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Wedma

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Insgesamt 549 Bewertungen
Bewertung vom 18.10.2017
Eiszeit
Krone-Schmalz, Gabriele

Eiszeit


ausgezeichnet

„Eiszeit“ von Gabriele Krone Schmalz (GKS) habe ich sehr gern gelesen und empfehle weiter, insb. an diejenigen, die ihre Meinung über Russland und damit verbundenen Konflikte aus Leitmedien erfahren. Für solche Leser kann das Buch zum Augenöffner werden, denn GKS füllt die Lücken aus, die die Meinungsmacher in den letzten Jahren durch ihre fragmentierte Berichterstattung hinterlassen haben. GKS liefert Daten, Fakten, Hintergründe, Ursachen, Zusammenhänge, messerschafte Analysen uvm. Großes Kino.

Die Art der Stoffdarbietung ist optimal: Nicht nur die fehlenden Puzzleteilchen der Konflikte in Syrien, Ukraine, Georgien (Blitzkrieg 2008) usw., werden gegeben, GKS ergänzt das Erzählte durch Vorgeschichten, durch Schilderung von Russlands geopolitischen Interessen und damit verbunden Unsicherheiten. GKS stützt zudem ihre Ausführungen auf zuverlässige Quellen, u.a. den Dokumenten der Wikileaks, die mal als secret eingestuft waren. So ergibt sich Gesamtbild der komplexen Situationen.

Im Kap. „Wer bedroht wen“ geht GKS auch auf die heutige angespannte Situation ein und führt bildhaft vor Augen, anhand konkreter Beispiele, die gefährliche Vorgehensweise des Westens, die seit geraumer Zeit praktiziert wird, z.B.: Russland wird in Sachen NATO-Osterweiterung oft vor beschlossene Tatsachen gestellt und so getan, als ob russische geopolitische Interesen nicht von Belang wären und nicht berücksichtigt werden müssten. So entsteht tiefes Misstrauen auf beiden Seiten, das bereits zu Konflikten und Auseinandersetzungen geführt hat und noch sehr gefährlich werden kann.

GKS beschränkt sich aber nicht darauf, das Vorgehen des Westens zu kritisieren und die Dreistigkeit mancher Politiker vor Augen zu führen: Die mehr als fragwürdigen Machenschaften von McCain und H. Clinton sorgen dabei für manche brisante Note. GKS schlägt Auswege aus der heutigen Situation vor.
Nach jeder Ausführung eines Sachverhalts stellt GKS Fragen, um dem Leser die Chance zu geben, selbst die Schlüsse zu ziehen und zu eigenem Verständnis der Lage zu kommen. Diese Fragen sind großartig!

Toll ist auch: GKS beschönigt nichts, die nennt die Dinge beim Namen, und was noch wichtiger, sie lässt nichts Relevantes aus: Ihre Schilderungen sind adäquat, differenziert, die Sachverhalte sind klar, logisch und leicht verständlich dargestellt, in einer aussagestärken, griffigen, knappen Sprache. Der Ton ist ruhig, besonnen, sachlich, auch bei all der Brisanz. Feine Ironie blitzt hier und dort durch. Herrlich.

Zu dem in den Leitmedien zu einem „Helden“ aufgebauten Nawalny gibt es auch Pikantes, was man sonst von den Meinungsmachern nicht erfährt. Unter der Berücksichtigung seiner stark nationalistischen Gesinnung, und anderen weniger heldenhaften Dingen, ob das so gut wäre, wenn er nach vorn käme.

Das letzte Kapitel ist auch toll:

„Meinungsfreiheit gilt nicht nur für Profis… Demokratie ist auf ein breites Meinungsspektrum angewiesen und darauf, dass angstfreie Debatten möglich sind. Es ist ein Jammer, dass dieser Luxus einer Demokratie von zwei Seiten in die Zange genommen wird. Auf der einen wettern rechte Demagogen und hasserfüllte Wutbürger, auf der anderen intolerante Mainstream-Journalisten und überhebliche Expertokraten, die alles zu wissen meinen, in den letzte Jahren immer wieder spektakulär danebenlagen.“ S. 259.

Ein gutes Buch ist gut auf jedes Seite. Gut wäre hier aber eine Untertreibung: Es ist ganz große Klasse. Ein klares must read in diesem polit. Leseherbst.

Man muss kein Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen haben, um diese Inhalte zu begreifen, jeder wird klarkommen, wer wissen will „Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist.“

Gekürzt gem. Anforderung.

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.10.2017
Homo Deus
Harari, Yuval Noah

Homo Deus


sehr gut

Homo Deus von Harari sticht deutlich aus der Reihe von Sachbüchern hervor, die man zum Thema Zukunft der Menschheit heute lesen kann. Auf jeden Fall ist es ein Buch, das man gelesen/gehört haben muss.
Zweifelsohne ist es kein Wohlfühlbuch. Ganz im Gegenteil. Harari hat gezielt darauf angelegt, die Leser zu provozieren, sie aus der Komfortzone zu locken, über den Tellerrand eigener Überzeugungen und Vorstellungen von Gut und Böse zu schauen, uvm. Bei vielen seiner Ausführungen lässt er bewusst einige wichtige Aspekte des Menschseins aus und hebt ganz andere hervor. So dargestellt stehen Menschen eher wie ferngesteuerte Zombies da und man fragt sich, ob das nur Hirngespinste eines „verrückten“ Professors sind oder ist da mehr dran, bzw. ob das insg. angehen kann.
Harari serviert seine Sicht der Dinge durchaus so, dass einem, je nach Gemüt und seelischer Verfassung, die Haare zu Berge stehen, man ggf. einen dicken Hals kriegt und evtl. gute Lust bekommt, das Ganze in die hinterste Ecke zu pfeffern. Aber das ist Teil seiner Show, da liegt u.a. das Geheimnis seines Erfolges. Durch gezielt provozierende Äußerungen bekommt er seine Leser aus der (antizipierten) Egal-Haltung heraus und, was noch wichtiger ist, überhaupt dazu, über solche Themen nachzudenken und sich solche Fragen zu stellen, die man sich nicht unbedingt jeden Tag stellt, wie: Was heißt es eigentlich, Mensch zu sein? Was gehört dazu? Und was nicht? Und warum? Wo geht das alles hin? Warum unbedingt so und nicht anders? Wollen wir es überhaupt? Und was ist mit ethischen Aspekten solcher Entwicklungen? Können wir uns nicht einen anderen Ausweg überlegen, andere Zukunftsvisionen entwickeln, die vllt nicht so brutal ausfallen, und uns daran machen, diese auch umsetzen? uvm. In der Hinsicht liest sich Hararis Werk wie eine düstere Dystopie.
Von der Infoseite her liefert er nicht wirklich viel Neues, vielmehr größtenteils gutes altes, bloß unter etwas anderem Blickwinkel betrachtet und recht reißerisch dargeboten. Infotainmenteinlagen gibt es reichlich, man kennt den Stoff aber auch schon von woanders, wenn man paar Sachbücher zu dem oder auch verwandten Themen gelesen hat. Das Spannendste war für mich das Wie des Erzählten.
Seine Art zu argumentieren erschien mir reichlich fragwürdig, so gar nicht professorlike. Steile Thesen wurden in den Raum geworfen und wenig bis nicht begründet dagelassen, aber immerhin eindrucksvoll zur Sprache gebracht. Zudem wiederholte er sich recht oft, er wiedersprach sich selbst auch oft genug. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist er eher ein passionierter Entertainer, ein Showman, dem die Stringenz seiner Logik, die Unerschütterlichkeit seiner Beweise nicht so wichtig erscheinen, dafür aber der Eindruck, den er mit seinem Auftritt hinterlässt, der Grad der Aufrüttelung, der Anteilnahme seiner Leser/Zuhörer und dergleichen. Polemisieren war wohl eher sein Ziel, was er auch erreicht hat.
So oder so: Harari schafft es, seinen Lesern genug Stoff zum Nachdenken und Diskutieren zu bieten. Darin sehe ich seinen Verdienst.
Bei Homo Deus muss man nicht zu allem Ja und Amen sagen, um das Buch gut zu finden, bzw. es in vollem Umfang zu schätzen wissen, aber gelesen und darüber nachgedacht haben, sollte man es.

Das Buch habe ich auch gehört. Jürgen Holdorf hat sehr gut gelesen. Gut geübte, wohlklingende Profi-Stimme, die er effektvoll einzusetzen weiß und die zu der Geschichte insg. ganz gut passt. Ich hatte keine Probleme, stundenlang zuzuhören. Seine Art vorzutragen hat die Wirkung des Harari Werkes gut verstärkt, sodass die Zukunftsvisionen&Co. so bestimmt klangen, als ob sie im Stein gemeißelt wären. Vllt war es auch eine gezielte Wirkung, die dann auch sehr gut gelungen ist.
Hörbuch, Spieldauer 17 Stunden und 13 Minuten, ungekürzte Ausgabe.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.10.2017
Origin / Robert Langdon Bd.5
Brown, Dan

Origin / Robert Langdon Bd.5


gut

„The da Vinci Code“ von Dan Brown habe ich vor gut zehn Jahren gelesen und fand das Buch ganz gut. Nun war ich auf Band 5 der Reihe neugierig: Diese prächtige Kathedrale auf dem Cover versprach neue Verheißungen um das Thema Glauben und Kirche uvm. Im Grunde wünschte ich mir ähnliches wie Da Vinci Code, vllt paar gute Denkanstöße noch dazu, gute Unterhaltung aber auf jeden Fall. Zum Teil war das, was Dan Brown für mich bisher ausgezeichnet hat, auch da: Die wohl bekannten Handlungsmuster wie Rätselspiele, Schnitzeljagd, gefährliches Duelle Langdons mit dem Bösewicht, eine schöne Frau als Begleiterin bei seinen Abenteuern, einiges zum Thema Glaube und Kirche samt Fragen woher kommen wir, wohn gehen wir, all das wurde geliefert und unterhielt auf eine bestimmte Art. Wenn man also ein großer Fan des Autors, der Reihe insg. ist, der wird, schätze ich, auf seine Kosten kommen.

Mir war aber das Ganze einfach zu primitiv und unglaubwürdig, in vielerlei Hinsicht.

Die futurologischen Themen wurden eher oberflächlich behandelt, frei nach dem Motto: bloß nicht den Leser überfordern. Wer aber z.B. „Homo Deus“ von Harari und ähnliches gelesen hat, der wird sich bei den als Sensation angepriesenen Errungenschaften des Futurologen Edmond Kirsch bloß ein mildes Lächeln abringen können. Das Ganze aufgebauschte Drumherum um seine Präsentation erscheint dann umso lächerlicher.

Die Figuren: ob Langdon, seine schöne Begleiterin Ambra Vidal oder auch die gesamte Guardia Civil und fast alle Figuren agieren unglaubwürdig. Ein Professor aus Harvard und eine Frau in der Position von Ambra denken anders und agieren auch deutlich anders. Langdon und Ambra handelten wie zwei unbedarfte Teenager, die man leicht von A nach B schicken kann und die nicht so recht über die Konsequenzen ihres Tuns nachdenken (mögen). Die Guardia Civil & Co. sind einfach Stümper, die kaum etwas zustande bekommen.

Auch die Handlung stellt in weiten Strecken das alte wohl Bekannte dar, das hier, nochmals aufgewärmt und mit anderen Details angereichert, bemüht wurde. Im Großen und Ganzen ist die Handlung eher unglaubwürdig, vordergründig aber mit einigen bombastischen Elementen versehen, und am Ende nicht so wirklich spektakulär: Zu viel versprochen und nicht sonderlich viel halten können. Zudem kann man in etwa ab der Mitte durchblicken, wer hinter dem ganzen Trara steckt.

Die Sprache brillierte streckenweise mit der darstellerischen Dürftigkeit und dem Armut des Ausdrucks: „war“, „hatte“, „sagte“ wohin das Auge reicht. Oft musste ich schon aus diesem Grunde Pausen einlegen. Alles zusammen genommen: wenig spannende, fadenscheinige Handlung voller ausgelatschten Muster, Unglaubwürdigkeit, armselige Sprache, etc. bescherte mir oft genug schlechte Laune.

Gut fand ich, dass so manches aus literarischen Werken von William Blake, das berühmte Gemälde von Paul Gauguin, die Werke vom bekannten spanischen Architekten Gaudí in den Erzählteppich eingewoben wurden und so womöglich mehr Aufmerksamkeit der Leser auf sich und ihre Werke ziehen werden.
Einige gute Ideen zum Schluss haben meine Meinung über das eher bescheidene Gesamtergebnis etwas mildern können. Das reicht gerade mal für drei Sterne.

Oft kam mir der Gedanke, dass dieses Werk auf eine genau ausgetüftelte Zielgruppe zugeschnitten wurde: diejenigen, die sowohl einen sehr dürftigen Wissensstand haben und zudem wenig gebildet/nicht gewohnt sind, selbst zu denken und den gelieferten Stoff zu hinterfragen, denn der ist so dargeboten worden.

Das Buch ist schön gemacht: Festeinband, Umschlagblatt, leider ohne Lesebändchen.

Fazit: Dürftige, dünne, nach Schema F konstruierte und bescheiden geschriebene Geschichte, die nun als ein must read überall angepriesen wird. Für manche Leserkreise ist sie vllt auch ein Highlight, je nach Standpunkt der Betrachtung.
Ich vergebe hier drei Sterne mit viel Wohlwollen.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.10.2017
Jüdischer Almanach Familie

Jüdischer Almanach Familie


ausgezeichnet

Den Band „Familie“, jüdischen Almanach der Leo Baeck Institute Jerusalem, herausgegeben von Gisela Dachs, habe ich gern gelesen und empfehle es auch gern weiter, sowohl an diejenigen, die sich an die Thematik erst heranwagen, als auch an die Leser/innen, die schon einiges darüber gelesen/gewusst haben. Der Band enthält 15 Beiträge verschiedener Autoren, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise dem Thema Familie nähern. Zwei Beiträge sind Auszüge aus den Romanen, die auf Hebräisch erschienen sind.

„Diesem lebensbestimmenden, vielseitigen und streitbaren Thema ist dieser Almanach gewidmet. Es handelt von lauter Familiengeschichten, die ihren Schwerpunkt immer wieder woanders haben. Es geht um Familienbande und Familienbiographien, um von Verfolgung und Verlust geprägte Kindheitserfahrungen, um Familientreffen und die nie aufhörende Suche nach Angehörigen. Beschrieben werden auch die Rolle von Frauen, von Nachwuchs und Vaterfiguren, ebenso wie gut gehütete Familiengeheimnisse, deren Aufdeckung Identitäten radikal veränderte. Wenn wir uns mit einem emotional, politisch und historisch so aufgeladenen Thema wie der jüdischen Familie befassen, dürfen wir keine einfachen Geschichten erwarten.“, so die Herausgeberin im Vorwort.

Und genauso habe ich das Buch auch erlebt. Diese (Lebens-)Geschichten sind manchmal nicht einfach, sie gehen unter die Haut, sie rütteln auf, sie lassen nicht los, auch nachdem die letzte Seite umgeblättert wurde. Diese Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit, diese Intensität zwingen die Leser zum Nachdenken: über die Vergangenheit, über Holocaust, über die damit verbundenen Schicksale, über die Familie, über die Identität, die sich daraus ergibt und was damals daraus geworden war und was man in der heutigen Zeit damit anfängt uvm.

Alle Geschichten unterscheiden sich von einander und trotzdem haben sie das Thema Familie auf eigene, unnachahmliche Weise zum Besten gebracht, z.B.: Hanno Loewy in „Die Hirschfelds oder: Was ist eine Familie?“ beeindruckt mit der Biografie seiner Familie. Man staunt nicht nur, wie weit sich seine Verwandtschaft in der Welt verstreut hat, sonder auch, dass er imstande war, all diese Informationen zu finden, zusammenzutragen und uns zu präsentieren. Jennifer Bligh in „Familiengeheimnisse. Die Geschichten meines Vaters“ überrascht mit einem Beitrag über ihren Vater, dem geborenen Geschichtenerzähler und wie diese Geschichten ihre, Jennifers, Identität in ihrer Kindheit prägten, bis sie nach dem Tod des Vaters die Wahrheit herausfand und sich neu definieren musste. Ellen Presser in „Die Hochzeit meines Bruders“ erzählt nicht nur über diese Hochzeit, die in der heutigen Zeit in Tel Aviv nach allen Regeln und traditionsgemäß stattfand, sie denkt auch über ihre Eltern nach, und wie für sie die Trauung in 1949 in München ausgefallen war, was es für sie bedeutete, eine Familie zu gründen, usw.

Diese Kontraste zwischen damals: während des Krieges, nach dem Krieg und heute, findet man auch in anderen Beiträgen, anders erzählt, jedoch immer die Vergleiche ziehend und viele Fragen aufwerfend, u.a. was man aus all dem gelernt hat, was man für sich, für die eigene Zukunft, für die Zukunft der eigenen Familie mitgenommen hat, uvm.

Fazit: 15 tolle, gehaltvolle, unter die Haut gehende Beiträge zum Thema Familie, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Das Foto auf dem Cover ist nicht nur großartig, das passt auch wunderbar zu dem Inhalt. 5 wohl verdiente Sterne und eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 07.10.2017
Stille
Kagge, Erling

Stille


ausgezeichnet

„Stille. Ein Wegweiser“ von Erling Kagge ist eine wahre Wohltat für die lärmgeplagten Großstädter und die modernen Menschen insg., die heute, mittlerweile verzweifelt, nach Stille, Ruhe und Frieden suchen.
Dieses Buch ist ein guter Wegweiser geworden, den man gerne langsam und genüsslich liest und auch später nochmals aufschlagen möchte.
Zum Autor: „Erling Kagge, geboren 1963 ist ein Verleger, Autor, Jurist, Kunstsammler, Bergsteiger, Vater von drei Töchtern, er lebt in Oslo. Der norwegische Abenteurer hat als erster in der Geschichte die »drei Pole« erreicht – den Süd- und Nordpol und den Mount Everest.“

Es sind 33 Kurztexte als Antworten auf die Fragen: „Was ist Stille? Wo ist sie? Warum ist sie heute wichtiger denn je?“

Kagge nimmt seine Leser mit in die Erinnerungen an seine spannenden Reisen. Im Text 5 erzählt er, wie er, auf einem Törn im Pazifik in Richtung Kap Horn an der chilenischen Küste, einem Blauwal begegnet war, der, warum auch immer, eine Zeit lang neben dem Schiff schwamm. In anderen Texten ist man mit dem Abenteurer in der Schneewüste am Südpol unterwegs, mal am Mount Everest, mal klettert man mit ihm spätnachts auf die Türme der Williamsburg Bridge, die Manhattan, Queens und Brooklyn verbindet, usw.
Aber das, was einen am meisten beeindruckt, sind Kagges philosophisch angehauchten Überlegungen zum Thema Stille. In einer schönen, klaren Sprache zum Ausdruck gebracht, sind sie sehr zugänglich und verständlich für alle. Sie sind aber auch so gehaltvoll, dass man noch länger darüber nachdenkt, wenn man zwischendurch eine Pause anlegt:

„Die Idee, der Langeweile zu entgehen, indem wir ständig etwas Neues tun, immer erreichbar sind, Nachrichten versenden, weitertippen und etwas sehen wollen, was wir noch nicht gesehen haben, ist naiv. Je mehr du unternimmst, um dich nicht zu langweilen, desto mehr langweilst du dich.“ S.66.

„Eine andere Form von Luxus ist es, nicht erreichbar zu sein. Sich dem täglichen Lärm entziehen zu können, ist ein Privileg.“. S. 69.

„In unserem Eifer, die neue Technologie zu nutzen, geben wir unsere Freiheit auf, behauptete Heidegger. Von freien Menschen werden wir zu Ressourcen umgestaltet. Der Gedanke ist heute noch zutreffender als damals, als er ihn fasste. Aber leider werden wir nicht zu einer Ressource füreinander, sondern zu etwas weniger Angenehmem. Zu einer Ressource für Organisationen wie Apple, Facebook, Instagram, Google, Snapchat und den Staat, denen es dank unserer eigenen, freiwilligen Hilfe gelingt, sich ein genaues Bild von uns zu machen, das sie verkaufen oder selbst verwenden können. Es schmeckt nach Ausbeutung.“ S. 77.
„Stille ist Luxus für alle.“ S. 71.

Es gibt noch viel mehr von tiefgreifenden Gedanken und Einsichten, die nicht nur jedes Zitatenheft zieren, sondern auch zur Besserung eigener Lebensqualität führen können.
Einige Farbfotos der schönen Landschaften begleiten die Ausführungen.

Die Quellen sind auch liebevoll beschrieben. Zu jedem Zitat wurde nicht nur der Titel samt Autor genannt, es gibt dazu noch eine kurze Erklärung, wo es entnommen wurde und ggf. auf welchen Fragen diese basieren, etc.

Das Buch ist schön und sehr passend gestaltet. Auf dem Festeinband ist ein buntes Foto einer großen Kreuzung in einer dt. Großstadt zusehen, das gleich an entsprechende Geräuschkulisse denken lässt, der Umschlag ist dagegen weiß und schlicht, wie in Stille gehüllt.

Fazit: Eine Wohltat für die Lärmgeplagten und nach Ruhe Suchenden ist dieses Buch auf jeden Fall. Wenn man mal etwas Schönes am Abend lesen möchte, kann hier gut zugreifen. Es ist ein Wohlfühlbuch. Perfekt auch als nettes Mitbringsel, ein Geschenk für Freunde und Familie.

Bewertung vom 07.10.2017
Paris, links der Seine
Ortheil, Hanns-Josef;Ortheil, Lukas

Paris, links der Seine


ausgezeichnet

Hanns-Josef Ortheil durchstreift diese Zonen mit dem Blick eines Flaneurs von heute, der die verführerischen Winkel des alten "Paris, links der Seine" abseits von den touristischen Ecken auf intensive Weise neu erlebt.“
Es ist ein sehr schöner, wohltuender Spaziergang durch die Gassen von Paris, links der Seine. Man schreitet zusammen mit dem Autor von einer Sehenswürdigkeit zu nächsten, sei es ein malerisches Café mit einladenden Außenplätzen zum Verweilen, oder Häuser, in denen mal bekannte Künstler wie Pablo Picasso u.a. wohnten uvm.
Mal kehrt man ein und kostet Austern aus Bretagne zum Chablis oder auch süße kleine Köstlichkeiten in einem anderen Lokal.
Das Ganze entpuppt sich auch als ein Spaziergang durch Geschichte und Kultur, durch die Vergangenheit, die in diesen Straßen noch tw. gut zu erkennen ist. Arlette, die charmante, belesene Begleiterin des Autors bei manchen seiner Spaziergänge, lockert und bereichert mit ihren klugen Bemerkungen die Ausführungen auf.
Es gibt viele Zitate aus den Werken der Künstler, z.B. Simone de Beauvoir, Guillaume Apollinaire, Ernest Hemingway etc., die in diesen Straßen wohnten und das Leben dort beschrieben. Als Kontrast bekommt man die Schilderungen, wie diese Straße heute ausschaut, was man dort erleben kann.
Auch für die sehr gut gelungenen Farbfotos, die das Geschehen auf den Straßen, in den Cafés so toll einfangen, es lebendig werden und es so unmittelbar miterleben lassen, konnte ich mich begeistern. Sie bereichern das Lesevergnügen ungemein. Man fühlt sich gleich eingeladen, in diesen Cafés zu verweilen, sich die Passanten anzuschauen, ggf. den Gesprächen zu lauschen, dann aufzustehen und die Straßen abzulaufen, so wie es hier geschildert ist.
Die Sprache ist so wunderbar, eine wahre Wohltat, dass sie allein schon Grund genug ist, „Paris links der Seine“ in die Hand zu nehmen und sich darin zu vertiefen.
Das Buch ist sehr gut strukturiert. Inhaltsverzeichnis gibt den Überblick der besuchten Straßen, auch eine Karte, in Farbe, hilft der besseren Orientierung. Literatur- und Quellennachweise fehlen keineswegs und laden zur Lektüre der erwähnten Werke ein.
Das Buch ist schön, des Inhalts würdig gestaltet: Umschlagblatt, Festeinband in Graublau. Prima als Geschenk.
Fazit: Es ist ein Wohlfühlbuch. Für Kunst-, Geschichte-, Literaturgourmets im direkten und übertragenen Sinne, für alle Paris-Begeisterte und diejenigen, die es noch werden wollen, ist es eine sehr gute Adresse.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.10.2017
Brot
Mayer, Walter

Brot


ausgezeichnet

Diesem Buch wohnt ein Zauber inne, der sowohl dem Thema an sich als auch der Art, wie es ausgearbeitet und dem Leser präsentiert wurde, zu verdanken ist.
Es ist ein bunter Mix aus wissenswerten Fakten zum Thema Brot, Berichten über Reisen, die als Ziel, neue Brotsorten zu verkosten, anpeilten, Schilderungen der Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen, die sich dem Brotbacken verschrieben haben, Brotrezepten, uvm.
Der Autor ging dabei sowohl in die Breite als auch in die Tiefe, insb. in der Mitte. Spätestens ab Kap. 6 war ich voll im Bann dieses Buches. Man reiste nach Schottland, Albanien, Salzburg, Marokko und Kreuzberg/Berlin und probierte ungewöhnliche und traditionelle Brote, bereitete Sauerteig zu, knetete den Teig, was einer meditativen Übung laut W. Mayer ähnelt, uvm. Mit einer ehem. DDR Bäckerfamilie unterhielt man sich, wie es damals war, ein Bäcker zu sein, denn ein Privatbetrieb war kaum systemkonform und das Brot so billig gewesen, dass es oft als Tierfutter genommen worden war.

Die persönliche Note macht dieses Buch so besonders, die wie ein roter Faden durch das Werk zieht. Walter Mayer stammt aus einer Bäckerfamilie, sein Großvater stand in eigener Bäckerei in Salzburg. Nun versuchte der Autor, das Brotbacken für sich zu entdecken und sprach am Ende seiner Suche mit seiner Mutter über die Dinge, über die er schon lange, wenn überhaupt, mit ihr gesprochen hatte.

Ich habe das Buch genüsslich Seite für Seite geschmökert und auch nachdem es ausgelesen war, wirkte es noch einige Tage auf mich fort. Diese Bilder, die dabei entstanden waren, die Begegnungen mit spannenden Persönlichkeiten liefen wie ein Kopfkino vorm inneren Auge ab: Da war man wieder in Marokko und schaute zu, wie Fatima Zohra ihr Brot knetet und ihre Lebensgeschichte erzählt; da unterhält man sich mit ihrem Mann, der das Brot von der Schubkarre auf der Straßen verkauft und dabei erklärt, warum das Brot in Marokko billig ist; da ist man wieder in Albanien und probiert die duftenden Böreks. Da ist man bei Monika Drax in Oberbayern. „Die Drax-Mühle ist eine der ältesten Mühlen Deutschlands – und eine der modernesten.“ S. 224. Ihr Lieblingsrezept von Urkornbrot findet man im Anschluss an das lehreiche Gespräch.

Im allg. Wissensteil findet man u.a. Kurzbeschreibungen von Einkorn, Emmer, Kamut, den Getreidesorten, die in letzten Jahren wieder populärer wurden und sehr gut schmecken. Die schönen Illustrationen in Farbe bilden sie ab, sowie einige Verarbeitungsprozesse, z.B. wie das Mahlen vonstattengeht, oder wie man Teiglinge zu Kaiserbrötchen faltet, oder auch die Zubereitung des Sauerteiges. So hat man alles, was man dazu wissen muss, auf einem Blatt.
Diese Vielfalt, Abwechslungsreichtum, der Ausführungen gepaart mit kritischen Einlagen, was die heutige Lage der Landwirtschaft in Sachen Weizenproduktion und industrielle Brotherstellungsprozesse in größeren Bäckereien angeht, konnte mich auf der ganzen Linie begeistern.

Charmant wurde zum Schluss an die Leser appelliert, beim lokalen Bäckerhandwerkbetrieb um die Ecke sein Brot zu holen, statt Luftikus aus den billigen Aufbackshops.

Das Buch ist toll geschrieben: klarer, schlanker, aussagestarker Schreibstil, der zudem leichtfüßig und leicht humorig rüberkommt, und dem Ganzen das Flair eines gehaltvollen Gesprächs mit einem Freund verleiht.
Dieses Buch ist auch liebevoll gestaltet: Festeinband aus gespanntem Stoff, deren Oberfläche sich etwas rau wie die Kruste eines darauf abgebildeten Brotes anfühlt. Lesebändchen, farblich auf das Coverbild abgestimmt fehlt keineswegs.

Fazit: Es ist ein schönes Werk, innerlich wie äußerlich. Alles passt wunderbar zusammen und hinterlässt einen runden, stimmigen Eindruck. Es ist auch sehr unterhaltsam, eignet sich besonders gut für die Leser, die sich dem Sachbücherlesen erst vorsichtig nähern wollen. Perfekt auch als Geschenk für Freunde und Familie. 5 wohl verdienten Sterne und eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 07.10.2017
Das Buch der verlorenen Bücher
Van Straten, Giorgio

Das Buch der verlorenen Bücher


ausgezeichnet

Das Buch habe ich sehr gern gelesen. Die Idee fand ich ungewöhnlich, ungewöhnlich gut. Die Umsetzung ist schon allein der Grund, weshalb man das Buch aufschlagen sollte. Es liest sich wie ein literarisches Werk. Da war ich oft am Zweifeln, ob ich ein Sachbuch las oder schon im Reich der Literatur angekommen war.
Zum Autor: „Giorgio van Straten, geboren 1955 in Florenz, ist Leiter des Italienischen Kulturinstituts in New York. Außerdem schreibt er Romane, übersetzt aus dem Englischen und leitet die Literaturzeitschrift Nuovi Argomenti.“
Übersetzerin: „Barbara Kleiner studierte Komparatistik und übersetzt aus dem Italienischen und Französischen. Sie übertrug u.a. Italo Calvino und Umberto Eco ins Deutsche und erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter 2011 den Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis.“
Giordano van Straten weiß seine Leser zu fesseln, sei es durch Enthüllungen weniger bekannten Einzelheiten aus dem Leben und Wirken der o.g. Autoren und der ihrer Partner, oder durch sein Können, das Wesentliche mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen, oder auch durch seinen eigenartigen, wohl geübten und angenehm zu lesenden Schreibstil.
Die Geschichten sind eher kurz, mal zehn, mal fünfzehn, mal zwanzig Seiten, sind aber sehr gehaltvoll und wirken im Nachhinein so, als ob man mitteldicke Bücher zu den darin geschilderten Themen gelesen hat.
Zum Schluss gibt es Gedichte von Sylvia Plath, Ted Hughes, ihrem Mann, Freda Hughes über S. Plath. Etwas düster ist der Beitrag als Abschiedsbeitrag.
Die Bibliographie ist nach den beschriebenen Autoren geordnet, was sehr hilfreich ist, wenn man auch diese Werke lesen möchte.
Das Buch ist schön gestaltet: Festeinband in Hellgrün, Umschlagblatt, Lesebändchen in Rot. Alles passt sehr gut zusammen. Perfekt als Geschenk.

Fazit: Sehr lesenswert. Form und Inhalt passen wunderbar zusammen. Man erfährt nur etwas Neues, es ist schlicht Lesevergnügen, das einem entgeht, wenn man dieses Buch nicht liest.

Bewertung vom 07.10.2017
Für immer zuckerfrei (eBook, ePUB)
Zampounidis, Anastasia

Für immer zuckerfrei (eBook, ePUB)


sehr gut

Das Buch von Anastasia Zampounidis (A.Z.) habe ich gern gelesen. Es liefert viele aufschlussreiche Infos, die den Konsum von Industriezucker und seine wenig wünschenswerten Folgen beleuchten, und erteilt Ratschläge zur zuckerfreien Ernährung und gesundem Lebensstil insg.
Die Autorin erzählt sehr unterhaltsam und verständlich, warum Industriezucker für den Körper schädlich ist und weshalb es eine gute Idee wäre, darauf zu verzichten.
Als ehem. Zuckerjunkie weiß A.Z., wie mühsam es ist, davon loszukommen und wie schnell man wieder in seine Abhängigkeit gerät. Sie vergleicht dies mit Alkoholsucht, weil man sich ähnlich schnell daran gewöhnt und nur schwer davon loskommt.
Schon während der Lektüre fing ich an, auf die Angaben der Zutaten auf den Verpackungen zu achten und musste die These aus dem Buch bestätigt sehen: Zucker steckt überall, auch dort, wo man ihn nicht vermutet. Wenn man den beim Gebäck, Ketchup, Saucen und Getränken noch erwartet, so wundert man sich, dass der Industriezucker auch beim eingepackten Fisch, wie Matjesfilets, Wildlachs, oder auch bei so gesund anmutenden glutenfreien Nudeln aus roten Linsen, grünen Erbsen und Kichererbsen, so wie glutenfreien Nudeln, in fettarmen Joghurts, Saurerer Sahne Sojamilch, usw. in aller Selbstverständlichkeit steckt. So viel ist klar: komplett auf Zucker zu verzichten ist nicht einfach, aber doch machbar.
Dazu rät A.Z. zur Traditionellen chinesischen Medizin (TCM) und gibt im Vorfeld allgemeingültige Tipps zur Ernährung danach. A.Z. ernährt sich auch vegan, aber nicht glutenfrei. Sie gibt im Anhang Beispiele aus ihrem Ernährungsplan, was man zum Frühstück, Mittag, etc. essen könnte. Meist ist es Selbstgekochtes aus Gemüse, Obst, Nüssen und Getreide. Als Süßes gibt es selbstgemache Pralinen aus Datteln, Walnüssen und Leinsamen. Nach 19 Uhr wird nichts gegessen, da die Organe ihre Aktivität ab da herunterfahren. Es geht A.Z. nicht ums Abnehmen, wobei man ohne Zucker schon gut abnehmen kann, es geht um einen gesunden Lebensstil, der z.B. einen um etwa 15 Jahre jünger aussehen lässt.
Auch die anderen Namen für Zucker, wie auch E-Nummern, die ihn und andere weniger gesunde Konservierungsstoffe bedeuten, findet man im Anhang. Auch welche Kräuter appetithemmend wirken, was man nehmen kann, wenn Appetit auf Süßes gerade da ist, und erst recht, wie man Heißhungerattacken meidet, findet man in diesem Buch.
Lesenswert fand ich die Ausführungen zur Anti-Zucker Bewegung, in USA unter der Ägide von Dr. Lustig, und DE, die es seit Längerem gibt. In diesem Teil mangelt es an Kritik und Vorschlägen, wie man die heutige Lage verbessern könnte, kaum. Was jetzt gefragt ist, so die Autorin, sind die Konsumenten, die die erforderlichen Veränderungen durch ihre bewusste Nachfrage nach zuckerfreien Lebensmitteln ermöglichen würden.
Etwas weniger Eigenwerbung insg. und von künstlerischen Ausflügen zu den Koch- und anderen Shows, an denen die Autorin mal teilgenommen hatte, weniger Füllstoff insg., denn in der Mitte gibt es lange Einlage über Paracelsius& Co., wäre ein Plus gewesen. Auf weiten Strecken kam mir vor, dass die Autobiographie von A.Z. lese, was nicht meine Absicht war. Auch die Schlussfolgerung, ihr jugendliches Aussehen wäre nur auf zuckerverzicht zurückzuführen erscheint mir etwas naja, denn wie oben gesagt, ernährt sie sich vegan, nach TCM und meidet Alkohol. ES ist wohl eher die Kombination aus den genannten Zügen ihres Lebensstils, die zu diesem aufsehenerregenden Ergebnis führt.
Aber von der Idee und den Vorschlägen zur Lösung des Zuckerkonsumproblems von der Konsumentenseite her, ist das Buch sehr gut, informativ und lesenswert. Auch wer sich nicht gleich zuckerfrei ernähren will/kann, so ist es gut zu erfahren, weshalb man dies tun sollte.
Gute 4 Sterne und eine Leseempfehlung.

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.