten, wie man es von Anthony Ryan gewohnt ist. Ich spreche gerne eine Empfehlung aus.

Bewertung vom 12.04.2023
Things We Never Got Over / Knockemout Bd.1
Score, Lucy

Things We Never Got Over / Knockemout Bd.1


gut

Ab und zu lese ich gerne lustige, etwas hirnlose Chicklit à la Janet Evanovich oder Sophie Kinsella zur Entspannung. Daher war ich auf Scores „Things we never got over“ gespannt. Der erste Blick auf das babyblaue Cover mit den Gänseblümchen versprach gute Unterhaltung.

Worum geht’s?

Als Naomi vor ihrer Hochzeit flieht und in Knockemout aufschlägt, staunt sie nicht schlecht über das ausgesprochen feindselige Verhalten der Einwohner. Bald ist klar, dass man sie mit ihrer Zwillingsschwester Tina, die sich in der Kleinstadt nicht gerade beliebt gemacht hat, verwechselt. Die nächste Katastrophe bahnt sich an als die Protagonistin bemerkt, dass ihr Auto gestohlen wurde. Der Bad Boy Knox, der Naomi anfänglich für ihre Schwester hält, bietet widerwillig seine Hilfe an, damit Naomi in ihr Motel kann. Obwohl sich die beiden anfangs nicht leiden können, sprühen schon bald die Funken und es wartet noch eine weitere Überraschung auf Naomi, die feststellt, dass auch Männer mit Bart attraktiv sein können. Im Motel findet sie ihr Zimmer aufgebrochen und verwüstet vor, außerdem sitzt Tinas Tochter Waylay auf dem Bett. Naomi beschließt, sich um das verlassene Kind zu kümmern & Knox besorgt den beiden eine Bleibe in Knockemout …
Die Autorin präsentiert alternierende Perspektiven und eine temporeiche Exposition. In medias res – das gefiel mir gut! Von dem Genre erwarte ich nicht unbedingt Tiefgang und auch Logiklöcher kann ich manchmal verschmerzen. Ich habe mich jedoch darüber gewundert, dass sich die Protagonisten zu Beginn wie Zeichentrickfiguren verhalten und sprechen. Eigentlich liebe ich witzige Wortgefechte, hier kamen sie aus dem Nichts, und natürlich geht die Abneigung des Pärchens in spe mit einer starken körperlichen Anziehung einher, da „hagelt“ es schon beim ersten Anfassen Stromschläge. Die Heldin ist selbstverständlich hübsch und feminin, der Held ein moderner Wikinger. Naomi ist kaffeesüchtig und ein bisschen zerstreut (Hallo, Lorelei Gilmore!). Beim Lesen hatte ich das Gefühl, eine völlig überdrehte Romcom zu gucken, eine Art ‚Gilmore Girls meets Picket Fences‘ auf Speed. Die Protagonisten sind keine Twens mehr, verhalten sich manchmal aber wie pubertierende Teenager („Ich wollte ihm ans Schienbein treten und seinen Kaffee klauen.“) mit mangelnder Impulskontrolle. Überhaupt sind die Figuren im Roman sehr skurril, und am Anfang gefiel mir die abgedrehte Erzählweise noch, aber als der Protagonist, ein Mann um die 40, neben seinem Hund Gassi ging und selbst in den Garten strullte, wurde es mir zu albern.
Es ist erstaunlich, dass die Autorin mit allen bekannten Topoi (Zwillinge, Ersatzmutter, harte Schale, weicher Kern etc.) arbeitet. Waylay ist natürlich ein „tolles Kind“. Realismus und logisches Verhalten darf man nicht unbedingt erwarten. Ich wollte einfach unterhalten werden, das ist Lucy Score am Anfang auch gelungen, insgesamt trug sie für meinen Geschmack aber zu dick auf, man hätte die Geschichte straffen & kürzen können.

Bewertung vom 03.04.2023
Das Bücherschiff des Monsieur Perdu
George, Nina

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu


gut

Geschmackssache

„Das Bücherschiff des Monsieur Perdu“ – ein wunderbarer Titel! Es handelt sich hier scheinbar um die Fortsetzung des Weltbestsellers „Das Lavendelzimmer“, geschrieben von Nina George. Ich habe die Lektüre also mit großen Erwartungen begonnen. Obwohl ich „Das Lavendelzimmer“ nicht gelesen habe, fand ich leicht in die Geschichte hinein - „Das Bücherschiff des Monsieur Perdu“ funktioniert gut als Einzelband!

Worum geht’s?
Jean Perdu lebt glücklich mit seiner Liebsten Catherine in der Provence, doch etwas lässt ihm keine Ruhe – er möchte den Auftrag eines Schriftstellers erfüllen. Also schippert er über die Kanäle Frankreichs zurück nach Paris, um als „Literarischer Pharmazeut“ die Menschen zu heilen. Der Weg ist das Ziel! Schon auf der Rückreise kann er vielen ‚Patienten‘ helfen; „Die kleine Enzyklopädie der großen Gefühle“ (eine Art Handbuch) tut ein Übriges.
Selbstfindung mit dem verlorenen Hans?
Ich liebe das Lesen! Nina Georges Grundidee finde ich daher eigentlich ganz süß: Statt Feng Shui eine Literarische Apotheke als Heilmittel. Nach der Lektüre muss ich aber leider sagen, dass ich etwas enttäuscht bin (vielleicht hatte ich schlicht zu hohe Erwartungen?), da ich mir mehr Tiefgang und überhaupt mehr Tiefe erwartet hatte. Neben klugen Anmerkungen gibt es leider viel „Küchenpsychologie“, und mir scheint, dass auch ein gewisser – pardon! - Frankreichkitsch mit „Baguette, Salzbutter und Aprikosenmarmelade“ im Roman verwurstet wird. Weniger wäre hier definitiv mehr gewesen. Schade! Die optische Aufmachung des Buches ist toll, ich liebe die violett – weiße Farbgebung und vor allem die Haptik des Buches, der Inhalt sollte der hochwertigen Verarbeitung bestenfalls gerecht werden. Im Text passten manche Elemente für mein Empfinden nicht zusammen, es gibt feinsinnige Formulierungen, andererseits ist von der „Schreibe der Autorinnen und Autoren“ (S.121) die Rede.
Natürlich kann auf fast 380 Seiten kein literaturhistorischer und -theoretischer Überblick geboten werden, daher bleibt es fast bei Namedropping.
Ehrlich gesagt frage ich mich, ob nicht „Das Bücherschiff des Monsieur Perdu“ eher ein Roman für Nicht-Leser bzw. Gelegenheitsleser ist? Manchen Thesen kann ich nicht zustimmen, etwa der Aussage von S.49:
„Glücklicherweise aber wird jener, der viel liest, weniger streng mit Büchern; […]“. Als Vielleserin muss ich sagen, dass schlechte Bücher angesichts der Fülle von gelesenen Büchern, Texten und Artikeln nicht weniger schlecht werden.
Fazit:
Geschmackssache! Jeder Leser sollte sich seine eigene Meinung bilden.
Ein bisschen Philosophie, ein wenig Psychologie und die Wunder der Literatur, kann es so einfach sein? „Das Bücherschiff des Monsieur Perdu“ ist nicht wirklich mein Fall! Hier soll eine Wohlfühllektüre präsentiert werden. Als „Literarische Apothekerin“ würde ich als Gegengift „Schuld und Sühne“ empfehlen (auch Raskolnikov hat einen sprechenden Namen!).