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Schleswig-Holstein

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Insgesamt 64 Bewertungen
Bewertung vom 19.02.2024
Die lichten Sommer
Kucher, Simone

Die lichten Sommer


sehr gut

„So zart und sinnlich und zugleich so aufgeklärt hat hierzulande noch niemand von Vertreibung erzählt.“ Sagt Daniela Dröscher über DIE LICHTEN SOMMER von Simone Kucher @kucher.simone

„Zart und sinnlich“ und „Vertreibung“ in einem Satz? Wie kann das gehen? Das wollte ich unbedingt ergründen und so bin ich eingetaucht in die Geschichten von drei Frauen, deren Leben ebenso so eng miteinander verbunden wie auch getrennt verlaufen sind.

Es ist ein warmer Sommer im Kriegsjahr 1944, in dem Nevenka die letzten unbeschwerten Tage ihrer Kindheit in einem südmährischen Dorf inmitten dichter Wälder, lichter Wiesen und am Rande eines reißenden Flusses verbringt. In dem sie Zena begegnet, dem Mädchen aus Prag, das mit ihrer Mutter ins Dorf kam, um ihrem in einem Nazi-Gefängnis inhaftierten Vater näher zu sein. Zena stellt Nevenkas Leben mit ihrer unkonventionellen mutigen, fast amazonenhaften Erscheinung auf den Kopf.

„DEINE Zena, hatte die Mutter gesagt. Da sprudelte ein Wasserstrahl durch Nevenkas Brust, geräuschvoll und warm.“

Einfühlsam, liebevoll und tatsächlich mit einer zarten und sinnlichen Sprache erleben wir den Beginn einer Mädchenfreundschaft, die auch den Beginn eines Erwachsenwerdens markiert. Der Krieg ist für die Mädchen weit weg. Tod, Hass, Verfolgung, Vergeltung und das Grauen dringen nur in Zwischentönen und Andeutungen in ihre Zweisamkeit. Es ist der letzte Sommer vor der Vertreibung.

Ein anderer warmer Sommer ca. 20 Jahre später in Süddeutschland. Hier lebt Nevenka nun mit ihrer Familie und auch mit ihrer Tochter Liz, die früh erwachsen werden und Verantwortung für das Überleben der Flüchtlingsfamilie übernehmen muss. Liz wagt es, aus der Enge der familiären Zwänge, des stummen Gehorsams und der Welt der Andeutungen, in der man über Gefühle nicht spricht, in der man anständig ist, auszubrechen. Wird sie einen Weg finden, sich von den tiefsitzenden Lasten zu befreien und ihr Glück finden?

Simone Kucher erzählt die Geschichten auf diesen zwei Zeitebenen, auf der ersten aus der Perspektive der heranwachsenden Mädchen. Es sind Geschichten von einem DAVOR und einem DANACH.

Der Akt der Vertreibung oder der Flucht, die komplexen gesellschaftlichen und historischen Zusammenhänge bleiben angedeutet. Die erwachsene Welt, die der Schuldigen bleibt außen vor. Betrachtet wird die Wirkung von Flucht, Vertreibung und Kriegstraumata auf die Opfer: die Kinder, die nachfolgenden Generationen.
Simone Kucher hört immer da auf, wo die Gewalt anfängt. Sie entfaltet sich erst im Leben von Liz, im Leben der Nachkommen und auch hier in sehr subtiler Weise.
Hier, in der Figur der Liz, wurde FÜR MICH zu viel ausgelassen, war das Schweigen zu tief, so dass ich ihre Motive nicht verstehen und die Verbindung zu ihr nicht aufbauen konnte. Da mich DAS aber interessiert hat, bin ich durch eigene Recherchen in die Geschichte der Vertreibung eingetaucht, um mir daraus Antworten zu bauen.

Und so hat Simone Kucher für mich Vertreibung und Flucht ganz neu, faszinierend, kontrastreich und - ich hätte es nicht für möglich gehalten - „zart und sinnlich“ erzählt. Ihre Position ist dabei sehr zurückhaltend, ihren Figuren und auch unserer Fantasie viel Raum lassend.
Sehr lesenswert.

Bewertung vom 03.02.2024
Die Verletzlichen
Nunez, Sigrid

Die Verletzlichen


ausgezeichnet

„Als das schönste Gefühl der Welt“, so beschrieb ein Filmemacher die Erfahrung, eine Bindung mit einem wilden Geschöpf zu entwickeln.“ … „Der Kampf, der ihr oft herausforderndes Leben ist, scheint ihm sein eigenes Leben widerzuspiegeln, …“ S. 81

Und doch hat mich der Plot des Romans von Sigrid Nunez fast abgeschreckt. Ein Papagei ist allein in einer New Yorker Wohnung, weil die Familie während der Corona-Pandemie von einer Reise an die Westküste nicht in die Stadt zurückkehren darf. Die namenlose Erzählerin, eine Schriftstellerin mit Schreibblockade im Rentenalter und Freundin der Familie, nimmt sich des Tiers und der Wohnung an und sieht sich plötzlich in einer Zwangs-Wohngemeinschaft mit einem jungen Mann, der aus den Erwartungen seines Elternhauses geflohen ist und von dem sie sich so gestört fühlt, dass Sie ihn Giersch nennt. Ein Wildtier in Gefangenschaft, ein Spät-Pubertierender und Corona? Wirklich? JA unbedingt, weil es Sigrid Nunez ist und sie mich noch nie enttäuscht hat.

Denn die Handlung bildet zwar den Rahmen der Geschichte, doch ihr wahrer Wert liegt in den Gedanken, durch die die Erzählerin mäandert, die Lebenslinien, die sie verfolgt. Wie sie ihr Schreiben und ihre Schreibblockade aufdröselt, die verlorene Verbindung zu sich selbst, zu den Worten, zur Natur durchleuchtet. Die Verletzlichkeit, mit der wir als Lebewesen geschlagen, aber auch gesegnet sind, darstellt. Sie hüpft leicht und fragmentarisch durch Themen wie Männlichkeit, das Älterwerden, Feminismus, baut Entwurf auf Gegenentwurf, beginnt Erzählungen und verwirft sie wieder, erinnert und enttarnt Erinnerungen. Auch hier: eine Suche. Was ist wichtig? Was ist das, was bleibt? Und was bedeutet es zu schreiben?

Die Pandemie erscheint als eine Metapher für die Verletzlichkeit des natürlichen Gleichgewichts. Eingesperrt in unseren Wohnungen im Logdown fühlen wir uns abgeschnitten und entfremdet und suchen Halt und Trost in der Verbindung mit anderen Lebewesen und der Natur.

Und so wird die Aufgabe, sich um den verlassenen Papageien zu kümmern „eins der wenigen Dinge, das zu erledigen (sie) sich zutraute, ohne sich fragen zu müssen: Warum tue ich das?“ Wird sie so ihr Gleichgewicht und ihre Worte wiederfinden?

Voller Witz und Selbstironie, aber auch Melancholie und Verlassenheit stromert sie durch die großen Fragen des Lebens. Lakonisch und unaufgeregt, ein ruhiges Wandern durch Ansichten, Einsichten, die Literatur von Virginia Woolf, Joan Didion und anderen.
Sie schneidet viele Themen an, fast wirkt es wie ein persönliches Essay. Ein Buch zum langsam lesen. Zum Markieren und Notieren. Zum Nachdenken und Nachhallen lassen.

„Autobiografie mit einer dünnen Schicht Fiktion oder Fiktion mit einer Schicht Autobiografie?“ S. 215

Lasst Euch überraschen, was Ihr findet, denn ich glaube, das kann für jede*n etwas anderes sein.

„Das Leben ist nicht das, was man erlebt hat, sondern woran man sich erinnert und wie man sich erinnert, um es zu erzählen.“ GABRIEL GARCIA MARQUEZ (Motto)

Bewertung vom 30.01.2024
Prima facie
Miller, Suzie

Prima facie


ausgezeichnet

Die junge ehrgeizige Strafverteidigerin Tessa Ensler ist mir ein bisschen unheimlich, als sie die Bühne des Londoner Gerichtssaals betritt. Eiskalt mit allen Wassern gewaschen, treibt sie ZeugInnen im Kreuzverhör vor sich her und erwirkt Freispruch auf Freispruch. Auch und vor allem für Angeklagte sexueller Übergriffe.

Sie fragt sich nicht, ob die Mandanten ES getan haben oder nicht, für sie zählt nur das Gesetz und die juristische Wahrheit. Sie versteht sich als Sprachrohr des Gesetzes, die Entscheidung über Schuld und Unschuld trifft das Gericht. Das Gericht funktioniert dabei wie ein Theater, in dem jede*r seine Rolle spielt, seine Perücke aufsetzt, seine Robe überstreift, seine Position einnimmt und seinen Text draufhat. Ihre Rolle spielt sie perfekt. Und genießt sie:

„Dieses Sonnen im Augenblick, der langsame Sieg. Es ist ein Gefühl von Macht, das Gefühl die Situation komplett in der der Hand zu haben – und das Gegenüber weiß das.“ S. 152

Dabei hatte Tessa es schwer: in der Welt der Elite-Uni Cambridge und des Londoner Gerichts zählt Herkunft mehr als Können. Sie kommt aus prekären Verhältnissen am Rande Londons. Im Umgang mit ihrer Mutter und ihrem zu Gewalt neigenden Bruder wird die toughe Tessa weich, unsicher und verletzlich, doch springt sie auch hier in eine Rolle: die der Tochter und Schwester, die mit starkem wütendem Trotz den familiären Zusammenhalt verteidigt.

Beide Rollen stecken voller Gewissenskonflikte, in die ich voll mit hineingezogen werde. Funktioniert Gerechtigkeit wirklich so systematisch und für jeden? Zweifel regen sich leise und ohne moralischen Zeigefinger.Tessa nutzt ihre weiblichen Attribute sehr gezielt, insbesondere als weibliche Verteidigerin von männlichen Sexualstraftätern. Wie ist dann sexistisches Verhalten ihr gegenüber zu bewerten? Wo sind die Grenzen und sitzen Reste patriarchaler Glaubenssätze auch in meinen Genen?

Liebe Bookies, lest das! Es macht etwas mit Euch. Verlasst Euch auf die Wahrheit des Blurbs von Mareike Fallwickl:
„Prima facie“ ist so viel mehr als ein Roman: eine scharfe Anklage, ein Schritt-für-Schritt-Prozess, in dem wir uns für Zeugen halten, bis wir erkennen, dass wir alle schuldig sind. So muss Literatur sein, die etwas bewirken will. Dieses Buch ist für alle, die nicht länger nach den Gesetzen des Patriarchats leben wollen!“

ABER, liebe Plot-Begeisterten, es ist ein AUCH ein fesselnder ROMAN mit Dialogen und Perspektivwechseln, die den Spannungsbogen aufs Äußerste ziehen, mit einem krassen Wendepunkt, an dem die Rollen durchgetauscht werden und das Leben der Anwältin in dramatischer Weise auf den Kopf gestellt wird.
Atemlos folge ich der schnörkellos, klar und pointiert erzählten Handlung. Ich habe das Buch kaum aus der Hand legen können.

Der Roman basiert auf Suzie Millers sehr erfolgreichem Theaterstück, das am Broadway und Londoner Westend gefeiert wird, und an vielen deutschen Theatern im Programm ist. Es ist Suzie Millers erster Roman in einer großartigen Übersetzung von Katharina Martl.

Bewertung vom 28.01.2024
Die Stadt und ihre ungewisse Mauer
Murakami, Haruki

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer


ausgezeichnet

Nein, es war kein Traum. Um eine Definition zu wagen, würde ich sagen: Es war eine Idee, die am Rande der Realität existierte.“ S. 569

Ja, lieber Herr Murakami, so habe ich Ihr neues Buch erlebt! Was red ich! Buch! Es ist Ihre WELT, zu der Sie mir gleich auf den ersten Seiten das Tor geöffnet haben. Es ist nicht mein erster Murakami und es ist, als wäre ich nie fort gewesen. Als hätte ich die Stadt mit der Mauer und ihren Torwächtern, mit dem Kirchturm ohne Zeiger, mit der Bibliothek der alten Träume, gerade erst verlassen. Als hätte ich das namenlose Paar, das sich in ihrer jungen Liebe diese Stadt träumt, schon früher gekannt.

Es ist eine zaghafte erste Liebe, der wir begegnen, stark und doch fast transparent. Das wahre ICH der Freundin des 17jährigen Erzählers lebt hinter den Mauern dieser Stadt. Er will es finden, und so macht er sich auf die Suche, lässt seinen Schatten und sein normales Augenlicht vor den Toren zurück, um sich in dieser merkwürdigen Stadt, in der die Zeit keine Rolle spielt, als Bibliothekar der Träume, als Traumleser nützlich zu machen. Er findet sie, aber hier erkennt sie ihn nicht und in dem zeitlosen Raum kommt er ihr nicht so recht nah. Sein Schatten kann ohne ihn nicht überleben. Bevor es kein Zurück mehr gibt, muss er eine Entscheidung treffen.

„In meinem Kopf tobte ein heftiger Kampf zwischen Wirklichem und Unwirklichem. Ich stand jetzt an der Schwelle zwischen den beiden Welten, an der feinen Schnittstelle zwischen Bewusstem und Unbewusstem, und musste mich entscheiden, zu welcher Welt ich gehören wollte.“ S. 179

Er verlässt die Stadt, die Bindung verblasst, doch die Liebe und die Sehnsucht bleiben. Es beginnt eine lebenslange Suche und eine große Reise, die ihn wieder in eine andere Stadt und in eine andere Bibliothek führt.

Der Fluss der Geschichte zieht sich langsam durchs Gelände. Metaphern säumen den Wegesrand, der Held scheint zeitweise selbst zu einer zu werden.In ihm vermischen sich Traum und Wirklichkeit, Realität und Fantasie, die Grenzen zwischen Körper, Geist und Seele lösen sich auf. Oft wiederholen sich Passagen, werden aus anderen Perspektiven erzählt. Langsam, mit viel Zeit und detailliert. Fast ist mir die Reise zu beschwerlich, doch dann erinnere ich mich, wo ich bin und dass ich nie wieder woanders sein möchte und gehe das Tempo mit. Bis zum großen Finale.

Murakami spielt mit unserem Verstand, tanzt mit Worten und Bildern, lässt uns auch ein schelmisches Lächeln sehen, nimmt sich selbst nicht zu ernst. Dieser Roman hat 40 Jahre gebraucht, um zu dieser Größe zu wachsen, wie er im Nachwort ergänzt. Das spüre ich. Er hat alle Register seines Könnens und seiner Einzigartigkeit gezogen. Er hat vielleicht die magischste und philosophischste aller seiner Welten erschaffen. Er hat sich selbst ein Monument errichtet. Ich wüsste nicht, was nun noch kommen sollte und mit einer melancholischen Stimmung schließe ich das Tor.

„Diese Vorstellung versetzte mich in eine seltsame, stille Traurigkeit, die man als metaphysisch bezeichnen könnte und die sich ein wenig von der Traurigkeit über den Verlust eines Lebenden unterschied. Diese Trauer war nicht schmerzhaft. Es war einfach nackte Traurigkeit.“ S. 408

Kann jemand, der noch nie Murakami gelesen hat, mit meinen Worten etwas anfangen? Ist es vielleicht auch kein Murakami für Einsteiger? Eins ist mir wieder bewusst geworden: Man MUSS Murakami lesen und irgendwann MUSS man dann auch DIESEN Murakami lesen.

Sehr empfehlen kann ich auch das Hörbuch, das der preisgekrönte Synchron- und Hörbuchsprecher DAVID NATHAN eingelesen hat. Und nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass wir dank der großartigen Übersetzungen von URSULA GRÄFE den wohl besten deutschen Murakami haben, den man sich vorstellen kann. Großer Dank!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.01.2024
Salzige Milch
Job, Anna;Pourian, Corinna

Salzige Milch


ausgezeichnet

Wollt Ihr mal ziehen? Na los, ich halte die eine Seite, Ihr zieht an der anderen und dann „Peng!“, das Knallbonbon birst mit einem Zischen auseinander, sprenkelt Perlen, bunte Konfetti und gute Laune in die Luft und … einen Hauch von Melancholie, weil die Freude so schnell vorbei ist.

Das Knallbonbon SALZIGE MILCH von Anna Job (Text) und Corinna Pourian (Illustration) ist erklärtermaßen eine Erzählung. In Schnipseln. (Für einen Blick durchs Buch swipe mal nach links!)

Herrlich bunte, kindlich fröhliche, plakativ naiv gezeichnete Schnipsel. Vorsichtige – ein bisschen ängstliche – in lyrischer Form zusammengehaltene Worte. Die Verbindung von Text und Bild schafft die Dritte im Bunde, die Grafikdesignerin Theresa Schwietzer. Ohne Pause blättere ich mich von Seite zu Seite und tauche ein in das Meer an Gefühlen, das dabei entsteht.

Apropos Meer. Die Liebe zum Meer ist es, die die Geschichte zusammenhält. Das Element, das gleichzeitig Geborgenheit schenkt und Angst macht. Das mal ein „grünes“, mal ein „weißes Monster“ oder „stilles Wasser“ ist, das ehrfürchtig macht, in dem man ertrinken und auf dessen Wellen man den Zauber des Lebens reiten kann. Früher.

Nun reitet die junge Ich-Erzählerin auf den Wellen der Schwangerschaft und des Mutterseins. Begegnet schwerer See und dunklen Tiefen. Aber auch einer unermesslichen Weite und Liebe. Und Ängsten, die sich immer wieder vor ihr auftürmen:

„Zwei Ängste gibt’s. Ich hab die zweite.
Die erste, weil man nicht will.
Die zweite, weil man doch will.“

Und so gibt sie den Zauber des Lebens an „Dich“ weiter, kleiner „Tragling“. Schenkt Dir Fruchtwasser und Muttermilch.

Es ist ein modernes, ein junges und weibliches Buch. Was anmutet wie ein Kinderbuch, ist es nur auf den ersten Blick. Mit wenigen poetischen Worten schafft Anna Job es, die Brüche im Leben und im Muttersein fühlbar und gleichzeitig Mut zu machen. Fröhlichkeit, Leichtigkeit und Lebensfreude dominieren. Melancholie und Doppeldeutigkeit des Textes erwischen einen erst auf den zweiten Blick.

Auch wenn ich thematisch weit entfernt von der Protagonistin stehe, hat mich dieses bunte Buch sehr begeistert und haben die Bilder sich mir eingeprägt. Ich werde es sicher noch oft – und nicht nur an junge (werdende) Mütter - verschenken, denn das ist es: ein Geschenk.

Bewertung vom 07.01.2024
Solange wir schwimmen
Otsuka, Julie

Solange wir schwimmen


sehr gut

Es gibt diese Orte, da sind wir alle gleich: im Schwimmbad und in gewisser Weise auch im Seniorenheim. Es ist egal, wer Du draußen bist, hier bist Du SchwimmerInnen oder dement und ziehst Deine Bahnen über der Tiefe des Beckens oder den Flur des Altersheims, jeweils nach den dort geltenden strengen Regeln, Rhythmen und Abläufen.

Julie Otsuka nimmt uns in diesem außergewöhnlichen Roman mit an beide Orte. Zunächst lernen wir Alice mit beginnender Demenz noch als Teil einer kleinen verschworenen Gemeinschaft im „Schwimmbad unter der Erde“ kennen. Hier ist sie in ihrem Element, leicht und frei, mittendrin und doch für sich allein.
„Und auch wenn sie sich vielleicht nicht an die Nummer ihres Schließfachs erinnert oder daran, wo sie ihr Handtuch hingelegt hat – sobald sie ins Wasser gleitet, weiß sie, was zu tun ist. Ihre Armzüge sind lang und fließend, ihr Beinschlag ist kräftig, ihr Geist klar.“ S. 9
Hier ist sie ein Teil des großen – auch erzählenden – WIR. Hier haben WIR „ein Gefühl von Geborgenheit und Ordnung, das uns in unserem Leben oben fehlt.“ Dieses kollektive WIR, mit dem der erste Teil des Romans erzählt wird, schließt mich ein, schwingt mich in einen Rhythmus, der an das ruhige Ziehen gleichmäßiger Bahnen in einem Schwimmbad erinnert und mich in Geborgenheit wiegt.

Bis der Riss im Boden des Beckens auftaucht.

„Vielleicht ist der Riss immer schon dagewesen und hat nur darauf gewartet, sich uns zu zeigen.“ S.39
Der Riss ist natürlich eine Metapher für eine Veränderung und markiert eine Wende in der Geschichte, in der Gemeinschaft, auch im Erzählton und in der Perspektive.

Alice ist nun im Heim und nicht nur sie erlebt einen langsamen Abschied von allem, was einmal wichtig war, allen Erinnerungen, allen Verbindungen, auch denen zur engsten Familie. Was ist es, das bleibt?
„Und mit jeder Erinnerung, die sie abstreifen, werden Sie sich leichter und leichter fühlen. Bald werden Sie vollkommen leer sein, ein Nichts und zum ersten Mal in Ihrem Leben werden Sie frei sein.“
So schonungslos und gleichzeitig zärtlich ist über das Thema Demenz vielleicht nie geschrieben worden. Sehr besondere Perspektiven, dramaturgische und sprachliche Wendungen zwischen Komik und Tragik machen das Lesen zu einem sinnlichen Erlebnis.

Manchmal brauche ich ein bisschen, um mich auf die unterschiedlichen Erzählformen und die damit verbundenen Brüche einzustellen. Auch wenn sich viele Emotionen in mir bewegen, bleiben mir die Menschen, bleibt mir vor allem Alice ein fremdes Wesen. Vielleicht ist das eine beabsichtigte Wirkung, denn Alice wirkt isoliert in der Welt, von der sie gleichzeitig ein Teil bleibt.
Es bleibt für mich ein schöner, einfühlsamer leiser Text mit einem sehr fließenden, sanften Rhythmus und einer neuen Perspektive auf ein Thema, das Mut braucht, sich damit auseinanderzusetzen.

Bewertung vom 03.01.2024
Die sieben Monde des Maali Almeida
Karunatilaka, Shehan

Die sieben Monde des Maali Almeida


ausgezeichnet

„Du hast gern Witze über den Tod gerissen, solange er Dir unwahrscheinlich vorkam, wie er uns allen vorkommt, bis wir eines Besseren belehrt werden.“ S.164

Seit langem hat kein Buch so ambivalente Gefühle in mir ausgelöst wie DIE SIEBE MONDE DES MAADI ALMEIDA des Sri-Lankers Shehan Karunatilaka. Ich schwebe mit den Geistern dieser Geschichte über dem Boden der Realität, durch die wie Skulpturen geformten Sätze und erarbeite mir gleichzeitig die Hintergründe des Bürgerkriegs in Sri Lanka, der von 1983 bis 2009 sämtliche Ethnien, Religionen, Weltmächte und sonstige Interessengruppen auf den Plan rief, um sich blutig mit einer Bilanz von wahrscheinlich 100.000 Toten zu bekämpfen.

Wir sind im Jahr 1990 und mittendrin in diesem Krieg. An Möglichkeiten zu sterben, mangelt es für jemanden wie Maali Almeida „[Kriegs]Fotograf, [Glücks]Spieler, [schwule]Schlampe“ nicht. Er ist verwirrt, als er in einer bürokratisch organisierten Zwischenwelt erwacht mit tausenden Halbtoten, die mit Verletzungen, verbrannten Kleidern und leeren Blicken den Ausgang ins ewige Licht suchen. Sieben Monde, sieben Nächte hat Maali Zeit, sich aus dieser Welt zu befreien, um ins Jenseits einzutreten. Doch er ist noch nicht bereit. Er muss die Frage klären, wie es so weit kommen konnte, dass er hier zerfetzt und blutverschmiert durch eine Vorhölle stolpert. Wer hat ihn getötet und warum?

Durch die Perspektive des Toten, der sich auf Winden der Erinnerung mit derbem Humor durch das Reich der Geister und der Lebenden bewegt und sich selbst als „Du“ seine Geschichte erzählt, bekommt dieser Roman eine ganz besondere Dichte. Karunatilaka schenkt nicht nur Maali mehrere Stimmen, sondern auch all den Toten, die dieser Krieg bereits gefordert hat. So ist es gleichermaßen ein Politthriller, eine Geistergeschichte, eine Gesellschaftssatire, aber auch eine tiefgründige philosophische Suche nach dem Sinn des Lebens und Sterbens.

„Wir sind ein Lichtflackern zwischen einem langen Schlaf und dem nächsten. Vergiss die Märchen von Göttern, Höllen und vergangen Geburten. Glaub an Chancen, Fairness und falsches Spiel mit Falschspielern, spiel deine Hand, so gut du kannst, solange du kannst. Man ließ dich glauben, der Tod bedeute süße Vergessenheit, und beides war falsch.“

Es ist aber auch eine Geschichte über Sri Lanka, über diesen erbitterten jahrzehntelangen Krieg, über Religion, aber auch über Freundschaft und Liebe und das Menschsein.
Neben aller Euphorie möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass es mich zeitweise angestrengt hat dranzubleiben. 500 Seiten voller Geschichte, von der ich keine Ahnung, voller Namen, die ich nie gehört hatte, voller Sätze, die mehrfach gelesen werden wollten. Es gab Momente, da wollte ich es in die Ecke schmeißen. Doch immer hat der Wunsch überwogen, zu erfahren wie es weitergeht. Immer bin ich doch wieder an einem Satz hängen geblieben, den ich ausschneiden und aufhängen mochte, bin ich doch wieder über eine Erkenntnis gestolpert, über einen guten Gedanken, den ich auf keinen Fall verpasst haben mochte. Und dann habe ich mir das Glossar, die Personenliste oder Google wieder vorgenommen, nachgeschlagen und weitergelesen. Und bin dankbar dafür. Mit dem Wissen von jetzt würde ich es am liebsten nochmal lesen und sicher noch sehr viel mehr entdecken.

Lange habe Shehan Karunatilaka keinen Verlag gefunden, der das Buch in Europa für machbar hielt. Es sei für den europäischen Markt intensiv überarbeitet worden. Der Erfolg gibt den Menschen, die daran glaubten, recht. 2022 erhielt es als erstes Buch aus Sri Lanka den @thebookerprizes.

Hannes Meyer, der auch DIE GESCHICHTE EINER KURZEN EHE von Anuk Arudpragasam übersetzt und hiermit für den Internationalen Literaturpreis nominiert war, hat mit der deutschen Übersetzung sicher ein kleines Wunder vollbracht.

Bewertung vom 10.12.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Gustav Gründgens, Heinz Rühmann, Wilhelm Furtwängler - Geschichten der Stars der NS-Zeit wurden schon viele erzählt. Auf den ersten Blick scheint es, dass DANIEL KEHLMANN ihnen mit der des österreichischen Regisseurs G.W.Pabst eine weitere hinzufügt.

Doch was Daniel Kehlmann daraus macht, ist im wahrsten Sinne großes Kino. Bis zur Comicreife überzeichnete Charaktere, scharf- und doppelzüngige Schlagabtausche, Komik, bei der das Lachen schon unterhalb des Halses stecken bleibt, rasante Schnitte, schwindelerregende Perspektivwechsel. Ich hatte das Gefühl, mich in einem Kinosessel festschnallen zu müssen, aber nicht, um einem betulichen Unterhaltungs- oder Durchhaltefilm der nazideutschen Propagandamaschinerie zu folgen, sondern in einem Action-Abenteuer der 2000er Jahre.

Nun kann man sich fragen, ob das der Sache dient. Doch was ist eigentlich die Sache? Zunächst mal die vielleicht einzigartige und auch verstörende Geschichte des österreichischen Regisseurs G.W.Pabst zu erzählen. Pabst machte sich in Zeiten der Weimarer Republik unter dem Spitznamen „Der Rote Pabst“ mit pazifistischen linksorientierten Filmen einen Namen, war nach der Machtübernahme 1933 bereits in Amerika und Frankreich erfolgreich und ist durch eine Verkettung verschiedener Umstände 1939 nach Österreich zurückkehrt und geblieben. Und arbeitete. Drehte auf Wunsch und Geheiß von Joseph Goebbels persönlich Filme mit „subtilen Propagandatendenzen“ (Wikipedia).

Daniel Kehlmann lässt ihn sagen: „Die Zeiten sind immer seltsam. Kunst ist immer unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt, ist sie das Einzige, was wichtig war.“ S. 366

Warum? Warum, fragt man sich die ganze Zeit und auch Daniel Kehlmann sagt in einem Interview, dass, hätte er EINE Frage, die er G.W.Pabst noch stellen dürfe, es die nach dem Warum seiner Rückkehr wäre. Warum tut er sich und seiner Familie das an? Lässt seinen Sohn unter der Nazipropaganda groß, seine Frau fast verrückt vor Angst und Unwohlsein mit dem täglichen Arrangement werden?

Ein lupenreiner Opportunist? Wie weit ist Opportunismus – gerade in der Kunst - ENTschuldbar? Wie weit darf man gehen – für die Kunst? Wann beginnt Schuld? Wenn die Antwort auf diese Fragen so einfach wäre!

Diese Fragen ins Heute zu holen ist meiner Meinung nach die zweite wichtige Sache an diesem Roman. Wie versetzt man der historischen Kulisse einen Anstrich, mit dem uns das Spiel zwischen Macht und Manipulation vs. Anpassung und Duldung direkt vor die Füße fällt? Durch Fiktion, Überzeichnung, Witz, Slapstik, Magie, Illusion und Desillusion, Licht- und Schattenspiele! Das ist nichts zum Wohlfühlen, keine Geschichte, die einem das Herz öffnet. Das ist eine Geisterbahnfahrt durch die Abgründe der menschlichen Seele unter gruppendynamischen Zwängen – nicht nur in totalitären Systemen. Mitreißend erzählt. Fast 500 Seiten ohne einen Moment der Langeweile, selbst wenn das Personal am Set zuweilen etwas unübersichtlich wird und mir nicht jede Szene ihren Sinn erschließt. Wer Freude am Googlen und Faktencheck beim Lesen hat, wird hier auf seine Kosten kommen. Es geht aber auch ohne und wird zum Genuss, wenn man sich dem Sog dieses Spielfilms … äh … Romans überlässt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.11.2023
Die Zeit der Verluste
Schreiber, Daniel

Die Zeit der Verluste


ausgezeichnet

„Es gibt wenig menschlichere Regungen als die Traurigkeit der Trauer, doch sie zuzulassen, sie zu akzeptieren und sie zum Ausdruck zu bringen, erforderte an jenem Tag mehr Mut, als ich aufbringen konnte.“ S. 83

Im Gespräch, dem ich am Sonntag in Hamburg mit Daniel Schreiber lauschen durfte, sucht er auf die Frage, ob man Trauer trainieren könne wie einen Muskel nach einem anderen Bild. Er fühle da keinen Muskel, sondern er sähe unseren Körper als ein dehnbares Gefäß, das sich im Laufe des Lebens mit immer mehr Verlusten füllen und wachsen würde. Wie gern versuchen wir Trauer auszublenden, uns abzulenken, auszuweichen, so schnell wie möglich wieder zum Alltag überzugehen.

Doch Trauer ist nichts, das man irgendwann, nach Wochen, Monaten oder einem Jahr abschließen kann. Trauer wird uns immer wieder ergreifen. Jeder neue Verlust, sei es der eines geliebten Menschen – wie in seinem Fall der des Vaters -, eines Lebenstraums oder eines kollektiven Gutes, bringt uns wieder in Verbindung mit der Summe unserer Verluste. Bestenfalls lernen wir das zu akzeptieren.

„Trauer ist immer eine Erfahrung von Endgültigkeit. Vielleicht liegt darin neben dem Schmerz auch eine merkwürde Form von Trost: mit Tod und Vergänglichkeit lässt sich nicht verhandeln.“ S. 32

Daniel Schreiber wählt für seine Betrachtung die Form des Persönlichen Essays. Er verbindet autobiografische Erfahrungen und einen Tag im nebelverhangenen Venedig fließend mit wissenschaftlichen, philosophischen, psychologischen Erkenntnissen und Gedanken über Kunst und Malerei und schafft einen Resonanzkörper, der unweigerlich eigene Erinnerungen zum Schwingen bringt, eigenes Reflektieren in Gang setzt und einen Bogen schlägt zum kollektiven Umgang mit Verlusten von Sicherheiten und Gewissheiten.
Wir begleiten ihn auf einem Streifzug durch Venedig, durch die schon seit Jahrhunderten totgesagte Stadt, die es doch schafft, sich immer wieder zu erneuern, deren morsche Pfähle immer wieder ausgetauscht werden, die immer neue Wege findet, dem Untergang zu trotzen. Wir mäandern mit ihm über Brücken, Kanäle, durch Museen, über den alten evangelischen Friedhof, durch die Werke von Freud, Derrida, Didion, Barthes und vieler anderer, genießen die kulinarischen und kulturellen Köstlichkeiten der Stadt und bekommen der Trauer auch immer wieder Freude und Hoffnung entgegengesetzt.

„Ich kann nicht glauben, wie schön, wie unglaubliche schön diese Welt, in der wir leben, sein kann, und wünsche mir, wenigstens die Fähigkeit, das zu sehen, nie zu verlieren.“ S. 42
Ich könnte Daniel Schreiber ewig zuhören, sowohl seinem geschriebenen als auch seinem gesprochenen Wort. Wie er da mit einer wahnsinnig feinfühligen Präsenz auf der Bühne sitzt, mit seiner sanften Stimme, überlegte kluge und immer stimmige Worte aus sich herauswringt, ist es undenkbar, Autor und Werk zu trennen. Er verkörpert, was er schreibt, und schreibt, was er verkörpert, und bleibt gleichzeitig auf einer analytischen Metaebene. Seine Worte berühren und schwingen nach. Die Seiten meines Buches kleben voller Zettel, viele Zeilen tragen Unterstreichungen.

Ich könnte nicht anders enden als mit den Worten von Fatma Aydemir: „Wer ein Buch von Daniel Schreiber liest, blickt danach anders aufs eigene Leben.“

In wenigen Tagen wird übrigens auch das von ihm eingesprochene Hörbuch erscheinen, ich empfehle von Herzen ihm zuzuhören.

Bewertung vom 26.11.2023
Marschlande
Kubsova, Jarka

Marschlande


gut

Wenn ich könnte, würde ich 3,5 Sterne vergeben, zwischen gut und sehr gut:

Dieses Buch hat es mir nicht so einfach gemacht, wie ich dachte: Ochsenwerder, ein ländlicher Stadtteil in den Vier- und Marschlanden vor den Toren Hamburgs im ausgehenden Mittelalter ist Schauplatz der Geschichte von Abelke, einer Bäuerin, die den Hof der Eltern erfolgreich weiterführt, als Frau allein, unverheiratet, ohne den Schutz und die Unterstützung eines Mannes, einer Familie. Sie kämpft, hat ein feines Gespür für die Natur, die Menschen und Stimmungen, die sie umgeben, trifft die richtigen Entscheidungen, hat ihren eigenen Kopf, den sie durchsetzt und doch verliert sie nach der vernichtenden Allerheiligenflut von 1570 unter dem gebrochenen Elbdeich fast alles. Und wieder kämpft sie – vor allem mit den von Neid und Gier besessenen Männern, die in jener Zeit an der Macht sind. Am Ende stirbt sie als Hexe auf dem Scheiterhaufen.

Jarka Kubsova erzählt diese auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte der Abelke Bleken sehr lebendig und bildgewaltig. Nach wenigen Seiten bin ich drin in der im Nebel liegenden weidenbestandenen Landschaft hinterm Deich, erlebe die Mühen der Landwirtschaft des Mittelalters, spüre die verschlossenen, durchs Leben gehärteten Figuren um mich. Die sehr gründlich recherchierten historischen Fakten finde ich geschickt in die fiktive Handlung integriert, die Geschichte interessiert und packt mich.

Doch Jarka Kubsova will keinen historischen Roman erzählen, sondern eine Brücke in die heutige Gesellschaft schlagen. Hierfür erschafft sie Britta, die sich knapp 500 Jahre später mit Anfang 40 plötzlich in einem Leben wiederfindet, das sie nie gewollt hat: in einem Vorort von Hamburg, mit einem Ehemann, der sie mit Haushalt und Kinderbetreuung allein lässt, dessen Traum vom Eigenheim auf dem Lande sich als ihr Albtraum entpuppt.

Mit einem Teilzeitjob, in dem sie nur einen Bruchteil ihres intellektuellen Potenzials entfalten kann, mit einer schrecklichen Schwiegermutter und einem jährlichen alkoholschwangeren Wellness-Wochenende mit der besten Freundin. Kubsova verwebt beide Geschichten miteinander, erzählt sie aus immer abwechselnden Perspektiven.
Und das ist mein Problem. Britta passte für mich so gar nicht zu der Geschichte von Abelke, ging mir nach kurzer Zeit auf die Nerven und hat meinen Lesefluss gestört. Vielleicht hat sie ein oder zwei Klischees zu viel aufgeladen bekommen, vielleicht hat sie ein oder zwei Mal zu viel über ihr furchtbares Schicksal gejammert, während Abelke parallel nicht nur um ihre Existenz, sondern auch um ihr Leben kämpfen musste. Um den Bogen zu unserer heutigen Gesellschaft zu schlagen und zu erkennen, wie viel sich verändert hat und doch auch wie wenig, hätte ICH Britta nicht gebraucht, denn das erzählt Abelkes Geschichte implizit auf sehr gewaltige Weise.
Eine gelungene und für mich versöhnliche Abrundung findet sich im Nachwort, das die Tatsachen und historischen Hintergründe des Lebens der Abelke Bleken und ihrer MitstreiterInnen vertieft. Sehr interessant dazu ist auch der Instagram-Auftritt von Jarka_Kubsova . Unter dem Stichwort Recherche Review erfährt man weitere interessante Details hierzu.

Für mich war die Begegnung mit Abelke unvergesslich. Und ich bin dankbar für den inneren und äußeren Austausch, den dieses Buch angeregt hat.