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Benutzername: 
Moni
Wohnort: 
Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 33 Bewertungen
Bewertung vom 29.10.2023
Vatermal
Öziri, Necati

Vatermal


ausgezeichnet

Familiensaga

Wenn kein Wunder passiert, wird Arda sterben. In diesem Wissen schreibt er einen Brief an seinen Vater, der die Familie verlassen hat, als Arda ein Baby war. Zurück in die Türkei, zuerst ins Gefängnis, dann gründet er eine neue Familie.

Mit dieser Prämisse lässt Vatermal in die Geschichte eintauchen, die poetisch und gewaltig daherkommt. Arda erzählt von der Mutter und Großmutter, ihrer Migration, seiner Schwester, seinen Freunden, der Bürokratie auf dem Ausländeramt als staatenloses Kind in Deutschland, Rassismus, Alkoholismus, dem Anderssein und nicht Zugehörigfühlens, dem Zerwürfnis zwischen Mutter und Tochter, Pflegefamilien der eigenen Identität und der anderer. Der Roman hätte einzig eine Identitätsergründung angesichts des vaterlosen Daseins sein können, und ist dabei all das und viel mehr.

Facettenreich wie er ist, schneidet der Roman einige Einzelschicksale nur an und wechselt dann, teilweise sprunghaft, zu einem anderen Blickwinkel, trotzdem hat man beim Lesen nie das Gefühl, es würde etwas fehlen. Ein Fokuswechsel scheint immer genau zur richtigen Zeit zu kommen. Langeweile kann so gar nicht entstehen. Man merkt, dass Öziri Dramaturg ist, sein Debütroman hat durchaus etwas Szenenhaftes.

Absolut empfehlenswert!

Bewertung vom 29.10.2023
Kajzer
Kaiser, Menachem

Kajzer


gut

Auf Spurensuche

Kajzer beschreibt den Versuch des Autors ein altes Mietshaus seines jüdischen Großvaters im polnischen Schlesien, der von den Nazis enteignet wurde und als einziger in seiner Familie den Holocaust überlebt hat, zurückzuerlangen. Der Autor hat seinen Großvater persönlich nicht kennengelernt und begibt sich somit auf Spurensuche nach einem Familienerbe, von dem er nicht so recht weiß, worin es besteht und was er mit ihm anfangen will, sollte er es wiedererlangen.

Kaiser trifft dabei auf allerlei bürokratische und andere Hürden, wie die Weigerung der polnischen Justiz seine Vorfahren für tot zu erklären. Er spricht von sehr besonderen jüdisch-polnischen Geschichte, der Dämonisierung der Juden, die nach dem Krieg wiederkommen und den Polen "ihr" Eigentum wegnehmen wollen, einer Art Täter-Opfer-Umkehr, dem Gefühl sich für seine Rückforderung rechtfertigen zu müssen. "Du hast deine Geschichte, wir haben unsere. Deine Geschichte ist nicht wahrer als unsere".

Auf dieses Buch war ich besonders gespannt, da ich selbst aus Schlesien komme und diese historisch gesehen sehr turbulente Region schon immer faszinierend fand. So habe ich bei der Lektüre nicht nur die Reise Kaisers verfolgt, sondern auch viel über die Geschichte meiner Heimat erfahren. Kaiser schreibt sehr treffend "Schlesien ist zugleich Polen und Nicht-Polen".

Das Buch nimmt manchmal sehr unerwartete Wendungen, Kaiser trifft auf Schatzjäger und Verschwörungstheoretiker, die in Schlesien versuchen, alte Nazischätze zu finden. Zunächst scheint das nichts mit seinem Vorhaben zu tun zu haben. Diese haben jedoch die Tagebücher eines von ihnen fast schon verehrten Juden zum Vorbild, der in acht Konzentrationslagern interniert gewesen war und es geschafft hatte Tagebuch zu führen bis ihm schließlich die Flucht gelang. Der Name des Juden ist Abraham Kajzer, ein Cousin seines Großvaters, wie sich herausstellt.

So erlangt Kaiser am Ende seiner Suche nach dem Familienerbe vielleicht kein Haus, aber das Wissen um entfernte Familienmitglieder, von denen er sonst nie erfahren hätte.

Ich kann mir schon vorstellen, dass das Buch für viele zu ergebnis- und ereignislos ist, ich fand die Beschäftigung eines Menschen mit seinen Wurzeln, auch wenn ich zuvor noch nie von diesem Menschen gehört hatte, jedoch sehr spannend und augenöffnend.

Bewertung vom 29.10.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


gut

Ohne den ersten Teil der Reihe gelesen zu haben, habe ich spontan zum Hörbuch gegriffen, in der Hoffnung (die sich zum Glück bestätigte), dass man die Fälle unabhängig voneinander lesen kann. Die Geschichte rund um Detektiv Kosuke Kindaichi erinnert vom Aufbau und Erzählstruktur, wie schon von vielen angemerkt, an die vielen Golden Age Kriminalromane, die man in der westlichen Literatur schon lange kennt und liebt, nur eben diesmal aus Japan. Wie bei Agatha Christie und all den anderen lädt der Roman regelrecht dazu ein, mitzuraten und Schlüssel zu suchen um den Fall zu lösen. Es sind auch auf jeden Fall genügend Hinweise vorhanden, die Auflösung ist nicht so hanebüchen, sodass eine geübte Leserin von Krimis drauf kommen könnte, auch wenn das Motiv hinter den Morden mich nicht wirklich überzeugt hat. Besonders gefallen hat mir das Setting auf der abgelegenen Insel Gokumon und die Einleitung in ihre Geschichte als ehemailige Sträflings- und Exilinsel.

Es ist schön, dass dieser Krimiklassiker aus dem Jahr 1971 nun mit Ursula Gräfe eine würdige Übersetzung ins Deutsche gefunden hat, nachdem die Reihe im englischsprachigen Raum auch vor einiger Zeit Fahrt aufgenommen hat. Das Hörbuch wurde von Denis Moschitto wunderbar interpretiert.

Aufgrund seines Alters gab es im Roman einige Stellen, die, nunja, aus heutiger Sicht schlecht gealtert sind, trotzdem war es eine unterhaltsame Lektüre, wenn man darüber hinwegsehen kann.