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Benutzername: 
galaxaura
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 70 Bewertungen
Bewertung vom 15.08.2024
Pi mal Daumen
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


sehr gut

Eine Reise in die 4. Dimension?

„Pi mal Daumen“, der neue Roman von Alina Bronsky, ist ein Buch über Vorurteile, Freundschaft, Toleranz, das Verfolgen der eigenen Träume und zu sich Finden, egal wann im Leben, und tatsächlich auch über die Schönheit der Mathematik, ohne ein Wissenschaftsroman zu sein, das über weiter Strecken souverän in der 5-Sterne-Zone surft und nur ganz am Ende diese leider dann doch noch verlässt.
Der Roman kommt in einem leider sehr altbackenen Cover, was mich beinahe dran vorbeischauen hätte lassen, wäre der Titel nicht so pfiffig (ein Wort, des Covers würdig).
Erzählt wird, aus der Perspektive von Oscar, die einzigartige Begegnung von eben Oscar und Moni beim Mathematikstudium. Oscar, 16 Jahre alt, mit Inselbegabung, Autismus, Synästhesie und noch anderen Besonderheiten aufgewachsen, Animefan, Liebhaber von Tofu mit Erbsen, Struktur und absoluter Ehrlichkeit begegnet an seinem von ihm von Kindheit an geplanten Beginn des Mathematikstudiums Moni, 53, trägt Knallfarben und Leoprints, hat die Sonne im Herzen und den kessen Spruch auf der Zunge, immer eine riesige Tasche mit allem möglichen und noch riesigeren Brotdosen dabei, drei Nebenjobs, drei zu betreuende Enkel und alles, nur keine Struktur. Und: Sehr viel Liebe und Toleranz für Oscar und seine Eigenarten – ganz am Ende werden wir auch erfahren, warum.
Zwischen diesen beiden so ungleichen Menschen entspinnt sich eine zauberhafte Annäherung und Schicksalsgemeinschaft, während sie beide auf ganz unterschiedliche Art und Weise darum kämpfen, ihren Lebenstraum wahrwerden zu lassen. Die Figuren sind alle skurril und dennoch so glaubwürdig, das ganze Setting des Mathematikstudiums wird so perfekt beschrieben, man atmet die Hörsaalluft förmlich beim Lesen. Immer wieder schreibt Bronsky Sätze, die man sich direkt ausdrucken und irgendwo an die Wand pinnen möchte, z.B. „Wir studieren eine Gnade, sondern Mathematik.“ Moni und Oscar sind zwei Hauptcharaktere, die mensch einfach lieben muss, wie sie da beharrlich und absonderlich durchs Leben schreiten und wir immer tiefer in dieses Leben, seine Verstrickungen und jede Menge Emotionen eintauchen. Und über all dem schwebt die Mathematik, die die meisten von uns wahrscheinlich mit Schmerzen und schlimmen Schulerinnerungen verbinden, die hier aber auch ihre leuchtende Seite schreibt. Bronsky lässt Oscar die wohl schönste Liebeserklärung an die Mathematik formulieren, die ich jemals gelesen habe. Würde es gelingen, diesen Blick auf die Mathematik in der Schule zu vermitteln, das wäre ein Gamechanger.
Über weite Strecken des Buches war ich komplett gebannt und konnte gar nicht aufhören zu lesen und mit Moni und Oscar zu leben, zu lieben, zu lachen, zu kämpfen und manchmal auch zu verlieren. Am Ende des Buches allerdings wurde ich enttäuscht, da sehr viele lose Fäden in der Luft hängen bleiben und sich die Geschichte in die Phantastik rettet. Und auch wenn es die 4. Dimension, die immer wieder im Buch vorkommt, gibt, ist das Buch zuvor durchweg so real und dreidimensional, dass das spontane Ausgrätschen hier für mich keinen Sinn ergibt und mich leider etwas leer und sehr unbefriedigt zurückgelassen hat, da mehrere zentrale Fragen so komplett offenbleiben – und für mich entsteht hier kein offenes Ende im guten Sinne. Daher kann ich leider keine fünf Sterne geben, auch wenn das Buch diese über viele Seiten hin wirklich verdient hätte.
Dennoch eine unbedingte Leseempfehlung! Lasst euch diese herzigen Menschen und ihre zauberhafte Begegnung voller Komik und Liebe nicht entgehen!

Bewertung vom 11.08.2024
Taumeln
Scherzant, Sina

Taumeln


ausgezeichnet

Das Knistern von Leben im Unterholz

„Taumeln“, der zweite Roman von Sina Scherzant, erschienen 2024 bei park x ullstein, ist ein Buch, das mir noch lange durch Kopf und Herz gehen wird. Ein schlichter Schutzumschlag zeigt Blätter in Pink bis Petrol auf schwarzem Grund, darunter versteckt sich ein wunderschönes Hardcover in einem leicht glitzernden Farbverlauf derselben Farben. Ein bisschen so sind auch die Menschen in diesem Buch, eine karge Fassade, aber darunter ist so ein sanft glänzendes Leuchten, dass mich beim Lesen tief berührt hat.

Der Einstieg in den Roman ist einer der besten, die ich seit langem gelesen habe, voller Härte und Poesie, eine allgemeine Betrachtung über den Schmerz, bevor wir uns im Buch den Leidenden widmen. Oder den Kämpfenden. Es kommt auf die Perspektive an.

Immer wieder treffen sie sich im Wald, die Suchenden, das sind Luisa, Inge, Frank, Hartmut, Amaka, Emma, Enrico und Christina, die seitdem Hannah, die Schwester von Luisa eines Tages verschwunden ist, jeden Samstag den Wald durchforsten, auf der Suche nach Hannah – oder vielleicht doch eher nach sich selbst und einem Weg aus der Einsamkeit und all den Dingen, die sich unter der Oberfläche aufstauen. Was so profan und durchsichtig klingt in der Oberflächenkonstruktion ist ein Roman, der an emotionaler Dichte und literarischer Qualität kaum zu überbieten ist. Hannah, die Perfekte, Wunderschöne, deren Name nicht umsonst natürlich auch noch ein Palindrom ist, verschwindet scheinbar grundlos und zurück bleiben Wut, Schuld und beendete Leben, die voller Schmerz auf einen Neubeginn warten, sich aber nicht aus der Sackgasse, dem Wendehammer, trauen. Die Trauerarbeit, das Loslassen hat viele Gesichter, für die Scherzant einfach großartige Bilder und Formulierungen findet. Die Suche im Wald wird immer mehr auch zu einer klugen Gesellschaftsstudie, die die Mechanismen von Abwehr und Kampf um Geltung und Sichtbarkeit immer mehr aus dem Mulch herausschält. Scherzant macht nicht halt vor Rassismus und Privilegien, vor Misogynie, Incels (wo sind die Bären in diesem Wald?) und roher Gewalt, vor stereotypen Rollenbildern und Heimlichkeit, vor Optimierungsdruck und Hass. Aber zum Glück steht dem Gegenüber im Wald auch Solidarität und eine Art, ja, Fungus, ein unterirdisches Gewebe, dass hier acht Menschen zusammenhält und ganz langsam und leise miteinander wachsen lässt, der Wald ist unverwüstlich und diese Notgemeinschaft auch. Vielleicht weiß am Ende niemand mehr, warum sich immer wieder im Wald zusammengefunden wird und die Suche sich immer mehr wie ein Ausflug anfühlt, vielleicht wird nie mehr Physisches gefunden werden als Plastikdeckel, während immer mehr klar wird, dass es eigentlich längst vorbei ist, und vielleicht ist es müßig, immer wieder die Blätter umzuwälzen, wenn die Oberfläche der Menschen immer mehr Risse bekommt. Aber jeder Schritt durch den Wald beschreibt aus Scherzants genialer Feder auch die Unfähigkeit, selbst weiterzuleben angesichts eines Verlustes, die inneren und äußeren Verletzungen, den Wunsch nach einer Erklärung oder Rechtfertigung und bringt die Menschen im Roman ganz vorsichtig an etwas, das vielleicht ein Anfang ist.
„Ein schwarzes Loch ist nicht Leere. Es existieren Schwarze Löcher mit der milliardenfachen Masse der Sonne.“
Noch nie wurde ein schwarzes Loch für mich so spürbar gemacht, wie durch dieses Buch. Lesen. Bitte lesen. Und dann zum Sternenhimmel aufschauen. Sonst habt ihr wirklich was verpasst.

Bewertung vom 07.08.2024
It's lonely at the centre of the earth
Thorogood, Zoe

It's lonely at the centre of the earth


ausgezeichnet

Bist du okay?

„It’s lonely at the centre of the earth“, eine Autobio-Graphic-Novel über das Leben mit Depressionen von Zoe Thorogood ist eine Entdeckung, ein unglaublich mutiges und ehrliches Werk aus der Hand einer jungen Künstlerin, die uns hoffentlich noch ganz viele Werke schenken wird.
Ich kannte Zoe Thorogood bisher als Künstlerin gar nicht, muss mir jetzt unbedingt mehr von ihr anschauen. Ihre Zeichnungen sind so vieldimensional und berührend, die fragile und fragmentarische Storyline lässt die Lesenden sehr gut in ihren Kopf schauen, die Graphic Novel ist so ehrlich und direkt, ich kann das nur feiern. Wie Thorogood ihrer Depression eine Gestalt gibt und in vielen Panels sichtbar wird, dass es eine fast zärtliche Beziehung zu ihr gibt, die Gesichtslosigkeit der Menschen um sie herum, die ihre Unfähigkeit, Beziehungen einzugehen, so perfekt einfängt, das Chaos, das durch alle Bilder wandert, die meist gedeckten Farben, ihre Fähigkeit, ganz viele Formen und Stile künstlerisch zu integrieren, und in der Mitte dann auf einmal ein neues Buch, ein neuer Ansatz, weil sich das alte Buch einfach nicht schreiben lassen will: Einfach grandios. Die Facetten der Depression werden sehr gut eingefangen, auch die Sprachlosigkeit, die damit einhergeht, beim gleichzeitigen Wunsch nach Kommunikation und Nähe.
Dieser Wunsch führt im zweiten Ansatz dann zu einer deutlich klareren Storyline, und dennoch scheint das Fragmentarische fast noch zuzunnehmen: Die innere Auflösung und Überforderung von Zoe ist absolut greifbar und es hat mich sehr berührt, wie sie sich immer mehr zu verlieren scheint. Ganz stark eine Doppelseite, auf der sie sich selbst am Tisch gegenüber sitzt und in ganz vielen Spiegelungen erscheint. Und wie sie ihrem jungen Ich begegnet, das sie im Leben hält und zum Schreiben und Zeichnen antreibt. Dann auf einmal bei einer Fotografie zu landen, hat mich zerrissen.
Und auch wenn Zoe vielleicht nicht weiß, wie sie das Buch beenden soll, so ist doch gerade dieses Nicht-Ende wahrscheinlich genau das einzig Mögliche. Ihr Kampf wird ja auch nicht enden. Aber sie bleibt in Bewegung. Es ist einsam im Mittelpunkt der Erde. Aber Zoe versucht, dort nicht mehr zu leben. Das ist es, was zählt.
Eine mutige Graphic Novel. Es braucht ein bisschen Mut auch von den Lesenden, mit dem assoziativen Flow zu gehen und sich durch die Panels treiben zu lassen. Vielleicht hätte ich mir auch noch ein bisschen mehr Input zum Kampf zwischen Depression und Kunst gewünscht. Aber wir teilen das, was wir teilen können. Künstlerisch durchgehend stark gezeichnet und mit einer klaren Stimme gesprochen.
Am Buchbeginn zeigt uns Zoe Thorogood, wer sie ist und zeigt uns auch ihre Angst, mit diesem Buch an die Öffentlichkeit zu gehen, weil dann alle für immer über sie Bescheid wissen werden. Es ist ein Scheiß, dass psychische Krankheiten noch immer so stigmatisiert sind. Die Einsamkeit, die im Mittelpunkt der Erde herrscht, macht Zoe Thorogood mit ihrer Graphic Novel sehr berührend erlebbar. Es wird Zeit, mehr Leitern und Seile nach unten zu bringen.
Ich bin Fan. Ich wünsche dieser beeindruckenden Graphic Novel ganz viele Leser:innen. Und werde noch häufiger die wichtige Frage stellen. Bist du okay?

Bewertung vom 29.07.2024
Die Toten von Veere. Ein Zeeland-Krimi
Vermeer, Maarten

Die Toten von Veere. Ein Zeeland-Krimi


ausgezeichnet

Bitte schneller als schnell die Fortsetzung!

„Die Toten von Veere“, ein Zeeland-Krimi aus der Feder von Maarten Vermeer, erschienen 2024 bei HarperCollins, ist ein Kriminalroman, der es auf unfassbar vielen Ebenen in sich hat und den mensch nicht eine Sekunde aus der Hand legen kann. Eingebettet in ein sehr atmosphärisches düsteres Cover mit geprägter Schrift, das große Beklemmung ausstrahlt, schließt sich beim Lesen ein Ring ums Herz, der so schnell nicht mehr zu sprengen ist.
Es geht los, wie mensch es von Krimis kennt, wobei eigentlich sogar das schon nicht, denn das Eskalationslevel ist direkt maximal: Hoofdinspecteur Liv de Vries trifft bei der übereilten Klärung eines Selbstmordattentatfalls eine unglückliche Entscheidung und wird danach von ihrem Vorgesetzten aus der Schusslinie genommen und zur Aufklärung eines scheinbar harmlosen Vermisstenfalls in die Provinz nach Veere geschickt. Mit ihr zusammen ihre neue Kollegin Noemi Bogaard. Doch was sich dann in Veere entspinnt, ist alles andere als ein harmloser Fall, denn hier führt jede Spur zu einer weiteren Entdeckung, die immer tiefer in die Vergangenheit führen – und ihre Opfer fordern.
Vermeer schreibt unglaublich dicht und packend, sein Plot ist absolut unvorhersehbar und die Abgründe, denen er sich genussvoll widmet, sind Untiefen, gegen die das Meer nur ein flacher Priel ist. Der Handlungsstrang ist so genial, dass ich ihn am liebsten hier wiedergeben würde, um ihn würdigen zu können, aber natürlich soll rein gar nichts verraten werden!
Was verraten werden kann und muss ist aber, dass „Die Toten von Veere“ auch deshalb für alle Preise der Welt nominiert werden sollte, weil Vermeer sich auf beeindruckende Art darin einem Thema widmet, dass die Welt gerade beschäftigt: Der Rechtsruck, der durch fast alle Staaten geht. Wie er dabei einen Bogen von der Vergangenheit bis heute und morgen schlägt und Mechanismen hellsichtig aufdeckt, und das inmitten einer Krimihandlung und ohne aufzutragen mit seiner aktiven politischen Haltung, immer eingebettet in eine Krimihandlung, die sich notwendig damit verbindet und doch so deutlich in dem, was er an Zeitanalyse vermitteln will, das ist ein ganz großer Coup. Selten habe ich einen so politischen Krimi gelesen, der dabei vollkommen unaufgeregt unpolitisch ist auf der Oberfläche. Ein kleines Manko ist, dass Vermeer bei der Behandlung des Charakters von Noemi Bogaard selbst in die Rassismusfalle tritt, indem er diesem Charakter leider nur sehr wenig Fleisch und Backstory gibt im Verhältnis zu den anderen Hauptcharakteren und diese Figur sehr funktional behandelt – etwas, was er unserer Gesellschaft zu Recht vorwirft. Dafür muss es einen halben Stern Abzug geben, aber dennoch kann hier nur empfohlen werden, diesen Zeeland-Krimi (eine viel zu harmlose Kategorie!) unbedingt zu lesen. Ideal an einem Wochenende, an dem mensch nicht viel vorhat. Denn ein Weglegen: Ist kaum möglich.
Und der Cliffhanger am Ende (Böse! Böse böse böse!!!) macht große Hoffnung auf eine Fortsetzung. Bitte schnell. Ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll.

Bewertung vom 27.07.2024
Der Bezoar
Vocelka, Michaela;Vocelka, Karl

Der Bezoar


gut

Ein spannender historischer Krimi mit viel Prag

„Der Bezoar“, ein historischer Krimi aus der Feder des Autorenduos Michaela und Karl Vocelka, beide Historiker:innen, erschienen 2024 im Überreuter Verlag, ist ein historischer Kriminalroman, der über weite Strecken viele Lesefreude beschert und vor allem auch die schöne Stadt Prag am Ende des 16. Jahrhunderts sehr lebendig werden lässt.
Das Cover zeigt die Karlsbrücke in Prag, wer schon einmal da war, wird sie sofort erkennen und zuordnen, dunkel in der Farbgebung, es wird keine Urlaubsreise werden, auch wenn die vielen Pragbeschreibungen mir manchmal schon Reiseführervibes gaben. Im Innencover gibt einem ein Gemäldeabdruck einen guten Eindruck von der historischen Zeit am Hof von Kaiser Rudolf II.
Die Handlung rankt sich um einen verschwundenen Bezoar, eine geheimnisvolle Schrift, die Alchemie, die Ausläufer der Glaubenskriege und des Augsburger Religionsfriedens sowie natürlich: Mord und Liebe.
Ein spannender Prolog führt die Lesenden noch geheimnisvoll auf die Suche nach einem Objekt, für das gemordet wird, der Handlungsort ist Konstantinopel im Jahr 1580, das später im Roman noch wichtig werden wird. Ein Unwetter zieht heran (das ist ja fast schon die Comic Correspondence der Shakespearezeit). Der Mörder wird um seine Beute geprellt. Ein guter Auftakt, der die Basis der Lesereise stellt.
Von hier aus reiten wir ein paar Jahre später nach Prag, wo Matthias Gaiswinkler zusammen mit seinem Kollegen und Freund Christoph Praunfalk, beide Salinenbeamte aus Aussee, geschäftlich am Hof von Rudolf II unterwegs sind – doch leider sehr wenig zu ihren Geschäften kommen, denn eh sie sich versehen, finden sie die Leiche eines unbekannten Mannes. Von da aus führt ihr Weg immer weiter weg vom Salz und immer tiefer in die Prager Gesellschaft mit all ihren Intriganten und Ränkeschmieden und der großen Verheißung der Alchemie, die über allem schwebt, auf der Suche nach einem Mörder und einem Motiv.

Das Autor:innenduo Vocelka schreibt flüssig und kenntnisreich, man merkt die Historiker:innen und Wissenschaftler:innen, dennoch finden sie über weite Strecken zu einem bemerkenswert guten Schreibfluss und entwickeln eine packende Handlung mit sehr viel Prager Lokalkolorit. Dabei werden weitestgehend gute Anlässe für die Einbettung von Erläuterungen zur Historie und zur Wissenschaft der Alchemie gefunden, die manchmal kurz ein bisschen zu weit von der Handlung wegführen und sehr ausführlich geraten, aber immer wieder zu ihr zurückfinden. Und während die Verdächtigen sich häufen und der unfreiwillige Ermittler Gaiswinkler sich zunehmend die Haare rauft, kommt auch die Romantik nicht zu kurz. Auf diese hätte ich tatsächlich auch gut verzichten können, sie war nicht unbedingt mein Favoritenpart der Handlung, da teilweise doch etwas hölzern beschrieben und eigentlich für die Handlung gar nicht notwendig. Schade ist auch, dass die Figur Praunfalk zum reinen Stichwortgeber verkommt. Und gegen Ende merkt die lesende Person doch sehr deutlich die Konstruktion und blieb unzufrieden zurück, da die Auflösung ein bisschen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Hut gezaubert wurde, ohne dass es vorher Hinweise gab.

Überwogen hat hier aber dennoch ganz klar das Lesevergnügen eines meist sehr lebendig geschriebenen Historienkrimis mit vielen Details. Ich hoffe, es bleibt nicht nur bei diesem Roman und der nächste bekommt noch etwas mehr Raum für die Ausarbeitung aller angelegten Stränge. Also eine solide Leistung für einen Erstling in diesem Genre, die 3,5 Sterne absolut verdient. Unbedingt noch zu erwähnen ist das wirklich außerordentlich gelungene Nachwort, welches das Geschriebene historisch einordnet und Fiktion von Fakten trennt.

Bewertung vom 25.07.2024
Die Maske der Spiegel / Rabe und Rose Bd.1
Carrick, M. A.

Die Maske der Spiegel / Rabe und Rose Bd.1


gut

Eine spannende Grundidee, die sich in zu viel Fragezeichen verwandelt

„Die Maske der Spiegel“ von M. A. Carrick, der Auftakt einer Romanreihe, die aus sechs Bänden bestehen wird, erschienen 2024 im Panini Verlag, schafft eine komplexe phantastische Welt voller spannender Figuren und Themen, die aber leider mit fortschreitender Handlung immer verwirrender wird und mich am Ende deshalb einfach verloren hat. M. A. Carrick ist ein Pseudonym für die beiden Autor:innen Marie Brennan und Alyc Helms, die hier gemeinschaftlich schreiben und, das muss mensch ganz klar sagen: Stilistisch sehr gut, souverän, detailreich, alles liest sich flüssig, das Geschriebene hat einen guten Zug und wirkt homogen: Es ist nie spürbar, dass hier mit mehreren Personen geschrieben wird.
„Die Maske der Spiegel“ kommt mit einem sehr passenden Cover in tollen Farben, insbesondere das Glanzdetail auf dem Buchrücken gefällt mir gut, und auch das Innencover ist wirklich sehr schön gestaltet. Die dort eingesetzte Karte gibt einen guten Überblick über die beschriebene Welt, so etwas mag ich sehr gern, allerdings ist die Schrift teilweise schon sehr klein. Das Papier hat eine gute Qualität, so ist alles bereitet für eine schönes Leseerlebnis.
Nach einem extrem dichten Prolog, der uns direkt ins Geschehen und in die Vorgeschichte zur Haupthandlung wirft, hatten die ersten Kapitel eine gute Spannung und die Figuren, die allesamt sehr interessant und lebendig sind, wurden in sinnvollem Abstand eingeführt.
Die Betrügerin Ren schleicht sich gekonnt und mit Hilfe ihrer Blutsschwester in das Adelshaus der Traementis ein. Dabei stößt sie auf viele Hindernisse und muss so einige Umwege in Kauf nehmen, um ihr Ziel zu erreichen. Je näher sie ihrem Ziel kommt, desto mehr verstrickt sie sich emotional, und über allem kreist der Rabe, eine mystische Figur, die ein bisschen an Zorro erinnert und allen Rätsel aufgibt: Wer versteckt sich hinter dieser Maske? Zeitgleich verschwinden immer mehr Kinder in der Stadt. Was hat es damit auf sich? Ein spannendes Setup voller Magie, das mich am Anfang sehr in den Bann gezogen hat.
Doch in der weiteren Entwicklung kommen immer mehr Handlungsstränge und Figuren hinzu, garniert mit einem Begriffswirrwarr, der nie erläutert wird (ich habe dann dank Google online ein Glossar gefunden – warum nur wird in dem Buch nicht darauf hingewiesen? Es wäre so hilfreich gewesen!). Immer wieder werden wesentliche Handlungsstränge ganz aus dem Auge verloren. So wurde das Buch leider immer anstrengender zu lesen, bis ich am Ende eigentlich nur noch Fragezeichen im Kopf hatte. Ich glaube, hier wurde ganz schlicht überkomplex angelegt, so dass die vielen einzelnen Teile des Ganzen einfach nicht mehr genug vorkommen können. Hier wäre weniger mehr gewesen oder eine langsamere Stafflung – und deutlich mehr Erläuterung wäre vonnöten.
Die Hauptfigur Ren ist dabei sehr sympathisch, aber auch das hat mich irgendwann nicht mehr gerettet. Rabe und Rose nennen die Autor:innen die Romanreihe – dafür kam der Rabe leider viel zu wenig vor. Schade, ich sehe hier viel Potenzial in einem Plot, aber das hilft nichts, wenn mensch dem Plot irgendwann selbst mit Notizen nicht mehr folgen kann.
Was bleibt ist eine sehr spannende Grundidee, der am Ende nur noch Fragezeichen folgen.

Bewertung vom 23.07.2024
Wolfszone
Endres, Christian

Wolfszone


gut

Ein bedrückender Cyberthriller, der nach hinten raus leider verliert

„Wolfszone“ von Christian Endres, ein Cyberthriller erschienen 2024 im Heyne Verlag, kommt mit einem irgendwie schicken aber irgendwie auch nichtssagenden Cover in Silber und Blutrot. Vielleicht ist das Cover schon ein Hinweis auf den Leseeindruck: Irgendwie gut, aber irgendwie leider auch nicht.
Endres wirft uns in ein nahes Zukunftsszenario, dass die lesende Person an vielen Stellen schlucken ließ. Klimawandel, Technologisierung, mangelnde Nachhaltigkeit, Pandemien und Raubbau an der Erde haben in Deutschland ihre Spuren hinterlassen. Das beschreibt Endres sehr glaubwürdig und realitätsnah, es fühlt sich bedrohlich an beim Lesen und lässt sehr über unsere aktuelle Zeit, in der wir die Weichen noch stellen könnten, nachdenken.
Die Handlung ist schnell angeteased: Cyborg-Wölfe, erschaffen durch Nanogiftmüll, der illegal in einem Wald in Brandenburg abgelegt wurde, versetzen die angrenzende Welt in Angst und Schrecken. Militär, Wissenschaft und Pro-Wolf-Aktivist:innen liefern sich einen Kampf um die Sperrzone, die um die Wölfe eingerichtet wurde. Eine junge Frau verschwindet in der Zone und der Privatermittler Joe Denzinger aus Berlin wird darauf angesetzt, ihren Spuren zu folgen. Und gerät in ein Netz aus Chaos, das sich immer weiter zusammenzieht...
Endres schreibt in schnellen Perspektivwechseln zwischen vielen Figuren, dass dabei die kurzen Kapitel immer den Namen der erlebenden Person tragen, hilft sehr dabei, den Überblick dennoch nicht zu verlieren. Toll ist, dass auch ein Cyborg-Wolf zu Wort kommt. Für diesen wählt Endres einen ganz anderen Stil, was mir zunächst sehr gut gefallen hat, mich am Ende aber leider doch zunehmend in den längeren Abschnitten nicht mehr angesprochen hat, da das gewählte Mittel dann doch sehr monoton wird. Das Erzähltempo ist gut, zügig, aber nicht gehetzt. Mir gefällt sehr, wie der Autor ganz viele Fragen unserer Zeit ganz selbstverständlich einbaut, Klimakatastrophe, Flucht, Rassismus, Dinge wie Tempo 130 auf den Autobahnen, dauerhafte Überwachung usw. Das gelingt ohne Aufheben und schafft ein klares Zukunftsbild (und die Frage, wie wir genau diese Zukunft verhindern können). Von der Technologie habe ich keine Ahnung, wie realistisch so ein Szenario also ist, kann ich nicht wirklich beurteilen. Die vielen Handlungsstränge sind leider nicht alle wirklich wichtig für den Roman, insbesondere einer erscheint mir vollkommen verzichtbar. Und auch die Gestaltung der Figuren fällt unterschiedlich tiefgründig aus. Lange hält Endres trotzdem ganz gut die Handlung in einem sinnvollen Fortschreiten, und ich bin gerne gefolgt. Die Spannung war dabei für mich nicht ganz auf Thriller-Level. Ich hatte keine Probleme damit, das Lesen zu unterbrechen.
Im letzten Drittel hat mich das Buch allerdings zwiespältig zurückgelassen. Endres schreibt grundsätzlich einen gut gestalteten Showdown mit vielen Facetten, guter Dynamik und immer wieder glaubhaften Emotionen. Ich habe mir auch zum ersten Mal im Buch literarisch wirklich gut gelungene Sätze / Passagen markiert. Aber insgesamt ist mir das zu sehr und zu schnell auf ein allover Happy End geschrieben, und einiges fand ich auch an den Haaren herbeigezogen. Relativ unmotiviert erleben wir nun jede Menge großzügige Menschen, die einfach alles verzeihen, massiven Betrug, schwere Kriminaliät mit Bedrohung des eigenen Lebens, ewiges Ghosten in einer Beziehung... Einige Stränge werden auch nicht aufgelöst, wir erfahren z.B. nie den Anlass für einen Beziehungskonflikt, der doch sehr dominant in der Handlung ist – kennt der Autor ihn? Hier hat mensch nicht das Gefühl, dass diese Leerstelle bewusst gesetzt ist. Und auch die Auflösung um den Verbleib der vermissten Lisa erscheint nicht wirklich plausibel.
Also langer Rede kurzer Sinn: Nach hinten raus verliert das Buch bei mir leider viel. Guter Ansatz, aber... Der Autor beschreibt im Nachwort, dass der Ursprung des Thrillers eine Kurzgeschichte war, und er eher auf Treiben der Crowd hin einen Roman daraus gemacht hat. Ich finde, man spürt das sehr deutlich, wie hier ein Stoff aufgepumpt wurde, der dafür nicht vorgesehen war. Ich glaube, er wäre besser bei der Kurzgeschichte geblieben. Was ich mochte, war der Humor, der im letzten Teil aufkam, so z.B., dass er einbaut, dass ein Krimi-Autor sogar einen Roman aus der Geschichte machen will. Fazit: Als entspannte Sommerlektüre gut lesbar, insgesamt aber für mich nicht wirklich ein packender Cyberthriller, ich hatte mehr erwartet.

Bewertung vom 22.07.2024
Feuerjagd
French, Tana

Feuerjagd


ausgezeichnet

Ein Buch wie Nachhausekommen

„Feuerjagd“ von Tana French, erschienen 2024 im S. Fischer Verlag, fühlt sich an wie ein lang ersehntes Nachhausekommen nach einer viel zu langen Reise.
Eingeschlagen in einen Schutzumschlag, auf dem ein brennender Baum sich erst von Nahem als solcher entpuppt, während das Bild aus der Ferne fast heimelig wie ein Sonnenuntergang anmutet, ein Cover, so passend zur Geschichte, die sich darin entfaltet und so gleichermaßen warum und bedrohlich wie diese, bietet der neue Roman der Bestseller-Autorin auf etwas über 500 Seiten nachhaltigem Papier ein Leseerlebnis, wie es eben nur Tana French auf dem Kasten hat. Für mich eine der begnadetsten Autorinnen unserer Zeit, auf jeden Fall in meinen Top Ten sehr weit oben zu finden.
Wir finden uns zu Beginn des Buches wieder in Ardnakelty ein, ein paar Jahre sind verstrichen, seit dem letzten Roman „Der Sucher“, aber zwischen Cal, Trey und Lena ist alles beim Alten, bzw. nein, das stimmt nicht ganz, die Beziehung ist gewachsen und mit ihr das Vertrauen. Trey baut noch immer große Schutzwälle um sich, doch diese weisen Risse in Richtung von Cal und Lena auf, Risse der guten Art, die man nicht reparieren und restaurieren muss, wie die Möbel, an denen Cal und Trey noch immer arbeiten. Auf den ersten Seiten habe ich erst verstanden, wie sehr ich diese Menschen vermisst habe, wieder in ihre Geschichte einzutauchen hat so gutgetan, wie das Telefonat mit einem nahen Menschen, von dem man lange nichts gehört hat.
Und darum ging ich massiv in Hab-Acht-Stellung, als auf einmal Treys Vater Johnny Reddy wieder nach Ardnakelty zurückkehrt und sich in der Familie einnistet, als wäre er nie fort gewesen – mit ihm ein, aus seiner Perspektive – genialer Plan und: ein Engländer. Wenn eins klar ist, dann das: Ein Engländer in einem irischen Dorf, das kann nur Ärger geben. Cals Misstrauensbarometer schießt zu Recht ins Unermessliche – mehr von der Handlung darf nicht verraten werden, um nicht zu spoilern. Verraten sei nur, dass French ein paar Plottwists auf Lager hat, die man nicht kommen sieht – und dass am Ende ein großes Feuer vieles mit sich reißt und ein erschöpftes Schweigen über alles gleitet.
French schreibt so unfassbar dicht und phantasievoll, wie nur sie es kann. Ihre Art, wie sie mehr als eine Seite lang über eine Vogelscheuche schreibt, und dabei so viele Bilder, Ideen und Eigenarten unterbringt, dass ich am liebsten ein ganzes Buch nur über die Vogelscheuchenstory lesen würde, sagt alles über diese geniale Autorin. Jeder der Menschen in diesem Roman wird so lebendig erfunden und geschildert, dass ich sie beim Lesen sämtlich atmen und sprechen höre, ja es würde mich nicht wundern, wenn ich sie morgen in der Eckkneipe auf einmal treffe. An dieser Stelle auch ein dickes Shout-out an das Übersetzer:innenteam Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, die diese Qualität beeindruckend gut ins Deutsche übertragen.
Am Ende bin ich nur traurig, dass das Buch vorbei ist, die letzten Seiten habe ich gestreckt, solange es nur irgend ging. Nun heißt es wieder warten, bis ich zurück nach Ardnakelty reisen kann. Oder ich schnappe mir einfach nochmal den Vorgängerroman „Der Sucher“. Diesen zuvor zu lesen, würde ich empfehlen, auch wenn „Feuerjagd“ in sich abgeschlossen ist. Einige Dinge versteht man doch besser mit dem Vorwissen aus dem ersten Roman der Reihe – so ist es halt auf dem Dorf: Es hilft, gerade für Zugezogene (Leser:innen) die Vergangenheit und die Regeln zu kennen.

Bewertung vom 11.07.2024
Yrsa. Journey of Fate / Yrsa - Eine Wikingerin Bd.1
Bröhm, Alexandra

Yrsa. Journey of Fate / Yrsa - Eine Wikingerin Bd.1


ausgezeichnet

Antrag auf Verlängerung ist gestellt!

„Yrsa – Journey of Fate“, der Auftakt zu einer Dilogie um die junge Wikingerin Yrsa aus der Feder von Alexandra Bröhm, erschienen im Ullstein Verlag, begeistert zunächst durch eine wirklich wunderschöne Covergestaltung mit goldenen Prachtmotiven und Verzierungen auf pinkem Hintergrund. Bei dem knapp 600 Seiten dicken Buch wurde nicht an der Papierqualität gespart, es liegt gut in der Hand und blättert sich angenehm. Der Trend, dass deutschsprachige Autor:innen ihren Büchern englische Titel geben, ist nicht wirklich meiner, ich will dann immer auf den ersten Blick eine englische Ausgabe bestellen. Aber geschenkt, denn:
Mit „Yrsa“ legt Bröhm einen richtig guten Schmöker vor, der sich vorm Kamin ganz sicher genauso gut macht wie im Strandkorb. Die junge Wikingerin Yrsa, die ein eher unangepasstes Leben führt und davon träumt, als Kämpferin die Meere zu bereisen, begibt sich darin auf die Suche nach ihrem Bruder Sjalfi, der entführt wurde und erlebt auf dem Weg so viel Abenteuer, wie nur in 600 Seiten passen kann. Mehr zur Story will ich nicht verraten, denn es macht einfach viel zu viel Freude Yrsa auf ihrem Weg zu folgen. Ich habe das Buch verschlungen, es trifft genau die richtige Dosis an Spannung, wirklich gut geschriebener Slowburn-Romance, gemeinen Verwicklungen und Intrigen, lang gehegten Geheimnissen, Mystik und Magie, Historie und Plot-twists. Bröhm ist hier ein Pageturner gelungen, sie schreibt atmosphärisch stark und erfindet lebendige Charaktere, sie webt viel gut recherchiertes Wissen um die Wikingerzeit ein, ohne dass das je aufträgt und der Spannungsbogen trägt bis zum letzten Moment. Dabei schafft sie eine abgeschlossene Handlung, obwohl der Band zu einer Dilogie gehört, und dafür kann ich ihr gar nicht genug danken, denn auf den nächsten Band müssen wir nun leider ein Jahr warten. Das ist bitter, denn ich würde gerne direkt weiter suchten! Die rebellische Yrsa ist mir ans Herz gewachsen. So sehr, dass ich finde, eine Dilogie ist doch ein bisschen wenig? Kann man da noch was machen?
Einen Bonusstern würde ich gerne für das Nachwort vergeben können – dieses ist wirklich ganz besonders gelungen. Bröhm gibt dort eine umfängliche Einordnung ihres Schreibens in den historischen Kontext, und das liest sich noch einmal genau so spannend wie das ganze Buch. Dabei lässt sie auch die dunklen Themen wie Sklaverei (die es im Norden Europas auch gab, was vielen nicht bekannt ist) und Rassismus nicht außen vor. Ein solches Nachwort würde ich mir für jeden historischen Roman wünschen!
Alexandra Bröhm schreibt am Ende ihrer Danksagung, falls das Buch gute Unterhaltung und eine spannende Reise in die Vergangenheit böte, würde sie das sehr glücklich machen. Sie muss sehr sehr sehr sehr sehr glücklich sein. Holt euch den Schinken! Dann werdet ihr es auch.

Bewertung vom 08.07.2024
Die Farbe der Sterne
Lukschy, Stefan;Briggs, Curtis

Die Farbe der Sterne


schlecht

Kein Stern am Buchhimmel

„Die Farbe der Sterne“, in Co-Autorenschaft geschrieben von Curtis Briggs und Stefan Lukschy, erschienen im Langen Müller Verlag, erkämpft sich leider einen der Spitzenplätze auf meiner Fail-Liste 2024. Vom Verlag angepriesen als „turbulente, romantische Krimi-Komödie“ habe ich in diesem Buch weder Krimi noch Komödie finden können, stattdessen nur wirklich himmelschreiend schlecht gemachten Klamauk und das bittere Gefühl, dass sich hier zwei weiße alte Männer beim Plotting zu viel Rotwein reingedengelt haben... Warum nicht zumindest der durchaus renommierte LM Verlag beim Querlesen dann ernüchtert die Reißleine gezogen hat, bleibt mir ein Rätsel.

Die Geschichte, um die es geht, ist schnell umrissen:
Leo Sailer erbt das marode, bankrotte Grand Hotel Seeblick am Kochelsee und stößt dort auf die von seinem Vater beauftragte Generalbevollmächtigte Julia Dehne, diese will den Kasten verkaufen (und ihre Provision einheimsen), er möchte den Laden renovieren und behalten. Sie ist Großstadtmensch und Bergretterin (warum auch immer), er Klaustrophobiker mit Höhenangst, der Konflikt ist vorprogrammiert. Damit ein Kunstkrimi draus werden kann, wird ein verschollener Kandinsky entdeckt, und damit es verwirrend werden kann, gibt es eine gute Kopie davon. On Top jede Menge strunzdumme Gangster und Knallchargen-Nebenfiguren, ein menschlich denkender Marder, der ohne jeden Sinn durch die Handlung rennt, jede Menge wirklich plumpe Erotikanbahnung, Vollzug inklusive, und extraviele Wendungen, die alle demselben Prinzip folgen und so vorhersehbar sind wie die Tagesschau. Auf dem Höhepunkt müssen die Autoren sich auch noch selbst als Autoren einschalten, erneut, wir ahnen es, völlig sinnfrei, aber bestimmt haben die Herren sich furchtbar modern dabei gefühlt und wechseln deshalb auch noch kurz in eine Drehbuchszene, einfach weil MANN es kann – und es muss ja auch noch gezeigt werden, dass MANN auch als Drehbuchschreiber unterwegs ist.
Das alles ist so himmelsschreiend furchtbar, dass ich sehr viel Disziplin aufwenden musste, um mich durch das Buch zu quälen.
Zwei kleine Lichtblicke:
1. Das Cover, eine sehr gemäldeartige Darstellung des Hotels am See mit dem Himmel darüber, auch gut, dass hier nicht versucht wurde, Kandinskys Stil zu kopieren. Die schön leuchtenden Farben schaffen eine harmonische Atmosphäre. Und das Hotel selbst erstrahlt wie ein kleines Juwel. Darunter ein zugegeben eher nichtssagendes Hardtop in Blau, da stört mich irgendwie dann auch der Kasten um den Schriftzug, wirkt so sachbuchartig. Die Papierqualität ist gut, liegt angenehm in der Hand. Der Klappentext ist gut gemacht, er verrät nicht zu viel.
2. Immer wieder gibt es im Buch historische Rückblicke, diese sind wirklich alle sehr ansprechend geschrieben. Wäre das ganze Buch so, ich hätte deutlich mehr Leselust!

Von den vielbeschriebenen Sternen am Himmel über dem Kochelsee kann ich also leider nur einen Anerkennungsstern für die zwei Lichtblicke vergeben. Aber so bleiben ja mehr für das Kandinskybild. Am Kochelsee gibt es übrigens mit dem Franz Marc Museum ein sehr schönes kleines Museum zum Blauen Reiter. Investiert das Geld in einen Besuch dort, das lohnt sich eher.