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Traveimker
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Zwischen Paris und Moskau
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Spezialgebiet: Russland. Der post-sovjetische Raum, insbesondere Kaukasus und Sankt Petersburg

Bewertungen

Insgesamt 31 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2015
Freiheit statt Demokratie
Fasbender, Thomas

Freiheit statt Demokratie


ausgezeichnet

Es ist das erste Mal, dass ich hier ein Buch rezensiere. Den Grund dafür mag man dem folgendem Text entnehmen:

Seit einigen Jahren bereise ich Russland "auf eigene Faust" und habe für die umfangreichen Vorbereitungen in dieser Zeit tausende Seiten an spezifischer Literatur gewälzt.
Dieses Buch dürfte jedoch das Beste sein, was der Buchmarkt vor dem Hintergrund der aktuellen Krise in den Beziehungen zu Rußland zur Zeit hergibt.

Fasbender ist ausweislich ein Russland-Kenner. Einer der offensichtlich nicht nur seit vielen Jahren dort lebt, sondern einer, der sich mit der Kultur und Geschichte des russischen Vielvölkerstaates beschäftigt wie mit den Menschen selbst. Mit seinen umfangreichen historischen Kenntnissen beschreibt er Russland aus echten Lebenssachverhalten heraus und nicht umgekehrt. Er verstrickt sich dabei nicht in tiefsinnigen (langweiligen) politischen Erörterungen ohne praktische Einblicke sondern führt den Leser in 13 Kapiteln durch ein Russland, wie ich es an so einigen Stellen hautnah erleben konnte: Russische Seele, Ansichten der Menschen, Kirche, Kultur & Literatur, Küche, Bräuche und das riesige Land.

Fasbender beschreibt die beiden großen Tyrannen Russlands, Iwan den Schrecklichen und Stalin, genauso wie das gespaltene Verhältnis der Russen zu ihnen. Dabei stellt das Buch ganz und garnicht einen historischen Abriss dar. Vielmehr geht Fasbender durch die Gegenwart und beleuchtet die vorgefundenen Phänomene im Licht der Geschichte. Hierdurch wird der Leser mit vielen praktischen Tipps und Erläuterungen durch das heutige Russland geführt und auf künftige Begegnungen vorbereitet.

Wer von uns hat im Freudentaumel 1989 darüber nachgedacht, wie viele Millionen Russen extrem hart unter der in Russland während der Gorbatschow-Ära herrschenden Anarchie litten. Auf dem roten Platz wurde Menschen am helligten Tag erschossen ohne dass es eine Justiz gab. Die Staatsbeamten, Lehrer pp. bekamen monatelang keinen Lohnund litten mit ihren Familien Hunger. Ein Wunder, dass viele Russen heute Gorbatschow verachten und Putin respektieren ?
Wer weiß, dass die Ukraine seit Jahrzehnten gespalten ist zwischen ProRussen und ProWestlern. Dass im gesamten Süden der Ukraine die russische Sprache und Kultur vorherrscht ? Dass Russlands Entstehung vor über tausend Jahren in Kiew seinen Ursprung hatte. Die EU hätte wissen müssen, welche "Büchse" sie dort mit Ihrem Angebot aufmacht.

Churchill am 1.10.1939 im BBC:
"Ich kann Ihnen nicht vorhersagen, wie die Russen handeln werden. Russland ist ein Rätsel in einem Geheimnis, umhüllt von einem Mysterium; doch vielleicht gibt es einen Schlüssel. Dieser Schlüssel ist das russische nationale Interesse."

Am Ende dieses Buches hat der Leser viele Hüllen dieses Mysteriums erläutert bekommen. Wer Russland verstehen will kommt um dieses Buch nicht herum !
Nein, es sollte Pflichtlektüre für den gesamten Brüsseler Beamtenapparat werden. Eine ausreichende Beschäftigung Europas mit den Zuständen und Bedürfnissen unserer seit tausend Jahren währenden Nachbarschaft Osteuropa bildet den Grundstein für ein friedliches Miteinander diesseits des Atlantiks.

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