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violettera
Wohnort: 
Stuttgart

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Insgesamt 35 Bewertungen
Bewertung vom 17.10.2022
Lektionen
McEwan, Ian

Lektionen


ausgezeichnet

Ein von vielen Lektionen geformtes Leben

Roland Baines verlebt als Sohn eines britischen Armeeoffiziers in Libyen eine recht unbeschwerte Kindheit, die abrupt endet, als er 1959 mit 11 Jahren auf ein englisches Internat geschickt wird. Er erweist sich als begabter Junge, bereits als Schüler sogar als außergewöhnlich begnadeter Pianist. Mit seiner Klavierlehrerin erlebt der pubertierende Junge jedoch obsessive sexuelle Erfahrungen, die ihn durchaus mit Stolz erfüllen, im Rückblick jedoch ein prägendes Missbrauchserlebnis darstellen. Auf den Schulabbruch folgt ein unstetes Leben ohne Ausbildung und ohne Beruf, mit wechselnden Beziehungen, getrieben von sexueller Obsession. Nach einem „verlorenen Jahrzehnt“ ziellosen Herumstreunens heiratet er 1985, wird sesshaft im eigenen Heim und gründet eine Familie, aber die geliebte Ehefrau lässt ihn mit dem Baby allein zurück, um sich ihrer Berufung als Schriftstellerin zu widmen, mit großem Erfolg. Er wird zum Alleinerziehenden, bringt sich und den Sohn mit Gelegenheitsjobs über die Runden, meist als Barpianist und Tennislehrer. Auch eine spätere zweite Liebesbeziehung scheitert zunächst. Durchzogen und begleitet wird der Lebensbericht von den großen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Krisen der jeweiligen Zeit, von der Kubakrise über Tschernobyl, den Mauerfall, Corona bis hin zur globalen Klimakrise, die auf Rolands Leben einwirken. Auf 700 Seiten breitet Ian McEwan das wechselvolle Leben des Roland Baines aus, von der Kindheit bis ins Alter, schildert sein Innenleben in all den Jahrzehnten, fragt nach der Verantwortung für das eigene Leben und das der anderen, stellt Fragen nach Sex und Liebe, Sehnsucht und Erfüllung, Scheitern und Erfolg, Schuld und Vergebung. Es erzählt von vertanen Chancen und überraschenden Wendungen, Zeiten voller Pläne und Hoffnung und solche der Trägheit und des Sich-treiben-Lassens. So entsteht ein literarisches Meisterwerk, das nebenbei die großen Fragen der Zeit behandelt, in der dieses Leben spielt.

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Bewertung vom 14.08.2022
Die Passage nach Maskat
Rademacher, Cay

Die Passage nach Maskat


sehr gut

Gefährliche Passage
„Wenn ich sterbe, werde ich auf dem Meer sterben.“ Davon ist der Berliner Pressefotograf Theodor Jung überzeugt. Und dennoch hat er sich im Jahr 1929 auf diese Seefahrt erster Klasse nach Maskat eingelassen, zusammen mit seiner Ehefrau Dora, deren Eltern und Bruder, reichen Kaufleuten aus Hamburg. Auch der Prokurist, ein unsympathischer Möchtegern-Dandy, begleitet die Familie und macht Jung noch vor dem Ablegen unmissverständlich klar, dass er besser noch in Marseille wieder von Bord geht, wenn er sich nicht in Gefahr begeben will. Früh erfahren wir den Grund für Jungs Angst vor dem Meer, ein traumatisches Kriegserlebnis auf einem sinkenden U-Boot. Nach und nach lernen wir Mitreisende kennen, auch Besatzungsmitglieder, und verfolgen, wie er sich in ein Netz unterschiedlichster Interessen und Beziehungen verstrickt, die immer undurchsichtiger werden. Seine Frau Dora verschwindet, seltsame Unfälle geschehen, Morde sogar. Wer spielt welche Rolle in diesem zwielichtigen Spiel? Einige Landgänge sind willkommene Unterbrechungen der Seereise, es geht u.a. zu den Pyramiden von Gizeh, ins Tal der Könige, in die Altstadt von Aden. Doch überall lauern Gefahren.
„Die Passage nach Maskat“ ist ein geschickt aufgebauter Krimi, der viel Spannung bietet, aber auch Raum lässt für atmosphärisch dichte Schilderungen der Passage auf dem historisch verbürgten Ozeanliner Champollion, seiner mehr oder weniger extravaganten Gesellschaft an Bord, der Reiseroute und ihren Stationen. Die Glaubwürdigkeit der Story wird erhöht durch eingestreute Begegnungen mit historischen Figuren wie Anita Berber oder Howard Carter. Manche Details hingegen sind mir weniger glaubwürdig erschienen, deshalb vergebe ich 4 Sterne.
Fazit: eine spannende Kriminalstory, eingebettet in einen Reisebericht vor historischem Hintergrund.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2022
Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3
Storks, Bettina

Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3


sehr gut

Das Cover zeigt zwischen verstreuten Blüten Fragmente eines der seltenen Fotos des Liebespaares. Sie liegen „in einem Boot“, beide ohne Schuhe und ohne die eigentlich notwendige Brille, offenbar glücklich und unbeschwert.
Der Roman schildert die Liebesgeschichte der beiden erfolgreichen Literaten Ingeborg Bachmann und Max Frisch in den Jahren 1958-63, eine Liebe von besonderer Intensität, gelebt weitgehend abseits der Öffentlichkeit. Die beiden könnten kaum gegensätzlicher sein. Der immer wieder als bodenständig bezeichnete Schweizer Autor, ein geschiedener Mann um die fünfzig, bekannt für seine Theaterstücke, Romane und Tagebücher, brauchte Ordnung, Struktur und Klarheit im Leben und bei der Arbeit. Die viel jüngere, zarte und hochsensible Ingeborg Bachmann verfasste Gedichte und Erzählungen, rang beim Schreiben um jedes Wort, war stets auf der Suche, verabscheute offenbar Ordnung und Struktur, umgab sich hingegen mit der geheimnisvollen Aura einer freiheitsliebenden Künstlerin. Gemeinsam war ihnen die Liebe zur Sprache und Literatur, der innere Zwang zu schreiben, auch der literarische Erfolg. Gemeinsam war ihnen nicht zuletzt der ausufernde Genuss von Alkohol und Nikotin.
Bettina Storks schildert ausführlich die abwechslungsreiche Geschichte dieser ungewöhnlichen Liebe, ihre Chancen, Höhenflüge und Hindernisse, wobei die einzelnen Kapitel jeweils abwechselnd die Sicht der Frau und des Mannes wiedergeben. Die Reflexionen der beiden „Kopfarbeiter“ nehmen viel Raum ein, was den Roman insgesamt etwas kopflastig macht. Wir erfahren viel über die inneren Zwänge der beiden, seine Eifersucht und sein Misstrauen, ihre Verletzlichkeit und ihren Freiheitsdrang. Auch die unterschiedlichen Orte, an denen die Liebenden wohnen und arbeiten, allen voran Zürich und Rom, werden geschildert, ebenso der Literaturbetrieb jener Jahre, soweit die beiden Protagonisten darin eingebunden waren.
Wer sich für Leben und Werk der beiden großen Literaten interessiert, wird den Roman genießen. Wer nur eine herzerwärmende Liebesgeschichte sucht, sollte zu anderer Lektüre greifen.

Bewertung vom 01.08.2022
Wenn ich das kann, kannst du das auch!
Zervakis, Linda;Patrikiou, Elissavet

Wenn ich das kann, kannst du das auch!


sehr gut

Das Cover gefällt mir weniger. Es geht schließlich in erster Linie ums Kochen, nicht um die Köchin! Aber der Titel „Wenn ich das kann, kannst du das auch!“ hat mich gefangen. Ich wollte sofort nachschauen, ob auch ich diese Rezepte nachkochen kann. Und tatsächlich: Sie sind so beschrieben, dass sich wohl jeder zutraut nach diesen Rezepten zu kochen. Mir fehlt da nichts: Die Zutaten sind überschaubar und in der Regel gut erhältlich, die Zubereitung ist klar beschrieben, die Zeitangaben sind vielleicht etwas knapp bemessen. Die meisten Rezepte passen auf eine Seite, was in der Küche sehr praktisch ist - Text und Foto in bewährter GU-Qualität. Die Rezepte geben einen guten Querschnitt durch die griechisch und teilweise auch orientalisch inspirierte Küche, für den Alltag und verschiedene Anlässe. Das Ganze ist eingebettet in eine Story rund um Lindas kochen Lernen, für meinen Geschmack hätte die nicht so ausführlich sein müssen. Fazit: ein schön gestaltetes Kochbuch, das auch unterhalten will, auf jeden Fall aber leckere Rezepte enthält, durchaus nicht nur für Leute, die das Kochen erst noch lernen wollen.

Bewertung vom 27.07.2022
Susanna
Capus, Alex

Susanna


ausgezeichnet

Das Cover zeigt eine historische Aufnahme der Brooklyn Bridge über den East River in New York. Ist Susanna also ein historischer Roman? Das trifft zwar zu, aber der Roman ist weit mehr. Susanna ist die Entwicklungsgeschichte einer ungewöhnlichen Frau in der zweiten Hälfte des 19. Jh., als sich nicht nur in deren Leben, sondern auch in Wirtschaft und Gesellschaft gewaltige Entwicklungssprünge vollziehen. Wir erleben sehr anschauliche, gar dramatische Episoden aus Susannas Kindheit als jüngstes Kind einer wohlhabenden Basler Familie, erfahren die Zwänge und Begrenzungen dieser Gesellschaft und den höchst unterschiedlichen Umgang ihrer Eltern damit. In mehreren Zeitsprüngen verfolgen wir Susannas Entwicklung zu einer selbstständigen und eigenwilligen Frau, nachdem sie mit ihrer Mutter nach Amerika ausgewandert ist. Mit ihrem Sohn Christie unternimmt Susanna schließlich eine abenteuerliche Reise nach Dakota, um Sitting Bull, den Häuptling der Sioux treffen.
Alex Capus versteht sich auf die lebendige Darstellung der Personen, ihrer inneren Entwicklung und ihrer Grenzen, ihrer Gefühle und Ängste, ihres Seelenlebens und ihrer Sehnsüchte, ihrer Handlungen und Unterlassungen. Ebenso anschaulich schildert er die Orte der Handlung und das gesellschaftliche Umfeld. Die Schilderungen sind durchzogen von einem feinen Humor, die Sprache ist knapp und präzise, kein Wort zu viel, jeder Satz sitzt.
Mit „Susanna“ ist Capus erneut ein Roman gelungen, den ich mehrmals lesen werde, wie beispielsweise „Leon und Louise“. Das erste Mal verschlinge ich ihn, danach genieße ich ihn.