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Betty Literatur

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Insgesamt 80 Bewertungen
Bewertung vom 06.12.2023
Ich bin Frida / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.23
Bernard, Caroline

Ich bin Frida / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.23


weniger gut

„Ich kann nur malen, was ich fühle. Die Bilder kommen aus mir, sie wollen heraus. Ich kann mich nicht verbiegen. Ich male mit dem Herzen, nicht mit dem Kopf.“

Mexiko 1938, Frida ist Anfang 30, steht im Schatten ihres Mannes, dem berühmten Maler Diego Rivera. Ihre eigene Kunst leidet, Diego benötigt viel Aufmerksamkeit, auch von anderen Frauen. Und Frida leidet unter der fehlenden Beachtung, sowohl Ihrer Kunst als auch ihrer Person.
In dieser Zeit entsteht ihr berühmtes Bild „Was ich im Wasser sah“, in dem sie mit intensiver Symbolik ihr Leben betrachtet.
Frida entscheidet sich, ihrer Kunst mehr Aufmerksamkeit zu schenken und nimmt eine Einladung nach New York zu einer Ausstellung an.
Dort findet sie die Beachtung, die sie sich wünscht, als Künstlerin und als Frau.
Die leidenschaftliche Beziehung zu dem Fotografen Nick Muray tut ihr gut, aber sie kann sich auch nicht vorstellen, sich von Diego zu trennen. So lebt sie in der Zerrissenheit der Liebe zu 2 Männern.
In Paris, wo unter schwierigen Umständen eine weitere Ausstellung geplant wird, lernt Frida Frauen kennen, die komplizierte, aber auch unkonventionelle Beziehungen führen. Sie beginnt zu verstehen, wie wichtig ihr Freiheitsbedürfnis ist, und dass sie IHR Leben leben muss.
In diesem 2. Buch der Autorin Caroline Bernard setzt sie sich intensiver mit der „erwachsenen“ Frida auseinander, die sich emanzipiert und befreit.
Die Hintergründe zur Entstehung zahlreicher Bilder, die in dieser Zeit entstehen, sind spannend, ebenso die Begegnungen Fridas mit zahlreichen KünsterInnen dieser Zeit. Fridas Zerrissenheit, nicht nur in der Liebe, ihre Suche nach ihren Wurzeln, ihr exzessiver, fast selbstzerstörerischer Lebensstil sind spürbar.
Der berichtende, biografische, personale Erzählstil führt jedoch zu einer Außensicht auf die Künstlerin. Ich hätte mir noch mehr Innensicht von Frida gewünscht, die inneren Monologe bleiben etwas hölzern.
Auf jeden Fall ein lesenswertes Buch.

Bewertung vom 27.11.2023
Ein heißes Jahr
Djian, Philippe

Ein heißes Jahr


ausgezeichnet

Ein heißes Jahr - Philippe Dijan
Das Jahr 2023 wird europäischen Wissenschaftlern zufolge das wärmste seit 125000 Jahren werden. So kommt das neue Buch von Philippe Dijan gerade zum richtigen Zeitpunkt.

Der Protagonist Greg lebt im Jahre 2028 bereits mitten in der Klimakatastrophe,
als er einen alten Film aus dem Jahr 2018 sieht, „…über den Bildschirm flimmerte gerade eine Jugendliche, die vom Klima sprach, sich um die Zukunft sorgte und jeden Freitag die Schule schwänzen wollte.“
Greg ist von seinem Schwager Anton, der ein chemisches Labor betreibt, zu einem Deal genötigt worden und hat geholfen, die Schädlichkeit des Pflanzenschutzmittels Montrazol, das auf dem Markt ist, zu verharmlosen. „Anton, wir helfen, Zeug zu vertreiben, das wir hätten verbieten müssen.“ Anton hat keinerlei Skrupel, er sorgt sich eher um die Zerrissenheit, in der Greg sich befindet.
Gregs 14-jährige Nichte Lucie ist Klimaaktivistin und trifft sich zum Interview mit Greta Thunberg (die Jugendliche mit den Zöpfen).
Er lernt Vera kennen, die auch aktiv in der Umweltszene tätig ist und verliebt sich in sie.
„Ich hatte plötzlich Lust, Sie zu sehen, sagte er. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Und wenn ich Ihnen nun erzählte, wie oft mir so etwas passiert, antwortete sie und hielt seine Hand fest. Diese unbändigen Bedürfnisse. Widerstand zwecklos, versteht sich.“
Seine Zerrissenheit wird immer größer. Nachdem es den ersten Todesfall durch das Pflanzenschutzmittel gibt, kann Greg die Situation nicht mehr ertragen, er verliert die Kontrolle. Bis zu einem tragischen Ende.
Vertrocknete Landschaften, unerträgliche Hitze, Wasserknappheit, das Stromnetz bricht wegen der Klimaanlagen zusammen, Wettervorhersagen funktionieren nicht mehr, Waldbrände und Überschwemmungen, Hitze- und Kälterekorde bestimmen den Alltag der Menschen.
Die politische Lage ist angespannt, Wut und Gewalt finden auf der Straße statt.
In fast atemloser Erzählweise nimmt uns der Autor mit in diese apokalyptische Welt, die schon so nah ist.
Die Dialoge fliegen ohne Nebensätze ineinander, Erzählstränge vermischen sich.
Ein auktorialer, aber doch reduzierter, fast sachlicher Erzähler bietet den Außenblick auf das Geschehen.
Dieser Roman ist intensiv und erschütternd, ein Blick in unsere Zukunft.

Aus dem Französischen von Norma Cassau

Bewertung vom 04.11.2023
Alles, was wir uns nicht sagen
El-Wardany, Salma

Alles, was wir uns nicht sagen


ausgezeichnet

Drei besondere Freundinnen, alle muslemischen Glaubens, leben in England und erleben gemeinsam eine unbeschwerte Zeit als junge Erwachsene, ihre Freundschaft wird jedoch auf eine harte Bewährungsprobe gestellt.
Malaks Familie ist aus Ägypten, sie ist heimlich mit dem Engländer Jakob zusammen. Sie hadert mit ihrem Glauben, fühlt sich heimatlos, will ihre Wurzeln finden. Sie beschließt, sich von Jakob zu trennen, in ihre Heimat Ägypten zu gehen, um vielleicht dort den „passenden“ Ehemann zu finden. Malak möchte die Erwartungen der Eltern und der moslemischen Gemeinschaft nicht enttäuschen.
Jenna Palästinenserin, mit britische Mutter, sucht heimlich Abenteuer in Dating-Apps, will aber ihre Jungfräulichkeit bewahren. Sie spürt ihre große Einsamkeit und ist auf der Suche nach dem richtigen Weg für sich.
Kees, farbige Pakistani, hat einen weißer Freund, den sie vor der Familie verbergen muss und spielt ihrer Familie die „brave“ Tochter vor. „Es wird außerdem immer schwieriger, die richtige Version von ihr selbst herauszufiltern, die sie mit nach Hause bringen kann.“ In der Familie wird über Sexualität oder Gefühle nicht gesprochen, das ist tabu.
Sie versucht mit Harry die Balance zwischen ihren beiden Welten hinzubekommen.

Es sind zwei verschiedene Leben, denen die jungen Frauen ausgeliefert sind, moderne, europäische Werte, versus muslemischer Tradition. Sie studieren, haben zahlreiche soziale Kontakte, gehen feiern, kleiden sich modisch, trinken Alkohol und haben sexuelle Erlebnisse. Aber sie müssen die Balance zwischen Rebellion und Religion hinbekommen. Der Erwartungsdruck eines „richtig“ gelebten Lebens ist groß.
Der Ehepartner muss Muslim sein, egal, ob er zu der Frau passt, die Ehe wird arrangiert, die Rollen von Mann und Frau sind traditionell. Eine Frau, die nicht verheiratet ist, hat keinen Wert.
Selbst wenn eine Frau sich aus diesen engen Erwartungen befreien würde, so bliebe die Schande für die Eltern und die Familie.
Nach einem Streit zwischen den Freundinnen um die Frage, wie sie sich für ihre Zukunft entscheiden werden, gehen sie getrennte Wege.
Sie leben ihre geplanten Lebensmodelle, stoßen immer wieder an ihre Grenzen und erleiden jede für sich furchtbare Schicksalsschläge. Sie brauchen einander und finden sich wieder.

Ich bin der Autorin, die selber Halb-Ägypterin und Halb-Irin ist, dankbar für den Einblick in diese Welt der jungen muslemischen Frauen, die ihre Grenzen täglich ausloten müssen, um nicht alles zu verlieren.
Sehr sensibel trifft die Autorin die Gedanken und Gefühle ihrer Protagonistinnen und berührt die Leser*in. Der Schmerz dieser Frauen ist spürbar. Ich habe das Buch nicht aus der Hand legen können.
Wunderbar ist der Wechsel der Sprache, die poetische Beschreibung des Lebens in Kairo aber auch die Konfrontation mit der harten politischen und gesellschaftlichen Realität in dem Land.
Eine starke, kraftvolle Sprache, einfache Sätze, die doch allen Schmerz beschreiben.
Dann wieder Szenen, die an Drehbücher erinnern oder das Zusammenfügen der „Welt“ in der Beschreibung alltäglicher, banaler Dinge.
Unbedingte Leseempfehlung!

Penguin Random House Verlag 2023
Aus dem Englischen übersetzt von Melike Karamustafa und Bettina Hengesbach

Bewertung vom 01.11.2023
Die Möglichkeit von Glück
Rabe, Anne

Die Möglichkeit von Glück


ausgezeichnet

Ein großes Stück Vergangenheitsbewältigung

„Meine Kindheit bleibt ein dunkler Traum, aus dem ich nicht aufwachen möchte.“

Die Erzählerin Stine, geboren 1986 in der DDR, erinnert sich an ihre Kindheit, die letzten Jahre der DDR, die neue Zeit, die „Möglichkeit von Glück“.
Es ist eine besondere Zeit, die prägend für die Kinder der Wendezeit war.
Sie erkundet die Geschichte der Familie, der beiden Brüder (Großvater und Großonkel), die nach dem 2. Weltkrieg unterschiedliche Wege gingen, der eine im Osten, der andere im Westen.
„Wo kommen wir her? Wo kommt diese Familie her?“, möchte sie wissen.
Sie taucht tief in ihre Kindheit ein, die Eltern beide SED-Anhänger, die Mutter zelebriert grausame, erniedrigende Erziehungsrituale. „Ich weiß nicht mehr, wann das anfing. Wann der Wunsch in mir aufkam, mich selbst zu zerstören.“
Stine beginnt mit selbstverletzendem Verhalten und bricht nach endlosen Leidensprozessen den Kontakt zur Familie ab. In ihren inneren Monologen wird deutlich, wie sehr die Menschen, die sich eigentlich um sie hätten kümmern müssen, ihre Seele und ihren Körper verletzt haben. Und es wird ihr großer Wunsch in jeder Zeile spürbar, es bei ihren Kindern anders zu machen.
Die Erzählerin enttarnt die menschenverachtende Macht des DDR-Regimes. „Wir haben uns an das Schweigen um uns herum gewöhnt und an die Geschichten, die wir nicht verstanden haben. Wir wussten, wann wir besser nicht nachfragten, auch wenn hinten und vorne nichts stimmte.“
Und sie kritisiert die fehlende Auseinandersetzung mit dem System in der Zeit nach der Wende. Rechtsextremismus, Gewalt, werden nicht aufgearbeitet, sondern dem Westen zugeordnet.
Sie beschreibt eine traurige Jugend, in der Alkohol, Verrohung, Mobbing an der Tagesordnung sind.
„Dieses System ist in die Menschen gekrochen, hat sie geformt und unser Miteinander deformiert.“
Erschütternd ist, was die Recherchen über den geliebten Großvater zu Tage bringen.
Opa Paul ist das Beispiel eines Menschen, der als Kind im Proletariat der Weimarer Republik aufgewachsen ist, als Soldat den Nationalsozialismus erleiden musste, dann für die Propaganda der SED zuständig war, und dennoch von dem System der DDR enttäuscht wurde.
Er hat so viele Leben gelebt, die er teilweise verstecken oder „neu schreiben“ musste. „Er hat geglaubt, auf der Seite der Sieger zu stehen. Auf der richtigen Seite der Geschichte. (…) Und er hat sich geirrt.“ Das ist das traurige Fazit der Erzählerin über den Mann, den sie so geliebt hat.
Bei ihrer Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit aber auch den Rückschauen auf den Nationalsozialismus bedient sich die Autorin Anne Raabe historischer Quellen, aber auch eindringlicher Zitate aus literarischen Quellen.
So ist dieses Buch nicht nur ein persönliche Familiengeschichte, sondern ein erschütterndes Buch deutscher Geschichte. Keine DDR-Nostalgie. Zu Recht nominiert auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis.

Bewertung vom 23.10.2023
Vatermal
Öziri, Necati

Vatermal


ausgezeichnet

„Erzählen ist wie Wasser, Metin. einmal unterwegs, findet es seinen Weg von selbst.“
Necati Öziri stand mit seinem Buch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis, den er nicht gewonnen hat, aber er hat die Nominierung zu Recht verdient.
Arda, der Ich-Erzähler liegt schwer krank im Krankenhaus und tritt in einen Monolog mit dem Vater, der die Familie verlassen hat, in die Türkei zurückgekehrt ist und dort verhaftet wurde.
Die Familie zerbricht. Die Mutter ist überfordert, die beiden Geschwister auf sich allein gestellt, müssen um ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland kämpfen, werden in der Schule ausgegrenzt. Die Mutter trinkt zu viel, ist nachts unterwegs und bringt fremde Männer mit. Die Geschwister werden getrennt. Aylin wächst bei der Großmutter in der Türkei auf, kehrt nach Deutschland zurück und kümmert sich um ihren Bruder., Arda verbringt viel Zeit mit den Freunden auf der Straße, Drogen und Angst vor Polizei bestimmen seinen Alltag.
Der Sohn Arda wird bald sterben will und will in dem Vater die Erinnerung an seinen ersten Sohn wecken.
„Dein Sohn hatte dicke, schwarze Locken, genau wie seine Schwester. Er hatte eine hohe, klare Stirn, kräftige Augenbrauen, ein bisschen wie der Nike-Swoosh, und darunter die Augen seiner Mutter, nur noch dunkler, fast schon schwarz, tief im Gesicht liegend. Unter dem linken Auge hatte er, wie du, einen schwarzen Fleck. Sein Vatermal. Und er hatte deinen schmalen Mund, deine dünnen Lippen.“
Die Mutter Ümran erzählt ihm am Krankenbett die Geschichte ihrer Kindheit, des Verlusts ihrer Lebensgrundlagen durch ein Erdbeben, der Liebe zu einem anderen Mann.
Ümras Eltern gehen nach Deutschland, die Kinder bleiben bei einer Tante in der Türkei. Die Beziehung mit dem Ehemann ist geprägt von seiner Gewalt und seiner Spielsucht.
Die Schwester erzählt von der Zeit mit dem Vater, als er noch bei ihnen war.
Aylin verschwindet nach einem Streit mit der Mutter und Arda findet seine neue Familie auf der Straße bei seinen Freunden.
Durch diese Erzählungen entdeckt Arda die Wurzel seiner Kindheit, einen Teil seiner Identität.
„Heute Morgen stand ich vor dem Badezimmerspiegel, legte meinen Finger auf diesen Fleck und fragte mich, wie mein Gesicht ohne ihn aussehen würde. Als ich den Finger wegnahm, war der Fleck nicht mehr da. Er klebte an meiner Fingerkuppe. Ich holte tief Luft, schloss die Augen und pustete ihn weg.“
Der Wechsel der Erzählperspektive zwischen Ich-Erzähler und personaler Erzählperspektive bei Mutter und Schwester sorgt für die große Intensität dieses Buches. Es weckt Verständnis für die Handlungen und Gefühle der Mutter und der Schwester.
In der direkten Ansprache des Erzählers an den Vater wird sein unfassbarer Schmerz deutlich.
Es ist eine traurige Geschichte voller Leid und Sehnsucht nach einem besseren Leben. Kinder werden in die Hände von Verwandten gegeben, müssen allein den Alltag bewältigen, es geht um Migrationsgeschichten und Erniedrigung. Zwischen
all den traurigen Zeilen klingt auch mal etwas Hoffnung, die Schwärmerei für Mädchen, der Zusammenhalt der Freunde, Identität und Sozialisation sowie die Reflexion des Erzählers über dieses Land.
„Wir sind die Söhne von Müttern, die Männer, mit denen wir in Berührung kamen (…) sie sorgten dafür, dass wir Angst bekamen, vor der Berührung mit Männern und anderen Jungs.“
Ein trauriges und intensives Buch voller einsamer Menschen in einem fremden Land. Mitten in Deutschland.

Bewertung vom 04.10.2023
Die Muskeltiere und die verflixte 13 / Die Muskeltiere Bd.7
Krause, Ute

Die Muskeltiere und die verflixte 13 / Die Muskeltiere Bd.7


ausgezeichnet

Ein wunderbares Buch

Dieses ist bereits der 7. Band der Reihe von Ute Krause über die Abenteuer der Musketiere.
Der Hamster Bertram von Backenbart, die Mäuse Picandou und Pomme de Terre sowie Gryère, die Rattendame, leben im Feinkostgeschäft von Frau Fröhlich.
Es ist Freitag, der 13. und prompt passiert ein Unglück. Bertram stößt sich bei einem Sturz den Kopf und verliert das Gedächtnis.
Pomme de Terre begibt sich auf den Weg ins Alte Land, um Hilfe von Bertrams Familie zu holen und die Freunde in Hamburg versuchen natürlich auch Bertrams Erinnerung wiederzubeleben.
Dazu müssen sie in ein Zoogeschäft, in dem das nächste Abenteuer wartet.
Dieses Buch ist unglaublich phantasievoll und witzig geschrieben. Schon allein die Namen der Freunde (einschließlich Ausspracheanleitung der französischen Wörter am Ende des Buches) machen Spaß. Die Charaktere der kleinen Musketiere sind sehr individuell und liebevoll geprägt. Sie sind abenteuerlustig, witzig und wirklich gute Freunde.
In sehr schöner, poetischer, kindgerechter Sprache spielt die Autorin mit kleinen Sprachfehlern und Dialekten ihrer Figuren.
Die Illustrationen, auch von Ute Krause, sind sehr ansprechend, sie unterstützen den Text und regen die Phantasie an.
Ich bin vollständig begeistert von diesem Buch und freue mich schon sehr darauf, es meinen Enkelkindern vorzulesen. Und wir werden sicherlich auch die anderen Bände noch lesen.
Lesealter: zum Vorlesen ab 5 Jahren

Bewertung vom 29.09.2023
Gittersee
Gneuß, Charlotte

Gittersee


sehr gut

Charlotte Gneuß steht mit ihrem Debütroman „Gittersee“ auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Und eine durch einen Verlagskollegen eingeläutete Diskussion anhand einer Mängelliste erhitzt gerade die Gemüter. Darf jemand, der/die nicht in der DDR aufgewachsen ist, diese Geschichte erzählen oder ist das „kulturelle Aneignung“? Und wie wichtig/notwendig ist die authentische/korrekte Wiedergabe des Alltagslebens in der damaligen DDR? Charlotte Gneuß beruft sich auf die Erinnerungen ihrer Eltern und Großeltern. Sie selber ist in Westdeutschland geboren.

Der Roman spielt in den 70er Jahren in dem Ort Gittersee, einem Stadtteil von Dresden, bekannt geworden durch den Bergbau und Uranabbau.

Die 16-jährige Karin lebt mit Eltern, Großmutter und der kleinen Schwester unter einem Dach, die Eltern sind mit sich und ihrem frustrierenden Leben beschäftigt, die Großmutter bestimmt die Regeln, die kleine Schwester wird von Katrin versorgt und umsorgt.

Als Karins Freund Paul in den Westen verschwindet, „Lust auf ein Abenteuer?“, hatte er sie zuvor gefragt, gerät Karins Welt aus den Fugen.
Ihre Trauer um den Freund, die Bewältigung des trostlosen Alltags, der sozialistische, ideologische verbrämte Unterricht, die Treffen mit ihrer besten Freundin, bestimmen ihre Tage. Vor allem aber bleibt die Frage, wem sie in dieser Situation trauen kann.
Der „Apparat“ in Form des Stasi-Funktionärs Wickwalz schaltet sich recht zügig ein, es kommt zu Befragungen zu ihrer Beihilfe zur Republikflucht, Wickwalz umwirbt sie und die junge Frau lässt sich nötigen, selber Teil des Überwachungssystem zu werden.

Es ist eine traurige Geschichte in einem grauen Alltag, die Überwachung, das Misstrauen sind überall zu spüren, der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung aber auch.
Karin kämpft mit ihrem Gewissen, sie hat Informationen über ihre Freundin Marie und auch über Pauls Freund Rühle, der ihm bei der Flucht geholfen hat, weitergegeben.
Ein dramatisches Ende schafft einen Wendepunkt für Karin.
Die Ich-Erzählerin schreibt in authentischer Sprache, kurze einfache Sätze, eindringlich, oft ohne Verbindung. Ihre Zerrissenheit, die Verwirrtheit ihrer Gefühle, ihre Verführbarkeit, ihre Sorgen und Gedanken kommen dadurch überzeugend zum Ausdruck.
Das ist die Stärke dieses Romans, möge man der Autorin andere kleine Fehler verzeihen.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.09.2023
Männer töten
Reisinger, Eva

Männer töten


ausgezeichnet

„In Engelhartskirchen gibt es keine Fälle von häuslicher Gewalt. Keine Sexualdelikte. Keine Frauenmorde. (…) Und das in einem Land, das in Sachen Gewalt an Frauen in der EU derzeit auf dem 1. Platz ist.“

Anna Maria geht aus Berlin in das kleine österreichische Dorf Engelhartskirchen. Sie hat in Berlin Hannes kennengelernt, der dort einen Bauernhof betreibt und sie flieht auch vor ihrer vorigen Beziehung mit Friedrich.
Ihr gefallen die Ruhe und Zufriedenheit der Bewohner*innen, aber sie entdeckt auch die Geheimnisse einiger Frauen, deren Partner durch „Unfälle“ ums Leben kamen. Anna Maria kämpft gegen Panikattacken, immer wieder kommen ihre eigenen Erinnerungen an Gewalterfahrung mit Friedrich hoch.
Sowohl Friedrich als auch die beiden besten Freundinnen aus Berlin kommen nach Engelhartskirchen und die belastende Situation mit Friedrich muss für Anna Maria geklärt werden.
Die Frauen halten zusammen, unterstützen sich gegenseitig, teilen ihre Geheimnisse. Das ist die positive Botschaft dieses Buches. Vielleicht würde so das Matriarchat funktionieren.

Ich kann dieses Buch nicht objektiv beurteilen, schließlich bin ich für eine gewaltfreie Welt. Aber Frauen erleben und erleiden täglich Gewalt.
Und ich kann nachvollziehen, dass Frauen sich endlich wehren, sich wie selbstverständlich mit Waffen schützen und verteidigen. Damit haben sich die Frauen die letzte Domäne der männlichen Macht erobert.
So ist ja auch der Titel des Romans im doppelten Sinne zu verstehen.
Ich weiß nicht, warum mir dieses Buch gerade jetzt begegnet. Ich musste über 60 Jahre alt werden, um mir einzugestehen, dass ich auch gern Waffen ausprobieren möchte. Auf einen Mann nur in der Phantasie schießen, aber gern auf eine Scheibe. Vielleicht hilft das auch schon gegen die Wut.
Eine gelungene Provokation, die notwendig ist und hoffentlich zu viel Diskussion beiträgt.
Dieses Buch ist zu Recht für die Shortlist Debüt des Österreichischen Buchpreises nominiert.

Bewertung vom 05.09.2023
Kleine Probleme
Pollatschek, Nele

Kleine Probleme


weniger gut

Kleine Probleme

Ein Mann steckt in einer Krise, vermutlich schon länger. Seine Frau hat ihn verlassen, die halberwachsenen Kinder belächeln ihn. Er ist beruflich Schriftsteller, jedoch ohne Erfolg. Das Geld hat die Frau verdient.
Nun will er alles gut machen ausgerechnet am Silvesterabend, da tritt sich die Familie und er will beweisen, dass er sich verändert hat.
Alles, was liegen geblieben ist, wird nun in Windeseile erledigt, immer wieder unterbrochen von Erschöpfungspausen und tiefgründigen Gedanken über sich und den Sinn des Lebens.
Die zu erledigende Liste arbeitet er in teilweise skurrilen Situationen ab, bisweilen musste ich über den Wortwitz der Autorin lächeln, aber die Wut auf diesen Mann ist größer. Ich konnte diesen lebensuntauglichen, sich selbst bemitleidenden, kontaktgestörten und völlig egoistischen Mann nicht ertragen. Seine Sicht der Welt ist weder witzig noch geistreich. Die Therapie, die seine Frau seit Jahren macht, hätte wohl eher er gebraucht.
Seinen wichtigen Punkt, das Lebenswerk, das beste Buch der Welt zu schreiben, glaubt er nun mit diesem Text vollendet zu haben.
Das ist leider gar nicht gelungen. Mich hat es jedenfalls überhaupt nicht überzeugt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.09.2023
Muna oder Die Hälfte des Lebens
Mora, Terézia

Muna oder Die Hälfte des Lebens


ausgezeichnet

Ein verstörendes Meisterwerk
Die Buchpreisträgerin Terézia Mora (2013) steht mit ihrem neuen Roman abermals auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis

„Liebeswahn ist, ebenso wie Liebeskummer, wie eine Krankheit.“
Die 18-jährige Muna ist im Leben auf sich allein gestellt, der Vater verstorben, die Mutter alkoholabhängig, schafft sie ihr Abitur in einer Kleinstadt in der DDR.
Numa verliebt sich in den deutlich älteren Französischlehrer, der kommt aber aus dem Sommerurlaub nach Ungarn nicht zurück. Es ist das Jahr 1989 und alles verändert sich.
Muna beginnt ihr Studium in Berlin, ihre Leistungen finden Beachtung, auch ihre äußere Erscheinung. Sie blockiert die vorsichtigen Annäherungsversuche ihrer Kommilitonen, wartet auf die Rückkehr des geliebten Magnus und schreibt Briefe, die er nicht erhält.
Die Zerrissenheit der Ich-Erzählerin wird in jeder Zeile deutlich, während sie ihr Leben in fast distanziertem Ton beschreibt, werden ironische, kommentierende Bemerkungen und Gedanken in Klammern hinzugefügt. Ihre sprachliche Schlagfertigkeit ist amüsant und verletzend.
Sie beobachtet und seziert winzige Details.
Sie beginnt ihr Studium in Berlin, geht nach London und Wien und erntet erste Beachtung in der akademischen Welt.
Nach 7 Jahren trifft sie Magnus in Berlin wieder. Ihre Liebe zu ihm gleicht einer Obsession. Während Magnus oft, schroff und abweisend zu ihr ist, gesteht sie ihm ihre große Liebe.
„Begehren, der Rest ist Schwulst“, ist Magnus’ Antwort.
Aber er wird zusehends unausgeglichener, sie kann das Dunkle in seinem Blick spüren, wenn sie wieder etwas getan hat, was ihm nicht gefällt. Und das kann man vorher nicht wissen. Verachtung, Gewalt Erniedrigung, Sex. Sie lässt es mit sich geschehen.
„Ich bin bereit für alles. Danach ist es jedes Mal besser.“

Als Magnus sich von ihr trennt:
„Ich weiß, was du willst“, sagte er. „Du bekommst es nicht.“,
bricht sie vollständig zusammen, verliert jeden Halt. In mühsamer Rekonstruktion schreibt sie ihre Geschichten und Angstträume auf. Und sie begegnet ihm ein weiteres Mal.
Dieses Buch hat mich vom ersten Moment in seinen Bann gezogen. Magische Sätze, Erzählkraft und eine vollständig verlorene Frau, die einem Mann verfällt, ihr Leben seinem unterordnet und in subtilen Gedankenkonstruktionen die Erklärung für all diese Leid bei sich selber sucht.
Manchmal ist es kaum auszuhalten, wie Mona sich immer wieder zerfleischt und zu keiner erwachsenen Beziehung zu einem Mann in der Lage ist.
Aber das soll so sein. Mona ist klug, gebildet, wortgewandt. Warum? Eine unglaubliche Leistung der Autorin, dass sie uns genau mit diesem Elend allein lässt.
Ein verstörendes Buch voller Trauer, Verzweiflung, Kampf und Gewalt.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.