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Tsubame

Bewertungen

Insgesamt 50 Bewertungen
Bewertung vom 06.03.2022
Die Feuer
Thomas, Claire

Die Feuer


gut

Tolles Cover, enttäuschender Inhalt

Ich gebe zu: Ich wollte dieses Buch unbedingt haben! Nicht aufgrund der kurzen Leseprobe, was eigentlich naheliegend wäre, sondern aufgrund des leuchtend orangefarbenen Covers, das nicht nur wunderbar zur Geschichte passt, sondern welches ich auch als extrem ästhetisch empfinde.

Nun ist das vielleicht nicht der beste Grund, sich für ein Buch zu entscheiden, aber wie will man nach der Lektüre des Klappentextes oder ein paar Seiten Leseprobe ernsthaft entscheiden können, ob einem das Buch gefällt oder nicht?

Also habe ich über die drei Frauen unterschiedlichen Alters gelesen, die unabhängig von einander im Theater sitzen, um sich ein Beckett-Stück anzusehen, während draußen irgendwo in Australien die Buschfeuer toben.

Das Beckett-Stück kannte ich nicht, aber nach der spärlichen, im Buch geschilderten Handlung, kann man sich gut vorstellen, dass die Gedanken der Zuschauer(innen) auf Wanderschaft gehen und sie sich mit ihren eigenen Problemen und Nöten beschäftigen.

Da ist zum einen die etwas steife Literaturprofessorin Margot, der man soeben den allmählichen Ruhestand nahegelegt hat und deren demenzkranker Mann sie im Schlaf mit spontanen Prügelattacken überfällt, Summer, die im Theater als Platzanweiserin arbeitet und mit Panikattacken kämpft, während ihre Lebensgefährtin in die gefährliche Feuerzone gefahren ist, um nach ihren Eltern zu sehen und last but not least Ivy, eine ehemalige Studentin Margots, die seit dem tragischen Verlust ihres ersten Kindes von Zweifeln und Ängsten heimgesucht wird.

Leider habe ich nach einer Weile angefangen, mich bei der Lektüre zu langweilen, weil es zwar nicht an Dramen mangelt, mit denen die einzelnen Figuren ausgestattet wurden, aber ich hatte leider auch keinen Augenblick das Gefühl, dass es sich um Menschen aus Fleisch und Blut handeln könnte. Dazu immer wieder Parallelen zu dem gezeigten Beckett-Stück, Gedanken zu Klimawandel und Plastikmüll ... es gab viele angerissene Themen, aber eben wenig Leben und Tiefe in dem so schön verpackten Roman.

Daher leider nur 3 Sterne von mir ...

Bewertung vom 07.02.2022
So reich wie der König
Assor, Abigail

So reich wie der König


ausgezeichnet

Ein modernes Anti-Märchen aus Marokko

Sarah ist arm und sie lebt in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Slums von Casablanca. Sie ist Französin und ist mit mit ihrer Mutter, die auf den falschen Mann gebaut hat, hier gestrandet. Das Geld, mit dem sie sich in Marokko eine neue Zukunft aufbauen wollten, ist futsch, die Mutter muss ihren Körper an fremde Männer verkaufen und auch Sarah lernt früh, dass ihr Aussehen ihr einziges Kapital darstellt.

In der französischen Schule, die Sarah besucht, beobachtet sie die Töchter und Söhne wohlhabender muslimischer Familien, die von ihren Chauffeuren gebracht und abgeholt werden, lernt ihre Gepflogenheiten und hängt mit einer Clique ab, zu der auch Driss gehört, von dem gesagt wird, er wäre so reich wie der König.

Sarah träumt von Diamantringen an jedem ihrer Finger, Angestellten, die sie nach Belieben feuern kann und einem Leben, in dem die Reichen das Sagen haben. Sie beschließt, den gehemmten und eher hässlichen Driss zu verführen und ihn dann zu heiraten.

Die beiden werden tatsächlich ein Paar und was aus niederen Beweggründen begann, entwickelt sich zu einer zarten Liebesgeschichte zweier Seelengefährten, beide Gefangene eines Systems, das für jede(n) einzelne(n) einen vorherbestimmten Platz vorsieht.

Abigail Assor, selbst in Casablanca geboren und einige Jahre dort aufgewachsen, erzählt sehr gekonnt vom Leben dieser unterschiedlichen sozialen Klassen, die allerdings eines gemeinsam haben: es dreht sich bei allen fast ausschließlich ums Geld. Die einen stützen ihre Macht darauf, die es ihnen erlaubt, notfalls auch Polizisten zu bestechen, die anderen brauchen es, um täglich irgendwie satt zu werden. Während die einen gelangweilt ihre Statussymbole wie Rollex, Gucci-Kappen oder schnelle Schlitten zur Schau stellen und die Zeit mit Pool-Parties und Drogen tot schlagen, träumen die anderen - wie Sarah - davon, diesem erlauchten Zirkel irgendwann selbst anzugehören.

Die Schattenseiten solch eines Arrangements werden ebenfalls geschildert, denn die mächtigen muslimischen Männer schlagen ihre Frauen, die ihren Unmut wiederum an den Dienstboten auslassen.

Mich hat das Buch gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Auf der einen Seite öffnen sich Sarah und Driss einander, zeigen ihre Verletzlichkeit und geben einander Halt, auf der anderen Seite sind es rein konsumorientierte Jugendliche ohne besondere Ideale, die ihren Müll einfach auf die Straße werfen, schwach und abhängig von ihren Eltern sind und schon nach dem ersten Aufbegehren klein beigeben.

Für mich ist "So reich wie der König" kein Entwicklungs- oder Emanzipationsroman, bei dem die Protagonisten über sich selbst hinauswachsen, sondern eher der resignierte Blick auf eine Kultur, in der jeder seinen Platz kennt und nicht etwa in einem guten Schulabschluss eine Chance wittert, sondern sich statt dessen lieber in Träumen verliert - von einem Leben in Luxus an der Seite eines reichen Mannes oder aber von der Flucht in ein "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" wie Amerika.

Bewertung vom 03.02.2022
Der Holländer / Liewe Cupido ermittelt Bd.1
Deen, Mathijs

Der Holländer / Liewe Cupido ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

ein Kriminalroman, den man am Ende mit einem zufriedenen Lächeln zuklappt

Schon das Cover hat mir an diesem Kriminalroman große Freude bereitet. Das Watt schimmert golden im letzten (oder ersten?) Licht des Tages, man erkennt zwei Wattwanderer im Hintergrund und das Meer nähert sich bedrohlich.

All das passt exakt zu dem Inhalt der Geschichte, bei der ein toter Wattwanderer auf einer Sandbank im deutsch-niederländischen Grenzgebiet 'De Hond' aufgefunden und vom holländischen Grenzschutz in die Niederlande gebracht wird, bevor die Flut den Leichnam wegschwemmen kann. Der Tote war zwar Deutscher, aber der ehrgeizige Brigadekommandeur Henk van de Wal besteht darauf, dass die Leiche auf niederländischem Gebiet lag und somit in die Zuständigkeit der Niederländer fällt.

Derweil schickt die Bundespolizei in Cuxhafen ihren besten Mann Liewe Cupido, genannt "Der Holländer" in das Gebiet, um inoffiziell in dem Fall zu ermitteln. Cupido ist ein schweigsamer, etwas einsamer Typ, ohne nennenswerte Laster. Vielleicht ist die Freude an einem reichhaltigen Frühstück die einzige 'Schwäche', die er nach Außen hin erkennen lässt. Er ist auf seine Art sympathisch, hat ein Herz für talentierte, unterforderte junge Polizeibeamte und er pendelt zwischen der deutschen und der niederländischen Seite hin und her, bis der Täter schließlich überführt ist und er sein 'Berichtchen' schreiben kann.

Das Buch ist gut und anspruchsvoll geschrieben, die Wattbeschreibungen machen Lust auf Meer und ich hoffe, dass es ein Wiedersehen mit Liewe Cupido geben wird. In mir hat er jedenfalls einen neuen Fan gewonnen.

Bewertung vom 05.10.2021
Nichts als Gutes
Slupetzky, Stefan

Nichts als Gutes


sehr gut

Die etwas anderen Grabreden

Stefan Slupetzky kenne ich als Autor seiner Lemming-Krimis, was mich neugierig auf dieses Büchlein gemacht hat.
"Nichts als Gutes" lautet der Titel dieser fiktiven Grabreden, dabei ist es gar nicht immer so einfach, nur Gutes über einen Verstorbenen zu erzählen. Manchmal führen die Reden zu überraschenden Geständnissen oder es blitzen alte Rivalitäten und Feindseligkeiten auf.
Die von Stefan Slupetzky erdachten Grabreden sind z.T. amüsant, dann wieder nachdenklich oder tiefgründig. Obwohl das Buch gerade mal 159 Seiten hat, braucht es seine Zeit, sich mit den einzelnen Lebensläufen zu beschäftigen. Ich habe die Geschichten immer vor dem Einschlafen gelesen.
Die nicht ganz ernst gemeinte Lektüre hat mir gefallen, auch wenn es mir immer etwas schwer fällt, bei "Kurzgeschichten" am Ball zu bleiben.
Als nächstes lese ich dann wohl wieder einen seiner Lemming-Krimis.

Bewertung vom 15.09.2021
Shuggie Bain
Stuart, Douglas

Shuggie Bain


ausgezeichnet

Wenn die eigene Mutter alkoholabhängig ist

Der Roman "Shuggie Bain" hat es wirklich in sich. Relativ harmlos fängt die Geschichte an und "steigert" sich von einem Tiefpunkt zum nächsten, wenn man das überhaupt so sagen kann.

Shuggie Bain ist jüngster Spross von drei Geschwistern, allesamt Kinder von Agnes Bain, aber nur Shuggie ist auch Sohn von "Big Shug", Ehemann Nr. 2 im Leben seiner Mutter.

Die schöne und anspruchsvolle Agnes langweilt sich in ihrem Leben und sie trinkt wie eigentlich alle in ihrem Umfeld. Ihr Mann, ein Taxifahrer, geht fremd, ihre Kinder gehen ihre eigenen Wege - bis auf ihren Jüngsten, der an seiner Mutter hängt und sich größte Mühe gibt, auf diese aufzupassen.

Doch Shuggie hat genug mit sich selbst zu tun, denn seine Art eckt bei den anderen Kindern an. Shuggie spricht wohl artikuliert und nicht den groben Glasgower Slang - großartig übersetzt von Sophie Zeitz. Er mag keinen Fußball und er tanzt, wenn ihm keiner außer Agnes dabei zusieht. Schnell wird er als "Schwuchtel" betitelt und von den anderen schikaniert.

Nach einem Streit mit ihren Eltern, bei denen Agnes mit Kind und Ehemann bisher wohnte, zieht die Familie raus nach Pithead, eine alte Bergmannssiedlung, geprägt von Armut, Trostlosigkeit und Alkoholismus. Nachdem Big Shug seine Familie dort abgeladen hat, verlässt er sie für immer, um mit einer anderen Frau zusammenzuleben.

Für Agnes beginnt eine Abwärtsspirale, die sie immer tiefer in die Alkoholabhängigkeit zieht. Das alles ist bei all dem damit verbundenen Schrecken, großartig geschildert von Douglas Stuart, der in dem Buch seine eigenen Kindheit verarbeitet hat.

Es gibt Szenen und Sätze in dem Roman, die man nicht mehr vergisst, wie etwa die Stelle, wo Shuggie seine Mutter nach verzweifelter Suche schließlich auf einer Party mit zerrissenem Kleid unter einem Stapel abgelegter Mäntel findet.

Der Roman schildert eine Lebensrealität, die man sich nur schwer vorstellen kann, die aber durch den Autor großartig zum Leben erweckt wird. Den Booker Preis hat er mit diesem Debüt meiner Meinung nach zu Recht gewonnen. Man kann auf weitere Romane gespannt sein!

Bewertung vom 31.05.2021
Die Geschichte von Kat und Easy
Pásztor, Susann

Die Geschichte von Kat und Easy


sehr gut

Susann Pásztors neuer Roman nimmt die Freundschaft zweier Mädchen unter die Lupe: da ist auf der einen Seite die etwas verpeilte, aber gut aussehende Isi- oder eben Easy, weil's einfach cooler klingt -, auf der anderen Seite die abgeklärte und extrem kurzsichtige Kat. Es ist das Jahr 1973; das Jahr in dem Kat 16 wird und es für beide Teenager gilt, eine persönliche To Do-Liste abzuarbeiten. Dumm nur, dass sich beide ausgerechnet in denselben Typen verlieben ...

In einem zweiten Erzählstrang treffen wir Kat und Easy in ihren 60ern wieder. Kat führt inzwischen einen erfolgreichen Blog für Lebensberatung und erhält von Easy eine Nachricht. Die beiden treffen sich auf Kreta, wo Easy ein heruntergekommenes Haus besitzt, und obwohl Kat alles erdenkliche versucht, um sich vor dieser Situation zu drücken, läuft doch alles auf eine sehr persönliche und unangenehme Frage hinaus: Was geschah eigentlich genau im Sommer 1973 und welche Rolle spielte Fripp, der coole Typ aus dem Jugendzentrum, dabei?

Meine Meinung: Ich habe vor Jahren den Roman "Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts" von Susann Pásztor gelesen und war damals schon gefesselt von der eher ungewöhnlichen Geschichte. Auch diesmal hat mich Pásztors Roman in seinen Bann gezogen, denn das mit dem "Freund ausspannen" kenne ich auch aus meiner Jugendzeit. Daher fand ich es umso spannender zu lesen, wie unterschiedlich die beiden Freundinnen mit diesem Thema umgehen und wie lange diese Erfahrung aus ihrer Jugendzeit doch noch in ihnen nachhallt. Auch wenn ich selbst kein Kind der wilden 60er Jahre bin (ich war damals noch zu klein) fand ich es faszinierend zu lesen, wie naiv die Einstellung der damals 16jährigen gegenüber Drogen war und wie lässig man mit diesen experimentierte.

Zwar ist der Roman für mich kein 5Sterne-Buch, aber unterhaltsam fand ich ihn doch und zum Schluss wurde es meiner Meinung nach sogar noch richtig spannend.

Bewertung vom 30.03.2021
Genug
Dalsgaard, Louise Juhl

Genug


sehr gut

Ungewöhnliches Buch

"Genug" von Louise Juhl Dalsgaard ist ein ungewöhnliches Buch: eine Mischung aus Roman, Gedankenfetzen und Einträgen aus diversen Patientenakten.
Erzählt wird die Geschichte von einer jungen Frau, die nach dem Abi den Entschluss fasst, gesünder zu leben, Sport zu treiben und abzunehmen.
Das mit dem gesünder Leben klappt nicht ganz, statt dessen fängt sie an zu hungern, bis sie in eine Klinik eingewiesen werden muss.
Als Leser(in) nimmt man teil an dieser Abwärtskurve, den Gedanken der Frau und den Beobachtungen der betreuenden Sozialarbeiterinnen und Ärzte.
Man erfährt von der schwierigen Beziehung zu den Eltern, Erfahrungen mit Männern, ohne dass allerdings klar wird, was die genaue Ursache für die Magersucht ist. Wahrscheinlich sind es mehrere Faktoren, die dabei eine Rolle gespielt haben.
Mir haben vor allem die Gedanken der Protagonistin gefallen, Beobachtungen zu ihrer Familie wie z.B. dem Vater.

"Das Wichtigste ist nicht, was du einpackst, sondern was du auspackst", sagt mein Vater.
Dann ruft er an und fragt, wie es mir geht. Ich sage, dass ich traurig bin. Er sagt: "Dann sieh mal zu, dass du wieder fröhlich wirst."

Eine Passage, die für sich selbst spricht ...

Der Weg zurück in die Normalität gleicht einer Berg- und Talfahrt, aber das Buch gibt Hoffnung, dass der Ausstieg aus einer Magersucht möglich ist.
Für mich war dies die erste Auseinandersetzung mit dem Thema "Magersucht" und "Genug" ein Buch, das mich sehr nachdenklich gemacht hat.

Bewertung vom 30.03.2021
Kim Jiyoung, geboren 1982
Cho, Nam-joo

Kim Jiyoung, geboren 1982


gut

Nichts wirklich Neues

Wahrscheinlich liegt es an meinem Japanologie-Hintergrund, dass ich vom Schicksal Kim Jiyoungs nicht sonderlich geschockt bzw. überrascht war, aber das koreanische Frauenbild unterscheidet sich eben nicht wesentlich von dem japanischen. Neu ist allerdings die Methode, in Romanform einen Blick auf das Leben koreanischer Mädchen/Frauen zu werfen und so steht der Titel "Kim Jiyoung, geboren 1982" für eine ganze Generation und weniger für eine individuelle Persönlichkeit.

Das macht die Figur der Kim Jiyoung allerdings auch ziemlich farblos und so liest man zwar über all die Ungerechtigkeiten, die dem Kind und später dann der jungen Frau in den Jahren 1982 - 2015 widerfahren, empört sich und schüttelt womöglich den Kopf, man kann sich aber nicht so richtig mit ihr identifizieren. Zumindest mir erging es so.

Einzig die Stelle, wo sie ihren Lehrer anfleht, sie von ihrem Klassenkameraden wegzusetzen, der sie unablässig ärgert, kam mir irgendwie bekannt vor. Denn das habe ich als Kind auch erlebt und genau wie Kim Jiyoung konnte ich in diesem Verhalten keinerlei "Sympathiebekundung" erkennen. Dass man in diesem Alter leidet und sich schämt, kann ich also gut nachvollziehen, dass die Scham aber bis ins Erwachsenenalter Begleiter ist, empfinde ich als schade, denn ich habe im Laufe der Jahre dann doch gelernt, meinen Mund aufzumachen. Nicht so Kim Jiyoung. Sie schweigt, obwohl sie sich gerne zur Wehr setzen würde.

Die Erfahrungen, die Kim Jiyoung im Berufsleben macht, Mutterschaft, Kündigung und die Rückkehr in einen unterbezahlten Job, werden von der Autorin alle mit Verweisen auf diverse Quellen untermauert.

Mit seinen gerade mal 207 Seiten ist das Buch eine schnelle Lektüre, vom Stil her eher nüchtern und weniger Roman als vielmehr Studie.

Ich fand die Figur der Kim Jiyoung leider etwas blass und desorientiert. Zum Schluss hatte ich den Eindruck, dass sie überhaupt nicht weiß, was sie eigentlich will. Aber mit 33 Jahren bleibt einem ja eigentlich noch genug Zeit, das herauszufinden.

Bewertung vom 30.03.2021
Big Sky Country
Wink, Callan

Big Sky Country


sehr gut

Eine Jugend in Michigan und Montana

August heißt der Heranwachsende in dem Roman "Big Sky Country" von Callan Wink. Seine Eltern waren einmal verliebt in einander, sind es aber bereits nicht mehr, als wir August im Alter von zwölf Jahren kennenlernen. Er soll im Auftrag seines Vaters der Katzenplage Herr werden, die sich in der Scheune ausgebreitet hat. Einen Dollar für jeden abgeschnittenen Schwanz bietet ihm dieser und so beginnt das Buch gleich mit einer unerfreulichen Szene.

Während Augusts Vater und später auch dessen Freundin Lisa im "neuen Haus" auf dem Hof leben, bewohnt Augusts Mutter nur ein paar Meter weiter das "alte Haus", in dem sie ihr Sohn täglich besuchen kommt.

Nach einem Zwischenfall in Augusts Schule packt seine Mutter ihren Sohn und zieht mit ihm nach Grand Rapids, wo sie ihr Studium nachholt und den Master in Bibliothekswissenschaft erlangt. Zusammen mit August zieht sie nach Montana, um dort eine Stelle anzutreten.

Wieder pendelt August zwischen seinen Eltern hin und her. Die Ferien verbringt er beim Vater in Michigan, seinen Lebensmittelpunkt hat er jetzt aber bei seiner Mutter in Montana. Doch irgendwann verlässt er auch das mütterliche Nest und begibt sich auf die Suche nach seinem eigenen Weg.

August ist ein langsamer, eher wortkarger Typ, den ich August "Ganz ok" getauft habe, da das die Worte sind, die er am häufigsten verwendet, wenn ihn jemand fragt, wie es ihm geht. Er macht (fast) alles mit, entwickelt aber schließlich doch noch die Fähigkeit zwischen "richtig" und "falsch" zu unterscheiden und macht sich seine eigenen Gedanken über seine Eltern, die Frauen und das, was man ihm alles zuträgt. Während einem die Männer im Big Sky Country zwar nicht unbedingt ans Herz wachsen, gelingt es dem Autor dennoch, einen ganz bestimmten Menschenschlag glaubhaft zum Leben zu erwecken.

Das Buch ist gut geschrieben und obwohl ich eine ganze Weile gebraucht habe, mit den Charakteren einigermaßen warm zu werden, war ich ein bisschen traurig, als die Geschichte schließlich zu Ende war. Warum? Das bleibt wohl das Geheimnis des Erzählers Callan Wink ...

Bewertung vom 30.03.2021
Das Flüstern der Bienen
Segovia, Sofía

Das Flüstern der Bienen


ausgezeichnet

Es gibt Bücher, die haben ein tolles Cover, aber einen enttäuschenden Inhalt. Dann gibt es noch solche, bei denen es sich genau umgekehrt verhält. Dass mich Geschichte UND Cover ansprechen ist eher selten, aber in diesem Fall zu 100% geglückt.

Sofía Segovia ist eine wirklich große Geschichtenerzählerin. Man durchlebt mit ihren Figuren nicht nur die Spanische Grippe, das Dorfleben von Linares, einem Ort im Nordosten Mexikos oder das Leben auf dem Landgut der Familie Morales, man lernt darüber hinaus lauter skurrile Charaktere kennen wie etwa Nana Reja, die alte Amme, die mit ihrer dunklen Brust schon ganze Generationen von Morales-Säuglingen gestillt hat oder Simonopio, das Findelkind mit dem entstellten Gesicht, der sich mit den Bienen, die ihn stets umschwirren, verständigen kann, Anselmo Espiricueta, den Erntehelfer, Pächter und "Kojoten", der dem Kind als "Teufelsbalg" zeitlebens nach dem Leben trachtet und natürlich die Familienmitglieder der Familie Morales: den Gutsbesitzer Francisco Morales, seine Frau Beatriz, ihre zwei Töchter und den spätgeborenen Sohn Francisco, der die Geschichte - bereits selbst alt und grau geworden - einem Taxifahrer auf dem Weg von Monterrey in sein Heimatdorf Linares erzählt.

Zwar kann man sich mit dem Buch in eine andere Zeit und in ein anderes Land träumen, aber mit dem Auftreten der Spanischen Grippe fühlt man sich sofort an die heutige Corona-Pandemie erinnert. Schon damals galt die komplette Isolation als bester Schutz gegen Ansteckung und Tod.

Mir hat das Buch mit seiner ungewöhnlichen Geschichte sehr gut gefallen. Es macht Lust darauf, wieder mehr lateinamerikanische Literatur zu lesen.

Für mich definitiv ein Lesehighlight!