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Benutzername: 
sabisteb
Wohnort: 
Freiburg

Bewertungen

Insgesamt 1375 Bewertungen
Bewertung vom 17.03.2013
In der Schlange
Mahler, Thomas

In der Schlange


schlecht

Thomas Mahler ist mit seinem Philosophiestudium fertig und muss, wie viele andere Akademiker, die sogar was Vernünftiges gelernt haben, feststellen, dass Studium oder Stipendium leider nicht zum Bezug von ALG I berechtigen, man aber alle Vergünstigungen verliert. Nachdem das Jobben im Gastronomiebereich einfach nichts einbringt, ihn nervt und einfach zu anstrengend ist und er letztendlich davon doch nicht leben kann, beantragt er halt Hartz IV, das ist weniger anstrengend als hinter der Theke zu stehen, wo man doch einen Studienabschluss in der Tasche hat und diese Jobs nun wirklich unter seinem geistigen Niveau sind. Da er ohnehin so gar nicht weiß, was er mit seinem Studium anfangen kann oder will, entspannt er sich, und macht nichts. Er schreibt nicht einmal Bewerbungen. Wenn das Amt ihm eine Maßnahme verordnet, macht er es halt, ansonsten jobbt er ein wenig Schwarz und lässt sich von der Familie mit zugestecktem Geld aushelfen.

Thomas Mahler bestätigt leider in seinem Buch alle Vorurteile gegen Hartz IV Empfänger, und das ist traurig, denn die Realität sieht leider ganz anders aus. Anders als sehr viele gut ausgebildete Menschen mit jahrelanger Arbeitserfahrung, die alles verlieren, was sie für die Alterssicherung angespart hatten, hatte der Autor nichts zu verlieren.

Nicht nur das, dieses Buch ist eine unsägliche, schwadronierende Nabelschau eines arroganten Studierten ohne Lebenserfahrung und ohne Freundin, der sich für was Besseres hält, weil er Philosophie studiert und tatsächlich abgeschlossen hat und auf alle hinunterblickt, die seinem angeblichen hohen Intellekt nicht das Wasser reichen können. Er schaut auf die anderen Menschen in der Schlange vor dem Arbeitsamt hinab und will einer jungen Mutter in Gedanken eine „maximal bildungsoptimistische Leseliste“ mitgeben (S. 26), die sie dann abarbeiten kann, wenn das Kind schläft. Es scheint ihm ein wenig bewusst zu werden, dass er das eigentliche Problem ist „Ich bin nicht sicher, ob ich mich für etwas Besseres halte. Ich merke jedoch: das Problem taucht überhaupt erst auf, wenn man mit echten Hauptschülern zusammentrifft. Es gibt vielleicht nicht nur die Arroganz der Bildung, sondern ebenso eine Arroganz der Dummheit (S. 223).“ Oder, kaum dass er einen Vertrag in der Tasche hat „Ihr Gesicht war völlig das einer Idiotin. Ist das jetzt arrogant, so was zu denken? Oder ist eher Tanja arrogant, wenn sie erwartet, dass ich mich auf ihr Geschwindigkeitsniveau herablasse?“ (S. 235).
Von jemandem, der selbst in dieses System hineingeraten ist, hätte ich mehr Solidarität erwartet. Aber nachdem der Autor mir mit über 200 Seiten selbstmitleidiger Nabelschau und Ignoranz auf die Nerven gefallen ist, verspielt er gegen Schluss noch jeglichen Funken von Sympathie. Kaum ist er dem System entronnen, vergisst er, wie es war, sich zu schämen. Nun ist er oben auf, und bohrt andere genau mit den Fragen, demütigt sie und quält sie mit den Fragen, die ihm selber so peinlich waren: „Ich habe mich plötzlich darauf gefreut, andere Menschen danach zu fragen, was sie denn eigentlich so machen, und nach mal nachgebohrt, wenn sie in s Stottern gerieten. Ich habe die Unsicherheit in ihren Augen genossen und mein Verständnis für ihre durchaus schwierige Situation.“ (S. 246)

Dieses Buch ist ein Portrait unserer Gesellschaft. Der Autor ist ein Teil dieser elitären Gesellschaft, die sich aufgrund von Bildung und Herkunft für etwas Besseres hält und somit typisch Deutsch. Er war nie Hatzer, das war alles ein Irrtum, und weil er nun ein Buch veröffentlich hat, ist das sein Beweis, er war was Besseres, die anderen haben es verdient, weil sie einfach dumm wie Brot und ungebildet sind. In diesem Buch hält sich der Autor selber den Spiegel vor, ist aber selber zu ignorant zu erkennen, was für ein ignoranter, elitär denkender Menschentypus ihm da entgegenschaut. Ich kann nur hoffen, dass ihm dieses Buch irgendwann selber peinlich ist, denn er hat in dieser Zeit nichts dazugelernt.

Bewertung vom 11.03.2013
Renegade
Souders, J. A.

Renegade


sehr gut

Das Leben der sechzehnjährigen Evelyn Leben ist perfekt. Sie lebt in einer friedlichen Stadt unter Wasser. Sie hat einen wundervollen Garten, sie näht und spielt Geige. Ihre Mutter ist „Mutter“, also Herrscherin dieser Stadt namens Elysium und Evelyn ist die Tochter des Volkes und darf ab und an Audienz halten. Alle lieben sie. Ihr Leben ist perfekt, bis Gavin Hunter, ein Oberflächenbewohner in Elysium auftaucht. Ein manipulativer, primitiver Oberflächenbewohner. Aber schon bald muss Evelyn lernen, dass alles, was sie zu wissen glaubte falsch ist. Sie selbst ist ein Monster.

Ich bin zwiegespalten, was dieses Buch angeht. Einerseits ist es einfach nur ein Konglomerat bekannter Motive, aus dem sich heutzutage wohl schnell ein Bestseller kochen lässt:
1. Eine in sich geschlossene, abgeschottete Gesellschaft, die glaubt in der perfekten Welt zu leben und alle draußen sind Böse. Hier sind die Bewohner auch gleich noch alle Blond und Blauäugig, als Wink mit dem Zaunpfahl, welche Ideologie hier wohl mit vorherrschen mag.
2. Natürlich gab es irgendwann einen großen Krieg, der die Menschheit zurückgeworfen und gespalten hat.
3. Die Heldin ist a) sozial privilegiert oder b) ein Mauerblümchen. Hier eine Kombination aus Beidem (zunächst einmal). Vorzugsweise Weise oder Halbweise oder zumindest adoptiert mit einer geheimnisvollen Vergangenheit.
4. Der Held sieht NATÜRLICH super aus, ist total lieb und verständnisvoll und kommt natürlich vom bösen draußen, das wohl gar nicht so böse ist.
5. Es stellt sich raus, alles war Lüge. Die Regierung ist manipulativ und das Volk in Wirklichkeit unterdrückt.
6. Held und Heldin verlieben sich, aber haben natürlich keinen Sex. Werden aber vom Küssen fast ohnmächtig.
7. Flucht über 2/3 des Buches.

Hinzu kommen diverse Logik- (Fehler):
1. Eine Tür, die von außen aufgezogen wird, wird von innen zugezogen, aber nicht zugedrückt (das ginge nur von außen) (S. 166)
2. Als Gavin S. 183 nackt aus der Dusche kommt, schaut nur seine Schultern und seinen Bauch an. Ja, klar doch, da hört der Körper ja auch auf *augenroll*.
3. Nach dem Kampf braucht sie ein paar MINUTEN (S. 273) bis sie die Hände sinken lassen kann. – Klar, auf der Flucht und sie muss sich erst mal ein paar Minütchen abregen. Da hat sich die Autorin wohl in den SI Einheiten vergriffen.
4. Nachdem sie im Tunnel fast abgesoffen sind, hat er immer noch ein Papiertagebuch dabei und es ist nicht durchweicht und noch lesbar? (S. 304)
5. Patronen in einer Unterwasserstadt mit Glaswänden? Wer ist so doof, so was zu erlauben, wenn es Plasmakanonen gibt? OK, selbst die könnten das Glas schmelzen, in so einer Umgebung sollten nur Klingenwaffen eingesetzt werden. Ein Schuss daneben und das war’s.
Dazu noch Grammatikfehler wie „Einem der Wachen“ (S. 13) statt eine der Wachen.

Das erste Drittel schleppt sich ein wenig. Evelyn ist einfach nicht sonderlich helle (was nicht ihre Schuld ist), zudem ist es ein wenig repetitiv (was aber beabsichtigt ist). Die restlichen 2/3 des Buches sind klassische Flucht mit viel Blut und Splatter, aber wenig wirklicher Handlung. Es gibt aber ein paar Wendungen, die tatsächlich überraschend und nicht vorhersehbar sind.
Insgesamt ein gelungener Auftakt einer Trilogie, bei dem der erste Band aber soweit in sich abgeschlossen ist, wenn man damit leben kann, dass ein paar Fragen offen bleiben.

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