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Benutzername: 
meany
Wohnort: 
Seligenstadt

Bewertungen

Insgesamt 125 Bewertungen
Bewertung vom 21.05.2024
Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


ausgezeichnet

Sieht aus wie ein Staubsauger

Lisa hat keine Angst vor UFOs und Außerirdischen, denn schlimmer als sie es hier antrifft kann es gar nicht mehr kommen: die arbeitslosen Eltern, die nur noch durchhängen, die aggressiven Rapper vom Spielplatz, die Schikanen in der Schule.

Deshalb erschrickt sie auch nicht vor dem Kleinen mit dem unaussprechlichen Namen, den sie Walter nennt. Auf seinem Planeten sind sie wohl schon einen Schritt weiter als auf der Erde: "Es gibt keine Männer oder Frauen ... Das hat sich nicht bewährt, weil die einen immer dachten, sie seien besser als die anderen." Und so kommt ihm hierzulande so manches komisch vor. Doch er weiß Abhilfe zu schaffen unter dem Vorzeichen, allen Herausforderungen möglichst offensiv zu begegnen und eventuell so manchen Eigenanteil an der Misere zu erkennen.

Bisher war mir Sibylle Berg immer ein wenig zu krass in Idee und Ausführung, aber dieses Kinderbuch, das auf einem Theaterstück basiert, hat mich mit seiner zutiefst humanistischen Botschaft und der herzerfrischenden Umsetzung, unterstützt durch die originellen Illustrationen von Julius Thesing, zutiefst berührt. Diesem Mut machenden Kinderbuch wünsche ich jede Menge junger und alter Leserinnen und Leser.

Bewertung vom 19.05.2024
In unserer Schule spukt's - Das Geheimnis der Villa Einsiedel
Niessen, Susan

In unserer Schule spukt's - Das Geheimnis der Villa Einsiedel


sehr gut

Dieses war der dritte Streich

Eher lustig als gruselig geht es in der alten Villa zu, als sie plötzlich den Kindern des Städtchens Marode als Schule dienen muss. Jedenfalls geschehen dauernd so rätselhafte Dinge, dass diese den Forscherdrang von Johanna, Lukas, Sylvie und Ravi herausfordern.

Die Geschichte lebt von originellen Charakteren, auch beim Lehrpersonal, angefangen beim schrulligen Direktor Knödel mit seiner Sekretärin Frau Klingel über die flotte junge Lehrerin Frau Marzian bis hin zum launischen Hausmeister Herr Padotzke.

Susan Niessen schreibt die Geschehnisse mit feiner Ironie auf, so dass man auch als Erwachsener Spaß daran hat, und Tessa Raths witzige Bilder unterstreichen das noch. Passend für Grundschulkinder verzichtet diese Gespensterstory auf beängstigende Schockelemente und lässt alle Akteure liebenswert erscheinen.

Bewertung vom 15.05.2024
Fest im Sattel
Hicks, Faith Erin

Fest im Sattel


ausgezeichnet

Eindringling aus einem anderen Stall

Beim ersten Durchblättern kommen mir die Illustrationen minimalistisch und ausdrucksstark vor mit dezenter Kolorierung. 22 Euro für einen Comic hinzublättern ist schon eine Hausnummer, aber das Buch ist umfangreich, edel ausgestattet, durchweg farbig bebildert und fest gebunden.

Als Viktoria neu zum Edgewood-Stall kommt, empfängt sie die eingeschworene Gemeinschaft aus Hazel und Norrie nicht gerade mit offenen Armen, denn sie ritt vorher erfolgreich bei der Konkurrenz. Allerdings reagiert sie selbst dann auf einen zaghaften Annäherungsversuch auch ablehnend. Es braucht die ganze Länge des Buchs um darzustellen, welche vorausgegangenen Erfahrungen jeweils diese Verhaltensweisen bedingen.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, das ist der Vorteil eines Comics, der gerade im vorliegenden Fall mit intensiver Gestik und Mimik arbeitet und so mit facettenreicher Psychologie einen Entwicklungsroman wiedergibt.

Etwas bitter ist mir aufgestoßen, dass mir durchweg die Mädchen als zickig erscheinen und besonders der Junge Sam als Vermittler auftritt: das nährt ein bisschen das Klischee. Ansonsten kann ich den Titel vorbehaltlos empfehlen nicht nur für Reiterinnen und Reiter.

Bewertung vom 09.05.2024
Das Jahr ohne Sommer
Neumann, Constanze

Das Jahr ohne Sommer


ausgezeichnet

Zu nah und dann weit weg

Knapp und emotionsarm berichtet das Kind aus seiner Sicht die Vorgänge um die geplante Flucht, die Inhaftierung und schließlich die Übersiedelung in den Westen. Die reinen Fakten sprechen für sich, die Leser können sich ihr Teil schon denken. In diesem lakonischen Tonfall derartig haarsträubende Fakten zu vernehmen hat mich sehr berührt. Constanze Neumann wählt dafür einen unprätentiösen, schlichten Stil, der dabei aber gar nicht primitiv ist, sondern gerade dadurch besonders ausdrucksvoll. Mühelos konnte ich mich in das unbenannte Mädchen hineinversetzen.

Im Laufe der Zeit kommt die Familie im Westen zu etwas Wohlstand und kann sich sogar Auslandsreisen leisten. Dennoch ist der musikalisch hochqualifizierte Vater unter seinem Niveau als Leiter einer städtischen Musikschule beschäftigt, was der Famlie wirtschaftliche Sicherheit verleiht. Aufgrund ihrer während der Haft im DDR-Gefängnis ruinierten Gesundheit kann die Mutter nicht mehr als Geigerin auftreten. Die mentale Unterstützung der Tochter, die ja in früher Kindheit ebenfalls entwurzelt wurde, hält sich umständehalber in Grenzen, und es ergreift mich zutiefst, wie die heranreifende Jugendliche mit den Widrigkeiten des Kulturschocks und der Außenseiterposition klarkommen muss.

Die Zeitumstände beschreibt Neumann auf angenehme Weise subjektiv, so dass sie gleichzeitig glaubwürdig und transparent erscheinen.

Bewertung vom 08.05.2024
Die Stadt der Schattenschläfer und die Melodie der Albträume
Vieweg, Olivia

Die Stadt der Schattenschläfer und die Melodie der Albträume


gut

Aus dem Staub etwas Neues

Blasmusik als Motiv für einen Fantasyroman: was für eine originelle Idee - und dann auch noch in dem Weltkulturerbe-Städtchen Quedlinburg. Das ließ mich erwartungsvoll zu diesem Buch greifen.

Elly, Tochter eines harmonischen Elternhauses mit einer Ärztin und dem Inhaber eines Trachtengeschäfts, wendet sich gequält ab vor Trompetenklängen, doch ihre Flucht vor dem anstehenden Musikfestival vereiteln immer wieder dunkle Kräfte. Zu ihr gesellen sich schließlich noch drei andere nicht ganz stromlinienförmige junge Leute.

Verwirrt las ich Kapitel für Kapitel, empfand alles als konfus und psychologisch wenig schlüssig, bis das Ganze ab etwas S. 200 etwas mehr Kontur bekam. Da drängte sich mir eine historisch-tiefenpsychologische Deutung auf, ein durchaus interessanter Ansatz.

Stilistisch ist der Text stellenweise unbeholfen ("... die Musik der musizierenden Schüler ..."), andererseits überfordert die Wortwahl vielleicht auch noch Zwölfjährige. Den im Klappentext angekündigten Humor habe ich vergeblich gesucht und die Monster für ein Kinderbuch reichlich morbide gefunden.

Die ästhetisch ansprechenden Illustrationen vermitteln eine eindrucksvolle Atmosphäre.

Meiner Ansicht nach wird die Autorin mit diesem Werk trotz einem Übermaß an Ideen ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht .

Bewertung vom 04.05.2024
Das Fenster zur Welt
Winman, Sarah

Das Fenster zur Welt


ausgezeichnet

Nur den Silberstreif im Blick

Nach dem überwältigenden Erfolg von "Lichte Tage" habe ich mich förmlich auf dieses neue Buch Sarah Winmans gestürzt - und dann kostete es mich erst einmal einige Mühe hineinzufinden. Ein abschließendes Urteil sollte man sich erst nach der letzten Seite bilden, denn da schürzt sich der Knoten: also harrt tapfer aus!

Spätestens nach dem von James Ivory kongenial verfilmten Roman "Zimmer mit Aussicht" von Edward M. Forster (der auch hier noch eine Rolle spielen wird) kennt man die englische Affinität zu Italien und speziell zur Stadt Florenz. Und Winman breitet hier auf über fünfhundert Seiten die reine Liebeserklärung an die Medici-Stadt vor uns aus - in freudigen und noch mehr in traurigen Tagen. Leitmotiv aller Begebenheiten ist ausnahmslos die Liebe als Triebkraft für das Leben an sich. Dass dabei das homoerotische Begehren beider Geschlechter eine signifikante Rolle spielt, ist Geschmackssache.

Handfeste Charaktere hat die Autorin ganz markant skizziert bis hin zum Shakespeare zitierenden Papagei, aber trotz all der Dramatik plätschert die Handlung zunächst Kapitel für Kapitel so vor sich hin, über allem liegt ein sanfter Schleier. Leitmotiv ist durchweg die starke Sympathie für Florenz, die die Kunsthistorikerin Evelyn in dem jungen Soldaten Ulysses noch während des Zweiten Weltkriegs entfacht. Der Bogen spannt sich bis in die Siebzigerjahre und umfasst zahllose Ereignisse und Schicksalsschläge, eingebettet in historische Tatsachen wie die Mondlandung, die Fußball-WM 1966 und vieles andere mehr.

Mit dem abermaligen Zusammentreffen der Protagonisten macht es Winman spannend, das Buch stellt auch ein kunstfertiges Spiel mit dem Leser dar. Das unterstreicht auch ihre feine Ironie in den filmreifen Dialogen, durchsetzt von regelrecht slapstickartigen Szenen. Um die großen Gefühle macht sie gar nicht so viele Worte, sondern lässt kleine Beobachtungen für sich sprechen. Fürs Nähkästchen habe ich mir denkwürdige Zitate notiert: "Die erste Regel der Kunst! Betrachtung wird Liebe.", und: "Wir finden deine Seele und bringen sie dir zurück."

Ist das Kitsch oder eine über alle Maßen liebevolle Weisheit, die wie sanfter Regen auf die Wüste fällt? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Insgesamt scheint mir vor allem die Figur des reinen Tors Ulysses (was für ein sprechender Name) eigentlich zu gut für diese Welt. Doch heutzutage, wo man fast alles von Hass durchtränkt sieht, braucht man doch so eine ungemein wohltuende Botschaft. Und so schließe ich nach der letzten Seite satt und zufrieden den Band, um dann doch noch einmal zum Anfang zurückzublättern und mich zu freuen über den Kreis, der sich gerade geschlossen hat.

Bewertung vom 25.04.2024
Nachspielzeiten
Vogelsang, Lucas

Nachspielzeiten


ausgezeichnet

Welterklärer im Trainingsanzug

In sieben Kapiteln schildert Lucas Vogelsang Sternstunden des internationalen Fußballs.

Man erfährt, wie "Rehakles" mit Hilfe des griechisch-deutschen Sportsachverständigen Topalidis als Dolmetscher die griechische Nationalelf zur Europameisterschaft führte, den Aufstieg und Fall Mehmet Scholls, welche Fußballer im Dschungelcamp ihre vielfältigen Talente bewiesen (oder auch nicht) und wie sich Beckenbauer überreden ließ, an der Seite Pelés mit Cosmos New York Soccer in den USA populär zu machen.

Auch wenn ich bisher zu Fußball noch nicht den richtigen Zugang fand, las ich all diese Stories mit viel Vergnügen. Sprachlich meine ich die eloquenten Kommentatoren zu vernehmen, inhaltlich ist alles ziemlich sensationsheischend dargestellt. Die Rhetorik macht Spaß, Vogelsang fallen treffende Bilder ein, aber mit den Alliterationen müsste er es nicht so übertreiben. Manches hört sich beinahe wie ein Werbeslogan an.

Da das bereits mindestens das zweite derartige Buch Vogelsangs ist, wäre es für das nächste vielleicht eine Anregung, dass er sich auch mal im Frauenfußball ein bisschen umschaut.

Für echte, langjährige Fans sind diese Geschichten vielleicht alte Hüte, aber man erlebt es immer wieder, dass sich beim Thema Kicken Menschen aller Altersstufen, Nationalitäten und Bildungsgrade zusammenfinden und verständigen können, als ob das eine Art Esperanto wäre.

Gerade in diesem Jahr der EM kann man sich schon einmal innerlich rüsten und die Vorfreude anheizen mit diesem Buch.

Bewertung vom 23.04.2024
Astrids Vermächtnis
Mytting, Lars

Astrids Vermächtnis


ausgezeichnet

Die Schicksalsfäden der Nornen

Die Lektüre dieses nun vorliegenden letzten Bandes einer Trilogie vorbereitend hörte ich den ersten Teil als Hörbuch, kann jedoch versichern, dass man "Astrids Vermächtnis" auch so ohne Bedenken lesen und verstehen kann. Alle notwendigen Fakten flicht Mytting an den jeweiligen Stellen ein, angefangen bei der ausführlichen Darstellung der Schwesternglocken-Sage gleich zu Beginn.

Wie der norwegische Autor die dramatischen Einzelschicksale in den Zusammenhang der National- wie der Weltgeschichte stellt und dabei noch ganz plausibel alte Mythen einfließen lässt, hat mich schwer beeindruckt. Die Fülle der Personen hat er im Anhang verzeichnet, aber alle in der für sie typischen Weise so charakterisiert, dass man problemlos folgen kann.

Sehr erhellend fand ich es, die sich immer stärker entfaltende Geisteshaltung des Nationalsozialismus und die damit verbundenen Verbrechen in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs durch die Brille eines besetzten Volkes wahrzunehmen. Scheinbar harmlose Spinner frönten einem nordischen Kult und gossen damit noch Öl ins Feuer fanatischer Politiker.

Überaus spannend schildert Mytting die Kriegshandlungen des deutschen Überfalls und die Formierung des norwegischen Widerstands. Dabei vermeidet er aber auch in der Schilderung der politisch aufgewühlten Zeiten die Schwarzweißmalerei, was besonders in der Predigt des Pfarrers voller apokalyptischer Weisheit seinen Ausdruck findet.

Unvergesslich bleiben die starken Frauen, allen voran Großmutter und Enkelin Astrid, und ganz besonders der die Generationen verbindende Pfarrer Kai Schweigaard. Den mächtig erscheinenden Umfang von über 600 Seiten habe ich durch die packende Erzählweise mühelos bewältigt.

Für alle Skandinavientouristen möchte ich dieses Lesevergnügen mit Erkenntnisgewinn als Pflichtlektüre wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 23.03.2024
Nic Blake - Die Prophezeiung der leuchtenden Welt
Thomas, Angie

Nic Blake - Die Prophezeiung der leuchtenden Welt


ausgezeichnet

Irgendwo in Sicherheit

Gemeinsam mit ihrem magisch begabten Vater vagabundiert "Nic" Nichole Alexis in einer Tarnexistenz durch alle möglichen Städte der USA und fühlt sich in Jackson zum erstenmal daheim, auch weil sie dort ihren besten Freund JP kennenlernt. Ihr ist die ganze Zeit verwehrt worden, die Handhabung der "Gabe" zu erlernen, aber durch Zufall erfährt sie von ihren verwickelten Familienverhältnissen, im Zuge dessen sie ihrer Mutter, den Großeltern und sogar ihrem Zwillingsbruder begegnet.

Ein altes Orakel schickt sie zusammen mit JP und Alex auf ein rasantes Fantasyabenteuer, dessen Besonderheit darin besteht, dass die Zauberkraft eng mit der vor allem in den Südstaaten verbreiteten Sklaverei zusammenhängt. Die Wurzeln liegen in Afrika, und die daraus resultierende Power errettete so manche Opfer vor der Vernichtung. Eindrucksvoll verwebt die junge Autorin die aufregenden Geschehnisse der erzählten Gegenwart mit historischen Ereignissen und Personen. So reist das Trio mit der Underground Railroad in das von den PoC gelobte Land Uhuru, in dem es aber mit der politischen Gerechtigkeit auch nicht zum Besten steht, und trifft unterwegs auf Anklänge an den Ku Klux Clan.

Allerlei Fantasiegestalten kreuzen dabei ihren Weg, teilweise als Freunde, teilweise als Feinde. Die drei Jugendlichen verkörpern ganz unterschiedliche Typen: Nic, die draufgängerische Anführerin, Alex, der behütete, ängstliche Streber und JP, der besonnene und treue Gefährte. Auch Frömmigkeit und Gottvertrauen spielen eine Rolle.

Die temporeiche Handlung, die aber auch immer wieder durch logische Überlegungen vorangetrieben wird, liest sich spannend und transportiert dabei wichtiges Bewusstsein, ohne die Kontroversen der aktuellen Rassismusdiskussion auf die Spitze zu treiben. Ein würdiges Nachfolgebuch für das preisgekrönte "The hate u give".

Bewertung vom 20.03.2024
Der Wald
Catton, Eleanor

Der Wald


ausgezeichnet

Ihr wisst, was zu tun ist. Cheers

In Neuseeland diskutiert eine Gruppe von Guerillagärtnern mit dem sprechenden Namen Birnam Wood, angeführt von Mira Bunting, ein verführerisches Angebot: Geschäftsleute wollen ihnen Land und Kapital zur Verfügung stellen, mit Hilfe derer sie ihr hehres Anliegen auf vervielfachter Basis in den Dienst der Allgemeinheit stellen können. Beim Käufer des betreffenden Grundstücks und dem mutmaßlichen Sponsor handelt es sich um Robert Lemoine, einen zwielichtigen Milliardär aus den USA. Werden sie damit ihre Seele verkaufen, handelt es sich um Greenwashing unter dem Deckmantel von Shared Economy oder gar um die Tarnung illegaler Unternehmungen?

Die kontroversen Positionen der beiden Protagonistinnen Mira Bunting und ihrer Freundin Shelley Noakes ergänzt noch der gerade von einem Auslandsaufenthalt zurückgekehrte Fundamentalist Tony Gallo - und so entfaltet sich der Fundi-Realo-Diskurs vor uns in all seinen Facetten mit interessanten logischen Schlüssen. Wie Catton Weltanschauliches herunterbricht auf einzelne Personen, erinnert mich an ähnliche Themen bei T.C. Boyle, zuletzt mit "Blue Skies". Dass der gedankliche Überbau nicht alles ist, zeigen die Gruppendynamik und die Liebesbeziehungen, die auch noch ihren Einfluss ausüben, gerade bei folgenschweren Entscheidungen.

Dem Idealismus der Umweltschützer steht der Zynismus Robert Lemoines gegenüber, des mächtigen Strippenziehers, der zu Höchstform aufläuft, als er nach der Katastrophe alle Beteiligten zu seinen Gunsten manipuliert. Seinen flexiblen Umgang mit der Wahrheit nennt er "das Narrativ ändern", und so verstricken sich alle Beteiligten in ein unentwirrbares Geflecht von Lügen.

"Der Wald" als ein Geflecht aus Organismen über und unter der Erde, sichtbar und unsichtbar vernetzt und abhängig von einander, Versteck und Lebensgrundlage, aber auch bedrohlich, angsteinflößend: das ist ein stimmiger Titel für diesen Roman.

Catton überzeugt von Anfang an durch die differenzierte Charakterisierung der Akteure anhand ihrer familiären Situation und Lebensgeschichte im Lichte feiner Ironie. In bester angelsächsischer Tradition besticht sie nicht durch stilistische Finessen, sondern lässt die Figuren für sich sprechen mit einem hohen Dialoganteil. Nach einem eher behäbigen Anfang entwickelt sich die Story gegen Ende zunehmend in einen Pageturner, den ich nicht mehr aus den Händen legen mochte, weil ich wissen wollte, wie es weiter- und schließlich ausgeht.