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ein.lesewesen
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Insgesamt 117 Bewertungen
Bewertung vom 26.04.2024
Waldeck
Heimbach, Jürgen

Waldeck


ausgezeichnet

1964, der Journalist Ferdinand Broich ist bei seiner letzten Story falschen Informationen aufgelaufen und braucht nun dringen einen neuen Job, um seine Reputation wieder herzustellen. Sein Spezialgebiet – das Aufspüren von ehemaligen Kriegsverbrechern, die, meist unter einer falschen Identität, nach wie vor unbehelligt in Amt und Würde sind. Da kommt ihm der Anruf einer Überlebenden des Holocausts gerade recht, die in München einen ehemaligen Zahnarzt aus dem Lager Majdanek wiedererkannt haben will. Doch bei Broichs Eintreffen ist die alte Dame bereits verstorben. Zufall?
Silvia will sich nicht ihrem Vater beugen, der ihr verbietet, Kunst zu studieren, sie stattdessen mit einem wohlhabenden Juristen verheiraten will. Außerdem hat sie herausgefunden, dass ihr Vater ein schreckliches Geheimnis verbirgt. Wenige Tage bevor sie großjährig wird, überschlagen sich die Ereignisse, und sie muss früher fliehen als geplant. Ihr Ziel ist das Waldeck-Festival, wo sie sich mit einem jungen Mann treffen will.
Währenddessen versucht Mine auf einem Dorf im Hunsrück, ihre ungeplante Schwangerschaft vor ihrer Familie zu verheimlichen. Auch sie soll einen Mann heiraten, den sie nicht liebt. Sollte sie sich weigern, bliebe ihr nur eine Zukunft als bessere Magd auf dem elterlichen Hof, unter der Knute ihres strengen Großvaters, eines glühenden Hitleranhängers, bei dem alle in Schweigen versinken, wenn er an der sonntäglichen Kaffeetafel ins Schwadronieren über die guten alten Zeiten vor 45 gerät.

Heimbach erzählt in seinem multiperspektivischen (Kriminal)Roman von einem Generationenkonflikt, der exemplarisch für die 60er Jahre ist. Obwohl die eigentliche Handlung nur acht Tage umfasst, gelingt ihm ein außerordentlich stimmungsvolles Bild, das den Zeitgeist eines Aufbegehrens perfekt widerspiegelt. Eine Jugend, die sich gegen den Mief ihrer Elterngeneration auflehnt, was sich im Besonderen in der Musik niederschlägt.

Heimbach wählt dafür das erste Festival auf der Burgruine Waldeck als Kulisse, aus dem sich eine neue Kultur, die der Liedermacher entwickelte, wie z.B. Hannes Wader oder Katja Ebstein. Die jungen Menschen, die sich dort versammeln und über neue Ideale diskutieren, sind als Gammler und Kommunisten den Vorgenerationen ein Dorn im Auge. Die, die eine neue linke Gefahr und sich in ihren Werten bedroht sehen. Was für eine erschütternde Parallele zur heutigen Zeit!

»Aber ich fürchte, … dass die Ideen der Nazis weiterleben, dass Zeiten kommen werden, in denen vergessen sein wird, was passiert ist, in denen man es wahrscheinlich sogar als lästig ansieht, dass immer wieder aufs Neue an die Gräueltaten der Nazis erinnert wird. Ein Vogelschiss in der Geschichte, werden sie sagen, sei das gewesen.« S.147

Gleichzeitig möchten die Alten über die Kriegsjahre und die damit begangenen Verbrechen den Mantel des Schweigens ausbreiten, nach dem Motto: Jetzt muss aber auch mal gut sein. Und das in dem Wissen, dass nicht wenige der Täter unbehelligt unter ihnen leben. Auch in angesehener Stellung, wie im Roman der Zahnarzt Fischer. Ihm zur Seite stellt Heimbach den pensionierten BND-Mann Winter, einen Mann fürs Grobe, der hinter Fischer aufräumt. Denn durch die 1963 begonnenen Auschwitz-Prozesse in Frankfurt werden manche von ihnen äußerst nervös.

Mit Mine und Silvia zeichnet der Autor zwei sehr authentische Frauenfiguren, die es satthaben, nach den alten Vorstellungen ihrer Väter zu leben, die sich nach Unabhängigkeit und Selbstbestimmung sehnen und voller Zuversicht und Glauben an sich selbst die ersten Schritte in ein freies Leben gehen.

Ein Buch, das mir einiges an Geschichte vermittelt hat, bin ich doch später und auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs aufgewachsen. Die Sehnsucht einer neuen Generation, Gerechtigkeit walten zu lassen, die Vergangenheit aufzuarbeiten und den Opfern Wiedergutmachung zukommen zu lassen.
Denn auch heute redet man nicht gern davon, wie viele Nazis sich in Wirtschaft, Justiz und Politik nie zur Verantwortung gezogen wurden und gesellschaftliches Ansehen genießen konnten.

Bewertung vom 20.04.2024
Bevor wir sterben, tanzen wir
Khumalo, Fred

Bevor wir sterben, tanzen wir


sehr gut

Paris 1958. Wenn man die ersten Seiten liest, könnte man fast einen Krimi vermuten, denn wir erleben live, wie der Kellner Jean-Jacques Henri zwei Gäste tötet. Doch war es wirklich Mord? Der Journalist Thierry trifft bei seiner Recherche auf einen Freund Jean-Jacques’, der uns eine Geschichte erzählt, die bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in Südafrika zurückreicht.
Sie bildet gleichzeitig die Rahmenhandlung um den historisch belegten Untergang der SS Mendi, einem Truppentransportschiff, auf dem sich über 800 südafrikanische Rekruten für die britische Armee befanden. Jean-Jacques ist einer der wenigen Überlebenden und nicht der, den alle in Paris zu kennen glauben. Sein eigentlicher Name ist Pitso Motaung, Sohn eines weißen Afrikaners und einer Schwarzen Mutter. Nachdem sein Vater früh aus der Familie verschwunden war und seine Mutter starb, wächst Pitso als Coloured in einer Mission auf, ist künstlerisch und sprachbegabt und seht sich danach zu reisen.
Als Pitso erwachsen wird, wird ihm mehr und mehr bewusst, dass seine Identität davon bestimmt wird, wie andere ihn sehen. Obwohl er sich zum Bataung-Stamm seiner Mutter zugehörig fühlt, muss er sowohl von Schwarzen als auch Weißen rassistische Erfahrungen durchleben, die ihn lebenslang in eine Identitätskrise stürzen. Denn wie wir eingangs lesen, gibt er sich aufgrund seiner sehr hellen Hautfarbe als Algerier aus. Als die Briten 1917 aus allen südafrikanischen Landesteilen unter fadenscheinigen Versprechungen Männer als Soldaten für den 1. Weltkrieg rekrutieren, sieht Pitso seine Chance, und besteigt die SS Mendi nach Frankreich.

Dieses Buch ist wirklich eine rasante, spannende und lehrreiche Lektüre für mich gewesen und liest sich streckenweise wie ein Krimi, der immer wieder Tempo aufnimmt.
Wie Khumalo im Nachwort schreibt, hat ihn das Unglück der SS Mendi seit seiner Kindheit beschäftigt. Ihm war es wichtig, den Menschen auf dem Schiff ein Gesicht zu geben, was ihm überzeugend gelungen ist. Es zog damals einen langen Gerichtsprozess nach sich und in der Presse war sogar die Rede von der »Black Titanic«. Und dennoch wurde es vergessen.

Neben dem fiktiven Soldaten Pitso lernen wir einige Nebendarsteller kennen, die Khumalo mit samt deren ethnischer Herkunft sehr lebendig agieren lässt. Um die Authentizität zu unterstreichen, bedient er sich oft Ausdrücken verschiedener Sprachen wie Zulu oder Sesotho, zeigt typische Lebensweisen und die rassistischen Spannungen sowohl im damaligen Südafrika als auch in Europa.

Khumalo macht einen wichtigen Aspekt des 1. Weltkriegs wieder sichtbar. Nicht nur Großbritannien hat in seinen Kolonien Menschen unter falschen Versprechen rekrutiert, nach Europa verschifft und gegen Deutschland eingesetzt. Damit wird Khumalos historischer Roman auch ein Lehrstück für die Gegenwart. Es erinnert an den Einsatz von Menschen aus den damaligen Kolonien, die einen Krieg kämpften, der nicht ihrer war, Menschen denen u.a. Land und das Wahlrecht in ihrer Heimat versprochen wurde, aber nichts davon erhielten. Es sind die Vorfahren vieler heute in Europa lebender Afrikaner, Inder und Maghrebiner. Historisch belegte Details sind fast fließend in die Geschichte eingebunden und machen die Tragödie sehr anschaulich. Von den 823 südafrikanischen Männern an Bord ertranken mehr als 600 bei dieser Kollision. Auch dass einige Männer kurz vor dem Untergang getanzt haben, ist von Zeugen ausgesagt worden.

»Mit seiner donnernden Predigerstimme rief Reverend Dyobha: „Seid ruhig und gefasst, meine Landsleute, denn nun geschieht das, wozu ihr hergekommen seid … Ihr werdet sterben … Brüder wir tanzen den Tanz des Todes.„« S.206

Ein wichtiger Roman, der sich zu lesen lohnt, den ich allen empfehle, die sich für die europäisch-afrikanische Geschichte, die Spuren der Kolonisation und die afrikanische Kultur interessieren.

Bewertung vom 16.04.2024
Die Stadt der Anderen
Melo, Patricia

Die Stadt der Anderen


ausgezeichnet

São Paulo, schillernde Millionenmetropole, Kultur- und Wirtschaftszentrum und beliebtes Reiseziel Brasiliens ist Melos Geburtsstadt. Doch sie zeigt uns die andere Seite, »die Stadt der Anderen«, die der Obdachlosen, Prostituierten, Gelegenheitsdiebe, Müllsammler, Straßenhändler, Bettler und Drogensüchtigen. Menschen, die oft von heute auf morgen ihren Job, ihre Wohnung verloren haben und nun auf der Praça da Matriz auf Pappen in Hauseingängen schlafen, auf Parkbänken oder unterbehelfsmäßigen Planen und ums tägliche Überleben kämpfen.

Chacoy, der auf der Suche nach einem besseren Leben aus Venezuela eingewandert ist, muss sie jeden Morgen mit dem Wasserschlauch vertreiben. Durch eine Unachtsamkeit verliert er seinen Job und wird Teil dieser bunten Gemeinschaft. Dido mit seinem Hundewelpen, der vor dem gewalttätigen Stiefvater geflohen ist, die schwangere 15-jährige Jèssica, die ihr Geld mit Putzen verdient, Chilves, der mit Müll Geld macht, im Gefängnis landet und bekehrt wird. Und da ist Douglas, der Totengräber, der während der Coronapandemie täglich mehr Gräber ausheben muss, und seinen Glauben an Gott verliert.
Es sind einige Figuren, die wir durch ihr tägliches Elend begleiten, die Melo mit der Zeit lose verknüpft. Es braucht eine Weile, bis man sich im Großstadtdschungel São Paulos zurechtfindet. Aber desto mehr man von den einzelnen Schicksalen erfährt, umso sogartiger entwickelt sich die kaleidoskopartige Geschichte. In wechselnden Perspektiven erleben wir, wie unterschiedlich die Schicksale der Gestrandeten sind, wie schnell man von heute auf morgen auf der Straße landen kann, seine Arbeit, sein Dach über dem Kopf, seinen ganzen Besitz verlieren kann. Sie alle sind einem korrupten Polizeiapparat ausgeliefert, der vor Selbstjustiz und Mord nicht zurückschreckt, sie verschwinden ohne Anklage in Gefängnissen oder in kirchlichen Einrichtungen, die mit zweifelhaften Methoden von Umerziehungs- oder Irrenanstalten arbeiten und dafür Geld von der Regierung erhalten.

Zwischen all der Aussichtslosigkeit blitzt immer wieder ein Funken Hoffnung, Menschlichkeit und gegenseitiger Hilfsbereitschaft durch. Auch wenn man ihnen alles genommen hat, sie träumen noch immer von einem besseren Leben. Und das ist auch die Stärke des Romans, denn Melos Figuren wachsen einem mit der Zeit sehr ans Herz. Man ist so mittendrin, dass man sich wünscht, ihr kleiner Traum vom Glück möge in Erfüllung gehen. Doch Melo zerstört auch diese Wünsche, das Sterben auf der Straße ist allgegenwärtig.

Melo benennt weder Details der Pandemie noch die fatale Politik des rechten Präsidenten Bolsonaros, dennoch wird schnell deutlich, welche Folgen dies für das Land hatte, die besonders für die Armen exorbitant waren. Wer in Brasilien keine Adresse hat, kann sich auch nicht für Sozialhilfe registrieren lassen. Einmal auf der Straße angekommen gibt es nahezu keinen Weg zurück.
Melo lässt es uns hautnah spüren, wie unerwünscht diese Menschen sind, die das Stadtbild verschandeln, den Einzelhändlern ein Dorn im Auge sind und wie perfide die erdachten Gegenmaßnahmen, um sie loszuwerden. Das ist stellenweise nur schwer zu ertragen, schmerzt fast körperlich, da es trotz aller Fiktion sehr realitätsnah wirkt. Und doch liest sich der Roman flüssig und schnell, die Kapitel aus den einzelnen Perspektiven sind kurz und die Zeitsprünge (oft über Monate hinweg) verdichten die Ereignisse. Besonders beeindruckt haben mich ihre stilistischen Kniffe, der immer wiederkehrenden Aufzählungen, die zeigen, dass sich hinter der oft von uns als graue Masse wahrgenommenen Obdachlosen eine Vielzahl von Schicksalen, von Sehnsüchten, von individuellen Geschichten verbirgt. Melo gibt diesen unerwünschten, ungesehenen, vergessenen Menschen in ihrer Heimat eine Stimme. Es ist ein Roman, den ich so schnell nicht vergessen werde, der mich zutiefst berührt hat und der eine unbedingte Leseempfehlung von mir bekommt.

Bewertung vom 07.04.2024
Trophäe
Schoeters, Gaea

Trophäe


ausgezeichnet

Hunter White, (einige Name sind hier Programm), ein reicher weißer Amerikaner, der sein Geld mit Finanzblasen verdient, findet Befriedigung im Töten, aus Trophäen macht er sich nichts, die legt er seiner Frau vors Bett. Er hat eine Unsumme gezahlt, um das letzte Tier seiner Big-Five-Sammlung zu jagen, ein Spitzmaulnashorn. Doch diesmal wird ihm die Beute von Wilderen vor der Nase weggeschnappt. Hunter fühlt sich betrogen um sein Recht. Van Heeren (niederl. Herren), sein Jagdveranstalter, macht ihm ein unmoralisches Angebot; nur wenige bekommen die Chance, die Big Six zu jagen. Und dieses Raubtier ist klüger und gefährlicher als jedes andere und kann nun zu seiner Beute werden. Ist der Mensch nicht das größte Raubtier auf Erden? Warum also nicht auch ihn jagen? Hunters anfängliche Skepsis wandelt sich in seinem kranken Hirn bald in einen Jagdinstinkt und er versinkt in einem Rausch aus Jagdfieber, Wassermangel und Hitze.

Dieses Buch ist eine Herausforderung, es ist brutal, schonungslos, provozierend. Ich will nicht weiterlesen, muss aber hinschauen. Immer wieder lege ich es weg und denke: STOP! Doch Hunter hat mich längst im Visier, meine Vorstellung von Moral, Ethik, der Jagd. Ich schwanke, ich zweifle. Was ist nun richtig, was falsch? Schoeters nimmt sich Zeit, um sich in mein Hirn zu schleichen. Okay, ich habe es längst verstanden: Ich bin hier die Beute. Umzingelt von den Geräuschen der Savanne, ausgesetzt in der Gluthitze des afrikanischen Kontinents, der unter der postkolonialen Ausbeutung ächzt und schnaubt wie ein weidwundes Nashorn. Ich bin ein Teil der westlichen Welt mit ihrer Doppelmoral, ihrem Anspruchsdenken, ihrer angeblichen Überlegenheit.

»Ethik, hat Hunter gelernt, hat überall auf der Welt die gleiche Farbe: die des Dollars.« S.30

Die Dilemmata der afrikanischen Bevölkerung sickern wie heißer Sand in den Kopf, es reibt und drückt und wird immer unbequemer.

»Nur dank der sündhaft teuren Jagdlizenzen kann in Ländern wie diesem der Artenschutz gefördert werden, denn nur das, was von wirtschaftlichem Wert ist, ist es wert, geschützt zu werden. Hier, in Afrika, scheren Löwe Cecil und seine Artgenossen die Leute einen feuchten Kehricht. Trügen sie kein Preisschild, würden sie die molligen Kätzchen einfach abknallen: für den Export oder den Kochtopf.« S.29

Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal ein so dicht und intensiv erzähltes Buch gelesen habe. Man kann es nicht einfach nur lesen, man muss es durchleben, aushalten, ist angewidert, verstört. Ihre detailreichen Naturschilderungen, auch dank der exzellenten Übersetzung von Lisa Mensing, lassen uns sogartig verschmelzen mit dem wundervollen Kontinent und seiner prächtigen Tierwelt; Bilder, wie sie bisher nur Hemingway in meinen Kopf gesetzt hat. Wie fehl am Platz sich da doch weiße Männer wie Hunter White und Van Heeren anfühlen, die hier wie durch ihren Vorgarten latschen, aus dem sie sich nach eigenem Belieben bedienen dürfen.

Am Ende setzt Schoeters einen sauberen Schuss. Ich fühle mich endlich befreit vom Rausch der letzten Seiten, kann das Buch aber nicht von mir abschütteln, denke noch lange drüber nach, bin wütend. Es hat eine offene Wunde in mir hinterlassen, aus der unablässig Fragen tröpfeln. Ich ringe nach Luft und Worten und höre noch die Hyänen kichern und geifern.

»Trophäe« ist ein atemberaubender Roman mit der Treffsicherheit eines Großkalibers. Dimitri Verhulst bringt es auf den Punkt – "ein ethischer Mindfuck". Definitiv ist es jetzt schon mein Jahreshighlight.

Bewertung vom 06.04.2024
Caffè sospeso
Sthers, Amanda

Caffè sospeso


sehr gut

Zufallsbegegnungen

Wenn es Orte gibt, in denen man das italienische Lebensgefühl hautnah spüren kann, dann sind das die Bars. Dort, wo die Italiener ihren Caffè meist im Stehen trinken, dazu ein köstliches Cornetto genießen und schon im nächsten Augenblick wieder verschwunden sind. Oder man bleibt stundenlang hocken und redet über Gott und die Welt – und Fußball natürlich.
Die Bar Nube ist ein solcher Ort in Neapel, wo unser französischer Protagonist Jacques Madelin gestrandet ist, als er von seiner großen Liebe enttäuscht wurde. Seitdem sitzt er jeden Tag dort, zeichnet Karikaturen, die ihm seinen bescheidenen Lebensunterhalt finanzieren, beobachtet die Menschen und schließt Freundschaften. Und er lernt eine neapolitanische Tradition zu schätzen, nämlich einen Kaffee mit jemanden zu teilen, den man nicht kennt, einen Caffè Sospeso. Man trinkt einen Kaffee und zahlt einen zweiten für einen Menschen, der sich aus welchen Gründen auch immer keinen leisten kann. Eine schöne Tradition, eine Geste der Gastfreundschaft, seine Freude mit anderen zu teilen.
Jacque erzählt uns in 7 Geschichten die Begegnung mit Menschen, die das Leben in die Bar Nube spült, oder auch die Liebe, denn das ist das zentrale verbindende Element aller Geschichten. Ob es nun der chinesische Arzt Chen ist, der vor einer Liebe aus seinem Land flieht und sein Rückenleiden nicht loswird, oder Fernanda, die ihre Familie retten will, nachdem ihr Mann sich in eine andere verliebt hat, oder Lucie, die Ferdi vor der Mafia rettet und sich in ihn verliebt. Am Ende wird ein Caffè Sospeso ihrer aller Leben verändern.

Es sind Geschichten voller Menschlichkeit, berührend und zärtlich, auch wenn mir einige mehr im Gedächtnis bleiben werden als andere. Ein Buch, das man nicht unbedingt am Stück lesen sollte, da die Geschichten noch eine Weile nachhallen, so wie einem ein guter Kaffee noch lange auf der Zunge liegt.

Bewertung vom 02.04.2024
Die Dämmerung / Art Mayer-Serie Bd.2
Raabe, Marc

Die Dämmerung / Art Mayer-Serie Bd.2


ausgezeichnet

Absolut filmreif!

Wer kennt es nicht, da wartet man ein Jahr sehnsüchtig auf die Fortsetzung vom Lieblingsautor und dann inhaliert man das 500-Seiten-Buch innerhalb weniger Stunden. Ups.

Art Mayer und seine hochschwangere Kollegin Nele Tschaikowski werden zu einem schaurigen Tatort gerufen. Ein Wesen, halb Mensch, halb Tier mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf, die Augen nur noch blutige dunkle Höhlen. Alles sieht so bizarr aus, dass es fast logisch scheint, dass man der Anruferin in der Notrufzentrale keinen Glauben schenkte. Bei der Toten handelt es sich um Deutschlands beliebte Charity-Lady Charlotte Tempel, der in Kürze der Hirsch, ein Medienpreis, verliehen werden sollte. Doch ihre Tochter Leo, eine rebellische Klimaaktivistin, hat keine so hohe Meinung von ihrer Mutter. Obwohl sie schnell ins Fadenkreuz der Ermittlungen gerät, zweifelt Art an ihrer Schuld. Aber dann taucht eine zweite Leiche auf und ein ominöses Tonband.

Raabe ist für mich einer der besten deutschen Thrillerautoren, der mich seit der Tom-Babylon-Reihe immer wieder mit seinen ausgefeilten Figuren und seinem filmreifen Erzählstil begeistert. Auch sind seine Bücher immer nah am aktuellen Zeitgeschehen dran, taucht diesmal doch ein Deepfake des Polizeipräsidenten bei einer nie stattgefundenen Pressekonferenz auf. Oder die Umweltaktivisten, die als Terroristen pauschalisiert werden.
Art ist einfach ein cooler, wenn auch bisschen kaputter Typ, den man einfach mögen muss. Er hat ein großes Herz, gerade wenn es um seine 7-jährige Nachbarin Milla geht, er übertritt aber auch mal die Grenzen, wenn es der Gerechtigkeit dient.

Apropos Milla, die Lütte ist für mich jetzt schon der eigentliche Star der Reihe und sorgte wieder für ein einige Schmunzler.
Und natürlich rücken der Bundeskanzel und seine Frau Julie, mit der Art ein Verhältnis hat, wieder ins Zentrum des Geschehens. Das scheint auch der rote Faden der Reihe zu sein, weshalb ich empfehle, zuerst den Vorgänger zu lesen.
Besonders bewegend und gelungen fand ich diesmal die Perspektive aus der Vergangenheit, der wir ausschließlich durch eine Tonbandaufzeichnung folgen. Aber das müsst ihr schon selbst lesen, wirklich ein berührendes Thema, das sehr viel Spannung parat hält. Ich habe lange gerätselt, wohin uns Raabe da führen will, aber hey, damit habe ich echt nicht gerechnet. Das kann ja heiter werden in Band 3, aber auf den muss ich jetzt wieder ein Jahr warten. Ach menno.

Unterm Strich wieder ein Highlight für mich, dass ich allen an Herz lege, die einen fundierten, hochspannenden, aktuellen Thriller lesen wollen. Garantiert ohne Längen, dafür mit Charakteren zum Anfassen.

Bewertung vom 28.03.2024
Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2
Giordano, Mario

Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2


ausgezeichnet

Unglaublich gut erzählte Fortsetzung

Was gibt es einer rundherum guten Story, die ich total geliebt habe, noch hinzuzufügen? Nun ja, eine zweite Perspektive, und genau das hat Mario Giordano getan – er hat, inspiriert von seiner eigenen deutsch-italienischen Familiengeschichte, nun die Frauen der Carbonaros zu Wort kommen lassen.
Um nicht zu spoilern, möchte ich gar nicht zu viel vom Inhalt verraten. Es geht im 1. Teil »Terra di Sicilia« um Barnaba Carbonaro, einem armen Tagelöhner, der zwar nicht schreiben aber wie kein Zweiter Kopfrechnen konnte, und zu einem erfolgreichen Zitrushändler am Münchner Großmarkt wird.
Ab Ende des 19. Jahrhunderts begleiten wir nun Pina, Barnabas Frau, die uns von einer teils wirklich grausamen Kindheit erzählt. Ein ganzes Volk hätte sie am liebsten gegründet und tatsächlich 23 Kinder geboren, von denen 6 überlebten. Sie ist eine willensstarke Frau, die entschlossen für ihre Ziele kämpft und auch um ihre Macht in der Familie.

»Männer verbringen ihr ganzes Leben damit, zu hadern, wer sie sind. Sie bekämpfen Windmühlen und halten sich für Ritter. Wir Frauen sind die Sancho Panzas dieser Welt. Die den Laden am Laufen halten und das Gleichgewicht herstellen, immer und immer wieder.« S.436

Ihre Tochter Anna hingegen hat Träume und möchte singen und wird wie viele Italiener*innen in den 1930ern nach Deutschland gehen, um ein kleines Stück Glück zu finden. Ihre rebellische Tochter Maria, die bereits in München aufwächst, kennt Sizilien nur noch aus ihrer Erinnerung, doch auch sie trägt, wie alle Frauen der Familie, das Erbe ihrer Vorfahrinnen in sich, die als Sirenen die Geschicke der Männer lenkten.

Die weibliche Perspektive hat so manches tatsächlich in ein anderes Licht gerückt und gezeigt, wie wichtig die Frauen sind, wenn es darum geht, Entscheidungen in der Familie zu treffen. Immer finden sie einen Weg, ihre Ziele und Träume zu verfolgen, denn sie wissen um ihre Macht und lassen sich nicht entmutigen auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Das alles setzt Giordano immer wieder mit den jeweiligen historischen Ereignissen authentisch in Verbindung. Kein einfaches Jahrhundert, das sowohl Leid und Verlust sowie Glück und Chancen für die Frauen parat hält.
Eine großartige Geschichte über Liebe und Eifersucht, Erfolge und Niederlagen, Aberglauben und Träume und voller sizilianischen Temperaments. Aber auch über das Fremdsein in Deutschland und die Sehnsucht nach der Heimat. Von Geistern, die sich nicht vertreiben lassen und dem »zweiten Schatten«, der die Frauen zu etwas Besonderem macht.
Ja, Giordano hat mich mit seiner zweiten Geschichte wieder absolut begeistert, mit der Atmosphäre, seinem Humor und seinem intensiven Erzählstil, der mich mit Leichtigkeit durchs Buch getragen hat. Ich habe mit ihnen gelitten, gelacht und geliebt.

»Wir waren die Frauen der Familie Carbonaro. Unsere Gespräche plätscherten wie ein schläfriges Meer an die Mole. Wenn es Tag wurde, würden wir wieder zwei Schatten werfen, aber wir fragten nicht mehr, wer wir sind. Wir sind das, was man von uns erzählt.« S.503

Bewertung vom 25.03.2024
Allmen und Herr Weynfeldt / Johann Friedrich Allmen Bd.7
Suter, Martin

Allmen und Herr Weynfeldt / Johann Friedrich Allmen Bd.7


ausgezeichnet

Für Kenner und Liebhaber ein Genuss
Kunstdetektiv Johann Friedrich von Allmen muss mal wieder eine unterfinanzierte Phase überbrücken, denn seiner Firma »Allmen International Inquiries« fehlt es vor allem an Aufträgen. Doch als Lebemann und Privatier ist es wichtig, in gewissen Kreisen gesehen zu werden, weshalb er seine Zeit gern in Bars verbringt. Das Millionenerbe des Vaters hat längst durchgebracht und hätte er nicht sein Faktotum Carlos, der ihm ab und zu Geld vorschießt, könnte Allmen sich seinen Lebensstil samt großzügigen Trinkgeldern bei seinen vertrösteten Gläubigern gar nicht leisten.
Im 7. Band trifft Allmen den Kunstexperten Adrian Weynfeldt, der Suter-Fans kein Unbekannter ist. Es entspinnt sich eine sehr eigenwillige Freundschaft zwischen den beiden. Als Weynfeldt kurz darauf feststellt, dass ihm eins seiner Lieblingsbilder gestohlen wurde, ist das Allmens Chance, wieder zu Geld zu kommen. Natürlich muss er bei seinen Ermittlungen äußerst diskret vorgehen, was man als Leser auch mal schnell als geschickt getarnte Ahnungslosigkeit entlarven kann. Aber wie findet man etwas, von dem niemand wissen darf, dass es vermisst wird?
Weynfelds Freunde, die selbstverständlich vollkommen integer sind, halten sich bedeckt. Lediglich die Kunstbuchhändlerin Karin scheint reden zu wollen. Doch Allmen kommt zu spät und findet sich unversehens in seinem ersten Mordfall wieder.

Ich liebe Suters Blick hinter die Fassade der Reichen und Schönen. Und damit sind jetzt nicht die gemeint, die das mit allzu bekannten Initialen auf Sonnenbrillen und Taschen öffentlich zur Schau stellen. Es sind die kleinen, subtilen Momente, die Suter aufdeckt, wenn zum Beispiel Weynfeldt in der Bar nur die Olive genießt, den Drink aber nicht anrührt. Dinge, die auch Allmen sich abschaut. Denn wie wir ja wissen, stammt er aus einer bäuerlichen Familie ab, auch wenn er lieber von den Ländereien seines Vaters spricht als von Feldern.

Was wäre Allmen nur ohne seine Entourage – Carlos und Maria sorgen im Hintergrund dafür, dass Allmens Fassade keine Kratzer bekommt und er seine Kreditwürdigkeit behält. Für alle, die den kultivierten, dauerbankrotten Hochstapler und Kunstkenner noch nicht kennen: es geht hier weder um Spannung, noch erwartet uns eine Detektivgeschichte. Allmen ist weder besonders clever noch besitzt er überhaupt ein detektivisches Gespür. Und Arbeit jeglicher Art lehnt er kategorisch ab. Ein Müßiggänger, der seine Marotten pflegt.
Es ist Suters geschärfter Blick in die Welt der Schweizer Oberschicht, den er auch in der »Business Class« unter Beweis gestellt hat. Vielleicht ist es genau dieser Voyeurismus gepaart mit Suters Tonart und der pointierten Kurzweiligkeit, was mich in der Allmen-Reihe immer wieder begeistert, mir ein Dauerschmunzeln entlockt. Und nicht zuletzt Suters dezenter Humor, den ich auch in seinen Romanen so mag. Wie Schweizer Schokolade – ein kurzer, delikater Genuss.

Bewertung vom 20.03.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


gut

Zeit, Zeitreisen und totale Überwachung

Vor der 16-jährigen, schüchternen Odile liegen große Veränderungen, sie muss sich im letzten Schuljahr für einen Beruf entscheiden. Auf den ersten Blick gleicht Odiles Welt unserer, doch das Tal, in dem sie lebt, gibt es hinter den Bergen im Osten und Westen noch ein Mal, nur leben dort die gleichen Menschen 20 Jahre in der Vergangenheit oder in der Zukunft.
Odiles Welt gerät an dem Tag durcheinander, als sie in den maskierten Besuchern aus einem anderen Tal die Eltern ihres besten Freundes Edme erkennt, und nun weiß, dass ihm etwas zustoßen wird. Doch die Regeln sind kompliziert und streng in ihrer Welt und ziehen oft harte Strafen nach sich. Erst nach und nach lernt sie verstehen, was die Konsequenzen sind, denn auf den Wunsch ihrer Mutter hin, hat sie sich beim Conseil beworben, einer Art Gremium, das zum einen die Menschen überwacht, aber auch Anträge bearbeitet, wenn man Angehörige nach deren Tod noch einmal sehen möchte. Odiles Aussichten auf den Job sind gut. Was die Zukunft aber für sie wirklich bereit hält, erfahren wir im 2. Teil, 20 Jahre später.

Es ist ein interessantes Prämisse, der sich Howard in seinem Debüt widmet. Was wäre, wenn du in der Zukunft ein schlimmes Ereignis ungeschehen machen könntest? Würdest du es tun? Auch wenn du weißt, dass es verboten ist und weitreichende Veränderungen für alle nach sich zieht?
Immer wieder ein beliebtes Thema bei AutorInnen und Filmschaffenden. Und wahrscheinlich hat sich das auch jeder von uns schon mal gefragt. Mit seinen Gedankenspielen konnte er mich tatsächlich einfangen, sind es nicht zuletzt auch ethische und moralische Fragen, wenn man im Sinne einer Gemeinschaft handeln und entscheiden muss. Mich hat das Buch tatsächlich noch eine ganze Weile beschäftigt.

Aber unterm Strich fällt es mir schwer, das Buch eindeutig zu beurteilen. Bei Schreibstil, fand ich, war noch Luft nach oben, auch mit den Figuren konnte ich nicht so wirklich warm werden. Selbst Odile blieb mir als Ich-Erzählerin unnahbar. Zu Beginn des 2. Teils wurde es auch recht zäh, dass ich beinahe die Lust verloren hätte. Aber dafür konnte er mit einem schlüssigen und rasanten Ende punkten. Und auch wenn ich mich selten daran störe, so haben mich die fehlenden Anführungszeichen in den Dialogen diesmal beim Lesen erheblich beeinträchtigt.

Was aber sehr gelungen war und mich wesentlich mehr begeistert hat, ist die Darstellung einer Welt unter permanenter Überwachung. Eingeschränkte Entscheidungsmöglichkeiten, wenig Raum für Individualität und persönliche Freiheit; strenge Vorschriften, Bespitzelung und Manipulation. Nach dem Motto – sei Teil des Systems, dann hast du eine Chance, sonst bist du ein Fall fürs Abstellgleis. Fühlte sich für mich sehr nach DDR 2.0 an. Gerade im 2. Teil wurde die Atmosphäre bedrückend und trostlos.
Schlussendlich bleibe ich leider zwiegespalten zurück.

Bewertung vom 18.03.2024
Die Medici-Morde
Hewson, David

Die Medici-Morde


sehr gut

Ausgerechnet zu Carnevale zieht man eine Leiche im Dogenkostüm aus einem Kanal in Venedig. Wo doch Kommissarin Valentina Fabbri behauptet:
»Die einzigen Morde, die wir hier kennen, sind die in den lächerlichen, von Ausländern verfassten Krimis. Im realen Leben ist das undenkbar.« S.8
Bei dem Toten handelt es sich um Marmaduke Godolphin, einem bekannten, alten englischen Historiker, der in den letzten Jahren als populistischer Medienstar durchs Fernsehen tingelte, wobei er sich weniger der historischen Fakten bediente und eher eine Show abzog. Seinen zweifelhaften Ruhm nutzte er, um Frauen zum Sex zu nötigen und bei jeder Gelegenheit seine Freunde bloßzustellen und zu demütigen. Ein widerwärtiger Typ durch und durch.
Fabbri mangelt es nicht an Verdächtigen, allesamt Freunde und Familie Godolphins, doch sie möchte die Sache bis zum Abend erledigt haben. Dafür spannt sie Arnold Clover ein, einen pensionierten britischen Archivar, der seit kurzem in Venedig lebt. Gemeinsam mit seinem Freund Luca Volpetti wurden sie von Godolphin bezahlt, um zwei Dokumente im Nachlass eines Antiquars zu finden, von denen er behauptete, sie würden einschlagen wie eine Bombe – und natürlich seine inzwischen eingeschlafene TV-Karriere wieder ankurbeln. Der Inhalt ist tatsächlich schockierend, ausgerechnet einer der berühmtesten Renaissancekünstler soll in zwei Medici-Morde verwickelt sein. Muss man die Geschichte nun umschreiben? Clover, der knapp bei Kasse ist, nimmt den Auftrag an, bleibt aber skeptisch. Nun soll er der Kommissarin Bericht erstatten, was in den Tagen vor dem Mord vorgefallen ist.

Der Krimi ist eine gute Mischung zwischen Mystery und Whodunnit bei dem die Rätselfreunde sicher auf ihre Kosten kommen.

Hewson führt uns in seinem Krimi, der der Auftakt zu einer neuen Reihe ist, durch das winterliche Venedig zur Zeit des Carnevale. Gemeinsam mit dem Erzähler Clover durchstreifen wir zahllose Gassen, machen Halt in Bars abseits des Touristenrummels, genießen die italienische Küche und werfen einen Blick auf unzählige Kunstwerke. Das hat leider besonders in der Mitte zu einigen Längen geführt und war mir persönlich etwas zu viel. Aber das mag Geschmacksache sein.
Zweifellos spürt man Hewsons Liebe zu Venedig und dessen Geschichte, das hat er mir bereits letztes Jahr in »Garten der Engel« bewiesen. Und dass Venedig immer gut ist für Geheimnisse, wissen wir nicht erst seit Donna Leon. Hewson schafft es, historische Fakten mit Fiktion gut und spannend zu mischen, dass ich mich manchmal gefragt habe, was davon nun tatsächlich der Wahrheit entspricht.
Man mag sich hier aber bitte nicht an Dan Brown erinnert fühlen, denn dazu fehlte es hier trotz guter Recherche an einer tieferen Verbindung zu dem eigentlichen Mordfall, was ich etwas schade fand.
Gepunktet hat er bei mir vor allem mit den sympathischen und vielschichtigen Charakteren. Ich hatte durchaus Verständnis dafür, dass man einen Mann wie Godolphin am liebsten um die Ecke gebracht hätte.
Alles in allem ein solider, gut konstruierter Krimi für Rätselfreunde mit einigen guten Wendungen, einer Menge Fakten über Venedigs Geschichte und einem überraschenden Ende. Und die paar Längen halten mich nicht davon ab, mich auf den nächsten Fall und ein Wiedersehen mit Arnold Clover zu freuen.