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Benutzername: 
Fannie
Wohnort: 
Oelsnitz/Erzgebirge

Bewertungen

Insgesamt 142 Bewertungen
Bewertung vom 03.02.2020
»Der Tod ist dein letzter großer Termin«
Kuckelkorn, Christoph

»Der Tod ist dein letzter großer Termin«


sehr gut

Vielfältiges Sachbuch über das Leben und Sterben

Wer in Köln die Friesenstraße entlangläuft, kommt früher oder später am Bestattungshaus Kuckelkorn vorbei. Im Kölner Karneval begegnet einem der seltene Familienname wieder, denn Christoph Kuckelkorn ist nicht nur Inhaber eines der ältesten Bestattungshäuser Deutschlands, sondern auch Präsident des Festkomitees Kölner Karneval.

Mit seinem am 29. Januar 2020 bei FISCHER Scherz erschienenen Sachbuch "Der Tod ist Dein letzter großer Termin - Ein Bestatter erzählt vom Leben" berichtet Christoph Kuckelkorn von dem Spagat, den er tagtäglich zwischen diesen beiden völlig fremden Bereichen vollführt - und dass der Unterschied so groß dann auch wieder nicht ist.

In 18 Kapiteln nimmt der 1964 geborene Unternehmer gemeinsam mit seiner Co-Autorin Melanie Köhne den Leser mit in eine für Otto Normalverbraucher unbekannte Welt. Er erzählt unbekümmert, mit welcher Selbstverständlichkeit er als Kind schon in der Schreinerwerkstatt zwischen den Särgen umherrannte und schließlich in fünfter Generation die Führung des Bestattungshauses übernahm.

Beim Lesen wird einem schnell klar, dass Christoph Kuckelkorn keiner ist, der sensationslüstern Details seiner täglichen Arbeit preisgibt. Diskretion ist für ihn ein hohes Gut. Dabei könnte er sicherlich ohne Weiteres aus dem Nähkästchen plaudern, denn er hat unter anderem die Bestattungen von Dirk Bach und Guido Westerwelle durchgeführt. Doch darüber erzählt Christoph Kuckelkorn in seinem 288-seitigen Buch nichts, denn es seien ohnehin die leisen Sterbefälle, die ihn tief berühren. So einer wie im Prolog beispielsweise, der dem Leser unweigerlich Tränen in die Augen treibt.

Einfühlsam, respektvoll und mit Würde begegnet er den Menschen, denen einen letzten Dienst zu erweisen er als seine Berufung ansieht. Und deshalb berichtet er auch niemals flapsig, aber mit einem Augenzwinkern von skurrilen Begebenheiten, die ihm in seiner beruflichen Laufbahn widerfahren sind.

Vor dem Tod selbst habe er keine Angst, vor dem Sterben sehr wohl. Und deshalb erzählt er nicht nur von Trauerfällen, die ihn selbst betroffen machen, oder wie der Alltag in einem Bestattungshaus aussieht, sondern Christoph Kuckelkorn macht sich in seinem äußerst vielfältigen Buch ebenso Gedanken darüber, wie er sich das Leben nach dem Tod vorstellt.

Ein bloßes Sachbuch über die Arbeit eines Bestatters ist "Der Tod ist Dein letzter großer Termin - Ein Bestatter erzählt vom Leben" mitnichten. Im Gegensatz, es ist ein sehr persönliches Werk mit autobiografischen Zügen. Ganz offen spricht Christoph Kuckelkorn vom Unfalltod seiner ersten Ehefrau, um deren Leichnam er sich selbst vor der Beerdigung gekümmert hat, und davon, wie die tägliche Begegnung mit der Endlichkeit sein Leben bereichert - so kontrovers das auch klingen mag.

Außerdem wirbt er dafür, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Der eigene Tod wird noch immer zu sehr tabuisiert. Doch wie wichtig es ist, bereits im Vorfeld darüber zu sprechen, wie man sich seine eigene Bestattung vorstellt, illustriert Christoph Kuckelkorn an einigen Beispielen. Denn wenn die Hinterbliebenen wissen, wie sich der Verstorbene seinen letzten Weg vorgestellt hat, wird vieles einfacher. Auch bei mir hat er mit seinen eindringlichen Worten etwas ausgelöst: Ich habe mich inzwischen nach einer Sterbegeldversicherung umgeschaut.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.01.2020
Die Weihnachtsgeschwister
Hennig von Lange, Alexa

Die Weihnachtsgeschwister


ausgezeichnet

Unterhaltsame Familiengeschichte ohne Kitsch

Obwohl die letzten Weihnachtsplätzchen längst vernascht sind und die Weihnachtsdekoration wieder in Kisten und Kästen verstaut ist, möchte ich Euch heute auf ein Buch aufmerksam machen, das mich durch die Adventszeit begleitet hat: „Die Weihnachtsgeschwister“ von Alexa Hennig von Lange. In diesem gerade einmal 144 Seiten starken Büchlein dreht sich alles um die drei Geschwister Tamara, Elisabeth und Ingmar. Längst ihren Kinderschuhen entwachsen, kehren sie Jahr für Jahr zurück in ihr Elternhaus, um in Familie das Weihnachtsfest zu feiern. Richtig Lust darauf hat allerdings niemand von den dreien. Die Bande der Kindheit zwischen den Geschwistern sind zerrissen und man geht sich lieber aus dem Weg. Doch dieses Weihnachten geschieht etwas, das Tamara, Elisabeth und Ingmar unversehens in ihre Kindheitstage zurückkatapultiert. Ob es allerdings auch ein weihnachtliches Happy End gibt, wird hier natürlich nicht verraten.

Alexa Hennig von Lange ist längst keine Unbekannte mehr in der zeitgenössischen Literatur. Vor allem als Autorin erfolgreicher Kinder- und Jugendbücher hat sich die 1973 in Hannover geborene Autorin einen Namen gemacht. Am 1. Oktober 2019 erschien mit „Die Weihnachtsgeschwister“ ihr neuester Roman im DuMont Buchverlag. Nicht nur seiner hübschen Aufmachung wegen ist dieses Buch eine tolle Geschenkidee, sondern vor allem natürlich aufgrund seines Inhalts.

Die Autorin schaut mit messerscharfem Blick hinter die Masken der Geschwister und entlarvt schonungslos deren Ängste und Unsicherheiten, die sich hinter vermeintlicher Arroganz oder Besserwisserei verbergen. Tamara, Elisabeth und Ingmar sind drei ebenso unterschiedliche wie stark dargestellte Charaktere. Authentische Dialoge und geschickt platzierter Humor machen „Die Weihnachtsgeschwister“ zu einer absolut unterhaltsamen Lektüre. An manchen Stellen geht es auch ein bisschen wehmütig zu, aber Alexa Hennig von Lange driftet zu keinem Zeitpunkt ins Kitschige ab. Der Balanceakt zwischen Tiefgang und Unterhaltung gelingt der Autorin spielend. Sie schreibt so anschaulich, dass man das Geschehen wie in einem Film vor sich ablaufen sieht.

Ein wirklich tolles Buch – und das nicht nur zur Weihnachtszeit!

Bewertung vom 18.02.2019
Die Leben danach
Pierce, Thomas

Die Leben danach


sehr gut

Was kommt nach dem Tod?

Jim Byrd ist ein ganz gewöhnlicher Mann mit einer ungewöhnlichen Geschichte: Er war schon einmal tot. Nur für wenige Augenblicke zwar, nämlich als er im Parkhaus nach einer „Fehlzündung“ seines Herzens regungslos aufgefunden wurde – aber tot ist schließlich tot, oder? Seitdem treibt ihn die Frage um, was uns Menschen nach dem Tod erwartet. Gesehen hat Jim während seines vorübergehenden Ablebens nämlich nichts: weder gleißendes Licht noch seine Ahnen, die ihn an der Himmelspforte begrüßten. Eifrig begibt er sich auf die Suche nach dem großen „Danach“.

Ich war gespannt, welche Art von Geschichte mich zwischen den Buchdeckeln des Romans „Die Leben danach“ erwarten würde. Eine schwermütige Betrachtung des Lebens und vor allem des Sterbens? Eine Abhandlung aus wissenschaftlicher Sicht? Oder eine launige Story, die der Thematik mit Humor begegnet? Die Antwort lautet: eine gelungene Mischung aus allem. Der US-amerikanische Autor Thomas Pierce vereint in seinem Debütroman, dessen Originaltitel „The Afterlives“ lautet, all diese Elemente miteinander.

Für seinen Titelhelden Jim Byrd hegt man von Beginn an große Sympathie. Man kann gar nicht anders, als den kleinstädtischen Kreditberater zu mögen. Dieser Durchschnittstyp steht stellvertretend für den Otto Normalverbraucher, der mit dem klassischen Nine-to-five-Job ein geregeltes Leben in relativ vorgezeichneten Bahnen führt und sich irgendwann unweigerlich fragt: Was passiert eigentlich nach diesem Leben? Kommt da noch was?

Jim tut das auf ganz unterschiedliche Weise: Er befragt ein Medium, schließt sich der Kirche der Suchenden an, wandelt auf den Spuren von ruhelosen Seelen und ist nahezu besessen von der Wiedervereinigungsmaschine, mit der eine Wissenschaftlerin für Erstaunen sorgt.

Ich gebe zu, dass besonders die Erwähnung der Geister in der Buchbeschreibung mein Interesse geweckt hat. Thomas Pierce hat sich dafür das Ehepaar Lennox ausgedacht, das vor vielen Jahren just in dem Haus lebte, in dem Jim seine Jugendliebe Annie wiedertrifft, und das einst auf tragische Weise den Tod fand. Eine Geschichte in der Geschichte also, die parallel zu Jims Erlebnissen erzählt wird. Mit der wissenschaftlichen Betrachtungsweise des Todes, der im Buch eine große Rolle zukommt, wurde ich dagegen nicht warm – zu futuristisch und zu fantastisch erschien mir die Welt der Hologramme und der Kryonik.

Obwohl auch der Humor in „Die Leben danach“ nicht zu kurz kommt, zieht Thomas Pierce das Thema Tod nie ins Lächerliche. Er geht stellenweise allerdings wohltuend unbefangen damit um und rückt eher die Neugier denn die Angst in den Vordergrund. Und für diese Betrachtungsweise hätte er sich keinen besseren Protagonisten als den liebenswerten Jim Byrd ersinnen können.

„Die Leben danach“ ist wunderbar geschrieben, treffend, bildhaft, pointiert, mit lebendigen Dialogen. Das ist ohne Frage auch ein Verdienst des Übersetzers Tino Hanekamp. Doch dieses Buch hat mich über 400 Seiten hinweg nicht einfach nur hervorragend unterhalten – es hat mich auch bis ins Mark gepackt und ins Grübeln gebracht: Was mag nach dem Tod geschehen? Woran glaube ich? Mit dem Zuklappen des Buchs war also für mich noch nicht Schluss. Und womöglich war genau das eine der Absichten des 1982 geborenen Autors: die Leser dazu anzuregen, sich mit dem tabubehafteten Thema Tod zu beschäftigen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.12.2018
Darjeeling Pur
Weissenberg, Tami

Darjeeling Pur


ausgezeichnet

Erschreckend, bedrückend und unglaublich wichtig: Das erste Buch eines männlichen Gewaltopfers

Es ist ein Thema, das bisher in der Öffentlichkeit so gut wie nicht existierte – und wenn, dann höchstens, um ungläubig belächelt zu werden: Gewalt gegen Männer.

Doch es gibt einen Mann, der mit diesem gesellschaftlichen Tabu bricht und einer bis dato totgeschwiegenen Problematik ein Gesicht gibt. Sein Name ist Tami Weissenberg, er ist 36 Jahre alt und er lebt in Sachsen. Am 13. Juli 2018 erschien im Outbird Verlag sein Buch „Darjeeling Pur“, in dem er das Martyrium aufarbeitet, das er jahrelang ertrug.

Tami Weissenberg lernt eine Frau kennen und geht mit ihr eine Beziehung ein. Man zieht zusammen, lebt ein gemeinsames Leben – aber die große Liebe ist es nicht. Sein Helfersyndrom ist es, das ihn bei ihr bleiben lässt, der Frau, die doch in ihrer Kindheit so viel Vernachlässigung und in ihrer vorhergehenden Ehe Gewalt erfahren hat. Man zieht zusammen, richtet ein gemeinsames Konto ein, heiratet schließlich und genießt ein fast schon glamouröses Dasein – Putzfrau, Gärtner und parkähnliches Grundstück inklusive. Tami verdient als Geschäftsführer einer Firma gutes Geld – und seine Frau hat ein unglaubliches Talent dafür, es mit vollen Händen auszugeben. Immer weiter zieht sie die sprichwörtliche Schlinge um seinen Hals zu. Sie verwaltet das Geld, isoliert Tami mehr und mehr von Familie und Freunden und macht ihn schließlich vollständig von sich abhängig. Was ganz perfide begann, schlägt bald darauf in regelrechte Gewaltorgien um, denen Tami trotz seiner Körpergröße von fast zwei Metern nichts entgegensetzt – Frauen schlägt man schließlich nicht. Nach außen hin halten die beiden die funkelnde Fassade aufrecht, aber hinter verschlossenen Türen erlebt Tami die Hölle auf Erden …

„Darjeeling Pur“ ist ein Buch, das man nach dem Lesen nicht einfach weglegt. Zu sehr beschäftigt einen der starke Tobak, den Tami Weissenberg in diesem autobiografischen Buch beschreibt – und zwar in deutlichen Worten und ungefiltert. Seine Worte sind wie Glasscherben, die sich in die Haut des Lesers bohren. Dieses Buch ist schmerzhaft. Es ist schonungslos und es schockiert.

Nachdem ich das letzte Kapitel gelesen hatte, musste ich erst einmal tief durchatmen. Zu ungeheuerlich erscheinen einem die Ereignisse und diese eiskalte, berechnende Frau, die zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse wohl sogar über Leichen gehen würde.

Aber Tami Weissenberg jammert nicht. Er stellt sich nicht als armes Opfer häuslicher Gewalt dar, das mitleidheischend von seinen Erfahrungen berichtet. Ebenso wenig sinnt er auf Rache. Den Namen der Frau, weitere Angaben, die Rückschlüsse auf diese Person zulassen, oder gar Hasstiraden sucht man in diesem Buch vergeblich. Tami Weissenbergs Intention, dieses Buch zu schreiben, war, dem Thema Gewalt gegen Männer ein Gesicht zu geben, diesem wichtigen Thema, das bislang öffentlich unter den Teppich gekehrt wurde. Tami Weissenbergs Mut und sein Engagement sind beispielhaft. Der Autor hat den Verein Weissenberg e. V. gegründet, der eine Männerschutzwohnung betreibt und ein großes Netzwerk an Hilfsangeboten für männliche Gewaltopfer bietet. In vielen Fernseh-, Radio- und Printmedien hat er das Thema häusliche Gewalt aus einer Perspektive zur Sprache gebracht, die viele gar nicht kennen oder schlicht nicht wahrhaben wollen. Doch damit nicht genug: Aktuell arbeitet er an der Fortsetzung von „Darjeeling Pur“, die aller Voraussicht nach im Frühjahr 2019 erscheint und nicht nur von mir mit Spannung erwartet wird.

Bewertung vom 14.04.2018
Das Ende des Schweigens / Kommissar Michael Herzberg Bd.1
Rikl, Claudia

Das Ende des Schweigens / Kommissar Michael Herzberg Bd.1


sehr gut

Die langen Schatten der DDR

Die Journalistin Susanne Ludwig freut sich auf eine Auszeit in einem Neubrandenburger Ferienhaus. Doch noch bevor ihr Urlaub beginnen kann, macht sie in der Ferienhaussiedlung einen grausigen Fund: Susanne entdeckt die blutgetränkte Leiche eines älteren Mannes, dem die Zunge herausgeschnitten wurde. Nachdem sie sich im Krankenhaus einigermaßen von dem Schock erholt hat, erwacht ihr journalistischer Eifer. Sie will wissen, wer den Mann auf dem Gewissen hat – und was es mit der abgeschnittenen Zunge, die auf einem Armeekäppi neben dem Toten abgelegt wurde, auf sich hat.

In „Das Ende des Schweigens“ begibt sich Autorin Claudia Rikl in eine fast vergessene Welt – die der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA). Sie recherchierte gewissenhaft und stellt in ihrem ersten Kriminalroman eine Parallelgesellschaft vor, in die das gemeine Volk seinerzeit kaum Einblicke erhielt und in der es drakonische Strafen und grausige Rituale gab. All dies verknüpft sie mit einem spannenden Kriminalfall, der in der Gegenwart spielt. Im Zentrum der Ermittlungen steht Kommissar Michael Herzberg. Für ihn ist dieser Fall etwas Besonderes, denn er taucht zwangsläufig in seine Vergangenheit ein. Eine Vergangenheit, die ihm bis heute Angst vor geschlossenen Räumen verursacht, denn Herzberg war zu DDR-Zeiten im berüchtigten Gefängnis in Bautzen inhaftiert.

Es sind die tatsächlichen Begebenheiten, die diesem Krimi das besondere Etwas verleihen und ihn dadurch realistisch erscheinen lassen: Claudia Rikl thematisiert das gefürchtete NVA-Gefängnis in Schwedt, Massenselbstmorde zu der Zeit, als die Rote Armee in Deutschland einmarschierte und Rituale wie die „Musikbox“, mit der NVA-Angehörige ihre Kameraden traktierten.

Die Hauptfiguren des Romans kämpfen mit ihren Dämonen: Kommissar Herzberg hat Probleme mit seiner Ehefrau, die im Rollstuhl sitzt, während die Journalistin Susanne Ludwig psychische Probleme und ein Sorgerechtsstreit plagen. Dennoch empfand ich die Charaktere ein bisschen zu distanziert – man könnte auch sagen, dass ich mit ihnen nicht so richtig warm geworden bin.

Der Kriminalfall selbst ist allerdings durchweg spannungsreich. Mit einer logischen Handlung und der Tatsache, dass Täter und Motiv erst am Schluss offenbart werden, ist „Das Ende des Schweigens“ ein handwerklich hervorragend gemachter Krimi.

Claudia Rikls Schreibstil würde ich als unaufgeregt und durchaus anspruchsvoll bezeichnen.

Derzeit arbeitet die in Leipzig lebende Autorin am zweiten Fall für Kommissar Herzberg und sein Team. Da das Ende des aktuellen Bandes durchaus über Cliffhanger-Qualitäten verfügt, darf man gespannt sein, wie es speziell privat für Michael Herzberg weitergeht.

Bewertung vom 30.03.2018
Die letzten Meter bis zum Friedhof
Tuomainen, Antti

Die letzten Meter bis zum Friedhof


ausgezeichnet

Finnisches Roadmovie mit Tiefgang und Humor

Eigentlich steht Jaako mit seinen 37 Jahren in der Blüte seines Lebens: Er führt einen erfolgreichen Pilzhandel, hat eine großartige Köchin zur Ehefrau und bewohnt mit ihr ein hübsches Häuschen in der finnischen Provinz. Doch dann eröffnet ihm sein Arzt, dass er sterben wird – und zwar sehr bald. Die Laborwerte zeigen, dass Jaako über einen längeren Zeitraum hinweg vergiftet wurde. Womit? Das lässt sich nicht genau sagen. Aber Jaako ist wild entschlossen, das herauszufinden – und natürlich auch, wer ihn auf dem Gewissen hat. Plötzlich steht sein Leben Kopf und die Ereignisse überschlagen sich …

Das Cover von Antti Toumainens Buch „Die letzten Meter bis zum Friedhof“ hat mich auf magische Weise angezogen. Was sich wohl zwischen den schlichten, aber dennoch liebevoll-skurril gestalteten Buchdeckeln verbergen würde, habe ich mich gefragt. Cozy Crime? Ein Roman mit bitterbösem Humor? Ein abgedrehter Krimi? Jetzt, nachdem ich das Buch gelesen habe, kann ich diese Frage eindeutig beantworten: eine gelungene Mischung aus alldem. „Die letzten Meter bis zum Friedhof“ lässt sich schwer in ein Genre pressen. Vielleicht sollte ich mich deshalb darauf beschränken aufzuzählen, was dieses Buch NICHT ist: langweilig, wehklagend, traurig.

Jakko kommt schließlich auch nur selten dazu, über seinen nahenden Tod nachzudenken. Erst erwischt er seine vermeintlich treue Gattin im eigenen Garten beim Seitensprung, dann ist ihm die gefährliche Konkurrenz aus dem Pilzbusiness auf den Fersen. Antti Toumainen erzählt ein hinreißendes finnisches Roadmovie mit einem Helden in der Hauptrolle, den ich am liebsten geheiratet hätte. Nein, nicht weil er reich ist und bald sterben wird, sondern weil Jaako über einen beispiellosen Selbsthumor verfügt (er hadert beispielsweise trotz des herannahenden Ablebens noch immer mit seinem Übergewicht), niemals aufgibt und einen äußerst warmherzigen Protagonisten darstellt. Überhaupt sind alle Figuren des Romans einfach unverwechselbar.

Aber wer nun meint, Autor Antti Toumainen würde das Thema Tod als lapidar abtun, der irrt. „Die letzten Meter bis zum Friedhof“ ist nämlich ein wirklich lebenskluges Buch. Toumainen führt dem Leser ohne Pathos und erhobenen Zeigefinger, allerdings auch ohne den Tod ins Lächerliche zu ziehen, die eigene Endlichkeit vor Augen.

„Ich werde nicht gesunden, natürlich nicht, ich werde sterben. Aber das haben wir alle gemeinsam, sogar mit denjenigen, die denken, sie würden ewig leben.“

(aus „Die letzten Meter bis zum Friedhof“)

Bemerkenswert sind auch die geradezu sinnlichen Beschreibungen der Landschaft. Man möchte auf der Stelle in den Flieger steigen und Finnland einen Besuch abstatten. Für die Übersetzung der Originalausgabe mit dem Titel „Mies joka kuoli“ zeichneten übrigens der deutsche Krimiautor Jan Costin Wagner und seine aus Finnland stammende Frau Niina Katariina verantwortlich. Gemeinsam mit Annti Toumainen haben sie „Die letzten Meter bis zum Friedhof“ zu einem meiner absoluten Leselieblinge gemacht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.01.2018
Born Scared
Brooks, Kevin

Born Scared


gut

Guter Plot, mittelmäßig umgesetzt

Der britische Schriftsteller Kevin Brooks ist bekannt für seine Jugendromane. Nach etlichen Büchern wie etwa „Bunker Diary“, „iBoy“ und die Travis Delaney-Reihe ist mit „Born Scared“ am 13.10.2017 sein neuester Jugendthriller erschienen.

Darin steht Elliot im Mittelpunkt. Seine Zwillingsschwester Ellamay lebte nur eine Stunde lang. Obwohl sie tot ist, spricht Elliot mit ihr.

„Ein Teil von mir starb mit ihr und ein Teil von ihr lebte in mir weiter. Gemeinsam sind wir sowohl tot als auch lebendig.“

(„Born Scared“, Seite 10)

Als er sechs Jahre alt war, ging seine Mutter mit ihm das erste Mal zu einem Kinderpsychologen. Denn Elliot hat Angst: vor dem Meer, vor Autos, vor der Badewanne. Seine Ängste steigern sich schließlich so weit, dass er das Haus nicht mehr verlassen kann. Einzig in seinem Zimmer fühlt er sich sicher.

„Ich habe Angst, Mummy.“
„Angst wovor, Schatz?“
„Vor allem.“

(„Born Scared“, Seite 16)

Elliot kann ohne seine Angsttabletten nicht leben. Eines Tages, in der Vorweihnachtszeit, – sein Pillenvorrat ist bedrohlich geschrumpft – macht sich seine Mutter auf den Weg in die Apotheke, um Nachschub zu besorgen. Als sie nach mehreren Stunden immer noch nicht zurückgekehrt ist und auch nicht an ihr Handy geht, trifft der inzwischen panische Elliot einen folgenschweren Entschluss: Er wird nach seiner Mutter suchen. Doch dafür muss er hinaus, in den Schnee, in die Welt, vor der er unbeschreiblich große Angst hat …

Schon eine kurze Inhaltsangabe von „Born Scared“ hatte mein Interesse für dieses Buch geweckt. Die Story hörte sich spannend an. Und das ist sie tatsächlich, wie ich später beim Lesen feststellte. Die Angst, die in Elliot die ganze Zeit über im Verborgenen brodelt und sich immer mehr steigert, je mehr Zeit verstreicht, ist für den Leser regelrecht spürbar. Dazu kommt mit völliger Dunkelheit und großen Schneemassen ein unheimliches Setting, das das klamme Gefühl beim Lesen verstärkt. Kevin Brooks baut die Spannung Stück für Stück auf und kann sie auch halten, bevor sich Elliots Story und ein Nebenstrang der Geschichte (von dem ich nichts verraten will) schließlich kreuzen. Im letzten Drittel des Buchs zieht sich die ganze Sache allerdings etwas hin.

Die Kapitel – 46 an der Zahl auf insgesamt 240 Seiten – sind kurz und knackig, ebenso wie der Schreibstil von Kevin Brooks. Sein Thriller, dessen Titel auch im Original „Born Scared“ lautet und von Uwe-Michael Gutzschhahn ins Deutsche übersetzt wurde, liest sich angenehm und unkompliziert.

Obwohl Ich-Erzähler Elliot ein interessanter Protagonist ist, blieb er für mich leider ausgesprochen gesichtslos. Das trifft auch auf die anderen Charaktere zu, von denen allerdings nur selten etwas zu lesen ist, denn hauptsächlich dreht sich die Geschichte um Elliot, der mit Hilfe seiner verstorbenen Schwester Ellamay verzweifelt versucht, sich seinen Dämonen zu stellen.

Alles in allem ist „Born Scared“ ein solider, wenn auch nicht bahnbrechender Jugendthriller mit Darstellern, die leider zu konturlos daherkommen.

Bewertung vom 24.01.2018
Was man von hier aus sehen kann
Leky, Mariana

Was man von hier aus sehen kann


ausgezeichnet

Von einem Okapi im Westerwald: Ein ganz besonderer Roman

Ein kleines Dorf im Westerwald. Hier wächst Luise auf, umgeben von Menschen, die sie liebt und die sie lieben. Und obwohl man meinen könnte, dass in einem so kleinen Kaff nur wenig passiert, geschieht eine ganze Menge: lustige Dinge, traurige Begebenheiten, schreckliche Ereignisse, die man nicht fassen kann.

In diesem winzigen Fleck auf der Landkarte, gegen den die benachbarte Kreisstadt wie eine Metropole erscheint, stellt man sich auch die ganz großen Fragen - und das mit einer solchen Vehemenz, dass sie förmlich in den Leser hineinkriechen.

"Ist es nicht erstaunlich, [...] dass man sein ganzes Leben lang an seinem Todestag vorbeilebt? Einer von den zahllosen vierundzwanzigsten Junis oder achten Septembers oder dritten Februars, die ich erlebt habe, wird mein Todestag sein. Ist das nicht ein Ding, wenn man sich das mal so klarmacht?" ("Was man von hier aus sehen kann", Seite 265)

Wer nun aber meint, Mariana Lekys aktueller Roman sei eine hochphilosophische und staubtrockene Angelegenheit, der irrt gewaltig. Tatsächlich ist "Was man von hier aus sehen kann" ein unglaublich unterhaltsames Buch, dessen Charaktere man unweigerlich ins Herz schließt. Da ist natürlich Luise, die Erzählerin, ihre Großmutter Selma, die Rudi Carrell gleicht wie ein Ei dem anderen und mittels Okapi im Traum einen bevorstehenden Tod voraussieht, der liebevolle und kluge Optiker, die abergläubische Elsbeth, die mit Fledermausherzen gegen Schmerzen kämpft oder die traurige Marlies, die missmutig durch die Welt stapft und am liebsten ihre Ruhe hat. Autorin Mariana Leky erweckt alle Figuren spielend leicht zum Leben. Sie versieht sie mit Eigenheiten, Ecken, Kanten, Narben und Unzulänglichkeiten - und gerade das macht die kuriosen Dorfbewohner so unverwechselbar.

"Was man von hier aus sehen kann" lässt sich schwerlich in ein Genre pressen. Dieser Roman strotzt vor Humor und Situationskomik, hat aber andererseits so traurige und nachdenkliche Passagen, dass man als Leser hin und wieder um einen Kloß im Hals nicht herumkommt.

Etwas, das dieser Roman garantiert nicht ist, ist oberflächlich. Auf allen 320 Buchseiten geht es ans Eingemachte. Wir Leser schauen tief in die Seelen der handelnden Personen, sehen, was sie antreibt, werfen einen Blick auf ihre Ängste. Und ab und zu entdeckt man sich selbst in den Figuren wieder. Das kann schmerzhaft sein, vor allem aber sehr erkenntnisreich.

Wenn ich Mariana Lekys Schreibstil mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich mich für "einzigartig" entscheiden. Man hört der Autorin unsagbar gerne zu. Manchmal rieseln die Worte federleicht zu Boden, dann feuert sie zeilenlange Schachtelsätze ab - aber von Anfang bis Ende erzählt sie mit einer ganz besonderen Melodie, die niemals gewöhnlich ist. Das zieht sich, angefangen bei der zehnjährigen Luise, der in diesem Alter ein fürchterliches Schicksal widerfährt, über die Episode als Auszubildende zur Buchhändlerin hin bis zu Teil drei, in dem sie als junge Frau Anfang dreißig ihr Glück sucht.

Ich gebe zu, dass ich immer mit ein wenig Skepsis an Bücher, auf deren Cover der leuchtend orangefarbene "SPIEGEL-Bestseller"-Aufkleber prangt, herangehe. Und im Fall von "Was man von hier aus sehen kann" ist das noch nicht einmal alles: Mariana Lekys Roman wurde 2017 zum Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels gewählt. Ich kann nur sagen: Beides ist mehr als gerechtfertigt.

Es müssen also keinesfalls immer Heldenerzählungen aus den Knotenpunkten der großen weiten Welt sein, die die Massen begeistern - ein Okapi, ein Dorf im Westerwald und lauter warmherzige Figuren sind manchmal alles, was eine großartige Geschichte braucht.

Bewertung vom 03.01.2018
Tödliches Treibgut / DCI Jim Daley Bd.1
Meyrick, Denzil

Tödliches Treibgut / DCI Jim Daley Bd.1


ausgezeichnet

Im schottischen Fischerdorf Kinloch wird die Leiche einer Frau an den Strand gespült. Der Ermittler Jim Daley und sein Partner Brian Scott aus Glasgow nehmen sich dem Fall an. Sie wollen wissen: Wer war die Tote und unter welchen Umständen starb sie? Doch in Kinloch stoßen sie auf eine Mauer des Schweigens …

„Tödliches Treibgut“ von Autor Denzil Meyrick ist ein Kriminalroman, wie man ihn sich nur wünschen kann: spannungsgeladen, ungeheuer atmosphärisch, nicht zu sparsam mit grausigen Details und einem Ermittlerduo, das die Sympathien der Leser einheimst. Der bärbeißige Scott, der einem trotz (oder gerade?) wegen seiner ungeschliffenen Ausdrucksweise und seines Sarkasmus ans Herz wächst, ist das genaue Gegenteil von Jim Daley, der sich mit guten Manieren auskennt und stets im Anzug erscheint.

Denzil Meyrick nimmt den Leser mit auf eine unvergessliche Reise nach Schottland, zeigt aber dabei mitnichten nur romantische Kulissen und die Heimeligkeit der Pubs auf: Korruption im Polizeiapparat, Gewalt und Perspektivlosigkeit spielen in seinem Krimi ebenso eine Rolle.

Bevor „Tödliches Treibgut“, dessen Titel im Original „Whisky from small glasses“ lautet, am 8. Mai 2017 erschien, wurde mit „Das Mädchen von Strathclyde“ eine Shortstory veröffentlicht, die übrigens auch sehr lesenswert ist.

Ich freue mich schon riesig auf den zweiten Band der Reihe um DCI Daley: „Der Pate von Glasgow“ erscheint am 2. Mai 2018 bei HarperCollins Germany.