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Hartmut Zimmer
Wohnort: 
Alzenau

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Insgesamt 49 Bewertungen
Bewertung vom 27.12.2010
Der Mensch in der Revolte
Camus, Albert

Der Mensch in der Revolte


ausgezeichnet

Die Philosophie des Augenblicks: Die Revolte für eine wertorientierte Gegenwart und gegen die Knechtschaft durch absolute Ideen

In seinem 1951 erschienenen, (neben „Sisyphos“) zweiten philosophischen Hauptwerk bewegt sich Camus wiederum im Grenzland zwischen Literatur, Geschichte und Philosophie.

Was für Descartes der Gedanke (cogito), ist für Camus die Revolte als die Auflehnung gegen äußere Umstände, insbesondere auch gegen Herrschaftsverhältnisse.

Zunächst untersucht Camus die metaphysische Revolte und den Nihilsmus, um dann im Hauptteil seines Werkes auf die Geschichte der Revolte und der Revolutionen einzugehen und diese voneinander abzugrenzen.

Der Nihilismus, so Camus, glaube an nichts anderes als an die Vernunft und das persönliche Interesse. Sein Ausdruck finde sich wieder in der Heuchelei einer mittelmäßigen und habgierigen Gesellschaft. Europa sei zu einer rein technischen Kultur verkommen (und zwar sowohl im Kapitalismus wie im Sozialismus). In einer Welt des rationalen Terrors komme es nur noch auf das Wachstum der Produktion und der materiellen Macht an.

Camus wendet sich gegen die Vorstellung einer vermeintlich zwingenden, gesetzmäßig verlaufenden Geschichte. Mit absoluten Ideen seien häufig Heilslehren verbunden, die mit dem Versprechen eines in ferner Zukunft liegenden paradiesischen Glücks vom Elend der Gegenwart ablenkten und die sich auf diesem Weg den Gehorsam und das Leid ihrer Sklaven erkauften.

Dialog werde dabei ersetzt durch Propaganda oder Polemik (als Abarten des Monologs). Später, so verkündeten die Herrscher den Beherrschten, werde alles besser werden, ja in einen Idealzustand münden. Patriot sei, wer die Republik oder die Organisation im Ganzen unterstütze; wer sie in Einzelteilen bekämpfe, werde zum Verräter gestempelt. Eine stumme Feindschaft trenne die Unterdrücker von den Unterdrückten.

Diejenigen Ziele, welche ungerechte Mittel brauchten, seien keine gerechten Ziele. Ohne ethische Rechtfertigung des Handelns werde schließlich das Verbrechen zur Pflicht.
Doch gebe es keine absoluten Wahrheiten, nicht einmal eine absolute Moral; es gebe nur den Augenblick und das Schicksal.

Die Revolte dagegen bedeute nicht nur Ablehnung vorgefundener Umstände, sondern sei auch immer Ausdruck für etwas, nämlich für bestimmte Werte. Die Prinzipien der Revolte verneinten die Knechtschaft, die Lüge und den Terror und äußerten sich nicht zuletzt in der Kunst.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.12.2010
Slam
Hornby, Nick

Slam


ausgezeichnet

Spannende Verarbeitung eines aktuellen gesellschaftlichen Themas

In seinem Roman bearbeitet Nick Hornby ein für die heutige Gesellschaft Großbritanniens (und wohl nicht nur für diese) virulentes gesellschaftliches Problem in beeindruckender und spannender Weise. Die einzelnen Kapitel stellen dabei in gewisser Weise in sich abgeschlossene Teil-Kunstwerke dar, die jeweils ihre eigenen Spannungsbögen enthalten und doch außerordentlich überzeugend und schlüssig in den Gesamtkontext verzahnt werden.

Was von ihrer literarischen Bedeutung her einmal Salingers ‚Catcher in the Rye‘ oder –noch etwas weiter entfernt- Grass‘ ‚Blechtrommel‘ gewesen sein mögen, sind heute vielleicht Romane von Nick Hornby.

1 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.11.2010
Die Kunst, kein Egoist zu sein
Precht, Richard David

Die Kunst, kein Egoist zu sein


sehr gut

Philosophie, Sozialpsychologie, politisches Manifest

Auch dieses neue Buch Prechts zeichnet sich durch die Vielfalt gedanklicher Anregungen aus, die zumindest bedenkenswert und diskussionswürdig erscheinen.

Der erste Teil des Werks („Gut und Böse“) beginnt bei Platon und Hobbes und mit einem eher philosophischen Ansatz, der Zweite („Wollen und Tun“) ist vor allem sozialpsychologisch unterlegt, während der dritte Abschnitt („Moral und Gesellschaft“) vielfältige gesellschaftspolitische Forderungen enthält und nahezu den Charakter eines politischen Manifests annimmt.

In der schier hemmungslos wirkenden thematischen Ausuferung ist sich der Autor treu geblieben. Es scheint, als wären eben dies die typischen Merkmale „Precht‘scher Krankheit“: Die zuweilen äußerst wagemutig erscheinenden Gedankenbögen reichen für dieses Mal etwa von Platon bis zu den bundesrepublikanischen Massenmedien, von Thomas Hobbes bis zu den Abwrackprämien für Altautos, von Kapuzineraffen bis zum „Bruttonationalglück“ Bhutans, von Spiegelneuronen bis zu recht detailliert ausgearbeiteten Forderungen nach mehr Basisdemokratie und Abschaffung der deutschen Bundesländer zwecks besserer Kommunalfinanzierung – auch in diesem Werk Prechts fehlt es so ziemlich an nichts.

Zumeist aber gelingt es dem Autor kenntnisreich und in überzeugender Weise, unterschiedlichste Themen miteinander zu verknüpfen –auch wenn der verwegene universalistische Tanz nicht immer und vollständig gelingt: So etwa, wenn sich Precht –kommend aus Philosophie, Sozialpsychologie und (diesmal nur ein wenig) Neurobiologie -unversehens in die Abgründe ökonomischer Fragestellungen vortastet und inhaltliche Unsicherheiten durch spürbar aufkommende Emotionalität und rhetorisch ablenkende Scheinfragen nicht verdeckt werden können.

Insgesamt aber bleibt das gut gegliederte Werk Prechts mit seiner Vielzahl von Gedankenanregungen sehr lesenswert. Darüber hinaus enthält es unzählige wertvolle Ausblicke auf weiterführende Literatur verschiedenster Disziplinen. In seiner Kritik an Staat, Demokratieverständnis und gesellschaftlicher Moral hat Precht wohl -leider- in vielerlei Hinsicht den Nagel auf den Kopf getroffen.

30 von 31 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.11.2010
Der Fall
Camus, Albert

Der Fall


sehr gut

Das System der Selbsttäuschung

„La Chute“ wurde 1956 veröffentlicht. 1957 folgte der Nobelpreis für Albert Camus.

Camus schildert ein selbstgefälliges Doppelleben, bei dem tatsächliches Tun und wahre Überzeugung auseinanderfallen. Die Lüge liegt in der Diskrepanz zwischen rollengemäßen, öffentlichen Bekundungen und tatsächlichen, inneren Empfindungen. Das Gewissen hält diesen Zwiespalt schließlich nicht mehr aus: Das den fortgesetzten Selbstbetrug erkennende Individuum wird aus seiner angestammten Bahn geworfen.

Das Komödiantisch-Ironische des Romans wurzelt in der Philosophie Camus‘: Alles Ernsthafte erscheint dem Autor absurd. Nur im Spielerischen könne Unschuld liegen, weil nur das Spielerische ohne verdeckte, hintergründige Intentionen agiere.

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.10.2010
Das Schloß
Kafka, Franz

Das Schloß


sehr gut

Macht oder Freiheit (2)

Der Gegensatz von Macht und Freiheit kennzeichnet auch diesen, von Kafka nicht mehr vollendeten Roman.

Wie mit feinsten Pinselstrichen und mit scharfem Blick für das Detail zeichnet Kafka seine Bilder. Erst in der Summe dieser vielfältigen Einzelheiten wird seine Intention und auch ein Stück einer möglichen Wahrheit sichtbar.

Macht und Freiheit stehen sich unvereinbar gegenüber: Die Macht erscheint wie ein ewiges, ihr Ziel nie erreichendes und deshalb absurdes Streben, wie ein unwirkliches Phantom.
Macht erzeugt Angst, die allein als solche schon zur Unterwerfung maßgeblich beiträgt. Die „Ehrfurcht vor der Behörde“ ist ein Symbol des vorauseilenden, unterwürfigen Gehorsams.

Selbst aber die Machtausübenden erreichen die Freiheit nicht: Denn die Ausübung von Macht bedeutet bereits eine unfreie Selbstbeschränkung, nämlich immer auch die Unterordnung unter fremdbestimmte Regeln und Rituale. Diejenigen, die sich auf einem Markt der Eitelkeiten nach der Macht drängen, verlieren den Blick für das Wesentliche, sie verlieren Freiheit und Wahrheit.

Nur die Freiheit nämlich ermöglicht individuelle Wahrheit - dies aber auch nur in denjenigen Augenblicken, in denen die Abgrenzung von der Macht und ihre völlige Ignorierung gelingt.

Die Macht verträgt die Freiheit nicht. Sie sucht krakenhaft alles -bis in die letzten Winkel und Verästelungen- in Beschlag zu nehmen und zu reglementieren.

Der Freiheit dagegen ist die Macht gleichgültig. Freiheit besteht ausschließlich in einer individuellen Form - oder sie existiert nicht.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.10.2010
Der Prozess
Kafka, Franz

Der Prozess


ausgezeichnet

Macht oder Freiheit

Schuldig ist in den Augen der Macht, wer Widerstand leistet, wer auch nur zu widersprechen wagt, ja schon, wer sich nicht unauffällig und stromlinienförmig genug bewegt. Denn der Macht kommt es auf die Durchsetzung ihrer selbst, auf die Exekution von Abhängigkeiten an. Nur das scheint ihr innerer Zweck zu sein.

Sie sucht sich dann das Passende unter den formellen Regeln und Gesetzen heraus, um es für ihre Zwecke schonungslos einzusetzen. Möglichst vieles hält sie verdeckt und im Dunkeln: so zum Beispiel die Ursache und den Auslöser des Gerichtsprozesses; das die Macht Störende –vielleicht gar nicht Justiziable- nicht benennend; keinerlei Anklagepunkte gegenüber dem Angeklagten offenlegend und nichts über das weitere Verfahren verlauten lassend.

Die Drahtzieher des unsäglichen Vorgehens -und womöglich Richter in einer Person- bleiben dem Angeklagten unbekannt. Jedes offene Visier wird vermieden, während ausschließlich aus dem Hinterhalt operiert wird. So lässt sich ein Angeklagter doch zweifellos am Leichtesten in einer umfassenden Hilflosigkeit halten. So scheint er der Willkür am Optimalsten ausgeliefert.

Und was bedeutet schon Rechtssicherheit und was beinhaltet sie überhaupt? Was heißt schon Moral?
Auch darauf gibt es eine einfache Antwort: Ein einheitliches Recht oder eine einheitliche Moral, auf die sich der Angeklagte stützen und berufen könnte, existieren einfach nicht.

Macht und Freiheit stehen einander unversöhnlich gegenüber. Der höhere Wert, so Kafka, kommt aber unzweifelhaft der Freiheit zu.

Wie im richtigen Leben eben… Kafka beschreibt die Zustände und die Menschen wohl so, wie sie eben sind.

Werden da etwa Erinnerungen an Spitzelwesen und Korruption in bekannten, großen Organisationen wach, an das Meucheln von Missliebigen, die unter banalsten, ja lächerlichsten Vorwänden entfernt, ausgestoßen, „exekutiert“ werden, an gedungene, graue Handlanger, die sich bedenkenlos in den Dienst ihrer „Brötchengeber“ stellen?

Nur die Spitzen der Eisgebirge scheinen zur öffentlichen Besichtigung freigelegt.

Bewertung vom 10.10.2010
Der Fremde
Camus, Albert

Der Fremde


ausgezeichnet

Der seinerzeitige Camus-Rezensent Sartre hatte den „ Fremden“ und "Sisyphos" wechselseitig stark aufeinander bezogen. Dafür sprach schon alleine der Umstand, dass zwischen den beiden Erstveröffentlichungen Camus‘ nur wenige Monate lagen. Und doch bilden der philosophisch-literarische „Sisyphos“ und der bildhafte „Fremde“ -auch von ihrem Ideenspektrum her- nur zwei sich überschneidende Kreise.
Richtig aber bleibt, dass sich der Ideenhintergrund des „Fremden“ nach einer vorhergehenden Lektüre des „Sisyphos“ leichter und vollständiger erschließt. Die vom Thema der Absurdität geprägte, dunkle Grundstimmung des „Fremden“ könnte ansonsten (zumindest bezüglich seiner ersten Abschnitte) leicht als bloße, teils die Grenzen zum Komödiantischen und Grotesken überschreitende Ironie missverstanden werden.
Den Roman Camus‘ kennzeichnet eine geniale sprachliche Leichtigkeit, die in starkem Gegensatz zu seinem „Sisyphos“ steht. Etliche der später auch in der „Pest“ erscheinenden Motive sind bereits im „L’étranger“ angelegt.

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.10.2010
Der Mythos von Sisyphos
Camus, Albert

Der Mythos von Sisyphos


ausgezeichnet

Camus steht erkennbar stärker auf dem Boden der Literatur als demjenigen der Philosophie: Insbesondere Kafka und Dostojevski stehen im Zentrum seines Interesses.
Was für Schopenhauer der Wille, ist für Camus die Hoffnung: Unglück und Leid würden durch sie ausgelöst.
Durch nichts gerechfertigte Hoffnung kennzeichne die Absurdität der Existenz. Nur noch "berufsmäßige Rationalisten" glaubten an absolute Wahrheiten, meint Camus.
Damit träfe er wohl nicht nur -vermeintlich rationaler Erforschung von Naturgesetzen verpflichtete- Wissenschaftler ebenso ins Mark wie einer speziellen Art vorgeblicher "Rationalität" unterworfene Vertreter der Finanzindustrie. Eine alles dominierende "Zielorientierung" erschiene unter den Augen eines Albert Camus nur als Auswuchs einer absurden Ersatzreligion.

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.09.2010
Die Pest
Camus, Albert

Die Pest


ausgezeichnet

Sisyphos oder der Umgang mit Leid und Bösartigkeit

Albert Camus ruft auf zur täglichen Pflichterfüllung:
Einem Arzt gleich, der niemals die Gewissheit hat, den von ihm so sehr angestrebten Heilungserfolg zu erzielen, der mit einem ihn unendlich erschöpfenden Streben nach Linderung, mit seinem guten Willen, häufig mit seinem bloßen Bemühen zufrieden sein muss.
Pflichtbewusst wie Sisyphos täglich bemüht, seinen Stein nach oben zu rollen, wissend, dass er wieder hinabstürzen wird.
Im Angesicht einer unentrinnbar, wie Camus sagen würde, von Leid und Bösartigkeit "verpesteten" menschlichen Existenz.

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.