Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Bibliomarie

Bewertungen

Insgesamt 1032 Bewertungen
Bewertung vom 18.11.2019
Swinging Bells
Freund, René

Swinging Bells


ausgezeichnet

Der Klappentext klingt wie eine Screwball Komödie, sexy und schnell – aber es wäre nicht der Autor René Freund, wenn er es dabei beließe. Ganz allmählich und immer sehr unterhaltsam für den Leser, geht er den Persönlichkeiten auf den Grund. Wenn die tiefschürfendsten Gespräche eines Paares um die Vorzüge von Bio-Salat und Grammatikfehler geht, merkt man sehr schnell die Vermeidungsstrategie.

Schicht um Schicht fällt der Schutz, den sich das Paar geschaffen hat und allmählich müssen sie sich unangenehmen Wahrheiten stellen. Es geht natürlich um Sex, aber auch um Vertrauen, Liebe und geheime Sehnsüchte. Renè Freund beschreibt das alles sehr witzig und mit Augenzwinkern, aber auch mit tiefen Verständnis für die Wirrungen seiner Figuren. Er lässt dabei keinen Stein auf dem anderem und mit den Protagonisten setzt auch beim Leser ein Gedankenspiel ein.

Ich habe mich bestens unterhalten und doch auch sehr mit dem Paar Sandra und Thomas mitgefühlt. Das liegt sicher am – von einigen Lesern so genannten – René Freund Gen, das seine Bücher ausgezeichnet. Amüsant und liebenswert und immer mit dem Blick auf den Menschen.

Eine Weihnachtsgeschichte der anderen Art, aber ehrlich und passend zum Fest der Liebe.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.11.2019
Leas Spuren
Storks, Bettina

Leas Spuren


ausgezeichnet

Zu ihrer großen Überraschung erbt die deutsche Historikerin Marie Bergmann die Hälfte eine Pariser Eigentumswohnung. Der andere Erbe ist der Journalist Nicolas, der Enkel des verstorbenen Victor Blanc. Die Erbschaft ist an eine Bedingung geknüpft: sie sollen der Spur eines im Krieg verschollenen Aquarells des jüdischen Malers Jacob Stern ausfindig machen und das Bild den rechtmäßigen Erben überbringen.

Bald klärt sich die Verbindung Blancs zu Marie Bergmann, sie ist die Großnichte seiner großen Liebe Charlotte. Sie haben sich im besetzten Paris getroffen, als Charlotte Angestellte in der Deutschen Botschaft war. Eine große, schwierige Liebe in gefährlichen Zeiten.

Marie und Nicolas machen sich nach einigen Anfangsschwierigkeiten auf die Spurensuche und müssen sich unbequemen Wahrheiten und Untaten aus der Vergangenheit stellen.

Der zweite Handlungsstrang führt in die Vergangenheit und stellt Victor und Charlotte in den Mittelpunkt. Wie waren sie in die Beutekunst Raubzüge der Nazis involviert? Haben sie Schuld auf sich geladen, die Victor Blanc nun nach seinem Tod begleichen will?

Dieser Roman hat mich von der ersten Seite an mitgenommen und tief berührt. Bettin Storks ist eine Meisterin in der erzählenden Geschichtsschreibung. Sie beschreibt das historische Paris so lebendig, dass ich beim Lesen durch die Straßen gelaufen bin und in farbige Bilder vor Augen hatte. Das gelingt, weil die Autorin nicht nur akribisch recherchiert, auch ihre Liebe zu Frankreich und Paris spürt der Leser. Es hat mir gefallen, wie die historischen Ereignisse mit der erdachten Rahmenhandlung verbunden werden. Ich bin ganz tief in die Geschichte eingetaucht, habe mitgefiebert und gelitten. So nahe kommt mir selten ein Roman.

Es schien, als ob Victor Blanc zwei Generationen später noch einmal in den in Lauf der Geschichte eingreifen und Schicksal spielen möchte. Denn durch seinen Nachlass wird ein dunkles Kapitel beleuchtet und Marie muss das Schweigen ihrer Großmutter, Charlottes jüngerer Schwester, durchbrechen. Unwillkürlich stellte ich mir beim Lesen die Frage, was haben eigentlich deine Großeltern erzählt?

Besonders intensiv wird das Leseerlebnis durch die Verknüpfung von historisch belegten Figuren und Ereignissen aus der Zeit. Was in Geschichtsbüchern fern und anonym bleibt, wird von Bettina Storks durch ihren Erzählton ganz unmittelbar und persönlich. Wie immer gelingt es ihr dabei eine spannende Handlung mit stark gezeichneten Charakteren zu schaffen. Ihre Protagonisten sind lebensecht und sind deshalb dem Leser gleich nah und vertraut.

„Leas Spuren“ hat mir außerordentlich gefallen und ich kann ihn nur wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 12.11.2019
Winteraustern / Luc Verlain Bd.3 (eBook, ePUB)
Oetker, Alexander

Winteraustern / Luc Verlain Bd.3 (eBook, ePUB)


sehr gut

Was wäre Weihnachten und Silvester in Frankreich ohne Austern? Deshalb ist der kalte Dezember für die Züchter im Bassin d’Arcachon auch der heißeste Monat. Sie können der Nachfrage kaum Herr werden, wobei den größten Umsatz natürlich Chevalier macht. Ein Produzent, der nach und nach alles aufkaufte, was ihm in die Finger kam, für die kleineren Produzenten bleibt in der Regel der aufwendigere Marktverkauf.
In diesen Nächten fährt die Brigade nautique nächtliche Streifen im Bassin, die Zahl der Austerndiebstähle hat enorm zugenommen und Lieutenante Giroudin hat Luc Verlain und seinen todkranken Vater auf eine dieser Fahrten eingeladen. Es ist eine Geste für Alain Verlain, der selbst Austernzüchter war und nun im Pflegeheim lebt. Doch wird diese Fahrt kein Vergnügen, auf einer Sandbank wird ein Züchter gefunden, der niedergeschlagen wurde und vor der herannahenden Flut gerade noch die Rettung rufen konnte. Doch für zwei junge Austernfischer kommt die Hilfe zu spät, sie wurden niedergeschlagen, gefesselt und der Flut überlassen.
Alexander Oetker kann Stimmung und Atmosphäre, das beweisen seine drei Aquitaine-Krimis. Um den spannenden Plot, der wie immer sehr speziell mit Gegend verbunden ist, entwickelt sich ganz viel Frankreich-Feeling. Es geht um das gute Essen und die guten Weine, es geht um Leidenschaft für die typischen Landesprodukte – hier eben die berühmte Auster – und natürlich auch um die Liebe.
So ist Luc Verlain vor einiger Zeit aus Paris gekommen, ein richtiger Lebemann, der nichts anbrennen ließ, hat aber in Anouk, seiner Kollegin auch eine Partnerin gefunden, die ihm mehr bedeutet, als jede Freundin zuvor. Die Bindung mit seinem Vater ist wieder eng geworden, auch wenn nicht mehr viel Zeit bleibt, Versäumtes nachzuholen.
Man nimmt am rauen Geschäft der Fischer teil, erfährt von der harten Arbeit unter unwirtlichen Bedingungen, von Sehnsüchten und Hoffnungen und Enttäuschungen, wenn sich die Pläne nicht erfüllen. Das alles macht den Charme der Krimis von Alexander Oetker aus. Dazu kommt der gut ausgedachte Handlungsrahmen, der spannend angelegt ist und sich zum Finale noch mit einer richtigen Überraschung steigern kann. Der Krimi hat alle meine Erwartungen erfüllt, es war wieder eine Reminiszenz an Land und Leute und macht einfach Laune und nicht zuletzt Lust auf Frankreich.
Die Aquitaine-Krimis von Oetker müssen den Vergleich mit den Bretagne Krimis von Bannalec nicht scheuen.

Bewertung vom 12.11.2019
Feuersee
Scheurer, Thilo

Feuersee


ausgezeichnet

Spielende Kinder haben in einem Waldstück nahe Rottweil Skelettreste entdeckt, offensichtlich liegen die Überreste schon länger im Waldboden und Kommissar Treidlers Laune wird dadurch nicht besser. Da muss er durch den regennassen Wald gehen, sich seine Schuhe ruinieren und dann gibt es nicht mal Erkenntnisse. Wie zum Hohn muss er noch ein zweites Mal zur Fundstelle, denn es tauchten weitere Knochen auf, die nicht zum ersten Fund passen und dazu ein Metallstück, das zu einer Prothese gehört und nun ist plötzlich die Verbindung zu einem Altfall gegeben.

Damit kommen Sebastian Franck und seine Kollegin Franziska vom LKA ins Spiel. Sie arbeiten in einem Dezernat für ungeklärte Mordfälle und genau darauf weist die Prothese hin. Sie gehörte einem älteren Mann, der Opfer eines Raubüberfalls wurde und dessen zerstückelte Leiche nie komplett gefunden wurde.

Eine spannende Ausgangslage für einen neuen Fall für das eingespielte Team. Sebastian ist ein überaus korrekter Beamter, für den Schlamperei und Nachlässigkeiten ein Graus sind, die Kollegin Franzi ist eher ein Gegenentwurf dazu. Sie handelt schon mal sehr spontan und lässt sich von Stimmungen leiten. Trotzdem ist auch sie eine gewissenhafte Ermittlerin. Zusammen mit den Rottweiler Kollegen – das Zusammentreffen ist immer für ein gewisses Kompetenzgerangel gut – wird nach Verbindungen zwischen den beiden Toten gesucht. Dabei muss Franck tief in alten Akten graben. Puzzleteilchen für Puzzleteilchen werden die Erkenntnisse zusammengetragen und bald zeichnet sich ein Bild ab.

Das ist sehr spannend und realistisch erzählt und hat mich richtig in Bann gezogen. Natürlich habe ich bald eigene Theorien entwickelt, was für mich immer einen Teil des Reizes eines Krimis ausmacht. Ich mag es, wenn der Handlungsverlauf realistisch erzählt wird und trotzdem dabei der Unterhaltungswert und die Spannung nicht zu kurz kommen. Das ist in Thilo Scheurers Krimis immer bestens gelöst.

Dazu trägt noch einen Handlungsstrang um die Leiterin des Stuttgarter Dezernats bei. Marga Kronthaler ist Kettenraucherin und ihr robustes Auftreten nicht unbedingt Francks Kragenweite. Aber ihre Loyalität zu ihren Mitarbeitern ist grenzenlos und deshalb lässt sie auch nicht locker und hat einen alten Fall auf ihrem Schreibtisch, der vor einem guten Jahrzehnt Sebastian Francks Bruder betraf. Der wurde damals als Kunde Opfer bei einem Banküberfall und die Täter konnten trotz Kameraüberwachung nie ermittelt werden.

Mir gefällt die Sprache, mit der der Autor seinen Ermittlern Leben verleiht, sie ganz realistisch und als Individuen greifbar macht.

Das schwäbische und Stuttgarter Lokalkolorit rundet den Krimi perfekt ab.

Bewertung vom 11.11.2019
Der Oktobermann
Aaronovitch, Ben

Der Oktobermann


gut

Bei gefühlt jedem zweiten Gespräch über Bücher fällt der Name Ben Aarnovitch und dann wird von seinen zauberhaft-magischen Geschichten geschwärmt.

Da kam mir die Neuerscheinung „Der Oktobermann“ grade recht um den Autor endlich kennenzulernen. Sein neues Buch spielt dieses Mal in Trier und ich lerne einen Beamten einer ganz besonderen Abteilung des BKA kennen: Tobi Winter ist von der „Abteilung für komplexe und diffuse Angelegenheiten“. Zusammen mit der örtlichen, ganz normalen, Polizistin Vanessa Sommer soll er einen geheimnisvollen Todesfall aufklären. Ein Mann liegt am Moselufer, gestorben an einer ganz besonders aggressiven Pilzart, die ansonsten für die gewünschte Edelfäule im Weinberg sorgt. Aber Tobi spürt bei der Untersuchung kein ausgesprochenes „Vestigium“ aber etwas Magisches kann er erahnen.

Die Ermittlungen führen zu interessanten Begegnungen mit der Flussgöttin Kelly und ihrem kleinen Schützling, eine Moselgöttin im Kindergartenalter. Übrigens auch eine ganz besonders gelungene Figur im Buch. Aber auch Vanessa und Tobi sind sympathisch dargestellt, vielleicht ein wenig flach gezeichnet.

Der nicht sehr umfangreiche Band liest sich wirklich amüsant und unterhaltsam. Als Neueinsteigerin habe ich natürlich keine Vergleichsmöglichkeiten zu den berühmten London-Büchern, aber das schadet nicht. Der Autor hat mich gleich in seine Welt der Magie und unerklärlichen Vorkommnisse mitgenommen, die sich aber – und das hat mich überrascht – völlig realistisch anfühlen. Wenn die kleine Flussgöttin gern mit anderen Kindern spielt, muss man halt nur aufpassen, dass sie mit ihnen nicht alleine bleibt und sie zum Spielen an Fluss mitnimmt, aber das erklärt sich ja von allein. :-)

Die Sprache ist recht eingängig und ich kann mir das Buch auch sehr gut für Jugendliche vorstellen. Dass sich ein englischer Autor für ein neues Buch ein deutsches Setting auswählt und beschreibt, ist eigentlich ungewöhnlich, aber hat durchaus Charme. Ich fand den Lokalkolorit und das Weinbau-Geschehen ganz gut eingefügt.

Vielleicht hatte ich mir mehr vorgestellt, die Erwartungen waren wahrscheinlich durch die vielen Vorschusslorbeeren sehr hoch, aber eine unterhaltsame Lesezeit hatte ich allemal.

Bewertung vom 10.11.2019
Der Platz im Leben
Quindlen, Anna

Der Platz im Leben


ausgezeichnet

Nora Nolan sollte zufrieden sein. Sie und ihr Mann Charlie gehören zur New Yorker Upper Middle Class, nennen ein schönes Haus in einer prestigeträchtigen Ecke Manhattans ihr Eigen. Die Kinder sind wohlgeraten und studieren an teuren Unis und beruflich sieht es für Nora ebenfalls sehr gut aus. Als Fundraiserin hat sie sich einen guten Ruf erworben und als sie die Leitung eines neuen Museums übernimmt, geht es noch eine Stufe aufwärts. Aber Charlie sieht es ein wenig anders aus, seine Laufbahn als Investmentbanker stagniert, jüngere, bissigere Leute sind an ihm vorbei gezogen. Noras Erfolg macht ihn neidisch.

Dann erschüttert ein Vorfall die wohlsituierte Nachbarschaft. Jack Fisk ist mit einem Golfschläger auf den hispanischen Handwerker losgegangen, der seit Jahr und Tag sich um die Kleinreparaturen in der Nachbarschaft kümmert. Nun reißen plötzlich Gräben auf.

Um es gleich vorweg zu sagen: der Roman hat mir außerordentlich gut gefallen. Er zeichnet ein präzises Gesellschaftsbild, jeder Satz sitzt und legt die Befindlichkeiten der Protagonisten bloß. Wenn zum Beispiel Charlie es als Ritterschlag ansieht, dass er nun einen Parkplatz auf einer begehrten Brachfläche bekommt, merkt man rasch um die Hohlheit seines Daseins. Als er seinen Nachbarn Fisk nach dem tätlichen Angriff noch verteidigt und den Vorfall als Versehen abtut, kommen Nora immer deutlicher Zweifel an Charlies Charakter.
Ihre Ehe ist nicht mehr gut, sie ist zu einer Zweckgemeinschaft geworden und Nora überlegt, ob Charlies Charakter schon immer so war, oder ob er sich im Lauf der Jahre verändert hat. Aber die beiden Kinder, das gemeinsame Haus und nicht zuletzt der Hund, sind der Kitt der alles noch zusammenhält. „In Wahrheit waren die meisten Ehen doch wie Luftballons: Einige wenige platzten ohne Vorwarnung, aus den allermeisten wich aber langsam die Luft, bis nur noch ein trauriges, knittriges Etwas ohne jeden Auftrieb übrig war.“ oder „Vertrautheit erzeugt Verachtung“, diese Zitate machen Noras Gedanken schon sehr deutlich.

„Der Platz im Leben“ ist ein Roman, der mich auf hohem Niveau bestens unterhalten hat. Ich mochte die Warmherzigkeit, mit der Anna Quindlen ihre Protagonisten beobachtet und denen sie trotzdem auch mit leiser Ironie begegnet. Der Roman ist auch ein Roman New Yorks oder besser Manhattans.

Die Autorin hat den Pulitzer Preis für ihre journalistischen Arbeiten bekommen und ihre Romane sind Bestseller. Verdient wie ich finde.

Bewertung vom 06.11.2019
Rieslingsommer
Wanner, Heike

Rieslingsommer


gut

Luise Schwanthaler entstammt einer alteingesessenen Winzerfamilie. Doch ihr war das Leben im Rheingau bald zu eng geworden und als Hotelfachfrau ist sie viel in der Welt herumgekommen. Die letzten Jahre lebte sie mit Tochter Amelie in Wiesbaden, wo sie als Service Chefin ein bekanntes Restaurant leitet. Als sie aus der Villa des Ex-Mannes ausziehen muss, will sie nur ungern für einige Zeit auf das Weingut zurückkehren. Zu schlecht ist das Verhältnis zu ihrer Schwester Bianca, die ein wenig schrullig und versponnen, nie das Elternhaus verlassen hat.

Die Rückkehr löst erst mal einen Schock aus. Bei den kurzen Besuchen zu Feiertagen oder an den Wochenenden ist ihr nie bewusst geworden, wie heruntergewirtschaftet das Gut ist. Es ist alles zu viel für ihre früh verwitwete Mutter geworden. Das ehemals renommierte Weingut steht kurz vor dem Ruin. Doch dann taucht auf Reparaturarbeiten im alten Weinkeller ein Dokument auf, dass das Leben der vier Generationen Schwanthaler Frauen durcheinander wirbelt.

Heike Wanner hat einen leichten Sommerroman geschrieben, in dem es ums Heimkommen und Ankommen geht. Das übermittelt schon beim Lesen ein wohliges Gefühl. Die Geschichte kommt mit wenigen Figuren aus, aber die sind alle liebenswert charakterisiert und die schwesterlichen Differenzen bringen Würze und auch witzige Szenen in diesen Roman. Natürlich müssen bis zum Happy End einige Schwierigkeiten geschultert werden, aber man begleitet die Schwanthaler Frauen gern dabei.

Es gibt auch einige offensichtlich unvermeidbare Klischees, aber wenn ich einen typischen Frauenroman wähle, dann weiß ich das und störe mich nicht daran. Vor allem wenn es gut in die Story eingebettet ist und nicht in zuckersüßen Kitsch ausartet. Wenn ich die Analogie zum Weinthema ziehen darf: süffig und frisch, aber wenig Nachhall.

Nette, unkomplizierte Unterhaltung, die 3,5 Sterne verdient.

Bewertung vom 01.11.2019
Moses und das Mädchen im Koffer / Stefan Moses Bd.2
Ramadan, Ortwin

Moses und das Mädchen im Koffer / Stefan Moses Bd.2


sehr gut

Stefan Moses ist Kriminalkommissar bei der Hamburger Polizei. Er stammt aus einer vermögenden alteingesessenen Reeder Familie und doch ist er etwas anders. Denn er ist als kleines Kind allein aus Afrika gekommen und wurde adoptiert. Seine frühkindlichen traumatischen Erlebnisse von Flucht und dem wochenlangen Aufenthalt im Bauch eines Containerschiffs verfolgen ihn noch heute. Aber Schwäche lässt er nicht zu und er reagiert unwirsch, wenn ihn seine Freundin auf seine Alpträume anspricht.

In dieser angespannten Situation kommt ein grausiger Fall auf ihn zu. Aus einem angeschwemmten Überseekoffer wird eine Mädchenleiche geborgen, geschminkt und gekleidet wie eine kleine Prinzessinnenpuppe.

Gleichzeitig wird ein weiteres Mädchen vermisst. Aber es gibt keine Gemeinsamkeiten, keine Verbindungen. Moses und sein Team arbeiten auf Höchsttouren, doch die Zeit ist gegen sie. Vor allem weil es keine Spuren zu geben scheint, bis ein kleiner Hinweis Moses auf eine Idee bringt.

Sehr spannend ist die Suche nach den kleinsten Hinweisen und wenn auch die Polizeiarbeit nicht immer ganz realistisch geschildert ist, wird der Spannungsbogen hochgehalten und steigert sich bis zum Ende noch einmal.

Das ist bereits der zweite Fall für Stefan Moses und die Figur hat mit all ihren kleinen Ecken und Kanten viel Potential. Auch wenn der Aufbau der Geschichte recht konventionell ist und auch die Nebenhandlungen nicht unbedingt originell sind. So gibt es natürlich eine kapriziöse Freundin, die nicht immer Verständnis hat, wenn Moses fast Tag und Nacht durcharbeitet und alles um sich herum seiner Arbeit unterordnet. Die Assistentin Helwig ist als kompletter Gegenentwurf gezeichnet. Sie kommt aus prekären Verhältnissen, ist von Kinderheim und Jugendamt geprägt und schießt schon mal übers Ziel hinaus. Zwischen dem vermögenden, großbürgerlich geprägten Moses und ihr knallt es schon mal.

Der Krimi hat mich gut unterhalten, die Sprache ist gut zu lesen und es wird farbig und temporeich erzählt. Besonders gespannt ist der Leser natürlich auf Moses Vergangenheit und das lässt mich schon neugierig auf den nächsten Band warten.

Bewertung vom 30.10.2019
Helle und die kalte Hand / Kommissarin Helle Jespers Bd.2
Arendt, Judith

Helle und die kalte Hand / Kommissarin Helle Jespers Bd.2


sehr gut

Es ist ein regnerischer Herbst in Skagen. Helle Jespers kann sich kaum noch an einen trockenen Tag erinnern. Der viele Regen hat eine Wanderdüne ins Rutschen gebracht und eine Frauenleiche freigeben. Es handelt sich um eine junge südostasiatische Frau ohne Papiere, die anscheinend nicht vermisst wurde. Doch der Leichnam ist unter dem Sand gut erhalten geblieben und eine Phantomzeichnung führt bald zu einer heißen Spur.
Allerdings scheinen Mitglieder der dänischen Nationalpartei damit zu tun zu haben und damit bekommt der Fall eine politische Dimension. Denn die neuen Rechten, die gegen Einwanderung und Flüchtlinge und offene Grenzen wettern, habe eine eigene Auffassung von Recht und Ordnung.
Helle Jespers, die nicht mehr ganz junge und nicht mehr schlanke Ermittlerin aus Skagen hat bereits mit ihrem ersten Fall (Helle und der Tote im Tivoli) überzeugt. Mit Spannung erwartete ich den zweiten Band und wurde auch hier nicht enttäuscht. Die Handlung überzeugt durch einen komplexen Kriminalfall, der überaus realistisch und aktuell ist. Arbeitssklaven aus Drittweltländern, die von skrupellosen Schleusern ins Land geschmuggelt und ausgebeutet werden – das ist inzwischen Realität in Europa. Mir gefiel, wie die Autorin hier Haltung zeigt.
Ein Gegengewicht bildet das Privatleben von Helle, die immer wieder von ihrem Mann Bengt aufgefangen und bekocht wird. Zwar hat auch sie genügend Stress und wird von Hitzewallungen geplagt, aber endlich wird mal das Stereotyp vom ausgebrannten und kaputten Polizisten beiseite gelassen.
Auch die anderen Figuren sind von der Autorin gut in Szene gesetzt. Amira, die Computerspezialistin mit Migrationshintergrund ist eine sympathische Frau und Freundin für Helle geworden. Wie überhaupt das Klima in der Polizeistation ziemlich ausgeglichen und freundschaftlich ist. Vielleicht liegt es am in Dänemark gebräuchlichen „Du“ für jedermann. Lediglich der alte Stationschef und Mentor von Ingvar darf ab und an ein wenig grummeln.
Mir hat dieser Krimi wieder gut gefallen, Spannung und Gesellschaftskritik haben hier eine gute Mischung ergeben. Judith Arendt hat einen flüssig und fesselnd zu lesenden Kriminalroman geschrieben, den ich gerne empfehle.

Bewertung vom 27.10.2019
Wisting und der Tag der Vermissten / William Wisting - Cold Cases Bd.1
Horst, Jørn Lier

Wisting und der Tag der Vermissten / William Wisting - Cold Cases Bd.1


sehr gut

Jedes Jahr nimmt sich William Wisting einige Kartons mit den Unterlagen zum Vermisstenfall Katharina Haugen vor. Er konnte diesen Fall nie auflösen und er fühlt sich für ihn wie ein Stachel an, der immer wieder in die Haut bohrt. Zum Ehemann Martin Haugen, der auch als Verdächtiger galt, hat er im Lauf der Jahre ein besonderes, fast freundschaftliches Verhältnis aufgebaut, obwohl sich Wisting sicher ist, dass Haugen etwas vor ihm verbirgt. Man sieht sich hin und wieder und der Jahrestag des Verschwindens von Katharina hat sich als Treffen eingebürgert.

Doch dieses Jahr kommt eine neue Dynamik in den Fall. Adrian Stiller, ein junger, sehr ehrgeiziger Kommissar, der eine EU Einheit zu Cold Cases leitet, hat eine neue Spur entdeckt. Fingerabdrücke aus einem nie geklärten Entführungsfall, die erst jetzt im Rahmen der fortschreitenden Technik Martin Haugen zugeordnet werden können. Stiller bezieht auch die Presse mit ein, ganz gezielt wählt er Wistings Tochter Line aus, die freiberufliche Journalistin arbeitet.

Ein Krimi, der eigentlich ganz unspektakulär daher kommt, aber einen unglaublichen Sog entwickelt. Die Polizeiarbeit wird in ihrer Kleinteiligkeit durchaus realistisch geschildert, ist aber dabei überhaupt nie langatmig. Eine besondere Faszination übten die Protagonisten auf mich aus. Der Autor hat zwei ganz gegensätzliche Ermittler beschrieben. Wisting, als älterer, abgeklärter Ermittler, der sich in seine Gegenüber hineinversetzen kann und auch auf kleinste Regungen in Mimik und Sprache achtet und deuten kann. Stiller ist eher das Gegenteil, ein auf Erfolg geeichter Ermittler, der mit Manipulation und Provokation zu seinem Ziel kommen möchte. Das sind zwei Generationen und zwei Charaktere mit ganz unterschiedlichen Ansätzen.

Der Leser lernt die Protagonisten aus verschiedenen Perspektiven kennen und kommt deshalb auch dem Geschehen sehr nah. Besonders intensiv empfand ich die Gespräche zwischen Wisting und Haugen, die um das Verschwinden Katharinas kreisen und in den vieles unausgesprochen bleibt, aber jeder Satz, jede Geste eine ganz besondere Bedeutung haben.

Das Buch entspricht genau den Erwartungen, die ich an einen intelligenten Krimi habe und hat mir deshalb auch ausgesprochen gut gefallen. Dass ich schon sehr früh ahnte, wohin Wisting Martin Haugen steuerte, war das Ende keine Überraschung, aber völlig schlüssig gelöst.

Das ist ein Autor, den ich im Auge behalten werde und auf dessen andere Bücher ich schon sehr gespannt bin.