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katikatharinenhof

Bewertungen

Insgesamt 998 Bewertungen
Bewertung vom 25.09.2023
Wer vom Teufel spricht
Wilding, Rose

Wer vom Teufel spricht


weniger gut

Meilenweit davon entfernt ein echter Thriller zu sein

Das neue Jahrtausend soll aufregend und glitzernd beginnen, doch für sieben Frauen spielt sich am Silvesterabend 1999 das Grauen vor ihren Augen ab. Ausgerechnet in einer heruntergekommen Spelunke stehen sie sich gegenüber und müssen feststellen, dass ihnen der Kopf von Jamie Spellmann als Abschiedsgeschenk regelrecht präsentiert wird. Alle sieben eint eine gemeinsame Vergangenheit, in der Jamie eine nicht unwichtige Rolle gespielt hat. Aber wer von ihnen hat wirklich den Mut, dem Teufel in Personalunion endlich den Garaus zu machen ? Detective Nova Stoke muss ermitteln und stößt dabei auf eine alte Bekannte....


Zugegeben, die ersten Bilder des Buches gehen wirklich an die Nieren und sind sehr plastisch beschrieben. Wenn schon der Aufmacher des Romans mit solchen Knaller aufwartet, wie wird dann der weitere Verlauf ? Die ernüchternde Antwort nach Beendigung des Buches lautet: langweilig, überfrachtet und meilenweit davon entfernt, ein echter Thriller zu sein

Rose Wilding schickt zwar mit Jamie Spellmann einen absoluten Kotzbrocken ins Rennen, der es sich zum Hobby gemacht hat, Frauen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, sie zu manipulieren und zu betrügen. Es reicht alleine, dass er den Mund aufmacht und schon sprudeln die Lügen hervor wie Konfetti aus einer Konfettikanone. Er zieht meine Antipathie regelrecht auf sich und ich ertappe mich oft dabei, wie ich beim Lesen wütend und zornig die Faust balle.

Es fällt aber unglaublich schwer, bei aller Abneigung seine unglaubliche Anziehungskraft auf die Frauenwelt zu erkennen, die sich nur allzu bereit in seine verlogenen Arme fallen lässt. Es sind derer Namen viele und somit geht ganz schnell der Überblick verloren, da sich die Autorin darin verliert, in Rückblenden die Geschichte einer jeden Einzelnen zu erzählen und somit die Zusammenhänge offen zu legen.

Spannung oder gar Nervenkitzel ist nicht wirklich vorhanden, denn alle sieben haben einen mehr als guten Grund ihrem Peiniger den Kopf abzuschlagen. Es kristallisiert sich aber ganz schnell heraus, wer letztendlich den befreienden Schlag ausgeführt hat, sodass die Leseneugier komplett abflaut. Die ausufernden Erzählungen und Darstellungen der einzelnen Frauenfiguren werden schnell langweilig, da sich die schockierenden Enthüllungen als Ablenkungsmanöver entpuppen. Das Buch ist randvoll mit Themen, die triggern können und es erfolgt zum Glück ein rechtzeitiger Hinweis auf eben jene Handlungen, die bei betroffenen Personen negative Reaktionen auslösen könnten.

Ich hatte mir irgendwie erhofft, dass dieser Roman ein wenig an "Der Club der Teufelinnen" erinnert und ich von abwechslungsreichen Charakteren und einer faszinierend Handlung regelrecht eingefangen werden. Hier allerdings überwiegt die Enttäuschung, sodass ich nach gut der Hälfte dazu übergegangen bin, das Buch quer zu lesen. Es sind einfach zu viele negative Themen, die auf das Schicksal von Frauen in toxischen Beziehungen aufmerksam machen.

Bewertung vom 24.09.2023
Pericallosa
Roll, Evelyn

Pericallosa


ausgezeichnet

Hurra, wir leben noch (Milva)

Wie stark ist der Mensch, wie stark?
Wie viel Ängste, wie viel Druck kann er ertragen?
Ist er überhaupt so stark, wie er oft glaubt?
Wer kann das sagen?

Hurra, wir leben noch
Was mussten wir nicht alles übersteh'n?
Und leben noch
Was ließen wir nicht über uns ergehen?
Der blaue Fleck auf unsrer Seele geht schon wieder weg
Wir leben noch

(Milva)

Es ist nur ein winziger Augenblick, der das Leben von Evelyn Roll von jetzt auf gleich verändert. Ein geplatztes Aneurysma wirft ie aus der Bahn und zwingt sie dazu, ihr Leben noch einmal ganz von vorn zu beginnen. Was einmal klar und deutlich vor ihr gelegen hat, verschwimmt und doch sind da immer wieder Erinnerungsfetzen und Musik, die sie aus den Tiefen zurückholen.

Es ist ein Buch, das unter die Haut geht, weil es so persönlich, so ehrlich und selbstkritisch ist und doch keine Abrechnung mit dem was war, sondern was wahr ist . Eine Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte, die blinde Flecken aufweist und die ein oder andere Frage aufwirft. Es sind Fragen, die die Nachkriegsgeneration von ihren Eltern nie beantwortet bekommen hat und die uns als Enkel:innengeneration noch mehr beschäftigen, da wir oftmals keine Möglichkeit mehr haben uns an diejenigen zu wenden, die Licht ins Dunkel bringen können.

Der Weg zurück ins Leben ist gepflastert mit Träumen, Zerrbildern und jeder Menge Erinnerungen, die sich zunächst nicht eindeutig zuordnen lassen. Immer präsent - die Lieder der jeweiligen Epoche, die es sich als Ohrwürmer bei Evelyn Roll herrlich bequem eingerichtet haben und auch flugs ins Ohr der Leser:innen schlüpfen.

Aber Roll wühlt nicht nur in Erinnerungen und den daraus resultierenden Zusammenhängen, sie befasst sich auch mit der Komplexität unseres Gehirns, das alleine von der Macht des Lassens lebt: Zulassen, loslassen, weglassen. Und genau aus dieser gewagten Kombination entstehen Erinnerungen, formen sich zu neuen Bildern und graben sich ins Gedächtnis.

Während dem Lesen begleitet mich "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgski und unterlegt die Bilder von Rolls Familien-/Geschichte mit den Klängen, die ich schon lange vergessen glaubte. Das Buch liest sich wie eine Familienaufstellung, klärt Beziehungen und Unstimmigkeiten, erzählt von inniger Liebe und ist vor allen Dingen eines: der Neustart in ein Leben, das sich auf das Wesentliche reduziert, weil für alles andere eben kleinen Platz mehr ist.

Bewertung vom 23.09.2023
Waldbilder
Bühler, Markus

Waldbilder


gut

Waldbaden in Buchform, aber leider fehlt Farbbrillanz

Waldbilder" ist ein erholsamer Spaziergang für Augen und Seele und wirkt mal düster und geheimnisvoll, mal gespenstisch und gefährlich oder auch märchenhaft und verwunschen. Knorrige Wurzeln, moosbewachsene und von Efeu umarmte Stämme, verträumte Lichtungen und Schatten spendendes Blätterdach - der Wald hält immer und immer wieder abwechselnde und stimmungsvolle Motive für alle bereit, die sich mit allen Sinnen auf ihn einlassen und die würzig-herben Aromen einatmen, den weichen Teppich aus Tannennadeln unter den Füßen spüren und das Lichtspiel der Sonne genießen, die sich tanzend den Weg durch das Grün sucht.

Doch so schön und ansprechend die Aufnahmen auch sind, ihnen fehlt das gewisse Etwas: Farbe. Jede einzelne Abbildung im Buch wirkt glanzlos und stumpf, wie mit einem Grauschleier überzogen, der die vielen Schattierungen von Grün regelrecht verschluckt. Das frische saftige und leuchtende Grün im Frühjahr wird blass, das atemberaubende Feuerwerk der Herbstfarben kommt nicht zur Geltung und selbst der glitzernde Zauber des von Schnee und Raureif überzogenen Winterwaldes wirkt blass und ausdruckslos.

Dadurch büßen die Fotos sehr viel von ihrer Strahlkraft und Anziehung ein und verfehlen ihre Wirkung, sodass es nur für 3 Sternchen reicht.

Bewertung vom 23.09.2023
Beere, Blatt, Schere
Lawson, Karoline

Beere, Blatt, Schere


sehr gut

Bastelmaterial, das wahrhaftig von Bäumen fällt

So ein Herbstspaziergang mit Kindern ist aufregend und spannend, finden sich doch zwischen raschelnden Laubhaufen, die sich zur Hüpfburg umfunktionieren lassen, und abgebrochenen dünnen Zweigen jede Menge kleine Schätze, die sich als Bastelmaterial für trübe Nachmittage entpuppen. Also nichts wie raus in den Wald und die Jackentaschen gefüllt, damit aus den tollen Anleitungen aus "Beere, Blatt, Schere" kleine Kunstwerke entstehen.

Karoline Lawson weckt mit ihren Bastelideen Erinnerungen an die eigene Kindheit und zeigt, dass weder aufwendiges Geglitzer noch Plastik notwendig sind, um wundervolle kleine und große Herbstkunstwerke entstehen zu lassen.

Der buntgefärbte Wald spricht nicht nur die Sinne der Kinder an, sondern er ist auch eine prall gefüllte Schatzkammer. Nüsse, Zapfen, Zweige, Samen, Blätter - was auf den ersten Blick welk und trocken aussieht, wird mit wenigen Handgriffen zur hübschen Herbstdeko.

Waldwichtel,Platanenraupen, geheimnisvolle Tinte, Blätterkrone, Irrlichter oder Wiesenalphabet - der Kreativitiät und Fantasie sind keine Grenzen gesetzt und dank der leicht verständlichen Schritt-für-Schritt-Anleitungen in der Umsetzung auch schon für kleine Kinderhände möglich. Die Fotografien geben Aufschluss, wie die fertigen Herbstbasteleien aussehen können und wecken die Lust aufs kreativ sein.

Nachhaltiges Basteln ohne großen Aufwand, bewusstes Wahrnehmen der Veränderungen in der Natur und Schulung der Feinmotorik - Karoline Lawson beweist, dass weniger manchmal mehr ist und setzt wirklich tolle Impulse, um mit Kindern wieder ganz bewusst nach draussen zu gehen.

Bewertung vom 23.09.2023
DuMont Bildband Stillgelegt

DuMont Bildband Stillgelegt


ausgezeichnet

Der Wind hat mir ein Lied erzählt (Zarah Leander)

"Stillgelegt" zeigt Industrieanlagen, Eisenbahnbrücken, Sportstätten und Denkmäler, in denen nur noch der Wind durch die Gänge weht und mit seinem Lied die Geschichte dieser Bauten erzählt. Es sind Orte, an denen der Verfall deutlich sichtbar und der Zahn der Zeit Spuren hinterlassen hat.

Dort, wo einst Sportler:innen aus aller Welt dem Ruf des olympischen Gedankens gefolgt sind, begeisterte Fans ihrer Mannschaft im Stadion zugejubelt haben oder fröhliches Kinderlachen sich mit dem Zirpen der Grillen vermischt hat, sind traurige Überreste stumme Zeitzeugen, die von falschen Ideologien, großen Zukunftsplänen und technischem Fortschritt erzählen.

Eingefangen in der Vergänglichkeit des Augenblicks, denn was im Moment der Aufnahme Gegenwart ist, wird schon morgen Vergangenheit sein, wenn sich die Natur zurückholt, was der Mensch ihr vor Jahrzehnten mühsam abgestrotzt hat.

Es sind Orte, an denen die Witterung toben darf und an den Grundmauern, Fensterscheiben und Stahlgerüsten zerrt. Manche Ruinen wirken noch immer faszinierend und lassen den Blick ehrfürchtig auf dem Fotos verharren, denn es wird den Betrachtenden bewusst, wie winzig klein der Mensch doch ist, auch wenn er mit seinen Bauten Großes umsetzen will.

Eine Reise durch die Zeit, die so real ist, dass das Knacken der dürren Zweige unter den Schuhen deutlich hörbar ist, der Nebel sich wie ein kaltes graues Tuch um die Schultern legt, auch wenn die Sonne sich einen Weg durch den Schleier bahnt. Erichs Lampenladen hat längst seinen protzigen Glanz verloren, der Geruch von Benzin und heißen Reifen auf der Rennstrecke ist verflogen und in der Konzerthalle hat die letzte Geige schon lange ausgespielt Die Aufnahmen der Geisterstadt Prypjat gehen tief unter die Haut, denn die ehemalige sozialistische Musterstadt in der Ukraine steht für menschliches Versagen und Gefahren des technologischen Fortschritts. Gerade weil die Ukraine seit mehr als einem Jahr mit den Folgen eines unsinnigen Krieges leben muss, wirken diese Fotos noch mehr und bewegen zum Nachdenken.

Manche Lost Places wirken still und unscheinbar, andere hingegen könnten gerade erst verlassen worden sein und doch sind sie alle Macht- & Schaltzentralen, ehemalige Lebensadern und manchmal auch wundervolle historische Bauten, die spannende, gruselige, aufregende und tiefsinnige Geschichten erzählen.

Bewertung vom 22.09.2023
DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Südtirol
Goddar, Jeannette;Pollex, Sylvia;Wegscheider, Cäcilia

DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Südtirol


sehr gut

Der Gipfel zum Glück

Einmal übern Brenner und schon ist man da - Südtirol liegt quasi in greifbarer Nähe und lockt mit schroffen Berggipfeln, türkisblauen Seen, malerischen Weinbergen und ganz viel Geschichte. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein ganz normaler Reiseführer, ist aber in Wahrheit eine kleine Liebeserklärung im Taschenbuchformat.

Auf jeder Seite gibt es kleine Gipfel zum Glück und die gilt es zu erkunden - von A wie Ahrntal bis Z wie Zufallhütte wird hier eben nichts dem Zufall überlassen, sondern in plakativen und begeisternden Worten beschrieben. Ein Paradies zum Klettern und Wandern, ein Schlaraffenland für alle Genießer;innen und ein Sehnsuchtsort für alle, die einfach nicht genug von allem bekommen können.

Die Autorinnen stellen ihre Lieblingsorte vor, die auch mal ihre unbekannte Seite zeigen dürfen. Der ein oder andere Krimihauch weht durch die Seiten, und auch die schönen Aussichten dürfen nicht fehlen. Schatten der Vergangenheit treffen auf innovative Ideen der Gegenwart, die die Weichen für die Zukunft stellen.

Städte mit Herz laden zum Bummeln ein, während die Seele in der atemberaubenden Natur zur Ruhe kommt. Eine Wanderung in den Bergen ist wie ein Höhenrausch und La Dolce Vita irgendwie immer präsent. Neue Erfahrungen auf alten Waalwegen, Schnabulieren auf dem Bauernmarkt oder einfach nur ab in den Süden....nach dieser Reiselektüre hält die Leser:innen nichts mehr im Sessel.

Bewertung vom 22.09.2023
DuMont Wanderzeit im Allgäu
Wengert, Veronika;Dauscher, Jörg

DuMont Wanderzeit im Allgäu


ausgezeichnet

Bergluft schnuppern und Panorama genießen

Spiegelglatte Seen, schroffe Bergfelsen und saftig grüne Wiesen - diese Postkartenidylle klingt zu schön, um wahr zu sein, ist aber tatsächlich das Allgäu, das zu entspannten Wanderungen einlädt. In "Wanderzeit im Allgäu" gilt nicht, wer als Erste/r am Ziel ist, sondern wer so richtig genießen kann. Nicht nur die Wanderungen zu Fuß machen hier Lust auf mehr, sondern auch die Möglichkeit, den Gedanken und der Seele eine Auszeit zu gönnen.

So ein kleiner Juchzer schlüpft ab und an aus der Kehle und wirbelt duch die würzige Allgäuer Luft, denn die landschaftliche Vielfalt und die abwechslungsreichen Touren machen glücklich. Die Tourenbeschreibungen sind fernab von jeglicher Norm und lesen sich wie ein netter Plausch unter Wanderbegeisterten, die sich schon länger kennen und die die Gustostückerl aus ihren Lieblingswanderungen bereitwillig miteinander teilen.

Die tolle Landschaft kommt nicht nur auf den Fotos richtig gut zur Geltung, denn Veronika Wengert und Jörg Dauscher finden immer die richtigen Worten, um die Bergkulisse, die schmucken Dörfchen und Städte oder die Einkehrmöglichkeiten so zu beschreiben, dass die Lesenden nur eines wollen: Wanderschuhe anziehen und los ins Allgäu.

Mal isr´t es mystisch am Alatsee (wer im Winter am See ist, hat vielleicht das Glück, den Klängen der Panflöte zu lauschen und den verschneiten Winterwald zu genießen), mal führt eine schier endlos wirkende Treppe hinauf zum Wasserfall. Wer ein wenig Nervenkitzel liebt, der wird in Nesselwang an der Zipline einen echten Kick erleben und am Lechfall in Füssen ist deutlich zu spüren, dass das Schloss des Märchenkönigs nicht mehr weit ist.

Die Wanderungen sind leicht verständlich beschrieben, sodass die Tour nicht zur Tort(o)ur wird und auch das Kartenmaterial lässt keine Wünsche offen, um Planung und Durchführung ohne großen Stress vornehmen zu können. Wichtiges ist auf eine Blick zu erfassen und auch Tipps zum Rasten und Kosten finden sich im Buch.

Eine sehr gelungene Kombination aus Erlebniskarten, einfachen Wegbeschreibungen und PGX-Tracks zum Downloaden, die Lust auf Berge, Kasspatzen und mehr macht. Eines ist jedenfalls klar - das Allgäu zu Fuß erleben ist besser als alle Fotos dieser Welt auf Insta und Co, denn hier bleiben die Eindrücke als schöne Erinnerungen im Herzen.

Bewertung vom 21.09.2023
Südfall
Knöppler, Florian

Südfall


sehr gut

Wort- und bildgewaltig, aber manchmal zu glatt

Beinahe wäre das Wattenmeer sein nasses Grab geworden, doch Dave hat Glück im Unglück. Eine freundliche ältere Dame gewährt im Unterschlupf auf der Hallig Südfall und Dave könnte auf dem kleinen Eiland das Ende des Krieges abwarten. Aber da gibt es ein ganz starkes Gefühl, das sich Heimweh nennt und Dave wie ein Magnet von der deutschen Küste heim nach England zieht. Und so wagt der Soldat diesen risikoreichen Schritt und verlässt sein sicheres Versteck, denn die Flucht über Dänemark soll ihn wieder in die Heimat bringen....


Ruhige, melancholische Worte, die wie Wellen am Spülsaum der Küste auf die Leser.innen zu rollen - Florian Knöppler braucht nicht viel, um Atmosphäre und Stimmung zu erzeugen, damit seine Figuren im Buch lebendig werden. Es sind interessante Charaktere, die alle für sich betrachtet schon unglaublich viel zu erzählen haben, die sich aber nicht gegenseitig den Rang ablaufen, um zur Geltung zu kommen.

Und genau diese Lebensgeschichten der Personen, die auf Daves Flucht eine Rolle spielen, werden hier nur angerissen und nicht vertieft, obwohl ich zu gerne noch viel mehr von ihnen erfahren hätte. Knöppler zeichnet seine Charaktere sehr fein, zeigt ihre vielen Facetten und spricht damit die Leser:innen direkt an, die sich sehr gut in die jeweiligen Figuren einfühlen können. Innerer Zwiespalt steht bedingungsloser Hilfsbereitschaft gegenüber und Dave erlebt, dass sich das bisher gekanntes Feindbild wandelt und er durchweg freundlichen Menschen begegnet. Da setzt mein zweiter Kritikpunkt an, denn für mein Dafürhalten geht hier einfach manches zu glatt, Hürden werden ohne größere Probleme genommen und dadurch entzieht der Schreibende dem Roman die Spannung.

Was aber bleibt sind die vielen Eindrücke und persönliche kleine Dramen in den Lebensgeschichten, die aus sich zufällig Begegnenden Brüder und Schwestern im Geiste machen, um einem einzelnen Menschen dessen größten Wunsch zu erfüllen.

Bewertung vom 20.09.2023
Erinnerung und Lüge
Garat, Anne-Marie

Erinnerung und Lüge


gut

Starke Figuren, die leider durch zu viele Worte erdrückt werden

Mauduit ist ein Ort, der sich tief in das Gedächtnis einer jungen Wissenschaftlerin eingebrannt hat. Nicht etwa, weil er so wunderschön und heimelig ist, sondern, weil er Erinnerungen mit sich bringt, die tiefe Narben auf der Seele hinterlassen haben. Doch statt dem vorgeblichen Zweck ihrer Reise nachzugehen, lernt die Wissenschaftlerin die Vergangenheit des Ortes auf ganz andere Art und Weise kennen. Denn Lottie, Hüterin des alten Herrenhauses, gewährt der Wissenschaftlerin nicht nur Unterschlupf, sie lässt sie auch unter die Decke aus Geschichten und Legenden schlüpfen, die sich nicht nur in den alten Gemäuern verstecken....


Anne-Marie Garat hat eine ganz besondere Gabe, denn sie spinnt mit Worten ein Netz, dass ihre Leser:innen regelrecht einfängt und sie erst loslässt, wenn der letzte Buchstabe gelesen ist. Zwischen den Seiten ist eine magische Stimmung, die alles verzaubert, was sich in der Nähe des Buches befindet. Das Ächzen von altem Gebälk, das Knistern der Holzscheite im Kamin und das Flackern der Flammen ist deutlich zu hören, wenn sich nicht nur die Wissenschaftlerin in die Gesellschaft der alten Lottie begibt, sondern die Lesenden lassen sich bereitwillig auf einem gemütlichen Kissen zu Füßen der Erzählerin nieder und lauschen gebannt ihren Worten.

Aber genau diese Erzählungen sind es, die auch ein Manko in diesem Buch darstellen. Garat hat ein Faible für sogenannte Tatzelwurmsätze, die scheinbar endlos sind und sich zeilenweise aus dem Füllhorn ihrer Feder ergießen. Es sind mitunter so viele Informationen darin enthalten, die es den Lesenden nicht einfach machen, diese alle auf einen Blick zu erfassen und zu verarbeiten. Oftmals muss ein Satz mehrmals gelesen werden, um den Inhalt komplett zu verstehen und zu verarbeiten. Der Schreibstil ist hypnotisierend und poetisch zugleich, kommt aber nicht immer direkt auf den Punkt, sodass oftmals die Konzentration flöten geht.

Und das ist sehr schade, denn die Autorin hat mit ihren beiden Hauptfiguren zwei außergewöhnliche Charaktere entwickelt, die starke Signale aussenden und die Leser:innen regelrecht anziehen wie ein Magnet. Die Macht des geschriebenen und gesprochenen Wortes, das mal faszinierend, mal verstörend sein kann, wird von der Autorin als sehr lebendiges Werkzeug eingesetzt und so gelingt es ihr, das Auseinandersetzen mit der Familiengeschichte und den Ereignissen der Vergangenheit der Protas auf die Lesenden zu übertragen.

Garat macht Geschichte erlebbar, auch wenn sie manchmal die Kurve verpasst an der sie abbiegen müsste, um den Faden nicht zu verlieren.. Düster, ansprechend, geheimnisvoll und manchmal schwer zu lesen - ein Buch, das zeigt, wie Erinnerungen manchmal zu einer neuen Wahrheit verschmelzen, um das Gewesene leichter zu ertragen.

Bewertung vom 19.09.2023
Brief vom Vater
Kögl, Gabriele

Brief vom Vater


ausgezeichnet

Jede Enttäuschung öffnet die Augen und verschließt das Herz

Rosa lebt ein kleines beschauliches Leben, arbeitet als Frisörin und kann ihr Glück kaum fassen, dass ausgerechnet Schützenkönig Sigi sie als seinen größten persönlichen Sieg ansieht. Nach der Geburt von Sohn Severin wird aber aus dem Glück langsam aber sicher eine Beziehung, die sich immer mehr ins Aus bugsiert. Erst mit Klaus kommt wieder Glanz und Ansehen ins Rosas Welt. Im Verlauf der Jahre muss Rosa aber tatenlos mit ansehen, wie auch ihr zweiter Mann von den Tücken der Zeit eingeholt wird und sich verändert. Ist Glück wirklich wie ein Vogerl, das sich nicht dauerhaft einfangen lässt ?


Mit "Brief vom Vater" legt Gabriele Kögl einen sehr gesellschaftskritischen und zugleich melancholischen Roman vor, der nicht nur tiefe emotionale Einblicke in das Leben von Rosa enthält, sondern auch auf das Innenstadtsterben aufmerksam macht, von dem wir alle betroffen sind.

Dabei ist ihr die Figur der Rosa wirklich sehr gut gelungen und Kögl ermöglicht ihren Leser;innen, in Herz und Gedanken ihrer Prota zu lesen wie in einem offenen Buch. Von der ersten Verliebtheit über Resignation bis hin zur bitteren Erkenntnis am Ende des Buches ist Rosa eine Art Weggefährtin, die viele Stationen ihres Lebens mit den Lesenden teilt. Dabei geht die Autorin wirklich nicht zimperlich mit ihren Figuren und der Leserschaft um, prangert das Konsumverhalten und den damit verbundenen Konsequenzen genauso an wie die Tatsache, dass hinter einer schönen Fassade oftmals eine hässliche Fratze wohnt, die irgendwann zum Vorschein kommt.

Tragische Figur ist dabei Severin, der seinen Platz im Leben und im Herzen seines Vaters nie wirklich so richtig gefunden hat. Er muss regelrecht dabei zusehen, wie sich das Bild seiner eigentlichen Familie nachhaltig verändert, gehört nie ganz dazu und verliert trotzdem nach und nach alles, woran sein Herz hängt. Ein mehr als bittere Erfahrung, die ihn prägt und die er nicht überwinden kann. Erst recht nicht, als er nach dem Tod seines Vaters dessen letzte Worte liest, die sein Herz in tausend Stücke bersten lassen.

Es sind leise, aber doch eindringliche Worte, mit denen die Autorin dieses manchmal doch sehr ironische Buch füllt, die vielleicht aber genau deswegen sehr tief gehen. Oberflächlichhkeit, Bussi-Bussi-Gesellschaft, Aufstieg und Fall ihrer Figuren sowie emotionale Kälte und Abgestumpftheit verursachen Betroffenheit, sind aber im Grunde nichts anderes, als unser aller Alltag. Wie oft verurteilen wir jemanden, den wir gar nicht richtig kennen nach Aussehen, Erfolg oder Niederlage und merken dabei nicht, dass unser Verhalten und unsere Verachtung eine verletzende Enttäuschung für unser gegenüber ist, dessen Herz sich nach und nach immer mehr verschließt, obwohl der die Welt mit anderen Augen sieht.

Auch wenn der Grundkonsens sehr traurig und ernst ist, gelingt es Figur Rosa, sich freizuschwimmen und hinter die Masken zu blicken, die ihr soviel Leid verursacht haben. Ein Roman, der sich deutlich vom Mainstream abhebt und durch sein "Anderssein" zum Nachdenken anregt.